Epiphanias / Erscheinung des Herrn
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Joh 1, 15-18 | Jes 60, 1-6 | Eph 3, 2-3a.5-6 | Mt 2, 1-12 |
Joh 1,15-18
Am Epiphanias-Sonntag feiern wir das Erscheinen Gottes in dieser Welt. Gott, der Unsichtbare, hat sich durch seinen Sohn Jesus Christus den Menschen und der ganzen Schöpfung offenbart. Er hört auf, ein Fremder für uns zu sein. Er nimmt unseren Körper an und hat Anteil an unserem menschlichen Schicksal. Das Unsichtbare wird sichtbar. Das Ferne wird nah. Das Geheimnisvolle wird offensichtlich. Das Himmlische wird im Irdischen inkarniert. Gott lässt sich in der menschlichen Existenz konkretisieren. Infolgedessen kann die Gottesfrage nicht mehr ohne die Menschenfrage und die Frage nach dem ganzen Universum beantwortet werden. Johannes bestätigt: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.“ (Joh 1,18). Und Jesus selbst bestätigt dies gegenüber Philippus: „Philippus! Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ (Joh 14,9b)
Dass Gott sich durch seinen Sohn unter den Menschen offenbart, ist ein Zeugnis der göttlichen Liebe und Solidarität. Zugleich füllt Gott die Leere in der Suche der Menschen nach dem Sinn ihres Lebens. Denn viele Menschen sind auf der Suche nach Gott. Einige versuchen, ihn durch Geld und materielle Güter zu ersetzen. Andere beklagen seine Abwesenheit, weil sie Gott nicht kennen und meinen, Er sei weit weg. Die Erfahrung der Leere oder der Abwesenheit Gottes in dem Moment, in dem er am meisten gebraucht wird, kann durch nichts anderes gefüllt werden als durch ihn selbst, durch seinen Sohn Jesus Christus, den lebendigen Ausdruck der Liebe Gottes.
Diese Liebe, durch die sich Gott der Menschheit offenbart hat, ist auch die Liebe, durch die sich die Menschen in gegenseitiger Liebe für Gott öffnen. In 1. Johannes 4,12 lesen wir: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.“
Jesus hat sich mit den Menschen identifiziert. Darum erkennen wir auch in der Liebe unter den Menschen Jesus Christus und damit auch Gott. Mt 25,35-45 schildert, dass Gott uns begegnet in den Hungrigen, den Nackten, den Bedürftigen, den Ausgegrenzten, den Fremden, den Flüchtlingen, den Kranken, den Gefangenen, kurz in den „Geringsten" der Gesellschaft. Diese bleiben oft unbemerkt von denen, die mit den Berühmten und Mächtigen und mit finanziellen und materiellen Interessen beschäftigt sind. Die „Geringsten“ sind oft Opfer von sozialer Ungerechtigkeit. Die meisten von ihnen sind in der Art, wie sie behandelt werden, Objekte, obwohl sie Subjekte ihrer eigenen Existenz sind.
Jesus Christus durch den Menschen zu sehen, bedeutet, jeden Menschen als nach dem Bilde Gottes geschaffen zu sehen. Jedes Leben muss geschützt und wertgeschätzt werden. Es bedeutet, nicht zuzulassen, dass einige in menschliche Gleichgültigkeit und andere in Ablehnung oder Verachtung verfallen. Es bedeutet auch zu glauben, dass Gott sich uns durch die menschliche Vielfalt und die bereichernde Pluralität seiner Schöpfung manifestiert und offenbart.
Wenn Gott sich sichtbar macht, werden wir empfänglich für seine Herrlichkeit. Das drängt uns zum Handeln angesichts des Schicksals von Menschen, angesichts unserer von Ungerechtigkeit und Ungleichheit zerrissenen Welt, angesichts unserer von Klimawandel und Raubbau an ihren Ressourcen bedrohten Erde.
Weil Gott sich durch seinen Sohn offenbart hat, versteckt er sich nicht mehr. Er ist zu sehen. Denn er zeigt sich wie ein Sonnenlicht in der Morgendämmerung und in der Mitte des Tages. Dieses Licht erhebt die Menschheit und lässt die Dunkelheit verschwinden. Christus ist gekommen und offenbart sich als Licht. Sein Erscheinen bringt Freiheit von der Angst vor Krisen und anderen Sorgen im persönlichen Leben und in der Welt. Ein Auftritt, der einen Anfang bringt. „Stehe auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt“, lesen wir in Jesaja 60,1.
