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Letzter So. im Kirchenjahr: Mt 25, 1-13 Totensonntag: Joh 5, 24-29 |
2 Sam 5, 1-3 | Kol 1, 12-20 | Lk 23, 35-43 |
Ein Predigtvorschlag ist nicht ganz einfach.
Sowohl die katholischen wie die evangelischen Lesungstexte sind im Fokus der Nachhaltigkeit nicht ohne große Interpretationsleistungen zu lesen:
Im Text von den klugen Jungfrauen, der in der evangelischen Kirche am letzten Sonntag im Kirchenjahr gelesen wird, ist die Haltung der Achtsamkeit und des aktiven Wartens natürlich anschlussfähig an eine wache Zeitgenossenschaft, die sich den großen Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zuwendet.
Bei den Texten in der katholischen Kirche könnten Fragen der Machtausübung (Sam), des kosmischen Christus (Kor) und das Messiasverständnis (der gekreuzigte Heiland) für die Nachhaltigkeit eine Rolle spielen.
Auch das Kirchenjahr geht hier ökumenisch auseinander: Das Anliegen des evangelischen Toten- oder Ewigkeitssonntags wird katholisch bereits an Allerseelen aufgegriffen. Der Christkönigssonntag in der katholischen Kirche hat kein einfach entsprechendes Pendant bei den Protestant:innen.
So kommen nachfolgend ein paar Gedanken zum »Totensonntag«, der ja über die Kirchen hinaus in der Gesellschaft begangen wird, spezifisch zur Frage, um welche Toten wir trauern.
Totensonntag
Gedacht wird der Toten: Der Toten der eigenen Familien, der Toten der beiden Weltkriege, der Toten aller Kriege und immer sind Menschen gemeint. Das hat natürlich seine volle Berechtigung. Das Totengedenken ist ein Ausdruck des kulturellen Zustandes einer Gesellschaft.
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte ist in den letzten Jahren die Erkenntnis gewachsen, dass „alles mit allem verbunden ist“. Papst Franziskus hat das in Laudato Si betont (s. LS 138), und auch die Naturwissenschaften sprechen von den Netzwerkstrukturen allen Lebens.
Die Bibel lehrt uns, dass wir „Erdlinge“ sind, von der Erde genommen (Gen 2,7) und dazu bestimmt, zu ihr zurückzukehren. Diese Einsicht gehört zu jeder christlichen Beerdigung.
Wir Menschen sterben – aber nicht nur wir. Auch die Tiere, die Pflanzen sterben, alles, was lebt stirbt, „die ganze Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen“ (s. Röm 8,20).
Die Kriege, die wir anschauen müssen, bedeuten nicht nur den Tod für viele Menschen, sie verursachen auch den Tod von Flora und Fauna, die Verschmutzung der Flüsse, die Vergiftung der Erde, die Verminung der Felder. Sie bringen den Tod, nicht nur für menschliches Leben.
Neben der Klimakatastrophe, die ja auch so viel Tod verursacht, ist das Artensterben und der damit verbundene Verlust der Biodiversität eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
Geschätzt sterben täglich etwa 150 Arten (!) aus. Das letzte große Massensterben fand vor etwa 70 Millionen Jahren statt. Wir befinden uns, so sagen einige, in der Phase des 6. Großen Massensterbens in der Geschichte der Erde. Von großen Tieren wie den Dinosauriern, dem Säbelzahntiger oder dem Mammut wissen wir. Von den meisten der Millionen Klein- und Kleinstlebewesen kennen wir nicht einmal den Namen. Wir können vermuten, dass Arten aussterben, die wir bisher nicht einmal entdeckt haben. Vermutlich sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht, Tiere und Pflanzen.
Damit schreitet der Verlust der planetaren biologischen Vielfalt, auf die wir auch für unser Überleben zwingend angewiesen sind, weiter voran. Wir verlieren die so genannten Ökosystemleistungen: Nahrung, sauberes Wasser und die Luft zum Atmen, schlicht alles, was uns die Natur bedingungslos bereitstellt. Dies alles steht auf dem Spiel, wenn wir die Leistungsfähigkeit der globalen Ökosysteme weiterhin schädigen oder sogar völlig zerstören.
