Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 17,20-24(25-30) | 2 Makk 7, 1-2.7a.9-14 | 2 Thess 2, 16 - 3, 5 | Lk 20, 27-38 |
Lk 17, 20-24 (25-30) & Lk 20, 27.34-38
In Memoriam â zur Nachhaltigkeit des Wortes
Die Frage nach dem âWoâ und âWannâ des Reiches Gottes fĂŒhrt mich gedanklich ĂŒber 20 Jahre zurĂŒck: Am 9. Februar 2000 hĂ€lt Meinrad Limbeck, Akademischer Oberrat fĂŒr Alte Sprachen, am Theologicum in TĂŒbingen seine Abschiedsvorlesung. WorĂŒber, ist jedem der Anwesenden klar: âDas Reich Gottes ist daâ â âaeggikenâ (gr.), als sogenanntes âresultatives Perfekt, âalso kein Aoristâ, wie in den allermeisten Ăbersetzungen zu finden. Generationen von Theologiestudierenden haben dies â nicht nur dies â bei Meinrad Limbeck gelernt, von ihm im Ohr. Das âReich Gottesâ war sein Herzensthema. Limbeck starb am 15.06.2021, in seinem 87. Lebensjahr. 10 davon war er als Priester tĂ€tig, eine UniversitĂ€tskarriere blieb ihm nach Laisierung und Heirat verwehrt. In meiner Zeit als Diakon in TĂŒbingen-Lustnau traf ich Meinrad Limbeck wieder. Er hatte gerade einen Krankenhausaufenthalt hinter sich und arbeitete an seinem Buch âAbschied vom Opfertodâ. Ich war begeistert, wie dieser Vollbluttheologe bis ins Alter an seinem Thema zutiefst festhielt: âDas Reich Gottes ist da!â Aus dieser Haltung heraus hatte er auch das Manuskript seines aktuellen Buches geschrieben. Und ich freute mich, als er mich fragte, ob ich es gegenlesen könne. Bei Tee und Keksen oder leckerem Dessert seiner Frau besprachen wir seine Texte in der Lustnauer Wohnung, die die beiden bewohnten. Die Art, wie der PensionĂ€r von dem sprach, was er theologisch erschlossen hatte, die Begeisterung fĂŒr die neue Botschaft eines Jesus von Nazareth und das Verbindende zwischen Judentum und Christentum, das er sah, all das entfachte von Mal zu Mal ein Leuchten in den Augen des PensionĂ€rs. So mĂŒssen sie ausgesehen haben, die frĂŒhen Zeugen des Herrn, dachte ich oft. Durch eine solche âansteckendeâ Art erschlieĂt sich das Wort Nachhaltigkeit von selbst. Wer jemand so authentisch, von innen heraus reden hört und an seinen Texten feilen sieht, wer diese Ergriffenheit am Urtext sieht, der spĂŒrt, was eine Nachhaltigkeit des Wortes bedeutet: Meinrad Limbeck hatte die Gabe, ZusammenhĂ€nge und sprachliche Tiefenschichten lebendig werden zu lassen.
