6. Sonntag nach Trinitatis / 17. Sonntag im Jahreskreis (28.07.19)

6. Sonntag nach Trinitatis / 17. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Petr 2, 2-10 Gen 18, 20-32 Kol 2, 12-14 Lk 11, 1-13

Gen 18,20-32

Diese Perikope kennt verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Am häufigsten wird die Deutung vorgetragen, dass an Abraham eine Haltung der Fürbitte oder Fürsprache für Sodom und Gomorra zu erkennen ist. Diese Deutung ist relativ unkompliziert und bedarf keiner detaillierten Erklärungen. Sie ist jedoch nicht die Einzige. Etlichen Exegeten nach geht es bei diesem Text primär um Gerechtigkeit. Vor allem darum, dass der Herr gerecht ist. Aber auch darum, dass er die Gerechten würdigt. Man könnte sogar behaupten, dass es sich bei dieser Lesung um die Würde der Gerechten handelt. Das Thema des gesamten Abschnitts wird gleich im Vers 23 offenbart: „Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?“ Dem Herrn ist es nicht gleichgültig, ob Gerechte und Ungerechte in der Stadt sind. Jeder Gerechte zählt und hat eine unersetzbare Würde. Jeder Gerechte macht den Unterschied.

Außerdem wird Abraham in diesem Abschnitt eher als des Herrn Ratgeber dargestellt denn als Fürbitter. Und der Herr erweist sich als dialogbereit und gerecht. Er erweist sich in der Tat als „[…] ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue (Ex 34,6).“ Zugleich kommt aber auch der Einfluss zum Vorschein, den Abraham beim Herrn genießt. Denn der Herr hört ihm zu. Und Abraham wiederum will testen, inwiefern der Herr gerecht ist als Herrscher. Im Vers 25 wird das deutlich. Mit anderen Worten fragt Abraham den Herrn, wer das letzte Wort haben wird: Gottes Zorn und Willkür oder Gottes Recht? Lohnt es sich überhaupt, gerecht zu sein, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, oder werden alle letztlich dasselbe Ende haben?

Schließlich noch ein Wort zum Gegensatz Gerechte und Ruchlose. Dies suggeriert, dass man ungerecht wird, indem man ruchlos ist, d.h. sorglos im Sinne von unbekümmert oder sogar leichtfertig. Denn ruchlos wird von den althochdeutschen Wörtern ruohha (Fürsorge, Bemühung, 8. Jh.) und ruoh (Bedenken, Beachtung, 9. Jh.) sowie von den mittelhochdeutschen Wörtern ruoche, ruoch (Acht, Bedacht, Sorge) abgeleitet. Auch wenn vor allem nach Augustinus die schwere Sünde Sodoms und Gomorras mit einem gestörten sexuellen Verhalten gleichgesetzt wird, wird dies im Alten Testament unterschiedlich gedeutet: als Hochmut und Geiz (vgl. Ez 16,49) oder als Bruch der Gastfreundschaft (vgl. das Verhalten der Männer von Sodom und Gomorra in Gen 19 mit dem Verhalten Abrahams in Gen 18). Die der altjüdischen Denkweise entsprechende Wortwahl der Übersetzung scheint zu suggerieren, dass es tatsächlich auf die gerechte Tat ankommt und dass die schwere Sünde dieser Städte die Missachtung der Rechte der Fremden war, die zunächst bei Abraham und dann bei Lot Zuflucht suchten (vgl. Gn 19). Auf die Einstellung gegenüber Fremden und Schwachen scheint es hierbei anzukommen.


