15. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Petr 5, 5b-11 | Am 6, 1a.4-7 | 1 Tim 6, 11-16 | Lk 16, 19-31 |
1 .Petrus 5, 5b-11 (nach Lutherbibel rev. 2017)
Beobachtungen zum Text: Der âMitĂ€ltesteâ sieht mehr
Das Schlusskapitel des 1. Petrusbriefes enthĂ€lt Mahnungen an die Ăltesten der Gemeinde. Der Autor versteht sich als âMitĂ€ltesterâ, der dem Leitungsgremium der Gemeinde verbunden ist. In der Bildsprache der Hirtenmetaphorik hĂ€lt er die Seinen dazu an, sich als Hirten zu verstehen und die Gemeinde als ihre anvertraute Herde. Als Hirten sind sie Vorbilder im Glauben, bis der âErzhirteâ â also Christus â erscheinen wird. Dem dienenden Charakter entspricht die Mahnung zur Demut.
An diese Mahnung an schlieĂen sich die Zeilen der Perikope. Es folgen weitere Mahnungen zur Demut, aber auch alle Sorge auf Christus zu werfen, nĂŒchtern zu bleiben und dem Widersacher zu widerstehen, der âwie ein brĂŒllender Löwe umhergehtâ, um die Christen zu verunsichern und zu verschlingen.
Die Perikope schlieĂt mit der VerheiĂung, dass Gott die Seinen, die er ja âberufen hat zur ewigen Herrlichkeit in Christusâ, aufrichten, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒnden wird. Das heiĂt, die von Gott gestiftete Beziehung in Christus wird dauernden Bestand haben. Gott behĂ€lt also die Regie im endzeitlichen Geschehen. Die Auseinandersetzungen haben ihre Zeit, denn letztlich wird âder Gott aller Gnadeâ seinen Sieg bewahren. Der âMitĂ€ltesteâ sieht also mehr, er sieht einen weiten Horizont, der viel weiter ist als die EngfĂŒhrung der Auseinandersetzungen. Die Berufenen seien getrost, denn Christus wird sie âaufrichten, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒndenâ.
Assoziationen, EinfÀlle, Gedanken zur Predigt: Lohn es sich zu kÀmpfen?
Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Was setzen wir ein? Macht es Sinn, wirtschaftliche, soziale oder politische VerĂ€nderungen einzufordern und dafĂŒr aufzustehen? Der Autor des 1.Petrusbriefes sah seinerzeit ein Leitungsteam, das einen Impuls brauchte, seine Hirtenaufgabe im Kampf gegen den Widersacher wahrzunehmen. Der Widersacher ist â im dualistischen Weltbild des 1.Petrusbriefes - der Teufel. Auf Griechisch der Diabolos, der Durcheinanderwerfer.
âDurcheinanderwerferâ offenbaren sich in Hassparolen von AFD und Pegida, in machtgierigem ParteiengezĂ€nk, in menschenverachtenden Entscheidungen gegenĂŒber FlĂŒchtlingen, ob an der osteuropĂ€ischen oder der mexikanischen Grenze â und in der GleichgĂŒltigkeit gegenĂŒber der Zerstörung der Schöpfung. Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Ja, die Zeit ist knapp. Sie verkĂŒrzt sich mehr denn je. NatĂŒrlich lassen sich die Erwartung der Parusie des Erzhirten Christus und apokalyptische Szenarien unserer Tage nicht einfach gleichsetzen. Diese gilt es zu unterscheiden. Die Frage bleibt, das ist der springende Punkt: Lohnt es sich zu kĂ€mpfen? Die Predigerin, die am 29.9.2019 predigen wird, sieht mehr. Sie weist auf den Gott der Gnade, der die Christen, die kĂ€mpfen wollen, aufrichten wird, stĂ€rken, krĂ€ftigen und grĂŒnden. Die Zeit mag kurz sein â aber der Aufstand gegen die âDurcheinanderwerferâ dieser Welt geschieht unter der âgewaltigen Hand Gottesâ und ermutigt zur Haltung des Widerstands.
