Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis (09.11.14)

drittl. Sonntag i. Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Thess 5, 1-6 (7-11) Weish 6, 12-16 1 Thess 4, 13-18 Mt 25, 1-13

 

Stellung im Kirchenjahr

Auf den 9. November fallen eine Reihe von Ereignissen, welche als geschichtliche Wendepunkte mit teilweise internationalen Auswirkungen gelten.

  • 1848: Die Hinrichtung des Abgeordneten Robert Blum markiert den Anfang des Endes der Deutschen Revolution.
  • 1918: Durch die Ausrufung der ‘Deutschen Republik’ durch Philipp Scheidemann und die gleichzeitige Ausrufung der als RĂ€tererepublik gedachten ‘Freien sozialistischen Republik Deutschland’ durch Karl Liebknecht endet die Monarchie.
  • 1923: Der gescheiterte Hitler-Ludendorff Putsch in MĂŒnchen brachte dem Nationalsozialismus erstmals internationale Aufmerksamkeit.
  • 1938: Die ‘Progromnacht’ markiert einen Wendepunkt in der Verfolgung und Diskriminierung der deutschen jĂŒdischen Bevölkerung.
  • 1989: Der Fall der Berliner Mauer macht spektakulĂ€r den Erfolg der friedlichen Revolution in der DDR deutlich.

 

Exegetische Anmerkungen

Thess 5.1-6 (7-11): Mit den Bildern eines Diebes in der Nacht und dem Hereinbrechen der Wehen ĂŒber eine schwangere Frau ermahnt der Autor die Leser in stĂ€ndiger Parusieerwartung zu leben und nicht auf brĂŒchige Versicherungen von ‘Friede und Sicherheit’ zu bauen. FĂŒr den GlĂ€ubigen bedeutet die Parusie  den ‘Anbruch des Tages’, kein schrecklich verstandenes jĂŒngstes Gericht, sondern die ErfĂŒllung unserer Hoffnung und die Erlösung der Welt.

Weish 6.12-16: Im Gegensatz zu Hiob 28 wird Weisheit als dem Menschen leicht zugĂ€nglich beschrieben. Der Mensch ist grundsĂ€tzlich offen fĂŒr Weisheit als ein Geschenk Gottes. Gottes Weisheit ist unterschiedlich von der Weisheit der Welt im paulinischen Sinne (1 Kor 1.19-31)

1Thess 4.13-18: Die Perikope warnt vor der Möglichkeit des Hereinbrechens der Parusie und beschreibt den persönlichen Tod als Teil der nötigen VergÀnglichkeit der ganzen unfertigen Schöpfung. Die Ereignisse der Endzeit werden als Zeichen der Hoffnung interpretiert.

Mt 25.1-13: Das Gleichnis steht in der Tradition rabbinischer Gleichnisse und beinhaltet eine deutliche Warnung, in der Erwartung des Herrn zu leben und nicht auf falsche Sicherheiten zu bauen. ‘Ihr kennt weder den Tag noch die Stunde.’ Die Parusie wird mit einer Hochzeit gleichgesetzt welche einerseits gefeiert, andererseits verpasst werden kann.

Luise Schottroff richtet das Augenmerk auf die Jungfrauen, womit etwa 12-jĂ€hrige MĂ€dchen bezeichnet wĂŒrden, von denen erwartet werde, dass sie sich heiratsfĂ€hig prĂ€sentierten. Das Gleichnis zeige die harte RealitĂ€t einer patriarchalen Gesellschaft: MĂ€dchen, die die gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfĂŒllen, wĂŒrden von denen ausgeschlossen, die sie erfĂŒllen. Das könne zum Umdenken herausfordern.

 

Predigtskizze

Die urmenschlichen BedĂŒrfnisse nach Friede und Sicherheit sind auf dieser Erde letztlich nicht erfĂŒllbar. Ein Christ ist aufgerufen, die Gaben der Erde als vergĂ€nglich und zeitweilig zu verstehen und sich nicht darauf zu verlassen. Die Schöpfung ist unvollendet, sie bedarf der Erlösung und Vollendung. In der Erwartung des Herrn zu leben bedeutet nicht die Verachtung der Welt, sondern das Bewusstsein der VergĂ€nglichkeit vermeintlicher Sicherheiten.

Auch bewusste Christen leben in der Gefahr, funktionale Atheisten zu sein und Gott nichts zuzutrauen. Sich auf falsche Sicherheiten zu verlassen, birgt die Gefahr, das Leben selber zu verpassen, das Hochzeitsfest, die Geburt des Neuen nicht zu feiern, sondern als Bedrohung des Bestehenden zu empfinden.

Christ sein bedeutet eine aktive und tĂ€gliche Entscheidung, auf Gottes Gnade und Weisheit zu vertrauen, seine eigenen Vorstellungen zu relativieren und Zeichen seiner Gegenwart in unerwarteten Orten zu finden: im Gebet, in der Kontemplation, in der Beziehung zu anderen Menschen, in seiner Schöpfung. Aus dieser Naherwartung, der tĂ€glichen Erwartung Gott in allen möglichen Dingen zu begegnen resultiert eine Offenheit fĂŒr Neues und fĂŒr Andere und der aktive Einsatz fĂŒr das Reich Gottes.

 

BezĂŒge zur Nachhaltigkeit, Beispiele zur Umsetzung und weitere Kontexte

  • Das Gleichnis bildet die Grundlage fĂŒr den Choral von Philipp Nicolai ‘Wachet auf, ruft uns die Stimme’ und die darauf aufbauende Bachkantate gleichen Namens (BWV140).
  • In der Kunstgeschichte gibt es eine Vielzahl von Darstellungen( Magdeburger Dom, Straßburger MĂŒnster, Magnikirche Braunschweig).
  • In der Auslegung der KirchenvĂ€ter wird das Gleichnis stark allegorisiert und moralisiert. Die Jungfrauen werden von Augustinus als die 5 Sinne interpretiert, welche töricht oder weise verwendet werden können. Hilarius und Johannes Chrysostomos sehen in dem Öl gute Werke oder NĂ€chstenliebe. Falls man dieser Interpretation folgt, kann man der Frage nachgehen, welche Gelegenheiten und Gefahren es fĂŒr Wachsamkeit und Aufmerksamkeit gibt. Was lenkt mich von Wesentlichem ab? Was nĂ€hrt meine Seele? Wo betĂ€ube ich meine Aufmerksamkeit und verweigere das Hinschauen?
  • Was bedeutet ‚Offenheit fĂŒr Weisheit’? Wo sind Zeichen der Hoffnung, das Menschen grundsĂ€tzlich auf Gott verwiesen sind und auf ihn hin verfĂŒgt sind? Wo zeigt sich Gottes Weisheit im menschlichen Denken und Handeln?

 

J. Arens

 Literatur:

  • Jeremias, Joachim: Die Gleichnisse Jesu. Kurzausgabe. 9. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984.
  • Schrotthoff, Luise: Die Gleichnisse Jesu. GĂŒtersloher Verlagshaus, GĂŒtersloh 2005.