Maria Clara Kissel, Friedensreferentin bei pax christi Rhein-Main
Wie können wir im Diskurs um die Klimaerwärmung eine Sprache finden, die statt lähmenden Schuldgefühlen ein Gefühl der Handlungsfähigkeit weckt?
Schuld und Ohnmacht: Ein protestantisches Erbe?
Max Weber zeigt in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, dass insbesondere der Calvinismus eine tiefe Verknüpfung von individueller Verantwortung, harter Arbeit und moralischer Selbstdisziplin geschaffen hat. In diesem Denksystem gibt es keine Möglichkeit, Schuld durch Rituale wie der katholischen Beichte oder Bußrituale wie Rosenkranzgebete gänzlich loszuwerden. Vielmehr bleibt Schuld eine persönliche Last und Lebensaufgabe, die durch ein tugendhaftes Dasein und eine individuelle Beziehung zu Gott kompensiert werden muss. Die Ungewissheit als Teil unseres Schuldverständnis könnte als ein Einflussfaktor dafür gesehen werden, wie wir über globale Herausforderungen wie den Klimawandel sprechen und was das in der Konsequenz für das Individuum bedeutet. Man könnte dabei auch mutmaßen, dass gerade die protestantische Ungewissheit der Schuldfreiheit zu einem besonders emsigen Kampf für die Bewahrung der Schöpfung führen sollte. Warum ist das nicht so?
Eine Erklärung: Wir neigen dazu, Schuld als individuelle Verantwortung zu betrachten. Wer Fleisch isst, fliegt oder ein Auto fährt, ist Mitschuldiger am Klimawandel. Gleichzeitig ist die Herausforderung so gewaltig, dass individuelles Handeln oft wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheint. Dadurch wird die Schuld nicht mit Handlungsfähigkeit verknüpft, sondern mit Ohnmacht. Das führt entweder zu Resignation (»Ich kann ja sowieso nichts tun.«) oder Abwehrreaktionen (»Ich lasse mir kein schlechtes Gewissen machen«). *
Hinzu kommt, dass die Klimaerwärmung in unseren Breitengraden nicht für alle spürbar und sichtbar wird und damit der Leidensdruck ausbleibt. Dadurch ist der Kampf gegen diese »unsichtbare Macht« keiner, der sich im Alltag positiv bemerkbar macht: Wenn ich mich beim Einkauf für das regionale Produkt entscheide anstelle des importierten, ist es nur das eigene Über-Ich, das belohnt; eine sichtbare Wirkung bleibt in diesem Moment aus.
*Anmerkung: Protestant:innen können an dieser Stelle einwenden, dass die Vergebung der Schuld durch den Kreuztod Jesu bereits geschehen ist, was vielmehr eine Befreiung von Ohnmacht und Sündenlast bedeutet. Dass diese Botschaft aber verinnerlicht auch im kollektiven Unbewussten angekommen ist, daran darf man zumindest zweifeln. Es schien mir selbst mit meinem protestantischen Hintergrund immer schwer zu glauben, dass es der menschlichen Natur entspricht, einen Erlösungszustand ohne jedwedes Zutun einfach nur »anzunehmen«. Doch haben meiner Ansicht nach beide protestantische Auslegungen eine schwierige Beziehung mit dem Handeln: Bei der Weber’schen Deutung überwiegt die Ungewissheit die Selbstermächtigung im eigenen Handeln. Bei einer Gewissheit der Erlösung ist es jedoch Christus, der bereits gehandelt hat; das eigene Handeln scheint also keine so große Rolle mehr zu spielen.
Die Klimakrise als moralische Erschöpfung
Unsere sprachliche und kulturelle Prägung zeigt sich auch in der Art, wie über die Klimakrise gesprochen wird:
- Katastrophenszenarien dominieren: »Wir stehen vor dem Abgrund.«; »Unsere Zukunft ist zerstört.«; »Wir haben versagt.«
- Moralische Appelle richten sich an Einzelne: »Jeder muss seinen Teil beitragen.«; »Wir sind schuld am Artensterben.«; »Unser Lebensstil ist zerstörerisch.«
- Die Lösungsansätze klingen nach Verzicht und Entbehrung: »Wir müssen weniger fliegen.«; »Wir sollten weniger konsumieren.«
Alle drei Narrative können zu einem Gefühl der Schuld oder Machtlosigkeit führen, wodurch die Versuchung groß ist, sich letztlich ganz von der Debatte abzuwenden. Statt Aktivismus entsteht eine Art moralische Erschöpfung.
Eine neue Sprache für den Wandel
Wenn Sprache unser Denken formt, dann brauchen wir eine Sprache, die nicht lähmt, sondern aktiviert. Die Frage ist: Wie können wir eine Klimaschutz-Kommunikation voranbringen, die nicht in Schuld und Ohnmacht stecken bleibt, sondern Handlungsfähigkeit und Sinn vermittelt?
Um die christliche Sprachtradition noch einmal aufzugreifen: Während »Schuld« oft mit Passivität verbunden ist, gibt es in religiösen Kontexten auch Begriffe, die auf Wandel und Erneuerung hindeuten. So kann man »Buße« nicht als Strafe, sondern als Umkehr und bewusste Neuausrichtung verstehen. »Erlösung« kann statt als passives Warten, Hoffen oder Ausruhen auf Gnade, auch als aktives Schaffen einer besseren Zukunft gedeutet werden. Die Verantwortung für unsere Welt, die Bewahrung der Schöpfung, kann als eine geteilte Aufgabe, nicht als individuelle Last, verstanden werden.
Wie könnte eine ermächtigende Sprache konkret aussehen?
- Von Schuld zu Verantwortung: Statt: »Wir haben versagt und stehen vor einer Katastrophe.« Besser: »Wir stehen an einem Wendepunkt und können gestalten.«
- Von moralischem Zwang zu gemeinsamer Vision: Statt: »Wir müssen verzichten, um die Welt zu retten.« Besser: »Wir können neue Wege finden, die unser Leben bereichern und unsere Natur schützen.«
- Von individueller Last zu kollektiver Handlung: Statt: »Jeder ist schuld am Klimawandel.« Besser: »Gemeinsam haben wir die Macht, etwas zu verändern.«
Nicht vergessen werden soll, dass es neben der Chance, die Klimaerwärmung als einen uns einenden gemeinsamen »Feind« zu betrachten, tatsächlich eine Grenze unserer Wirksamkeit gibt. Der Großteil der Emissionen stammt aus der Energieerzeugung, der Industrieproduktion und dem Transportsektor. Deshalb liegt der größte Hebel immer noch bei Industrie und Politik. Hier gilt es, von unten Druck aufzubauen.
Auf kollektiver Ebene kann unsere Sprache dennoch eine mächtige Barriere sein oder aber ein Werkzeug der Veränderung. Eine bewusst gewählte Sprache, die Verantwortung statt Schuld betont, gemeinsame Lösungen in den Vordergrund stellt und Zukunftsgestaltung statt Katastrophenrhetorik vermittelt, könnte einen entscheidenden Beitrag leisten, um mehr Menschen für den Klimaschutz zu begeistern. Denn wer sich handlungsfähig fühlt, handelt. Und wer handelt, verändert die Welt.
Auch bei dem Thema meines Berufs, dem Frieden, kann die Sprache entweder einen Zustand der Ohnmacht oder aber der Handlungsfähigkeit begünstigen. Gerade in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen gilt es, in Politik und Presse die Menschen rhetorisch nicht zu lähmen, sondern zu Demokratie stärkenden Handlungen zu ermutigen.