Amos 6, 1a. 4-7 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)
Beobachtungen zum Text: âIch verabscheue Jakobs StolzâŠâ
Der Prophet Amos wirkte im Nordreich Israel um das Jahr 750 v.Chr. Gottes Auftrag fĂŒhrt den SchafzĂŒchter aus seinem Dorf Tekoa in Juda in die Hauptstadt Israels nach Samaria. Er kĂŒndet einer âsatten und selbstsicheren Gesellschaft samt ihren weltlichen und geistlichen FĂŒhrern ⊠im Auftrag Gottes den Einfall ĂŒbermĂ€chtiger Feinde und die Verbannung an.â (Stuttgarter ErklĂ€rungsbibel, S. 1100).
Amos spricht die Oberschicht Samarias an, die sich als âVornehmste des ersten unter den Völkernâ verstehen und sich somit im ErwĂ€hlungsbewusstsein Gottes wĂ€hnen. Amos kritisiert sarkastisch die satte luxuriöse LebensfĂŒhrung (Vers 4-6): das Faulenzen auf elfenbeingeschmĂŒckten Lagern, das Schlemmen und Trinken im ĂbermaĂ, das Grölen von Liedern, und das dichten wollen wie David (!). Was fehlt ist der Blick fĂŒr das eigene Volk, fĂŒr âJosefâ (V. 6). Josef ist der Stammvater der StĂ€mme Manasse und Ephraim. Aus ihnen setzt sich das Nordreich zusammen. Ihnen, der Spitze der Gesellschaft, droht die Spitze des Zuges derer, die vertrieben und gefangen weggefĂŒhrt werden. Vers 8 bringt die Botschaft Gottes dann auf den Punkt: âIch verabscheue Jakobs Stolz und hasse seine PalĂ€ste, die Stadt, und alles, was ist, gebe ich preis.â
Assoziationen, EinfÀlle, Gedanken zur Predigt: An der eigenen Kehl gepackt
Die messerscharfe Botschaft von Amos mit ihrer profilierten Spitze gegen die Vornehmen des Volkes Israel könnte dazu verfĂŒhren, den Finger auf die zu zeigen, die auch zu unserer Zeit an der Spitze der Gesellschaft stehen und sich wenig um soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit fĂŒr die Schöpfung kĂŒmmern. Die Botschaft von Amos aber entfaltet ihre volle SchĂ€rfe erst, wenn wir sie als Botschaft an uns selbst gerichtet hören. Liest man das ganze Amosbuch, dann packt uns wohlsituierte MitteleuropĂ€er der Zorn Gottes nahezu an der eigenen Kehle. Wenn wir heute Amos predigen, dann wohl am besten in Demut und Sprachlosigkeit. Eine Predigt ĂŒber unseren Text wird eine karge, eine demĂŒtige und zugleich eine zornige klare Sprache fĂŒhren. Und sie wird Gerechtigkeit fordern und offene Augen â nicht nur von denen, die oben sitzen. Sondern von uns selbst.
Keiner weiĂ, wie langâ die Deiche hahle/ un ab wann mir Zins un Zinseszins bezahle.
Viel zu lange haâm wir alle akzeptiert,/ dass man Fakten einfach ignoriert.
Schulterzuckend, su als ob nix wöhr, / wegluhrt un verdrÀngk un resigniert.
Kyrie eleison! Kyrie eleison! / Kyrie eleison! Kyrie eleison!
(Wolfgang Niedecken, Absurdistan von der CD âLebenslĂ€nglichâ, 2017)
Amos lenkt den Blick. Wegschauen geht nicht mehr. Kyrieeleison ist der Ruf, der die Predigt tragen muss.
