Exaudi / 7. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Röm 8,26-30 | Apg 7, 55-60 | Offb 22, 12-14.16-17.20 | Joh 17, 20-26 |
Nachhaltigkeit – das ist ein leidenschaftliches Kriterium für Predigten, die sich nah an uns Menschen und der Welt, in der wir leben, orientieren. Mit dem Ziel, diese Welt, die unter so großen Herausforderungen wie Klimaveränderung, Rohstoffverknappung und sozialer Ungerechtigkeit steht, nicht so zu lassen wie sie ist, sondern Chancen für Veränderung zu sehen und Perspektiven zu entwickeln, die über den Ist-Zustand hinausschauen. Dazu mögen diese Impulse zu Sonntag Exaudi 2022 anregen.
Röm 8, (18-25)26-30: Leidenschaftlich hoffen
Ein unglaublich schöner und starker Text! Wie sonst nirgends in der Bibel werden Schöpfung, Christologie und Eschatologie in einem langem Atemzug gedacht. Mich spricht der solidarische Blick auf die Kreatur an, mit der Paulus hier alle Lebewesen in den Blick nimmt: Alle Kreatur leidet unter der Vergänglichkeit. Aber die gesamte Schöpfung atmet darauf hin, dass es zu dem großen Offenbarungsprozess kommt, in dem sich das Reich Gottes vollenden und sichtbar werden wir, die Erlösung dieser Welt von „Nichtigen“, wie Karl Barth es formulieren würde, die Erlösung von der Vergänglichkeit, dem Tod, der Sünde, der Angst, dem Leid.
Dreh- und Angelpunkt ist der Vers: „Wir sind gerettet, doch auf Hoffnung“. Dieser Vers 24 ist der Kernsatz des Evangeliums. In kaum einer anderen Bibelstelle ist Hoffnung so markant und leidenschaftlich beschrieben: „Die Hoffnung aber die man sieht, ist keine Hoffnung, denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?“ (8, 24)
Und nun kommt Gottes Geist ins Spiel, der unsere Existenz und die aller Kreatur begleitet mit unaussprechlichem Seufzen. Gottes Geist ist der Geist der Solidarität! Gottes Geist kennt uns, unser tiefstes Herz. Was der Beter in Psalm 139 schon weiß, verdichtet der Apostel hier in tiefster poetischer eschatologischer Sprache. Paulus spannt einen Bogen von Gottes Erwählung an, die bis zum Ziel der Erlösung trägt. Wie eine Kette greifen die Worte ineinander: erwählt und ausersehen, ausersehen und vorherbestimmt, vorherbestimmt und berufen, berufen und gerecht gemacht, und gerecht gemacht und verherrlicht. Die Trinität Gottes ist der Resonanzraum für das Seufzen aller Kreatur. Denn Gottes Geist kennt unser Leid und tritt vor Gott für uns ein. Umgekehrt stelle ich mir das Herz jeder Kreatur vor als Resonanzraum für Gottes Geist, aus dem die Kräfte zum Auftrag wachsen, diese Welt nicht so zu lassen wie sie ist, und zu einer nachhaltigen der Schöpfung und der sozialen Gerechtigkeit verpflichteten Lebensweise.
Wie nun den Gottesdienst also gestalten? Ein paar Ideen zum Weiterdenken:
Eine Idee wäre, mit Konfirmandinnen und Konfirmanden das örtliche Tierheim zu besuchen und sie vor dem Hintergrund ihrer Begegnungen in der nächsten Konfistunde mit Römer 8 vom „Seufzen der Kreatur“ lesen lassen. Sie könnten z.B. das Fürbittengebet schreiben oder sie berichten im Gottesdienst von ihren Erfahrungen. Oder sie leihen einem der Tiere ihre Stimme und lassen z.B. einen Hund, der ausgesetzt wurde, über diesen Text „predigen“.
