4. Sonntag nach Trinitatis / 15. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 6, 36-42 | Dtn 30, 10-14 | Kol 1, 15-20 | Lk 10, 25-37 |
Drei der Texte des 4. Sonntags nach Trinitatis bzw. des 15. Sonntags im Jahreskreis geben Anstöße, über soziale Gerechtigkeit nachzudenken und sind daher gut miteinander kombinierbar, z.B. als Lesungs- und Predigttext. Der Text aus dem Kolosserbrief (zweiter des katholischen Lesejahres) setzt Impulse in den Themen Schöpfung und Frieden.
Lukas 6, 36-42: Wie gelingt soziale Gerechtigkeit?
Wie gelingt soziale Gerechtigkeit? Oder anders herum: Was verhindert ein gerechtes Zusammenleben im Kleinen wie auch im Großen? Der Text zeigt folgende Hindernisse auf:
- „falsches Richten“ (V. 37): Wir neigen dazu, zu schnell Urteile zu fällen, die oft Vor-Urteile sind. Es ist so einfach, „die anderen“ pauschal zu verurteilen.
- „Splitter im Auge“ (V. 39.41-42): Wir sehen bei anderen den Splitter im Auge, während wir den Balken im eigenen Auge nicht wahrnehmen. Aus anderer Perspektive haben wir alle einen Balken im Auge. Wir erkennen nur stückweise, die Sicht für die Realität ist getrübt und wir nehmen die Wirklichkeit verzerrt wahr. Wir sind blind dafür, bis in alle Einzelheiten zu erkennen, was gut und böse ist.
- Bildlich gesehen schauen wir wie durch eine Brille, die die Sicht versperrt (vgl. Foto, abrufbar unter http://www.meta-physik.com/blog/ig-zu-fus-tag-8-splitter/). Solche Brillen gibt es viele. Eine zur Zeit sehr populäre Brille: „Wir wollen diese Flüchtlinge hier nicht haben.“ (Alexander Gauland im Interview mit der ZEIT, https://www.zeit.de/2016/17/alexander-gauland-afd-cdu-konservatismus/seite-3, abgerufen am 29.06.18)
Foto: Maria Pflug-Hofmayr
Zugleich gibt der Text Hinweise, wie soziale Gerechtigkeit gelingen kann und setzt Wegzeichen für eine neue Form des Zusammenlebens. Denn soziale Gerechtigkeit fällt nicht vom Himmel. Sie ist das Ergebnis guter Politik und des Einsatzes der Menschen in einer Gesellschaft. Was braucht es dafür?
- Richtet nicht! (V 37)
Pauschale und verallgemeinernde Urteile helfen nie weiter. Oft verrät es schon die Sprache: wer von „dem Islam“ oder „den Flüchtlingen“ spricht, ist bereits dabei zu verallgemeinern. Es gilt, jeweils die konkreten Situationen, die einzelnen Herausforderungen und die einzelnen Menschen wahrzunehmen. - Zieh zuerst den Splitter aus deinem Auge! (V 42)
Eine klare Sicht ist nötig, um die Wirklichkeit so zu sehen und zu verstehen, wie sie ist. Das ist mühsam, denn die Wirklichkeit ist komplex. Es gilt, sich zu informieren, eine Situation von mehreren Seiten aus zu betrachten und Fakten differenziert zu beurteilen. Aber die Mühe lohnt: denn nur ein Sehender kann den Weg weisen. Ein Blinder fällt in die Grube. - Seid barmherzig! (V 36)
Barmherzigkeit muss der Maßstab für christliches Handeln sein. So wie wir Barmherzigkeit von Gott empfangen, sind wir als Christ/innen aufgerufen, diese als unsere eigene Grundhaltung zu verinnerlichen. Der Blick für Schwache, für Arme und Ausgegrenzte, für Gedemütigte und Leidende, für Opfer von Gewalt und Terror muss unser Handeln bestimmen, im privaten wie im öffentlichen Leben.