Apokalypse oder Frohe Botschaft? â Lk 17, 20-24 (25-30)
Und da ist er wieder, dieser Satz: Lukas lĂ€sst in seinem Evangelium die PharisĂ€er die Frage stellen, wann das Reich Gottes komme. Seine âkleine Apokalypseâ kann als âleichtes Donnernâ vor der eigentlichen Endzeitrede im 21. Kapitel (V. 5-36) gelesen werden. Der Evangelist hat diesen Abschnitt vor allem aus der Logienquelle Q, wĂ€hrend er seine eigentliche âApokalypseâ nach Markus (Kap. 13) gestaltet. Die Hauptaussagen, da war sich Meinrad Limbeck seiner Zeit sicher, könnten daher auf den irdischen Jesus zurĂŒckgehen. Und er konkretisierte, dass es wörtlich nicht âunter euchâ, sondern âinnerhalb von euchâ (V. 21) hieĂe. Die Nachhaltigkeit des Wortes, das habe ich bei ihm gelernt, hĂ€ngt mit einer prĂ€zisen Ăbersetzung zusammen. Denn nur dann lĂ€sst sich die eigentliche Bedeutung erschlieĂen: Der Satz âDas Reich Gottes ist da!â entstammt zunĂ€chst dem 1. Kapitel des Ă€ltesten Evangeliums (Mk 1, 15). Lukas baut ihn hier zur Frage und leicht verĂ€nderten Antwort Jesu um. Das âdaâ als auch das âmitten unter euchâ bedeutet fĂŒr den glĂ€ubigen Juden: Die Gottesherrschaft ist eine weltimmanente RealitĂ€t. Wer das jĂŒdische Glaubensbekenntnis (âSchma Jisraelâ) betet, realisiert bereits die Zeitenwende, geht von einem neuen Ăon aus. Damit hatte die Herrschaft Gottes bereits begonnen, war schon âdaâ. Jeder Jude und jede JĂŒdin zur Zeit Jesu erwartete folglich nicht den Anbruch des Gottesreiches, sondern in dieser Frage â bei Lukas den PharisĂ€ern in den Mund gelegt â geht es um den Zeitpunkt der Vollendung: um das Kommen des ersehnten Reiches Gottes, das alles âvollâ, âendgĂŒltigâ macht. Dabei geht die Parusie quer durch die Gesellschaft, wie die Verse 34-36, die Lukas aus Mt 24 ĂŒbernommen hat (was aber in den handschriftlichen Ăberlieferungen nicht bestĂ€tigt wird, weshalb V. 36 in der EinheitsĂŒbersetzung geklammert ist), verdeutlichen. Nachhaltiges Handeln bedeutet demnach nicht, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Auch nicht, in einfachen Dualismen (âdie Gutenâ vs. âdie Bösenâ) zu denken.
Das neue Ăon â Lk 20, 27.34-38
Zwischen den Evangelisten Markus und Lukas liegt ein nicht geringer zeitlicher Abstand, der fĂŒr die Entwicklungen in den christlichen Gemeinden bedeutend war. Insofern bearbeitet Lukas die Vorlage des Ălteren (Mk 22, 23-33) erheblich. Meinrad Limbeck sah den Hauptgrund in der stĂ€rker gewordenen Partei der SadduzĂ€er. Denn diese bestritten, im Gegensatz zu den PharisĂ€ern, ein Leben nach dem Tod. Mit einem extremen Fallbeispiel wollen sie, nach der Lesart des Lukas, Jesus in die Aporie fĂŒhren: Die Tora (Dtn / 5. Buch Mose, Kap. 25) sieht die Leviratsehe (âSchwagereheâ) fĂŒr eine kinderlose Frau vor, deren Mann stirbt. Die SadduzĂ€er konstruieren das Beispiel einer sechsfachen Wiederheirat, sodass die Frau mit sieben MĂ€nnern (erneut eine Zahl, die Vollkommenheit symbolisiert) verheiratet gewesen wĂ€re â mit der Fangfrage, wessen Frau sie denn nun bei der Auferstehung der Toten sei. ZunĂ€chst ist bemerkenswert, dass sich Jesus nicht auf eine Schriftdiskussion einlĂ€sst. Er verweist vielmehr darauf, dass es im neuen Ăon keine Heirat gibt. Wie auch keinen Tod mehr: âSie können nicht mehr sterbenâ (V. 36). WĂ€hrend Markus einen vorsichtig umschreibenden Vergleich mit dem engelsgleichen Sein gebracht hatte, wird Lukas konkreter â und lĂ€sst Jesus eine klare Aussage zur Unsterblichkeit treffen. Erst jetzt rekurriert dieser auch auf die Ăberlieferung der Schrift, die Gott in der DornbuscherzĂ€hlung (Ex / 2. Buch Mose, Kap. 3) als âGott der Lebendenâ bezeugt. Was im Lichte der Schrift bedeutet: KontinuitĂ€t gewĂ€hrt Nachhaltigkeit im Glauben. Kernaussagen der biblischen Tradition hĂ€ngen mit der Ewigkeit zusammen. Durch diesen Zusammenhang sind die irdischen Existenziale von Raum und Zeit im neuen Ăon aufgehoben.
Dr. Thomas Hanstein, Erbach/Donau