Christi Himmelfahrt
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Dan 7,1-3(4-8)9-14 | Apg 1, 1-11 | Eph 1, 17-23 | Lk 24, 46-53 |
Dan 7,1
Das Buch Daniel gehört zur jüdischen Apokalyptik. Sie ist in der Spätzeit des Ersten Testaments entstanden zur Zeit des Hellenismus, der die jüdische Religion unterdrückte. Die Handlung ist jedoch in eine frühere Zeit verlegt, in diesem Fall in die Zeit des Babylonischen Exils. Die jüdische Apokalyptik ist eine Zeit in der viele religiöse Bücher entstehen, welche die Volksfrömmigkeit prägen. Davon wurde nur das Buch Daniel in den biblischen Kanon aufgenommen. Die anderen gehören zu jüdischen Apogryphen.
Daniel hat eine große Vision – zuerst die vier furchterregenden Tiere. Sie symbolisieren die vier Großreiche, die Israel ab dem 8. Jh. vChr bedroht und beherrscht haben: die Assyrer, die Babylonier, die Perser und die Griechen bzw. der Hellenismus. Die Assyrer zerstörten das Nordreich, zu dem Samaria und Galiläa gehörten, die Babylonier, das Südreich Juda mit der Hauptstadt Jersusalem und verschleppten die Oberschicht in das sogenannte Babylonische Exil. Die Perser sind für den biblischen Autor die „Guten“, denn sie ließen die Exilierten bzw. ihre Nachkommen zurückkehren und Jerusalem wieder aufbauen. Der Gipfel der Bedrohung ist mit dem Hellenismus erreicht – und für diesen Moment wird das Gericht Gottes erwartet. Die bedrohenden Mächte in Form der Tiere werden verurteilt und es erscheint die Gestalt vom Himmel, der Menschensohn, der die Herrschaft antritt.
Der Autor blickt aus der Zeit des Hellenismus zurück und sieht: die bedrohlichen Mächte sind untergegangen. Israel bzw. der jüdische Glaube hat überlebt. Er wird auch den Hellenismus überleben, aber dieser ist so bedrohlich, dass Gott einen Retter – den „Menschensohn“ schicken muss.
Zur Zeit des Hellenismus ist das so nicht eingetreten, aber auch der Hellenismus verging. Er wurde abgelöst durch eine neue Großmacht, die Römer. Und da kam tatsächlich derjenige, der sich selbst „Menschensohn“ nannte: Jesus. Von ihm erwartet zumindest ein Teil seiner Anhänger, dass er die Römer vertreibt und ein neues jüdisches Reich errichtet.
Auch das ist nicht geschehen. Jesus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Trotzdem hat dieses Reich immer wieder dazu geführt, die Reiche dieser Welt in Frage zu stellen. Auch das Zweite Testament hat sein apokalyptisches Buch, die Offenbarung des Johannes. Sie stellt mit den gleichen Bildern das Römische Reich in Frage. Und eine Religion, die der Machterhaltung dient – die römische Religion mit seinem Kaiserkult.
Hier werden Strukturen analysiert, die heute noch gelten: auch die Händler beten das Tier an. Wer nicht sein Zeichen trägt, darf nicht mehr „kaufen und verkaufen“. Hier wird die enge Verflechtung zwischen Staatsmacht und Wirtschaft deutlich – und die römische Religion stützt dies ideologisch ab.
Diese enge Verflechtung zwischen politischer Macht, ökonomischer Macht und der Staatsreligion macht deutlich, dass die Kritik dieser Religion durch das Christentum immer auch die Machtstrukturen in Frage stellt.
Das Endgericht ist bis heute ausgeblieben – oder findet immer wieder statt: Unrechtsregime können nur gegen den Widerstand ihrer Bevölkerung bestehen und brechen irgendwann zusammen; Finanzblasen führen früher oder später zum Börsencrash; Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung unserer Konsumgüter werden aufgedeckt; Firmen werden sogar wegen illegaler Waffenverkäufe in Krisengebieten verurteilt.
Das alles verhindert noch nicht das Leid vieler Menschen – aber es sind kleine Schritte auf dem Weg, den Jesus, der „Menschensohn“ uns gezeigt hat.
Apg 1
Die Frage der Jünger wird seit 2000 Jahren immer wieder neu gestellt: Wann kommt endlich das Reich Gottes? Die Frage nach dem „Reich für Israel“ zeigt, dass sie auch nach Tod und Auferstehung Jesu immer noch auf ein politisches Reich hofften – ein Königreich wie zur Zeit Davids. Dabei geht es vielleicht weniger um die politische Macht als um die Sicherheit, in denen das jüdische Volk zur Zeit Davids und Salamos lebte. Ein angesehener König, sichere Grenzen und ein starkes Heer.
Woran es mangelte, war jedoch der innere Zusammenhalt. In dieser Zeit bilden sich die ersten sozialen Unterschiede aus. Mit dem Königshof entsteht eine Oberschicht, die vom Volk ernährt werden will. Die Propheten werden zu den Mahnern der Königszeit. Trotzdem bleibt ein neues „Reich Davids“ die Utopie des Judentums bis zur Zeit Jesu.
Doch das Reich Jesu ist anders. Es beginnt im Kleinen, bei jedem Menschen. Jed(R) ist aufgerufen, ein Samenkorn des Reiches Gottes zu sein, Hungernden zu essen zu geben, Obdachlosen eine Wohnung, Fremde aufzunehmen, Kranke und Gefangene zu besuchen und zu unterstützen.
