Exaudi / 7. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 15, 26 - 16, 4 | Apg 1, 15-17.20a.c-26 | 1 Joh 4, 11-16 | Joh 17, 6a.11b-19 |
Der Sonntag Exaudi
"Herr, höre meine Stimme" - dieses Wort aus dem 27. Psalm gibt dem Sonntag seinen Namen und bringt die zentrale Lebensäußerung der Menschen gegenüber Gott zum Ausdruck: zwar können wir fast trotzig beten "Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem wollte ich mich fürchten?", aber die alte Seelsorge-Regel, auf das Gegenteil dessen zu achten, was einem so pointiert entgegengehalten wird, führt auch hier auf die richtige Spur. Feinde und falsche Zeugen, die einem ohne Scheu Unrecht tun, sind ein prägender Teil der Realität auch derer, die von Ostern herkommend sich gern im Alltag ein wenig erlöster von dessen Unbilden fühlen möchten. Stattdessen wissen wir kaum, was wir beten sollen (Röm 8), die Einigkeit unter dem österlichen Eindruck steht aus, man wird aus der Gemeinschaft, zu der man gehören möchte, ausgestoßen (Joh 15), wir dürsten also (Joh 7) und sehen uns unfähig, den mit Gott geschlossenen Bund zu halten (Jer 31). Diese bittere und schmerzliche Erfahrung zieht sich durch die Texte des Sonntags.
Trotzdem gilt auch: man weiß nicht, vor wem man sich fürchten soll, (Ps 27), der Tröster wird kommen (Joh 15), der Geist vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen (Röm 8) und wir gehen in einen Bund, der uns in den Sinn geschrieben ist. Wir stehen kurz vor Pfingsten und sehen uns konfrontiert mit der Erfahrung des Alleingelassenwerdens und der Widerstände in der Welt. Glaubensleben als Dissonanz-Erfahrung. Die Gemeinde sortiert sich und muss lernen, eine Haltung zum Unvollkommenen an sich selbst und in der Welt zu gewinnen. Also beugen wir unsere Knie und lassen uns erfüllen von der ganzen Gottesfülle. Kosten wir ihre Breite und Länge und Höhe und Tiefe aus (Eph 3)! Und verwechseln wir nicht unsere Erwartungen an die Welt mit dem Geist der Wahrheit (Joh 14/15). Der Sonntag ist ein großer Ruf an uns, offen zu sein für das, was kommt, und nicht bei dem stecken zu bleiben, was wir erwarten, aber nicht passiert.
Zu Joh 15, 26-16,4
Die Dissonanz-Erfahrungen, also das Gefühl, dass sich der Himmel auf Erden so schrecklich rar zu machen scheint, sind ein ständiger Begleiter all derer, die für eine bessere Welt streiten. Die sich für Konfliktvermeidung einsetzen, die eine andere, nachhaltiger bewirtschaftete Welt wollen und die das Unrecht, die Korruption, die Gewalt, die Missachtung von Menschen und Natur beobachten und dabei zuschauen müssen, wie andere das alles offenbar gar nicht interessiert, sondern weiter daran verdienen wollen oder bestenfalls bis zur ersehnten Anschaffung eines neuen und größeren Flachbild-Fernsehers denken und hoffen können, - die leiden schwer! Oft muss man es wegschieben, wie wenig man doch bewegen kann und wie viele Menschen offenbar eher dabei zuschauen wollen, wie diese Welt den Bach runtergeht.
Das alles stimmt, und doch bleibt die Predigt Jesu dabei nicht stehen: er predigt sozusagen nachhaltig, in dem er seiner Gemeinde nicht nach dem Munde redet, sondern ans Herz geht. Denn auch der Gemeinde droht die Gefahr des "Abfalls". Wir wissen schon ein bisschen was von Gottes Welt, die wir "von Anfang an" bei Jesus waren. Aber es steht vieles aus. Auch unter uns und an uns selbst bemerken wir, dass wir unvollkommen und schwach sind. Doch trotzdem hoffen wir auf den Tröster, der uns versprochen ist, und werden davon erfüllt.
Die Dissonanz besteht also genauer betrachtet nicht darin, dass die Welt so schlecht ist und das Paradies nicht besteht und seine Bewohner ihr Herz verhärten oder entstellen, sondern dass wir schlimme, kaum erträgliche Erfahrungen machen müssen, vor solchem Abfall selbst kaum gefeit, und gleichzeitig mit einem kommenden Tröster konfrontiert sind. Welches, wie es die Epistel des Sonntags sagt, die "Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe" ist, wissen wir nicht, sondern wir haben es zu erkunden. Nicht nur wir rufen an diesem Sonntag mit vollem Recht Gott "exaudi!" zu, höre doch auf unsere Klagen, sondern er ruft ebenso zurück: hört doch auf den Tröster, erfahrt den "Geist der Wahrheit", wie ich ihn schenke! Lasst euch überraschen von der Weite des Willens Gottes. Die wahre Tragik und Entsetzlichkeit dieser Welt kennt ihr wahrscheinlich gar nicht, ihre wahre Größe und Schönheit, die Wärme der Herzen, die Wunder, die ich tue, die Spuren, die ich hinterlasse, kennt ihr ebenso wenig. Bildet euch nichts zu wissen ein, sondern lasst euch erfüllen!
