3. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Tim 1, 12-17 | Jes 66, 10-14c | Gal 6, 14-18 | Lk 10, 1-12.17-20 |
1. Tim 1, 12-17
Ist Christus in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen?
Der Verf. des 1.Tim (Die Mehrheit der Exegeten hält den Brief für nachpaulinisch) behauptet das.
Um diesen Satz zu verstehen, muss man seine Voraussetzungen nachvollziehen. Und das ist nicht einfach.
Christus ist ein Hoheitstitel. Christen sehen in Jesus von Nazareth den Messias, den Gesalbten. Ist er mit einem Auftrag gekommen? Und woher? Muss ich Christus präexistent denken, um diesen Satz zu verstehen? Seine Aufgabe war es demnach, die Sünder zu erlösen. Sünder sind wir alle, denn Sündersein beschreibt die Differenz zum Göttlichen. Diese zu überwinden kann nur durch ein von außen kommendes Heilsgeschehen erfolgen. Ich muss also ein kosmisches Heilswerk annehmen. Seligmachen, wie Luther es übersetzt, meint das Erlösen vom irdischen Gebundensein. Darum wird es oft mit dem Sterben gleichgesetzt. Die römisch-katholische Tradition versteigt sich sogar dazu, selber definieren zu können - und niemand sonst - wer zu den Seligen gehört. Wer den Satz des Briefschreibers „Paulus“ ernstnimmt, muss hier widersprechen, weil das Erlösungswerk schon geschehen ist!
Ich wähle einen gänzlich anderen Interpretationsansatz, um mir die nachhaltige Bedeutung dieser Sätze zu erschließen.
Sünder gibt es viele. Verkehrssünder, Umweltsünder, arme Sünder. Es gibt schuldbewusste, die ihr Bußgeld zahlen, und selbstbewusste, die ihre Wahrnehmung auf ihren Vorteil einschränken.
Die hier genannten Sünder sind alle solche, die sich konkreter Vergehen schuldig machen. Konkrete Sünden sind ja beschreibbar, aber verdecken leicht die Vorstellung, dass „Sündersein“ eine Eigenschaft des Menschseins schlechthin ist. Eben die Differenz zum Göttlichen soll dieser Begriff bezeichnen.
Und die Ursünde beschreibt die Bibel mit der Bildgeschichte vom Garten Eden, in dem die Frucht eines verbotenen Baums lockt. „Ihr werdet sein wie Gott“, zischelt verführerisch die Schlange. Mit diesem Urbild eines verbotenen Verlangens wird der Anfang des Sündigseins gekennzeichnet; sein zu wollen wie Gott, gesetzte Grenzen zu überschreiten. Das griechische Drama nennt die Übertretung des Nomos Hybris. Ein Menschheitsthema quer durch die Religionsgeschichte.
Im heißen Sommer 2018 wurde die Klimafrage endlich (mal wieder und doch in neuer Betroffenheit und Stärke) an die Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung gespült: Je weniger Regen, desto lauter die Forderungen. Landwirte und ihre Verbände wollen Ausgleichszahlungen für Ernteverluste, Analytiker weisen auf die vorauslaufenden Versäumnisse hin; was Nachhaltigkeit ist, lernt der Laie negativ an Hitze und Waldbränden und Wassermangel.
Die konkret beschreibbare Sünde besteht in der Nichtwahrnehmung ökologischer Gesetzmäßigkeiten. Was der notwendige Klimaschutz verlangt, ist seit mehr als einer Generation bekannt. Wir erinnern uns: Verkehrsvermeidung, Energiesparen in Gebäuden, Ökologisierung der Landwirtschaft, Umstellen der Energieerzeugung auf regenerative Träger etc.
Gibt es einen Weg aus dieser beängstigenden Situation? Was führt heraus aus der verderblichen Schere von besserem Wissen und schlechterem Tun in der Politik?
Man müsste einen glaubwürdigen Hinweis haben, der uns auf den Weg gelingenden Lebens führt. Der Verf. des Briefes nennt in Vers 5 die Hauptsache, den Kern der Lehre: Liebe aus reinem Herzen, aus einem guten Gewissen und aus ungefärbtem Glauben. Damit kommen wir sowohl dem Christusgedanken (Freiwerden von Bindungen) als auch dem Wirken des Jesus von Nazareth (Hingabe bis zum Tod) näher. Das ist eine Wegempfehlung für das Individuum. Und von diesem bis zur Ebene der vernünftigen Politik gibt es noch etliche garstige Zwischenebenen.
Ob ich in der Kosmologie der Spätantike denke oder in der mittelalterlichen Theologie des Vatikans, ob ich engagierter Umweltschützer bin oder in mitgeschöpflicher Demut leide; die Lehre ist für alle greifbar:
Die gewohnten Pfade des Verbrauchs von Naturgütern führt ebenso ins Verderben wie die aggressive Behauptung ökonomischer Zwänge. Stattdessen heißt es, Grenzen zu akzeptieren: Grenzen der Machbarkeit, des Konsums, der Markteroberung im Welthandel, Begrenztheit des natürlichen Lebens einschließlich der menschlichen Lebensdauer.
Wir können Jesus den Christus nennen, weil er in seinem Leben das offenbart hat: nur Liebe aus reinem Herzen weist uns den Weg in eine befreite Zukunft.
Lied: EG 355 Mir ist Erbarmung widerfahren
Wilhelm Wegner, Frankfurt am Main