Altjahrsabend / Silvester (31.12.19)

Altjahrsabend / Silvester 2019


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. Evangelium
Hebr 13,8-9b 1 Joh 2, 18-21
Hl. Silvester I: Ez 34, 11-16
Joh 1, 1-18
Hl. Silv.: Mt 16, 13-19

Zur Einstimmung

An Silvester, am letzten Tag des Jahres, ist der Gedanke an Nachhaltigkeit unmittelbar mit dem Kasus verbunden. Die Situation von Übergang und ungewisser Zukunft wird ebenso thematisiert wie der Rückblick auf das Gewesene und das Loslassen von Vergangenem. Es geht um das, was auch morgen noch trägt, gegen die Angst vor dem, was kommen könnte.

Nachhaltiges Leben braucht Werte, die auch in Zukunft gelten. Diese Werte sind verwurzelt in der Tradition des eigenen Herkommens und sollen das Überleben sichern: In christlicher Tradition also solche, die der Ehre Gottes dienen. Abzulehnen sind demzufolge Handlungsweisen und Entscheidungen, die Leben und damit die Beziehung zu Gott gefährden.
In jeder Zeit erheben Menschen ihre Stimme und erinnern an solche nachhaltigen Werte, obwohl eine deutliche Zeitansage unbequem sein kann. Auch biblische Propheten und Leitfiguren sind solche „Zeitansager“. Und wenn es gelingt, für eine Situation die richtigen Worte zu finden, so bleiben sie nachhaltig in Erinnerung.

Diese Aspekte - mit je eigener Zuspitzung – finde ich in den vorliegenden biblischen Texten.

Hebräer 12, 8-9b

Ein klassischer Text für den Silvesterabend („Altjahrsabend“) mit entsprechendem Appell: „…derselbe Christus gestern, heute und in Ewigkeit… lasst euch nicht umtreiben durch mancherlei und fremde Lehre, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde…“.

Der unbekannte Verfasser des Hebräerbriefes, von jüdischer und alexandrinischer Theologie beeinflusst, schreibt in der literarischen Form einer Mahnrede mit brieflichem Schluss. In der exegetischen Literatur herrscht keine Einigkeit über die genaue Datierung, als „terminus ante quem“ wird jedoch wegen der Verbindung zum 1. Clemensbrief das Jahr 96 n. Chr. angesehen.[2] Der Hebräerbrief wird charakterisiert durch einige Besonderheiten: der Verfasser entfaltet die Idee von Christus als dem wahren Hohepriester, der im Vergleich zum levitischen Priestertum überhöht dargestellt wird. In der Schrift findet sich eine ausgeprägte Naherwartung (daher auch die Vorstellung vom wandernden Gottesvolk) und es gibt viele Zitate aus der hebräischen Bibel, die oft als Schablone für die Darstellung des Christusgeschehens eingefügt werden.

Martin Luther stellte den Hebräerbrief in den Anhang der biblischen Schriften, weil er darin Widersprüche zur paulinischen Rechtfertigungslehre festgestellt hatte.

Insgesamt also ein Text, der mit seiner mahnenden Form und mit einer klaren Verwurzelung in der Tradition direkt zu Nachhaltigkeit auffordert. Das, was sich bewährt hat – im eigenen Erleben und im Vergleich zum Gewesenen – soll auch in Zukunft gelten: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“

Kritisch könnte in der Predigt der Umgang mit den Traditionen der hebräischen Bibel angesprochen werden – das Deutungsschema der stetigen Verbesserung durch Jesus Christus, so nachvollziehbar es in heilsgeschichtlicher Denkweise sein mag, steht leicht in der Gefahr, in antijudaistisches Fahrwasser zu führen.[3]

Um zu problematisieren, auf welche Weise mit Traditionen und Glaubensvorstellungen auch über Generationen hinweg wertschätzend umgegangen werden kann, könnte in der Predigt vielleicht die Frage gestellt und reflektiert werden: „Gilt das in unseren Familien noch in allen Generationen: Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit?“ Oder ist die Gewissheit, die im Hebräerbrief so deutlich aufgebaut und kommuniziert wird, für manche Predigthörerinnen und –hörer, auch für einen überschaubaren Lebenszeitraum, gar nicht so selbstverständlich nachvollziehbar?

