Exaudi / 7. Sonntag der Osterzeit / 6. Sonntag nach Ostern (01.06.14)

Exaudi / 7. Sonntag der Osterzeit

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 8, 26-30 Apg 1, 12-14 1 Petr 4, 13-16 Joh 17, 1-11a

 

Bezug zum Kirchenjahr

Nach Ostern und kurz vor Pfingsten geht es in vielen Bibeltexten um christliche Lebens- und Weltgestaltung: Wie kann der neue Lebensalltag der Jüngerinnen und Jünger ohne den irdischen Jesus, aber mit der Erfahrung seiner Auferstehung und der Verheißung des Heiligen Geistes aussehen? Wie soll sich ihr gemeinschaftliches Leben nun gestalten – und wie können sie an der Gestaltung ihrer Umwelt mitwirken? Wie kann Verkündigung wirkungsvoll geschehen? Die Wechselwirkung zwischen meiner eigenen Lebensgestaltung und den Strukturen der Gemeinschaft, deren Teil ich bin, sowie der verantwortungsvolle Blick auf die (Um-)Welt gehören auch zur Frage nach Nachhaltigkeit. Spuren davon finde ich in allen vier Bibeltexten. Zitate beziehen sich auf den jeweiligen Bibeltext in der Übersetzung „Hoffnung für alle“.

 

Röm 8, 26-30: Neue Perspektiven – für alle!

Gottes Geist hilft beten. Dahinter steht für mich die Erfahrung: Es gibt Situationen im Leben, in der Welt, die ich als so bedrohlich, beängstigend und aus meiner Sicht ausweglos erlebe, dass sie mir selbst das Gebet erschweren: Denn – worum soll ich eigentlich beten? Was könnte helfen? Es kann sich bei „Schwächen und Nöten“ um individuelle Notlagen handeln, aber auch um Leid und Unrecht in der Welt sowie um gesellschaftliche Strukturen, die Leben hindern statt zu fördern, die Menschen erstarren lassen und ihr Gebet verstummen.

Auch eigene Schuld, verstanden als Gefangen-Sein in selbstgemachten Abhängigkeiten, als Kreisen um sich selbst und vordergründige Bedürfnisse (eigene Bequemlichkeit, Besitz, ein möglichst leichtes Leben, … ) hindert uns mitunter daran, so zu beten „wie es Gott gefällt“. Es hindert uns daran, seinen und auch unseren Handlungsspielraum zu erkennen!

Aus diesen Abhängigkeiten, aus dieser Erstarrung und Verstummung („Schwächen und Nöte“) befreit Gott durch seinen Geist: Er eröffnet Perspektiven und Hoffnung, er verweist auf die Möglichkeiten Gottes, die unsere Möglichkeiten übersteigen. Und er zeigt uns auf, wo wir Handlungsspielraum und Freiheit haben.

Solche Befreiung (die Erwählung Gottes, die im Glauben und in der Taufe eine Antwort findet) ist zunächst ein individuelles Geschehen, aber sie stellt die Befreiten sofort in eine größere Gemeinschaft und Verantwortung: Das Gute, was Gott für jeden Menschen, aber auch für seine Welt will, gilt „für alle“. So ist Christus „der Erste unter vielen Schwestern und Brüdern“: Sein Wirken ist von vornherein auf Zukunft und Gemeinschaft ausgerichtet. Er hat begonnen, die Welt menschen- und gotteswürdig zu gestalten, aber es kommt ebenso auf diejenigen an, die sein Werk fortführen – also auf uns! Dies kann nur im aufmerksamen Blick auf die „Schwestern und Brüder“ geschehen und in Verantwortung für sie und die zukünftigen Generationen. Hier lassen sich jeweils aktuelle Beispiele aus dem Tagesgeschehen anführen; vielleicht auch Erfahrungen aus der Partnerschaftsarbeit der eigenen Gemeinde oder des eigenen Kirchenkreises.

 

Act 1, 12-14: Verwurzelung in Gemeinschaft - Leben aus Gemeinschaft

Während Röm 8 den Blick stark in die Zukunft richtet, sieht dieser Text besonders auf die Vergangenheit und auf die gegenwärtigen Ressourcen und fragt danach, wie diese für die Zukunft zu nutzen sind und wie von ihnen aus Leben zu gestaltet werden kann: Jesu Jüngerinnen und Jünger kehren zurück nach Jerusalem und damit an den Ort, an dem sie mit Jesus und miteinander eindrückliche Erfahrungen gemacht haben. Sie entdecken Jerusalem neu als einen Ort, an dem sie immer wieder zurückkehren können von ihrem Engagement für den Glauben. Es ist auch ein Ort, an dem sie Stärkung im gemeinschaftlichen Gebet erleben. Übertragen kann ich in der Predigt fragen: Was sind das für Orte, für Menschen und für Gewohnheiten, die mir Sicherheit geben und von denen ich Impulse für meinen weiteren Weg erhoffe – gerade dann, wenn ich an einem Wendepunkt im Leben stehe? Wie kann ich darauf aufbauen? Was möchte ich anderen weitergeben und wie soll das geschehen?