Die Jünger Jesu haben diese Predigt gehört. Aber trotzdem schauen sie zum Himmel. Sie erwarten die Lösung „von oben“. Dabei ist die Botschaft immer wieder: Das Reich Gottes fällt nicht vom Himmel. Es wächst von unten. Ein Senfkorn, Weizen, der sogar vom Unkraut umgeben ist.
Wenn wir auf die drängenden Probleme der Menschheit schauen, müssen wir feststellen, dass wir schon zu lange auf eine Lösung „von oben“ gewartet haben. Spätestens seit den 1970er Jahren sind der Klimawandel, die Ausbeutung des Globalen Südens und das Überschreiten der planetarischen Grenzen wissenschaftlich nachgewiesen und werden diskutiert. Wertvolle Zeit des Gegensteuerns wurde verpasst, Warnungen überhört.
Kleine Gruppen entwickeln eine Alternative: es entstehen die ersten Bioläden und Eine-Welt-Gruppen. Die Gepa wird gegründet, Kirchengemeinden beginnen mit dem fairen Handel, Umweltgruppen treffen sich. Die Friedensbewegung fordert Abrüstung. Das sind Senfkörner, oft im kirchlichen Raum.
Es dauert Jahrzehnte bis sich auch die Politik bewegt. In den 1990er Jahren gibt es erste Abrüstungsverträge und zögerliche Verhandlungen über den Klimaschutz. Es gibt auch Meilensteine: Das Klimaschutzabkommen von Paris 2015, der Atomwaffenverbotsvertrag 2021. Und kleine Schritte wie das Lieferkettengesetz.
Die Umsetzung muss aber immer wieder von unten eingefordert werden: Menschenrechtsorganisationen, Fridays for future, Brot für die Welt, MISEREOR, pax christi, der Internationale Versöhnungsbund und andere Akteure der Zivilgesellschaft spielen dabei eine wichtige Rolle.
Lk 24
Diese beiden Texte haben ähnliche Themen: zum einen sind die christologisch. Es geht um die Hoffnung, die wir aus Tod und Auferstehung Jesu schöpfen. Der Epheser-Text beschreibt Jesus als das Zentrum der Welt, der jetzigen und der zukünftigen. Auch nach Lukas soll durch Christus – ausgehend von Jerusalem – der ganzen Welt Umkehr und Heil verkündet werden.
In einem spannenden Kontrast dazu steht, der Ort der „Himmelfahrt“ zumindest hier nach Lukas: Es ist nicht Jerusalem, ja noch nicht einmal ein besonderer Berg, sondern „in der Nähe von Betanien“. Betanien, ein kleiner Ort in der Nähe von Jersualem. Hier hatte Jesus Freunde, versteckte sich eventuell sogar dort vor Feinden und Gefahren, die ihn Jerusalem auf in lauerten. In Betanien wurde er gesalbt: Symbol für seine Aufgabe als Priester, König und/oder Prophet – gesalbt von einer Frau. Zugleich ist die Salbung auch ein Hinweis auf seinen Tod. Ein schillernder, mehrdeutiger Ort. Ein Ort der Peripherie – im Gegensatz zum Zentrum Jerusalem.
Jesus war ein Mann der Peripherie: ausgewachsen in Nazareth, über das zwar zur Zeit Jesu König Herodes herrschte, es aber um jüdischen Stammland im Süden abgetrennt war. Nazareth, dessen Bevölkerung „Mischehen“ mit Nicht-Juden eingegangen war.
Jesus predigte vor allem in Galiläa, einer aufmüpfigen Provinz, in der auch die Römer keine Ruhe schaffen konnten. Galiläa, das mit seinem relativen Wasserreichtum landwirtschaftliches Zentrum war und wo es trotzdem so viele Arme gab.
Als nun dieser Wanderprediger mit seinen Anhänger(innen) in das Zentrum Jerusalem kommt, eilt ihm schon ein Ruf voraus, der ihn für den König und die Priesterschaft verdächtig macht. Seine Anhänger(innen) sind Fischer, (geheilte) Kranke, Zöllner, Frauen, sogar Prostituierte. Für so jemanden ist es gefährlich, in Jerusalem zu übernachten. Er zieht sich besser nach Bethanien zurück.
Auch für seine „Himmelfahrt“ wählt er diesen Ort. Die Veränderung geht von der Peripherie aus. Es sind die Theolog(innen) der Peripherie, die ab den 1980er Jahren die akademische europäische Theologie in Frage stellen. Es sind die Kleinbauernfamilien in Paraguay, die unsere Agrarindustrie anklagen, ihre Lebensgrundlage zu gefährden und die Artenvielfalt zu zerstören. Es sind die Näher(innen) in Bangladesh, welche die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie in Frage stellen. Es ist der Papst „vom anderen Ende der Welt“, der unser technokratisches Wirtschaftssystem anklagt und einen anderen Umgang mit der Natur und unseren Mitmenschen fordert.
Beide Texte sprechen davon, dass wir Zeugen unserer Hoffnung auf Jesus Christus sein sollen. Unsere Hoffnung ist: „Eine andere Welt ist möglich.“ Das hat uns Jesus vorgelebt.
Dr. Monika Bossung-Winkler, Böhl-Iggelheim