Wenn jemand, der sitzt, aufsteht, verändert sich die Haltung. Wenn ein Licht angezündet wird, verändert sich die dunkle Umgebung. Und schließlich richtet sich der Blick in die Zukunft, woher das Licht kommt. Jesus Christus ist nicht nur derjenige, der uns mit seinem Licht entgegenkommt, er ist selbst das Licht, das uns mit seinem Wort und seinem Geist begleitet und nach vorne führt. Der Psalmist sagt über das Wort Gottes: „Dein Wort ist eine Leuchte für meine Füße und ein Licht für meinen Weg.“ (Ps 119,105)
Es ist eine Haltung, sich von Christus leiten zu lassen, und gleichzeitig ein Aufruf zum Handeln für Gerechtigkeit gegen Ungerechtigkeit in all ihren Formen, eine Motivation, aufzustehen und als Pilger für Frieden und Versöhnung zu gehen, wo Konflikte das Gewissen belasten und Krieg Leben zerstört. Das Aufstehen in der Folge der Epiphanie ist also nicht nur statisch. Es ist der Anfang einer Bewegung, die den Menschen auf die Verfolgung und Verwirklichung von Zielen zum Wohle des Menschen und der Gesellschaft ausrichtet. Gleichzeitig mit der Bewegung ist das Aufstehen auch eine Weigerung, das Opfer zu spielen. Und es ist Widerstand gegen die Kräfte, die Menschen nach unten ziehen: Arbeitslosigkeit, sozioökonomische Ungerechtigkeiten, Vergewaltigung und Gewalt, Diskriminierung, Vorurteile, etc.
Weil Christus kommt und Licht bringt, kommen alle Formen der Finsternis ans Licht. Die Ausbeutung von Kindern in Minen, Plantagen, moderne Sklaverei, industrielle Luftverschmutzung usw. lassen niemanden gleichgültig und untätig. Die Suche nach Veränderung wird zum Ansporn, transformative Energien zu mobilisieren, damit das Leben in Transparenz und Wahrheit gelebt wird. Epiphanie wird sinnvoll, wenn wir Christen einerseits sensibel sind für alle Arten von Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen, etwa in Lieferketten, und andererseits unsere Konsumkultur hinterfragen, indem wir Abfall vermeiden und fair gehandelte Produkte kaufen. Auf diese Weise beteiligen wir uns an einer nachhaltigen Entwicklung und sichern eine Zukunft für uns heute und für zukünftige Generationen.
Wie der Morgenstern kommt uns Jesus Christus entgegen, wenn er uns in die Zukunft drängt. Der Blick auf ihn schafft Freude und Hoffnung. Ein Neuanfang ist möglich. Die Zukunft zeichnet sich aus durch Hoffnung und Vertrauen in Christus . Krisen müssen anders betrachtet werden und dürfen nicht als Ende gesehen werden. Vielmehr sollten sie als Chance und Raum gesehen werden, durch den der Weg zur menschlichen Entfaltung führt. Die Krisen, die wir erleben, wie z.B. Covid-19 und andere, können uns nicht daran hindern, zu sehen, wie Gott sich unter uns manifestiert. Sie können auch nicht unsere Fähigkeit einschränken, das Ende des Tunnels zu sehen. Wir können nicht mehr sagen, dass wir es nicht gesehen haben oder dass es uns nicht betrifft. Denn es geschieht weit weg von uns. Wir sehen Gott in den Menschen und in der Schöpfung sowohl in der Nähe als auch in der Ferne.
Wenn wir unseren Blick auf Ihn richten, öffnet uns Christus die Augen für alle Möglichkeiten, aus der Krise herauszukommen. Er befähigt uns auch, die Kleinen und Schwachen in der Gesellschaft nicht zu übersehen, sondern sich mit ihnen solidarisch zu erklären und mit ihnen und für sie zu arbeiten, um sie zu stärken. Außerdem bleiben wir aufmerksam für alle gegenwärtigen und zukünftigen Situationen, die uns die Chance auf Fortschritt und ein besseres Leben für alle bieten. Schließlich erleben wir diese Erfahrung als eine Gnade Gottes, den Menschen und die ganze Schöpfung so zu sehen, wie Gott sie sieht, d.h. nach seiner Vision geschaffen: Und „Gott sah, dass es gut war“, sogar „sehr gut“.
Dr. Jean-Gottfried Mutombo, Holzwickede (Westfalen)