Katholisches Lesejahr B:
zur 1. Lesung: Apg 1, 15-17.20a.c-26:
Man kennt den Vorgang: eine Nachwahl steht an. In diesem Fall eine besondere, die notwendig wurde durch den Verrat des Judas an Jesus - den Verrat durch einen Kuss. Das die junge Gemeinde damit schwer zu kämpfen hat und kaum an sich halten kann, merkt man in der Geschichtsschreibung des Lukas, der Blutrünstiges dazu zu berichten weiß, was aber die Perikopenordnung hier draußen vor hält. Wieder dieses Dissonanz-Erlebnis, dass nämlich ein unmittelbarer Zeuge des Lebens Jesu ihn zu verraten bereit ist - es gibt, wie es das Johannesevangelium wohl sagen würde, niemanden, der nicht auch zur "Welt" gehören würde.
Die Wunden werden aber geheilt. Die Predigt sollte das Lapidare des Textes nicht verwischen oder religiös überhöhen, denn trotz Gebet und Werfen der Lose handelt es sich doch - nur - um eine Nachwahl für ein Leitungsgremium. Es geht um Arbeit für die Strukturen der frühen Kirche, die eben nicht durch die begeisterten Einzelnen mit unmittelbarer Gotteserkenntnis geleitet wird, sondern in einer wohlgeordneten Kirche mit Gremien, Ämtern und abgemachten Abläufen. Die Kirche, die einem sehr weltlichen Modell folgt - wie theologisch aufgeladen auch immer es sein mag (z.B. durch die Zwölfzahl) - ist somit Teil des Dissonanz-Erlebens, auf dem aber ein Segen liegt. Es ist die Gemeinschaft derer, die in der Schrift lesen, beten und daraus Schlüsse ziehen. Mehr kann man nicht tun. Wenn wir für den Glauben, wenn wir für die Bewahrung der Schöpfung, die Menschenrechte oder den Weltfrieden arbeiten, dann sind wir nicht an ominöse Praktiken verwiesen, sondern wir arbeiten in und mit den Mitteln, die diese Welt uns an die Hand gibt.
zur 2. Lesung: 1 Joh 4, 11-16:
Ein beliebter Vorwurf, wenn auch in der Kirche für die Schöpfungsbewahrung, ein anderes Wirtschaften, ethische Geldanlagen oder den Klimaschutz gestritten wird: haben wir als Kirche nicht einen anderen Auftrag? Sollte sich nicht der Staat oder sonst wer damit befassen? Als Kirche erwarten wir und andere doch etwas anderes von uns! Eben irgendwie mehr Religion oder Spiritualität!
Wer so redet, sollte diesen Text lesen: "wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben", und "wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns". Darum geht es: die Liebe Gottes zu uns erwidern wir durch unsere Liebe zum Nächsten. Wir lieben Gott, indem wir ihn so lieben, wie er es sich wünscht. Gott selbst hat niemand gesehen - ihn zu schauen ist unerträglich oder uns nicht fassbar. Aber getrieben von seinem Geist erwidern wir die Liebe Gottes, indem wir uns seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen zuwenden, allen und allem eben, was wir uns zum Nächsten machen lassen können. Mehr will Gott nicht, aber auch nicht weniger. Spiritualität, die daran vorbeigeht, ist mit einem Fragezeichen zu versehen.
zum Evangelium: Joh 17, 6a.11b-19
Auch hier geht es erneut um Dissonanz-Erlebnisse, im Sinne des Johannes kann man vielleiht sogar von einem kleinen Dualismus sprechen. Die Gemeinden, die Jüngerinnen und Jünger Jesu, sind in der Welt, sie sind aber eben nicht von der Welt. In ihrer Verkündigung, in ihrer Predigt und ihrem Handeln für den Nächsten gehen sie nicht auf. Sie sind anders und mehr als nur dieses Handeln, und doch ist es das, was ihren Auftrag ausmacht. Sie wissen anderes zu sagen, als man gemeinhin zu sagen weiß, sie machen die Welt durchsichtiger auf ihren Schöpfer hin. Damit machen sie sie aber nicht nebensächlich, sondern nehmen sie erst recht ernst.
Dieses fast Ängstliche und Besorgte, dass hier aus den Worten Jesu in seinen Abschiedsreden zu hören ist, will eben gerade nicht, dass wir Welt-entrückt werden: "Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst".
Was manche Menschen wohl zuweilen am Christentum erstaunt ist, dass es so seltsam nüchtern, weltzugewandt und abgeklärt ist. Diese Welt findet nicht das letzte Wort über uns, aber das bedeutet nicht, dass wir sie im Gegenzug abschreiben oder vernachlässigen können. Hier und nirgends sonst wird sich zeigen können, ob wir "in der Wahrheit geheiligt" sind.
Dr. Thomas Schaack, Kiel