Was gibt mir Hoffnung? Mit Erzieherinnen der Kita den Gottesdienst vorbereiten. Eine Kette aus bunten Ringen der Hoffnung („worauf hoffe ich?“) knüpfen. Die Hoffnungsringe im Gottesdienst vorstellen, von den eigenen Hoffnungen erzählen – und das Ganze dann im Gottesdienst über den Hof der Kirche spannen, auf dem der Gottesdienst open air gefeiert wird.
Hoffnung ist Hoffnung auf etwas, was wir nicht sehen. Hoffnung konkretisieren mit Gästen - eine Bürgermeisterin, ein Gärtner und eine Fußballtrainerin erzählen, was es heißt, in das zu investieren und an das zu glauben, was noch nicht sichtbar ist, aber woran sie intensiv und nachhaltig glauben.
An das Unsichtbare glauben: Eine Rockband einladen und den Song „Hinterm Horizont geht’s weiter“ von Udo Lindenberg in die Predigt einbeziehen. Zusammen sind wir stark!
Hinterm Horizont geht's weiter ein neuer Tag
Hinterm Horizont immer weiter zusammen sind wir stark
Das mit uns ging so tief rein das kann nie zu Ende sein
So was Großes geht nicht einfach so vorbei
Songtext von Udo Lindenberg - Horizont Lyrics (songtexte.com)
Udo Lindenberg und der Glaube: Hinterm Horizont geht’s weiter! (pro-medienmagazin.de)
Apg 7, 55-60 Alles geben!
Eine bewegende Geschichte über den ersten Märtyrer des Christentums. Denn der Blick in den offenen Himmel ist sehr exklusiv nur für den Märtyrer selbst zu sehen. Und der Märtyrertod geht ja gerade nicht mit dem Blick einher, die christliche Existenz in dieser Welt zu verorten, sondern sie zu verlassen. Erst auf den zweiten Blick erzählt die Vision des Stephanus davon, wie wesentlich Visionen sind, alles zu geben und zu riskieren, z.B. dass ein nachhaltiges Leben seinen Preis hat und haben muss. Ich würde den Text daher als Sprungbrett nehmen, über visionäre Menschen nachzudenken, bzw. Menschen, die aufgrund einer starken Motivation sich ganz konkret einsetzen. Ich denke z.B. an den Arzt Gerhard Trabert in Mainz, der eine ambulante Praxis für Obdachlose betreibt. Ein scharfsinniger Kritiker unseres Sozialsystems und zugleich ein leidenschaftlicher Mediziner für Menschen in Armut in unserem reichen Land.
Gerhard Trabert behandelt Obdachlose und Arme in Mainz | chrismon (evangelisch.de)
Offb 22, 12-21 Letzte Worte
Das letzte Kapitel der Bibel, die letzen Verse, letzte Worte. Wie ein Vermächtnis wirken diese Zeilen. Ich skizziere gerafft den Inhalt: Der Seher gibt die Worte Christi wieder („Ich bin das A und das O“), der sein Kommen ankündet und denen Mut macht, die „teilhaben an dem Baum des Lebens“, die „dürsten nach dem Wasser des Lebens“ – die anderen, die „Hunde, Zauberer und Unzüchtigen….“ bleiben draußen. Die eschatologische Zweiteilung findet jetzt schon statt. Der Blick auf das Kommen des „Morgensterns“ bestätigt die Gläubigen jetzt schon in ihrer Zugehörigkeit. Worte, die Mut machen, die letzte Zeit zu überstehen. Worte wie in eine Wartezeit gesprochen. Passionsworte auf den letzten Weg mit dieser Welt, um die neue Welt mit dem Kommen des Morgensterns zu erwarten. Aber ob diese „letzten Worte“ sich eignen, zu einem nachhaltigen Denken und Handeln an und für diese Welt aufzufordern? Zumal die Zweiteilung ja beschlossen ist?
Gegen den Text würde ich predigen, dass das letzte Wort über diese Welt noch nicht gesprochen ist, und der Geist Gottes das Seufzen der Kreatur hört und uns vor Gott vertritt. Hoffnung ist Hoffnung auf das noch nicht Sichtbare. