Drittletzer Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis (08.11.20)

Drittletzer Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1. Thess 5,1-6(7-11) Weish 6, 12-16 1 Thess 4, 13-18 Mt 25, 1-13

Exegetische Überlegungen und Impulse für die Predigt

In 1. Thess 4 und 5 atmet die Naherwartung der Parusie. 4,16b-17a: «Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen, dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen … entrückt…». In diesem ersten der Paulusbriefe ist das kaum anders denkbar. Auch das Gleichnis von den dummen und den klugen Jungfrauen (Mt 25,1-13) belegt – schon eine Generation später – eine vorhandene endzeitliche Stimmung. Die Wiederkunft Christi ist nicht beeinflussbar, hingegen die eigene Bereitschaft. Die Parusie kann einen auf dem falschen Fuss erwischen. Deshalb heisst die Botschaft: Seid wachsam, schläft nicht, betrinkt euch nicht – das wird wohl durchaus wörtlich und auch individuell gemeint sein, selbst wenn Paulus ja der Gemeinde schreibt und nicht den Einzelnen.

Mit der Weisheit scheint es einfach zu sein, denn sie soll sich die ihrer Würdigen sogar selber suchen (Weish 6,12-16). Auch hier ist aber ein Selektionsmechanismus herauszuspüren: Es braucht ein Wollen, damit sie sich zu erkennen gibt – in diesem Sinne: Wer hat, dem wird gegeben…

Wir leben in einer anderen Zeit. Apokalypse hat inzwischen eine andere Bedeutung erhalten. Wir erwarten in ihrem Zusammenhang nicht primär freudig bangend die Wiederkunft Christi, sondern die menschengemachte Weltkatastrophe, zu der wir, du und ich, in einem gewissen Masse beitragen. Viele befürchten denn auch einen Untergang im Ganzen, so dass keine Böcke mehr von den Schafen getrennt werden können.

Andere aber sehen das ganz anders: Sie wähnen sich aufgrund ihrer materiellen oder geografischen Privilegien in Sicherheit. Sie müssen nicht befürchten, dass sie dereinst nach der Abschmelzung der Antarktis auf ihrer Insel vom Meer überschwemmt werden könnten. Sie haben ihre Habe im Trockenen, und sie haben auch genügend Öl in ihrer Lampe, weil sie es sich leisten können. Was kümmern sie die armen Schlucker, deren einzige Leistung, von ihrer erhöhten Warte aus gesehen, die Überbevölkerung zu sein scheint? – Wer so denkt, hat es auch nicht nötig, «am frühen Morgen» die Weisheit zu suchen (Weish 6,14).

Angesichts der ökologischen Herausforderungen in unserer Gegenwart und angesichts der ungesicherten Zukunft der Nachgeborenen lohnt es sich für die Predigerinnen und Prediger, die heutigen Texte auch gegen den Strich zu bürsten. Wir hoffen auf ein Leben nach dem Tod, nach der Apokalypse – aber wir, und mit uns so viele im Jetzt und in der Zukunft lebende Menschen, hoffen doch auch auf ein Leben vor dem Tod. Was können wir zugunsten dieser Hoffnung tun? Was können wir tun, als Einzelne, als kirchliche Gemeinschaft, als Staat, als Weltgemeinschaft, um die drohende globale Klimakatastrophe, die überhandnehmende Vermüllung unseres Planeten, die unumkehrbare Plünderung der Ressourcen, die fortschreitende Re-Archaisierung der Politik wenigstens etwas abzumildern und so Leben zu retten?

Hätten die so klugen Jungfrauen ihr Öl vielleicht doch besser mit ihren dümmeren Kolleginnen teilen sollen? Hätte es vielleicht dann doch für alle gereicht? Würde sich die Jungfrauenschar nicht doch besser als Solidargemeinschaft verstehen? Fragen darf man ja…

Zeno Cavigelli, Zürich