Erntedank / 18. Sonntag nach Trinitatis / 27. Sonntag im Jahreskreis (03.10.21)

Erntedank / 18. Sonntag nach Trinitatis / 27. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mk 10,17-27 Gen 2, 18-24 Hebr 2, 9-11 Mk 10, 2-16

 

Gen, 2,18-24

Die Verse bilden den Abschluss der jahwistischen SchöpfungserzĂ€hlung (Gen 2,4b-24). „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Dieser Mensch stellt sich als Mann heraus, sobald ihm Gott eine Rippe nimmt und ihm daraus eine Frau baut. Die ganze ErzĂ€hlung ab V.2 dreht sich um den Menschen, den Gott schafft als - sein Experiment. Nein, Gott tut es in dieser ErzĂ€hlung nicht als GegenĂŒber, er braucht jemanden fĂŒr die Feldarbeit (V.5), fĂŒr das Bebauen und Bewahren (V.15) und man kann zuschauen, wie er sich ĂŒber die Puppenstube Eden beugt und sein Werk Schritt fĂŒr Schritt besser machen will. Die Tiere, obwohl der Mensch ihnen Namen geben darf, sind ihm nicht Hilfe in der Art wie er sie brĂ€uchte. Was fehlt ihm denn, dem Menschen? Offensichtlich eine Frau. Obwohl sehr liebevoll erzĂ€hlt, wie die Frau geschaffen wird, geht ihre Gleichwertigkeit mit dem Mann nicht zwingend aus dem Text hervor: Man kann sie als eine Art Abkömmling des erstgeschaffenen Mannes auffassen. Die Wirkungsgeschichte der Stelle zeugt davon.

Nun ist diese ErzĂ€hlung um die dreitausend Jahre alt. Sollen wir ihr ĂŒbel nehmen, wie sie das VerhĂ€ltnis der Geschlechter sieht? Und ist es fĂŒr das Thema Nachhaltigkeit relevant, in welcher Reihenfolge des biblischen Textes Frau und Mann genannt werden?

Die Verfasser waren gewiss gute Menschenkenner. In ihrer ErzĂ€hlung haben sie Metaphern geschaffen fĂŒr die Unvollkommenheit und Angewiesenheit des Menschen. Obwohl uns Gott geschaffen hat, bleiben wir MĂ€ngelwesen, bleiben wir Risikopatienten. Ein grosses Risiko, nebst dem, was wir dann im dritten Kapitel beobachten können, nĂ€mlich dass wir zu gerne andere verantwortlich machen fĂŒr unser Tun und seine Folgen, ist die Vereinfachung oder KomplexitĂ€tsreduktion. Die Natur ist hochkomplex. Wir vereinfachen sie, indem wir sie kategorisieren: Nutzpflanzen und nutzlose Pflanzen. Haustiere und SchĂ€dlinge. Mann und Frau. Damit missachten wir aber die Vielfalt - heute sagen wir oft ‚DiversitĂ€t‘. So langsam beginnen wir zwar zu begreifen, dass die Wirklichkeit nicht so ĂŒbersichtlich ist wie eine SchöpfungserzĂ€hlung, aber noch immer braucht es den Kampf um jeden Quadratmeter AusgleichsflĂ€che in der Landwirtschaft, braucht es den Kampf um das Überleben der Arten (wozu sind denn Nashörner gut?), braucht es die SensibilitĂ€t fĂŒr die Differenziertheit der Geschlechter.

Wenn wir predigen, vereinfachen wir dem VerstĂ€ndnis zuliebe. Was tun wir aber, wenn wir vereinfachend von Mann und Frau predigen? Wir benutzen ein binĂ€res Modell der Wirklichkeit. Diese ist aber komplexer und wir sollten dies respektieren: Dass jeder Mensch weibliche wie mĂ€nnliche Anteile in sich trĂ€gt, und zwar sowohl biologisch als auch kulturell gesehen, und dass das menschliche Selbstbild sich zeitlebens wandelt, gerade auch im Blick auf die Geschlechtlichkeit, dass es deshalb mehr gibt und geben darf als Isch und IschĂĄ - dazu mĂŒssen wir uns in der Predigt erst noch durchringen. Dies wĂ€re aber der notwendige Tribut an die sowohl biologische als auch kulturelle DiversitĂ€t. Schöpfung in ihrer ganzen Vielfalt und nicht als katechismuskonforme EngfĂŒhrung.

Etwas anderes: Vergessen wir nicht, wie in dieser SchöpfungserzĂ€hlung der Mensch mit der Natur in Beziehung gesetzt wird: Benennen, bebauen, bewahren - diese TĂ€tigkeiten adeln den Menschen und ordnen ihn ein in das Ganze der Schöpfung. Aber von „unterwerfen“, wie in der jĂŒngeren Priesterschrift (Gen 1,28), fehlt hier jede Spur. An diesem VerstĂ€ndnis menschlichen Wirkens auf Erden könnten wir uns auch heute orientieren. Tun wir dies genĂŒgend? Sicher nicht. Wir sind auf Zerstörungskurs. Wir vernichten Arten, verschmutzen ganze Gegenden und Meere und sind auf dem besten Weg, die Erde unbewohnbar zu machen - grösser könnte der Kontrast zur jahwistischen Sicht nicht sein. Da wurde doch der Mensch als ihr GĂ€rtner erschaffen, sozusagen. MĂŒsste er deshalb - nicht nur aus reiner Selbsterhaltung, sondern aus seinem tiefsten Sinn heraus - nicht alles unternehmen, dass es der Welt gut geht?

Dr. Zeno Cavigelli, ZĂŒrich