1. Tim 6, 11-16 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)
Beobachtungen zum Text: Der gute Kampf des Glaubens
Der Brief gehört wie der 2. Tim und der Titusbrief zu den Pastoralbriefen. âSie stammen von einem PaulusschĂŒler. Sie sind an Mitarbeiter des Apostels Paulus adressiert⊠Die Bezeichnung Pastoralbriefe⊠bringt zum Ausdruck, dass diese Schriften den Fragen des christlichen Lebens und der Gemeindeleitung gewidmet sind.â (Petr Pokorny und Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament, S. 655). Ziel ist die âAmtstrĂ€gerparĂ€nese fĂŒr die örtliche Gemeindeleitung.â (ebd.)
Der Brief richtet sich an Timotheus, einem Mitarbeiter des Paulus, zu jener Zeit Bischof der Gemeinde in Ephesus. Die Perikope in 6, 11-16 schlieĂt an allgemeine Warnungen vor Irrlehre und Habsucht (6, 2b-10).
Die Anrede âMann Gottesâ ist Bezeichnung fĂŒr den von Gott Beauftragten. Die Zeilen 6,11ff umreiĂen das SelbstverstĂ€ndnis, zu dem der Verfasser Timotheus ermutigen will: Die Absage an Habsucht, Streben nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit Glauben usw., den guten Kampf des Glaubens zu kĂ€mpfen, das ewige Leben zu ergreifen, und den Auftrag rein zu erfĂŒllen bis zum Erscheinen Jesu Christi.
Die Perikope schlieĂt mit einem Hymnus auf Christus, auf seine âUnsterblichkeitâ, sein âWohnen in einem unzugĂ€nglichen Lichtâ. Der Autor verknĂŒpft liturgische und parĂ€netische Sprache. Die Mahnungen grĂŒnden im christologischen Bekenntnis. Wobei Christus weniger als der Gekreuzigte, als vielmehr der wahre Zeuge und der SouverĂ€n der Herrlichkeit gesehen wird (âder selige Herrscher, der König der Königeâ, V.15b). Der AmtstrĂ€ger wird somit an beides gebunden â an Christus und an seine Agenda als âMann Gottesâ. Diese Agenda erfĂŒllt sich im âTo doâ von âGerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmutâ (V. 11b)
Assoziationen, EinfĂ€lle, Gedanken zur Predigt: âDu aber!â
âDu aberâŠâ â diese beiden Worte werden zum Leitmotiv der Predigt. Du aber, Timotheus. Du aber, Predigerin. Du aber, Hörer. Auf dem Du liegt zunĂ€chst der Blick. Ăber Timotheus muss nicht lange gepredigt werden. Viel wichtiger ist die Frage â wer bin ich in diesem âDuâ? Wo liegt meine VerfĂŒhrbarkeit zu Habsucht, inwiefern lasse ich mich zu âNeid, Streit, VerleumdungâŠâ (V. 4b) verleiten, was ist die Essenz meiner Frömmigkeit, was ist der Kern meiner Lehre, die ich vertreten will? âDu aber!â Was der Prediger sich fragt, muss zur Frage der Hörer werden. Wer bin ich denn als Christ oder Christin? Was glaube ich eigentlich, wie schaffe ich die Balance von Glaube und Lebensgestaltung? âDu aberâ â ist ein unterbrechendes Aber, ein Aber, das zur Auszeit nötigt, zum Nachdenken, zur Umkehr, zur VerĂ€nderung fĂŒhren kann. âDu, aber!â Ein nachhaltiges Aber, das die Augen öffnet, so gerecht und so fair wie möglich zu leben, und sich von der Gier, die der Kapitalismus entfesselt, nicht vereinnahmen zu lassen.
