6. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 8, 26-39 | Ez 1, 28b - 2, 5 | 2 Kor 12, 7-10 | Mk 6, 1b-6 |
Perspektive „bedrohte Freiheit“
Verbindend ist zwischen den Zeilen der Charakter der handelnden Personen als prophetische Größen, die im Auftrag Gottes alte Wege verlassen, sich auf Neues einlassen und dabei darauf verzichten, den geltenden Ansprüchen und Vorstellungen einfach gefallen zu wollen. Ihr Handeln setzt darauf, dass Gottes befreiendes Handeln Wirklichkeit werden kann – dass diese Freiheit Gottes auch dann Geltung hat, wenn sie unter den realen Umständen eingeschränkt oder bedroht ist. Die vor Augen geführten Personen – Philippus, Ezechiel, Paulus wie auch Jesus – finden sich im Kontext der Perikopen alle unter schwierigen Situationen. Doch ihre von der Beziehung zu Gott getragene Haltung ist: Vertrauen in den Auftrag Gottes, gegen alle Widerstände den begonnenen Weg weitergehen, Neues wagen können, weil größere Freiheit den Horizont bestimmt – und die eigene Person zurück zu nehmen und darin eine Kraft spürbar werden zu lassen.
Apg 8,26-39
Innerhalb der Apostelgeschichte ist die Perikope eine Missionserzählung, die den engeren Kreis Judäa überschreitet und in Samaria lokalisiert wird – letztlich aber schon eine Entgrenzung der Botschaft des Evangeliums über Israel hinaus in den Blick nimmt. Protagonist ist Philippus, einer des Siebenerkreises aus Apg 6,1-17. Er zieht die Konsequenz, dass auch gottesfürchtige Heiden wie der Äthiopier die Taufe empfangen können. Wesentlich dazu ist, dass er sich vom Geist Gottes treiben lässt (er macht sich auf den Weg und läuft zum Wagen des Äthiopiers). Der Impuls kommt Es ist eine Erfahrung, die auf dem Weg (dreimal wird der Weg genannt) geschieht und die das notwendig dynamische Moment der Nachfolge benennt („die des Weges“ ist auch ein Terminus für die Christen in der Apg).
Ez 1,28b-2,5
Der Prophet Ezechiel erhält einen Auftrag. Die Ende des 6. Jhdt. aC. ins Exil nach Babylon geführten Israeliten sollen ermahnt werden, auf Gott zu vertrauen und sich nicht auf politische Ränkespiele einzulassen. Der Prophet wird dazu ermutigt und von Gott selbst gestärkt. Er will, dass Ezechiel aufrechten Ganges und erhobenen Hauptes seinen Auftrag erfüllt. Das Ziel seiner Sendung ist nicht, mit der prophetischen Rede ein neues Handeln und Umkehr zu bewirken oder die Missstände abzustellen. Es ist in dieser Situation ausschließlich die Aufgabe des Propheten deutlich zu machen, dass ein Prophet, ein Gesandter Gottes mit dem Anspruch Gottes auf diesen Menschen und die Hörer, anwesend ist. Das Volk Gottes kam durch eigenes Verschulden in die missliche Lage, seine von Gott geschenkte Freiheit vor Gott aufs Spiel und verspielt zu haben. Und dennoch zeigt sich dieser Gott, der die Freiheit garantiert, auch dann noch denen zugewandt, wenn sie nicht hören und sich widerspenstig erweisen. In Ezechiel selbst findet sich exemplarisch die Haltung zu Gott, die Freiheit (als ein Aspekt von shalom) möglich macht: sich von Gott in Anspruch nehmen zu lassen. Dieser Gott ermöglicht eine Freiheit, die voraussetzt, dass ein Mensch Gott in sein Leben einbrechen lässt und es auch in einem anderen Sinne verändert, als es im Horizont menschlicher Vorstellungen vielleicht angenehm und wünschenswert wäre. Es ist die Haltung der Offenheit für Gott, die eine Freiheit von vorgegebenen Mustern und Strukturen und menschlichen Machtspielen erfordert - der von Gott frei gemachte Mensch lebt in einer von Unfreiheiten bestimmten Welt nicht die im weltlichen Sinne definierten Freiheit, sondern wird zum Zeugnis der Befreiung, die in der Beziehung zu Gott wirklich wird.