Dtn 30, 10-14: Gebote als Wegweisung für ein Leben in Gerechtigkeit
Der Text wirbt dafür, die Gebote als Wegweisung für eine sozial gerechte Gesellschaft wertzuschätzen. Angesichts einer immer säkularer werden Gesellschaft, in der Individualsmus, Leistungsdenken und Nationalismus an Stärke gewinnen, sind Gebote von hohem Wert für das Zusammenleben. Denn die Gebote geben eine Richtschnur für das Handeln, setzen der Freiheit des einzelnen Grenzen und schaffen damit Recht für die Rechtlosen. Eins der häufigsten Gebote des Tanach bezieht sich auf den Schutz von Fremden, Waisen und Witwen. Dies entspricht dem Grundsatz einer sozial gerechten Gesellschaft, für diejenigen einzutreten, die besonders gefährdet sind und sie zu schützen.
Dabei sind die Gebote nicht schwer, hoch und fem. Sondern sie sind nah, erfüllbar. Der Hinweis „es ist das Wort … in deinem Herzen, dass du es tust“ (V 14) verbindet das Gesetz des Ersten Testamentes mit Jesu Verständnis der Gebote. Bei Diskussionen darüber, wie in Konfliktsituationen mit der Einhaltung der Gebote umgegangen werden solle, stellte Jesus immer wieder die Frage nach den wahren Werten und zielte damit darauf ab, die Gebote ins Herz zu pflanzen. Ein besonderer Ausdruck dessen ist das höchste Gebot (vgl. z.B. Lk 10,27). Von daher ist dieser Text sehr gut in Kombination mit dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (s. unten) zu predigen.
Kol 1, 15-20: Es ist alles durch ihn geschaffen - die besondere Würde der Schöpfung
und: Es hat Gott gefallen, durch ihn alles zu versöhnen - Frieden als Herausforderung
Dieser Text fordert zum einen dazu heraus, der besonderen Würde der Schöpfung nachzugehen. Die Schöpfung ist unlösbar verknüpft mit Gott selbst: „In ihm ist alles geschaffen. … Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.“ (VV 16f.)
Zum anderen lädt der Text ein, sich mit dem Begriff und dem Thema Frieden auseinanderzusetzen. Das vergangene Jahr 2018 stand (100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges) besonders im Fokus des Themas „Frieden“. Mehrere Evangelische Landeskirchen haben sich auf den Weg gemacht, „Kirche des gerechten Friedens“ zu werden und die EKD führte eine Synode zu diesem Thema durch. Der Papst sprach sich in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag für Gewaltfreiheit als „Stil einer Politik für den Frieden“ aus. In seiner Osterbotschaft forderte er mehr Anstrengungen für den Frieden. Die instabile weltpolitische Lage und die höchste jemals registrierte Zahl an Flüchtlingen weltweit (65 Mio) erfordern es, sich mit der Thematik Frieden zu befassen.
Die Worte aus Vers 20 „Es hat Gott gefallen … durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, sei es auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“ (V20) können eine Klammer sein, den persönlichen Frieden, das Versöhntsein des einzelnen Menschen mit Gott, mit der globalen Perspektive zu verknüpfen. Oder mit anderen Worten: Gehört zu einer Versöhnung mit Gott nicht immer auch ein Einsatz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen und Völker?
Lk 10, 25-37: Geh hin und tue desgleichen: Gerechtigkeit beginnt im Kleinen
Gerechtigkeit und Frieden fangen im Kleinen an, bei Dir und bei mir. Die großen Fragen werden im täglichen Handeln konkret. Dabei ist das Üben der Barmherzigkeit immer verbunden mit einem Ab-Geben: Der Mann aus Samaria verschenkt Zeit, Zuwendung und Geld. Damit macht er das Unrecht nicht ungeschehen. Aber er ermöglichst dem Opfer von Gewalt eine neue Lebenschance. Im Jerusalem Talmud steht (Sanhedrin, 23a-b): "Nur für diesen Zweck wurde der Mensch erschaffen: Zu lehren, wer eine einzige Seele zerstört, zerstört die ganze Welt. Und wer eine einzige Seele rettet, rettet die ganze Welt.“
Martje Mechels, Moers