In dieser stärkenden Gemeinschaft ist jede und jeder einzelne wichtig: Es werden Namen genannt, und ich finde es bemerkenswert, dass in dieser frühen Jüngeraufzählung ganz selbstverständlich Frauen dazugehören! Manche Individualität wird besonders herausgestrichen, so z.B. dass Simon „ehemaliger Freiheitskämpfer“ ist: Schon immer hat er versucht, sich aktiv an der Gestaltung der Welt zu beteiligen. Aber er hatte auch den Mut, seinen ersten, wahrscheinlich fanatisch verfolgten Weg (der Gewalt beinhaltete) aufzugeben zugunsten des neuen Weges der Christusnachfolge. Vielleicht hat er diesen Weg als wirkungsvoller, als nachhaltiger, erkannt. Mit ihren jeweiligen Eigenschaften, auch mit der eigenen, möglicherweise fragwürdigen Vergangenheit sind Menschen willkommen, die am Reich Gottes mit bauen wollen. Entscheidend für das Weiterkommen auf diesem Weg ist die Rückbindung an Gott (im Gebet) aber auch die Eingliederung in eine Gemeinschaft. Und die Bereitschaft, den eigenen Weg immer wieder im Gespräch mit Gott zu hinterfragen und ggf. neu und zukunftsorientiert zu gestalten.

 

1 Petr 4, 13-16: Macht und Machtlosigkeit gegenüber Leiden

Ein grundlegender Gedanke des Christentums kommt hier zum Ausdruck: Sowohl Leid als auch Freude sind niemals nur individuelles Geschehen, sondern geschehen immer in Gemeinschaft mit Christus und haben auch oft Auswirkungen auf andere. Der Text nimmt die Erfahrung auf, dass es nicht immer leicht ist, zu seinen Überzeugungen zu stehen, besonders dann, wenn sie nicht allgemein akzeptiert und unterstützt werden. Allerdings sollte hier „christliche Glaubensüberzeugung“ nicht einfach gleichgesetzt werden mit „Engagement für Nachhaltigkeit“. Auch, weil der Text eine reale Verfolgungssituation beschreibt, ist er nicht so ohne weiteres auf unsere Situation in diesem Teil der Welt zu übertragen. Vielleicht hilft hier eher der Blick auf Länder, in denen Christen auch heute verfolgt werden.

Für uns könnte eine Richtung sein, genau hinzuschauen: Welche Ursache hat das, was ich als eigenes Leid empfinde? Kommt es daher, dass ich zu meinen Überzeugungen, zu meinem Glauben stehe, oder ist manches eher das Ende einer Kausalkette: Ich habe mir, wir haben uns genommen, was uns nicht (allein) zusteht – und nun tragen wir die Folgen? Dafür könnten „Mord, Diebstahl und Verbrechen“ symbolisch stehen. Richtungsweisend, so der Text, ist die Rückbindung an Gott, das „Zu-Christus-Gehören“. Das allerdings kann auch die „Luxusleiden“ unserer Lebenssituation relativieren: Muss ich, an Christus gebunden, wirklich alles haben, was mir die Werbung einredet? Muss ich mich selbst mit immer mehr Arbeit und immer mehr Stress ausbeuten, um einen bestimmten Lebensstandard zu halten? Wer setzt diesen Standard eigentlich? Und: Was möchte ich meinen Kindern vorleben - was sollen sie erkennen, das für mich im Leben zählt? Welche Ziele und Werte, welche Sicht auf die Zukunft sollen sie von mir lernen und an mir erkennen?

 

Joh 17, 1-11a: Christuswürdiges Leben ist menschenwürdiges Leben

Wie schon in Römer 8 finde ich auch in diesem Text den Gedanken, dass Leben und Werk Jesu Christi einen Anfang darstellen, der von vornherein auf Weiterführung durch Nachfolgerinnen und Nachfolger angelegt ist. Nach-Folge können wir durchaus auch zeitlich verstehen: da folgt etwas nach!

Jesus gibt seinen Nachfolgerinnen die Mit-Verantwortung für die Welt, ähnlich, wie es bei der Schöpfung schon einmal geschehen ist. Das „ewige Leben“ ist nicht nur zeitlich zu verstehen: Jetzt die heutige Welt – nach dem Tod das ewige Leben. Denn Ewigkeit ist nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorn ohne Begrenzung. Überall dort, wo „Gott und Jesus Christus erkannt werden“, ist ewiges Leben. Das bedeutet für mich: wo ich Gott heute entdecken kann, in meinem Leben und in der Welt, da sind Momente von Ewigkeit. Sie weisen mich auf das hin, was einmal sein wird. Und sie motivieren mich, so zu leben und zu handeln, dass auch andere Menschen Wege finden, auf denen sie ewiges Leben entdecken. Dass das geschieht, liegt nicht in meiner, sondern in Gottes Hand, aber ich kann Zeugin für ihn sein, für das, was ich schon von seinem Reich entdeckt habe. Ich kann meine Kreativität anregen lassen von Gott, dass ich Wege finde, daran mitzuwirken. Wo ich etwas verändern kann, damit unsere Welt heute schon menschenwürdiger und damit christuswürdiger wird. Auch darum betet Jesus in diesem Text.

 

 

 J. Opiolla