2 Kor 12,7-10
Schon mit Kapitel 10 beginnt diese Auseinandersetzung mit den Verkündern („Überaposteln“) eines anderen, verdrehten Evangeliums in Korinth, die sich besonderer Fähigkeiten und religiöser Ausdrucksformen rühmen. Darin legitimieren sie ihren missionarischen Anspruch und erheben den Anspruch, ein Evangelium anderer Art als das des Paulus zu lehren. Mit Kapitel 11 tritt Paulus schließlich aus einer vernünftigen Gegenargumentation heraus und betritt das Feld eines für ihn im Lichte des Evangeliums vom gekreuzigten und auferstandenen Christus närrisch klingenden Redens, weshalb 2 Kor 11,16-12,13 explizit als Narrenrede charakterisiert wird. Es geht ihm nicht um die eigene Person, die er schützen oder ins rechte Licht rücken will. Es geht Paulus um die Wirkkraft des Evangeliums vom Kreuz (vgl. 1 Kor 1-4), im dem den Menschen die wirklich freimachende Kraft liegt.
Die Aussagen des 12. Kapitels im 2. Kor spiegeln die Ambivalenz des Apostelseins wider: Paulus spricht über herausragende religiöse Erfahrungen, die eine Faszination ausstrahlen und – mit Blick auf seine Gegner – als leichtfertige, äußerliche Legitimationsausweise aufgenommen werden können. Paulus korinthische Korrespondenz zeigt in beiden erhaltenen Briefen, dass die Qualität und existentielle Wirkung der Botschaft, die er verkündet, nicht an den äußerlich wahrnehmbaren Phänomenen des Verkündigers bzw. der Glaubenden nicht gemessen werden kann, sondern auf einer anderen Ebene liegt. Man kann sich dieser äußeren Phänomene des Ergriffenseins durch das Evangelium nicht rühmen. Daher ist es für Paulus im Grunde unsinnig, sich zu vergleichen und zu rühmen. Aber als sarkastische Reaktion verweist er dann doch auf das, was an ihm geschieht. So kann er auf das an ihm wahrnehmbare und für den auf das Außen fixierten Blick irritierende und vielleicht sogar abschreckende Phänomen eines „Stachels im Fleisch“ eingehen und im Blick darunter einen Beweis für die wirksame Gnadenzuwendung und Kraftauswirkung aus der Beziehung zu Christus aufdecken.
Die Perikope stellt eine leidvolle Erfahrung des Paulus in den Fokus. Was hinter dem „Stachel im Fleisch“ zu verstehen ist hat viele Mutmaßungen hervorgebracht (vgl. entsprechende Kommentare): ob psychische oder physische oder psychosomatische Erkrankung – die Wirkung auf Paulus ist, dass er dieses Leiden nicht mehr bekämpft, sondern in der Weise einer besonders bestimmten Freiheit in das eigene Leben integriert. Diese Freiheit ist eine merkwürdige, weil sie darin besteht, aus einer besonderen Abhängigkeit heraus gewonnen zu werden. Es ist die Abhängigkeit von Christus und der Verzicht darauf, auf die eigene Person, die eigenen Fähigkeiten und Machtmöglichkeiten als Grund des Eintretens für Christus zu rekurrieren. Paulus empfängt diese freie Annahme aus seiner Beziehung zu Christus, die er zugelassen hat. Das intensive Gebet (dreimal) führt nicht zum erhofften menschlichen Lösungsziel. Die Lösung, die ihm Christus bereit hält scheint die Freiheit einzuschränken – und wird doch zur Befreiung dazu, den Menschen, die auf wahre Freiheit setzen, die wirksame Botschaft der Freiheit Gottes zu verkünden. Lösung bzw. besser Erlösung erweist sich umfassender als eine Form der Befreiungserfahrung, die vom gekreuzigten und auferstandenen Christus ausgeht. Ihm weiß sich Paulus verbunden und drückt dies in der Formel des In-Christus-Sein und Christus-in-mir-sein aus. Diese Beziehung ist eine Beziehung eigener Freiheit: sie erwächst daraus, dass sich Christus seinem Apostel zuwendet, ihm in dem Maße treu ist, dass dieser daraus leben kann (Gnade). Sie ist für weltliche Maßstäbe Schwachheit und eher Ausdruck einer Abhängigkeit als Freiheit. Doch die befreiende Macht dieser existentiellen Abhängigkeit - = weltlichen Schwachheit - von Jesus Christus erweist sich nicht im Erscheinen eines mächtigen, starken und umfassend bewunderten Über-Menschen. Christliche Botschaft, die die Menschen auch zum gegenseitigen sich Annehmen und Wertschätzen befreien will, weiß u.a. dass die Machtverhältnisse unter euch, den Jüngerinnen und Jüngern, anders sein sollen, wenn sie dem Reich Gottes Raum zu geben verhelfen.