Lk 11,1-13

Das Vaterunser beinhaltet eine Reihe von Themen, denen im Lukasevangelium eine zentrale Rolle beigemessen wird. Das allererste ist die Anwendung des Worts ‚Vater‘ für die Beziehung zu Gott. Gott wird von Jesus selbst als Vater angerufen (vgl. Lk 2,49; 10,21; 22,42; 23,46; 24,49) und nun ermutigt Jesus jeden seiner Nachfolger, durch dieses Gebet dasselbe zu tun. Anthropologisch sowie schöpfungstheologisch hat dieses eine Wort für Christen weitreichende Folgen. Denn es gründet eine universelle Gemeinschaft von gleichgestellten Menschen, deren Konsequenz das doppelte Nächstenliebe-Gebot ist. Erst durch dieses Wort wird anschaulich, welch unbedingte Würde jedem Menschen zugesprochen wird. Selbstverständlich ist das Wort Vater nicht die Lösung für alle Probleme der Weltgemeinschaft. Aus eigener Erfahrung wissen wir wohl, dass die Tatsache, dass die Geschwister einer Familie einen gemeinsamen Vater haben, keinen nachhaltigen Frieden oder gegenseitigen Respekt unter ihnen stiften kann. Beziehungen und Zusammenleben brauchen etwas mehr als Worte und Tatsachen, um zu gelingen. Dennoch ist das Wort Vater die Bedingung einer universellen Weltgemeinschaft, wo Unterschiede nicht beseitigt, sondern wertgeschätzt werden. Das Wort Vater stiftet eine unbedingte Solidarität unter den Geschwistern, die über jede Grenze oder Abgrenzung hinauszugehen vermag. Im Gegensatz zum individualistischen Gebet des Pharisäers (Lk 18,11-12) gründet das Vaterunser ein universelles Wir, das jeden einschließt und gegenseitige Fürsorge fordert.

Gottesherrschaft (Dein Reich komme) ist ein zweites zentrales Thema für Lukas. Es wird angenommen, dass die wahre Gerechtigkeit eigentlich von Gott her kommt (vgl. bspw. Lk 1,68-79). Gottes Heil wird durch Jesus Christus vermittelt und nach ihm durch seine Nachfolger, d.h. durch die Kirche. Dennoch hält Lukas an der alttestamentlichen Überzeugung fest, dass Gott Herr der Geschichte ist und seine Schöpfung führt. Das mag zunächst nach Freiheitseinschränkung klingen, andererseits jedoch entlastet es uns von der ganzen Verantwortung für die Umsetzung des Reiches Gottes auf Erden.

Eine solche komplette Abhängigkeit von Gott kommt auch in den darauf folgenden Versen zum Ausdruck. Nämlich im Tägliches-Brot-Wort und im Gleichnis des bittenden Freundes. Ersteres gibt uns zweierlei zu denken. Zum einen, dass auch die fürs Leben notwendigen materiellen Güter von Gott abhängen und zum anderen, dass man nur um das Notwendigste bitten und sich damit auch zufrieden geben soll. Nach Lukas wäre dies übrigens das Maß, wonach man sich richten müsste, was Gerechtigkeit anbetrifft. Nicht, dass alle einheitlich dasselbe bekommen, sondern dass jedem sein Notwendiges zuteil wird. Ein schönes Ideal, jedoch kaum möglich in der Umsetzung unter heutigen Bedingungen. Das Gleichnis des bittenden Freundes konfrontiert uns mit etwas, das man als ‚solidarische Armut‘ bezeichnen könnte (Ch. L’Eplattenier). Der Schlüssel zum Verstehen ist die Mittler-Rolle des Bittenden. Was sein Stören mitten in der Nacht rechtfertigt, ist, dass seine Not nicht die Seine ist, sondern die eines anderen. Nächstenliebe und die Nöte unserer Nächsten sind immer die höchsten Gebote des Reichs Gottes (vgl. Lk 10,25-37). Eine solche gegenseitige Solidarität für die Sache Gottes ist das deutlichste Zeichen, dass sein Reich in der Tat unter uns wächst. Das bedeutet aber auch, dass die Tatsache, dass andere kein tägliches Brot auf dem Tisch haben, uns herausfordern muss. Als Christen dürften wir vor solchen Situationen nicht gleichgültig bleiben. In Brasilien heißt es in einem Tischgebet: „Herr, gib Brot denen, die hungern und Hunger nach Gerechtigkeit denen, die Brot haben.“

Gottes Vergebung an uns und unsere Vergebung an andere werden miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. In der Tat ist ohne Vergebung kein nachhaltiger Frieden möglich. Vergebung kann als metaethisch bezeichnet werden, d.h. sie kann nur in aller Freiheit geschehen, nie gezwungen oder gar geboten werden. Trotzdem ist Vergebung ein weiteres Merkmal der Kinder Gottes. Für Lukas gilt die Maxime „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist (Lk 6,36)!“, die übrigens im Kontext der Feindesliebe ausgesagt wird. Für Lukas kann das (eschatologische) Reich Gottes ohne eine solche Metaethik (Nächsten- und Feindesliebe, Vergebung und Liebe überhaupt) nicht wirklich sichtbar werden.

Claudia und Leandro Fontana, Porto Alegre / Bistum Mainz