Lk 16, 19-31 (nach der EinheitsĂŒbersetzung)
Beobachtungen zum Text: Der tiefe Graben
Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus ist eine BeispielerzĂ€hlung. Eduard Schweizer vermutet dahinter ein Ă€gyptisches MĂ€rchen (Das Evangelium nach Lukas, S. 172), und verweist auf weitere jĂŒdische Beispielgeschichten (ebd.). Zielpunkt der Geschichte ist nicht, vermitteln zu wollen, ob irdische Armut mit dem Lohn des Himmels versĂŒĂt wird. Es geht auch nicht darum, Arme als grundsĂ€tzlich gute Menschen oder reiche Menschen als grundsĂ€tzlich böse Menschen zu schildern. Sondern den Fokus darauf zu richten, ob der Reiche sich von der Armut des Lazarus anrĂŒhren lĂ€sst oder nicht. Seinen Status als Kind Abrahams hat er verspielt, weil er sich nicht um den Armen gekĂŒmmert hat. Dem Reichen nĂŒtzt seine Bindung an Abraham nichts mehr. Die bloĂe Berufung auf den Glauben steht also hinter der Notwendigkeit der Befolgung der Gebote Gottes. âMose und die Prophetenâ fordern die Versorgung der Armen (siehe z.B.: 2. Mose 22,20ff und Jes 10,1ff). Der Reiche wird mit dem Graben, den er zu Lebzeiten gegenĂŒber dem Armen gelebt hat, im Jenseits mit der Kluft zwischen ihm und Abraham konfrontiert. Entscheidend und erschreckend ist, dass er keine Chance mehr hat, sein Verhalten oder gar das seiner noch lebenden BrĂŒder zu Ă€ndern.
Assoziationen, EinfĂ€lle, Gedanken zur Predigt: Poor manâs blues
Lay awake at night,
Oh so low, just so troubled.
Can't get a job,
Laid off and I'm having double trouble.
Hey hey, to make you've got to try.
Baby, that's no lie.
Some of this generation is millionaires,
I can't even keep decent clothes to wear.
Otis Rush
1958 veröffentlichte der US-BluessĂ€nger und âGitarrist Otis Rush den Song âDouble troubleâ. Der Titel spielt auf einen Ausdruck beim Kartenspiel an, das Pech âin beiden HĂ€ndenâ zu halten. Arbeitslos, am Boden, ausgebootet â das ist die Erfahrung, von der Rush als schwarzer Musiker sang. Hey hey, to make you've got to try, âdu kannst es schaffen, wenn du es nur versuchstâ, diese Selfmade-Maxime ist âno lieâ so der zynische Refrain. In Wahrheit gibt es die einen, die MillionĂ€re werden â aber er, der SĂ€nger, hat nicht mal einen anstĂ€ndigen Anzug.
Eine Predigt ĂŒber die Geschichte des reichen Mann und armen Lazarus wird nicht darum herumkommen, Armut in unserem Land in den Blick zu nehmen. Und die LĂŒge nicht weiter zu tragen. Armut ist eine bittere RealitĂ€t. Sie wahrzunehmen, nicht kleinzureden, sie aus dem Blick der Betroffenen zu sehen, auf Augenhöhe zu sehen und zu verĂ€ndern â darum geht es. Reichtum ist ein Geschenk. Reichtum zu verantworten, unsere Aufgabe. Spannend wĂ€re es, diese Predigt mit Mitarbeitern der Caritas bzw. des Diakonischen Werkes oder mit Besuchern einer Vesperkirche vorzubereiten. Oder mit Mitglieder des Lions Club - oder beiden! Um eine BrĂŒcke zu bauen â jetzt schon.
Markus Stambke, Limburg
Literatur, Texte, Songs:
Die Bibel nach Martin Luthers Ăbersetzung, rev. 2017
Die Bibel, EinheitsĂŒbersetzung, 1996
Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, NTD 3, 1982
Petr Pokorny und Ulrich Heckel, Einleitung in das Neue Testament, 2007
Rush, Otis (1993). The Cobra Records Story: Chicago Rock and Blues 1956â1958 (Album notes)
Stuttgarter ErklĂ€rungsbibel, nach der Ăbersetzung Martin Luthers, rev. 1984, 1992
Wolfgang Niedeckens BAP, âAbsurdistanâ aus der CD âLebenslĂ€nglichâ, 2017