Totensonntag: Wenn alles ist mit allem verbunden ist, dann sollte sich das Gedenken an Sterben und Tod heute nicht mehr nur auf menschliches Leben beziehen, sondern auf alles Leben, das leben will und es nicht darf, weil wir Menschen das verhindern. Das ist im Übrigen auch der größte Unterschied zu den vergangenen Massensterben. Heute ist der Mensch verantwortlich, früher die Natur selbst oder ein Meteoriteneinschlag.
Stirbt nicht mit diesem großen Massensterben auch mehr und mehr die Hoffnung, dass wir die Entwicklung noch drehen können? Den drohenden Kipppunkten haben wir kaum etwas entgegen zu setzen. Der gute Wille vieler einzelner und deren Alltagspraxis vermag die große Welle der Zerstörung nicht aufzuhalten.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, das hören wir häufig – aber auch sie kann sterben.
Spätestens hier müsste christlicher Glaube Einspruch erheben, besonders im heiligen Jahr 2025, das als Jahr der Hoffnung ausgerufen wurde und das mit dem heutigen Tag zu Ende geht.
Aber woher soll die Hoffnung im Angesicht von soviel Tod und Sterben kommen?
Im Konzept von Joanna Macey, „Active Hope“ (Joanna Macy& Chris Johnstone, Active Hope, Der ökologischen Krise mit kreativer Kraft und Resilienz entgegentreten, 2. Auflage 2024), sind dazu einige Spuren zu entdecken:
Sie rät, trotz allem mit der Dankbarkeit zu beginnen, weil - auch an Totensonntagen - es etwas zu danken gibt. Dann sollen wir den Schmerz spüren, den wir tatsächlich empfinden, wenn wir an uns heranlassen, wie sehr der Tod um sich greift. Die nächste Etappe ist die Aufgabe „die Welt mit neuen Augen zu sehen“ und dann zu handeln. „Hope comes from action“, diese Überzeugung steht hinter dieser Idee, die eine mögliche Antwort auf die grassierende Hoffnungslosigkeit im Angesicht von so viel Tod sein kann.
Und wenn auch das nicht mehr hilft? Ein KZ-Insasse sagte einmal, dass man, wenn man selbst jede Hoffnung verloren hat, jemanden kennen muss, der noch Hoffnung hat und dass man dann den Mut haben muss, dieser fremden Hoffnung in sich Heimat zu geben. Das ist eine der vornehmsten Aufgaben christlicher Gemeinde.
In der Übersetzung von Karl Barth heißt es im Römerbrief: Ohne Hoffnung auf Hoffnung hin glauben (Röm 4,18) – diese letzte Variante bleibt christgläubigen Menschen.
„Erhebt eure Häupter“ (Lk 21,28), wird es im kommenden Advent wieder heißen. Der Tod hat seinen Stachel verloren. (1 Kor 15,55) Der Tod, der so allgegenwärtig weit über menschliches Sterben hinaus ist, hat nicht das letzte Wort.
Am Totensonntag steht es uns gut an, mit der ganzen Schöpfung und für die ganze Schöpfung zu hoffen, dass Stöhnen und Wehklagen, dass Sterben und Tod einmal ein Ende hat.
Diese Hoffnung wird getragen von Zusagen, die in den Texten des Tages zum Ausdruck kommen. Im Kolosserbrief spricht Paulus von „den Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,20). Im Johannesevangelium wird für alle Gläubigen sogar festgestellt, dass „sie aus dem Tod ins Leben hinübergegangen sind“ (Joh 5,24) und bei Lukas verspricht Jesus einem dem Mitgekreuzigten, dass er noch heute mit ihm im Paradies sein wird. (s. Lk 23,43)
Eine so genährte Hoffnung sollte uns tragen – auch am Totensonntag.
Thomas Schmidt, Hofheim