Ezechiel 34, 11-16

Der vorgeschlagene Text befindet sich im dritten Teil des Ezechielbuches[4], der die „Heilsworte für Israel“ beinhaltet. Der Prophet lebte und wirkte etwa von der joschijanischen Reform 622 v. Chr. über die Zeit des babylonischen Exils (ab 586 v. Chr.) bis etwa 573/572 v. Chr. In seinen Prophezeihungen sind deutlich die unterschiedlichen Phasen der äußeren Situation zu unterscheiden. Kapitel 34 setzt bereits die Wende im Exil und die bevorstehende Rückkehr nach Israel voraus. Es handelt sich im Kapitel formgeschichtlich um ein „Gerichts- und Wehewort“ [5]über die „bösen Hirten“, dem in den Versen 11 bis 16 die „Heilsverkündigung“ des guten Hirten an sein Volk folgt. Für Ezechiel typisch ist die Ankündigung : „Denn so spricht der Herr…“, womit allen folgenden Aussagen starkes Gewicht verliehen wird.

Die Situation der Exilierten hat sich geändert, ein Ende ist abzusehen. Wie bei allen Neuanfängen stellt sich die Frage, auf welcher Basis es weiter gehen soll. Durch Abgrenzung von der Vergangenheit, von falschen Entscheidungen und Fehlinterpretationen, soll der Weg für das Neue geebnet werden. Hatte Ezechiel am Anfang des Kapitels noch von den Hirten Israels gesprochen, die versagt hatten und „die Schafe nicht weiden“, sondern nur „das Fett essen“ und von den Schwachen und Kranken, die untergehen, so will sich nun Gott selbst seiner „Herde“ annehmen.

In einer Situation des Übergangs antwortet der Text auf die grundlegende Sehnsucht des Menschen, dass Verlorenes gefunden und Verirrtes zurück gebracht wird, dass Verwundete verbunden und Schwache gestärkt werden. Gott macht heil, was Menschen zerbrochen haben. Welche Zusage! Welcher Trost und welch wunderbare Aussicht auch für ein neues Jahr! Gott schenkt Zukunft und Gott will das Überleben sichern, nachhaltig.

Mt.16, 13-19

Das sogenannte „Petrusbekenntnis“ wurde Petrus von Matthäus vermutlich über 40 Jahre nach Jesu Tod in den Mund gelegt: „… Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Und bis heute hat es seine Kraft bewahrt – immer wenn ein Jünger in Jesus Christus Gott erkennt, entsteht dadurch Gemeinde.

Petrus, auf den die Kirche gebaut wird, der Fels - wie sein Name übersetzt heißt - , er ist wie du und ich. Menschlich, manchmal mutig und manchmal schwach. Treu und zugleich ein Feigling, ehe der Hahn dreimal kräht. Ihm werden die Schlüssel des Himmelreiches anvertraut. Welche Verantwortung! Wird er ihr gerecht werden?

Werden wir unser Verantwortung für die Zukunft unserer Erde gerecht? Im vorliegenden Dialog zwischen Jesus und Petrus weist Jesus auf den Vater im Himmel hin, der zur Erkenntnis hilft. Aus dieser Erkenntnis kommt die Fähigkeit zu unterscheiden – zwischen richtig und falsch und zwischen dem, was dem Leben dient und was nicht. Wie im Ezechiel-Text ist auch hier die Möglichkeit des Scheiterns mit enthalten. Aber Gott lässt die Menschen nicht allein, sondern schafft einen neuen Anfang.

Christinnen und Christen schauen daher auf den Klimawandel nicht wie das Kaninchen auf die Schlange, sondern als Agentinnen und Agenten des Wandels, getragen von der Hoffnung auf Veränderung durch Gott und verankert im Bekenntnis zu Jesus Christus.

Barbara Deml, Berlin



[1] Den Überlegungen liegt die Lutherübersetzung 2017 zugrunde.
[2] So beispielsweise auch Bernd Kollmann, Neues Testament kompakt, Stuttgart 2014
[3] Vgl. Amen? Impulse aus dem jüdisch-christlichen Gespräch für evangelische Gottesdienste. Hrsg vom Evangelischen Medienhaus der EKBO, 2019 (Georgenkirchstraße 69, 10249 Berlin)
[4] Zur Gliederung des Ezechielbuches und zu weiteren exegetischen Überlegungen vgl. Frank-Lothar Hossfeld, Das Buch Ezechiel in: Christian Frevel, Einleitung in das Alte Testament, Kohlhammerverlag 2015
[5]ebd., S. 609