Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Kol 4, 2-4 (5-6) | Apg 10, 25-26.34-35.44-48 | 1 Joh 4, 7-10 | Joh 15, 9-17 |
Stellung im Kirchenjahr
In der evangelischen Perikopenordnung ist der 6. Mai 2018 der Sonntag Rogate, nach katholischer Ordnung der 5. Sonntag in der Osterzeit.
Impulse im Blick auf Nachhaltigkeit (im Sinn des Jahresthemas „Bedrohte Freiheit / Partizipation“ / „Mauern der Freiheit“) können aus den vorgegebenen Tagestexten gezogen werden, allerdings eigenen sich nicht alle Perikopen gleichermaßen.
Predigtimpulse
Kol 4,2-4 (5-6)
Die Textstelle aus dem Kolosserbrief bietet sich für das Thema nur bedingt an. Möglich sind jedoch folgende Ansatzpunkte:
· Die Perikope beginnt mit der Aufforderung, beharrlich, wachsam und dankbar zu sein. Paulus (bzw. der Verfasser des Kolosserbriefs) stellt sie in den Zusammenhang mit dem Gebet, aber es geht dabei um Grundhaltungen, die auch beim Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit und Bewahrung der Schöpfung unabdingbar sind – für den langen Atem und die Frustrationstoleranz, ohne die hier nichts zu bewirken ist.
· Auch‚ sich weise zu verhalten gegenüber denen, die draußen sind‘, ist in doppelter Hinsicht wichtig: denen gegenüber, die zu den Benachteiligten gehören und denen der Einsatz für Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gilt – und ebenso im Blick auf diejenigen, die für den Einsatz noch gewonnen werden sollen.
Joh 15,9-17
· Das Liebesgebot gilt als Inbegriff des neutestamentlichen Ethos. In der Liebe werden alle anderen Werte, die für das Zusammenleben von Menschen bedeutsam sind, begründet, zusammengeführt und zugleich überboten. Denn die Liebe hat grundsätzlich das Ganze im Blick: das Wohl des anderen, das eigene Wohl, das der Gemeinschaft und das der Schöpfung. Wo einzeln Werte wie Freiheit, Partizipation, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Umsicht, Weitsicht…bedroht sind, herrscht letztlich immer ein Mangel an Liebe. Das Gegenteil solcher Liebe ist die Verengung des Ganzen auf Partikularinteressen, die einander nicht ergänzen, sondern miteinander konkurrieren. Bedürfnisse, die eigentlich legitim sind, werden verabsolutiert und übersteigert und damit zu Interessen, die gegeneinander antreten.
· Während die synoptischen Fassungen das Liebesgebot ausdrücklich auf alle Menschen beziehen (einschließlich dem ethischen Extremfall der Feindesliebe), hat die johanneische Version in Joh 15 die Jüngergemeinde vor Augen. Doch im Tenor macht es keinen großen Unterschied, wissen wir doch, dass es mitunter schwieriger ist, Menschen der eigenen Community (Familie, Belegschaft, Kirchengemeinde, Partei, Ethnie…) mit Liebe, Verständnis und Geduld zu begegnen als solchen, die uns völlig fremd sind. („Die ganze Welt zu lieben ist einfach, das Problem ist der blöde Typ von nebenan.“)
· Die Begründung dafür, dass alle der Liebe anderer würdig sind, gibt Johannes in V 16: der Jüngerkreis ist nicht durch persönliche Sympathie oder gemeinsamer Interessen entstanden (wie etwa ein Verein) – entscheidend ist allein, dass alle von Jesus ‚erwählt‘ und als Jünger berufen sind. Dies macht sie in aller Unterschiedlichkeit gleichrangig, gleich wertvoll und gleichermaßen liebens-würdig. Alle sind sie ‚Freunde‘ Jesu und als solche auch miteinander in ganz besonderer Weise verbunden. Dies gilt analog für alle Menschen (und nichtmenschlichen Mitgeschöpfe), die wie wir von Gottes Liebe zum Sein gerufen sind.