Wollte sich Paulus wie seine Gegenspieler in Korinth dessen rühmen, was er alles erträgt, dann würde er die durch die Beziehung von Christus her erlangte Freiheit gefährden. Großmäuligkeit, Machtgehabe und Machtspiele setzen letztlich die Kreuzigung Christi und seiner Schwester und Brüder fort. Die für weltliche Maßstäbe verwirrende Kraft des Christus / des Reiches Gottes erweist bzw. vollendet sich darin, dass die sich zu ihrer Schwachheit bekennenden Jüngerinnen und Jünger wie Paulus darin sich der Zusage Gottes öffnen und Christi Kraft wie in den Aussagen der Bergpredigt nicht nur Raum geben, sondern sich zu deren Werkzeugen machen lassen. Wer wie der Apostel sich der eigenen Schwachheit stellt und sich durch die Kraft des gekreuzigten und auferstanden Christus bestimmen lässt, der gewinnt Freiheit und dessen Freiheit im Einsatz für den Nächsten und auch für die Gewinnung des Feindes kann kaum / nicht gefährdet werden. Freiheit wird aber dort bedroht, wo der Blick von sich ausgeht und auf sich selbst wieder zurückführt.
(Anmerkung: eine Form der literarischen Aufnahme findet sich bei Alfred Andersch, Sansibar oder der letzte Grund.)
Mk 6,1b-6
Erfolg ist kein Schlüssel zum Evangelium. Der Perikope geht ein Kapitel voraus, in dem Jesus ‚erfolgreich‘ das Reich Gottes in Wort und Tat verkündet und dabei Gottes Wirken in der Welt in der Probe auf Leben und Tod erfahren lässt. Das ist eindrucksvoll, auch erschreckend (s. das Schicksal der Schweine), auf jeden Fall macht es die Runde. Selbst in seiner Heimat weiß man darum und hört ihm in der Synagoge zu. Ja, sie geraten sogar außer sich. Allerdings nicht, weil sie innerlich berührt sind. Sie fragen nach dem Woher dessen, was Jesus sagt und wirkt. Vielleicht oder gar sicher berührt es sie, was dieser Mann aus ihrer Mitte, ihnen zu sagt hat. Aber es scheint ihnen eben nicht die Freiheit für das Neue und für eine neue Perspektive für sie selbst zu eröffnen. Die Frage nach dem Woher verrät den Wunsch – oder müsste ich nicht besser sagen: die Angst -, diese Erfahrungen in einer Weise abzusichern, dass sie nicht zur gefährlichen Erinnerung an die schöpferische und befreiende Macht Gottes wird, die zum Aufbruch ermutigt. Vielmehr tendieren die Hörenden dazu, sich durch scheinbar klare und sichere Kategorien (hier Verwandtschaft und Herkunft) sich zu ‚entlasten‘ und aus der Infragestellung des bisherigen Weges einen Ausweg in die Vergangenheit zu suchen. Wenn man so will könnte die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus eine Art der auf Änderung des Verhaltens hinauslaufende Therapie sein – der sich die Klienten aber entziehen, da sie die Veränderung fürchten. Es braucht also an diesem Punkt keine Einschränkung der Freiheit von außen. Vielmehr gefährdet eine mangelnde vertrauende Haltung zu einer positiven Zukunft die eigene Freiheit, die eine vielleicht gegenüber dem Trott des Althergebrachten und des Vertrauten eine neue Weise der Freiheit in offener Beziehung zu Gott ist. Jesu Rede und Tat macht heil und frei in einem Sinne, dass sich den wirklich im Inneren (Ge-/)Betroffenen ein neuer Beziehungshorizont eröffnet – und das geht gleichwohl auch mit schmerzlichen Veränderungen einher. Biblisch ist dieses Versagen eines freien Zusagens / Antwortens auf den Anruf Gottes zu einer neuen, zukunftsträchtigen Lebensgemeinschaft das, was das Mk-Evangelium Unglaube nennt. Wer nur einem verengten / verengenden Blick zurück und in das eigene Wahrnehmungsfeld traut, der traut der Macht der Freiheit nicht, die hinaus und auf andere unvoreingenommen hinführt – der begnügt sich vielleicht mit der ‚kleinen‘, aber letztlich doch nur scheinbaren Freiheit seiner selbst. Die Bedrohung der Freiheit beginnt da, wo sich ein Mensch der erforderlichen offenen Haltung zur Botschaft Gottes entzieht und sich wie andere entmutigt oder irritiert.
Christoph Schmitt, Rottenburg
Literatur:
Kommentare
- zum Markusevangelium (Kertelge, NEB; Dschulnigg, ThKNT; Gnilka, EKK)
- zum Zweiten Korintherbrief (Klauck, NEB; Schmeller, EKK)
- zu Ezechiel (Grinberg, HTHKAT; Pohlmann, ATD)
- zur Apostelgeschichte (Weiser, ÖTK; Schneider, HTHKNT)