· Die Liebe, zu der Menschen fähig und berufen sind, entspringt nicht menschlicher Initiative, sie ist vielmehr Antwort auf die Liebe, mit der Gott immer schon geliebt hat. Auch dies gilt nicht nur in der Jüngerschaft Jesu, sondern grundsätzlich für alle Beziehungen zwischen Menschen. Die allem menschlichen Bemühen vorgängige Liebe Gottes zu allen seinen Geschöpfen und zu seiner gesamten Schöpfung ist der Grund für das göttliche Gebot und zugleich für die menschliche Fähigkeit, allem Geschaffenen mit ‚Liebe‘ zu begegnen und damit im Sinn von Gerechtigkeit, Freiheit, Partizipation, Inklusion… zu wirken.
Apg 10,25-26.34-35.44-48
· Gott sieht nicht auf die Person. Bei ihm gibt es keine Bevorzugung oder Benachteiligung, die vorgegeben wäre durch Geburt/Herkunft, Stand, gesellschaftlichen Rang, wirtschaftliche Potenz, kulturelle Prägung, Religion, Geschlecht(!).
· Die Gleichheit vor Gott ist die Basis, aus der sich die Gleichheit innerhalb der Gemeinschaft bzw. der Gemeinde zwingend ergibt. Eine andere Sozialordnung als die prinzipieller Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit aller ist damit für Christen keine Option.
· Diese Erkenntnis ist verstörend für diejenigen, die von den bisherigen Strukturen der Ungleichheit profitieren und die es gewohnt sind, die Rolle der Überlegenen und Privilegierten einzunehmen (Apg 10,45-47). Auch wir werden erst einmal 'außer uns geraten', wenn wir die fundamentale Gleichheit aller Menschen nicht nur intellektuell, sondern auch existenziell begreifen. Und wenn wir realisieren, welche gesellschaftliche und politische Sprengkraft darin liegt.
· Petrus ist einer von denen, die aufgrund der ‚richtigen’ Geburt (als Angehörige des auserwählten Volkes Israel) zu denen gehören, die in der Urgemeinde als die Bevorzugten gelten; er ist sogar ihr Anführer und Wortführer. Ausgerechnet er macht sich nun zum Anwalt der ‚anderen‘, die keinerlei Ansprüche vorzuweisen haben. Ausgerechnet er erkennt, dass sich die Erwählung durch Gott nicht auf das Volk Israel begrenzen lässt, dass sie in Christus vielmehr allen Menschen gilt.
Im Blick auf das Jahresthema „Bedrohte Freiheit / Partizipation“ / „Mauern der Freiheit“ ergeben sich daraus starke Impulse:
· Wer Gleichheit, Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung, Chancengleichheit für alle Menschen konstatiert und praktisch einfordert, ruft Unverständnis und Fassungslosigkeit hervor bei denen, die von den bisherigen Verhältnissen gut profitieren.
· Menschen sind immer fähig umzudenken – wenn sie sich der Logik Jesu und dem Wirken des Heiligen Geistes nicht verschließen. Auch wer (wie Petrus) bisher anders gedacht hat, kann seine Perspektive jederzeit verändern. Wenn ich damit rechne, sehe ich in keinem Andersdenkenden mehr einen ‚hoffnungslosen Fall‘, sondern höre nicht auf, im Gespräch zu bleiben und geduldig Überzeugungsarbeit zu leisten.
· Menschen, die durch ihre Stellung, ihre Autorität, ihre persönliche Überzeugungskraft die Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen, stehen in einer besonderen Verantwortung, ihre Stimme für die zu erheben, die selbst keine Chance haben, gehört zu werden.
1 Joh 4,7-10
Inhaltlich stimmen die beiden Perikopen aus der johanneischen Tradition überein, lediglich in der literarischen Form unterscheiden sie sich. Während der Evangelientext (Joh 15,9-17) das Liebesgebot als Auftrag in direkter (An-)Rede Jesu an seine Jünger formuliert, geht es in den Johannesbriefen um die gegenseitiger Erinnerung und Ermahnung der jungen Gemeinde, nach dem Liebesgebot Jesu zu leben. Insofern gilt die obige Erschließung im Blick auf Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Nachhaltigkeit auch für die zweite Lesung aus dem ersten Johannesbrief.
Elisabeth Schmitter, Rottenburg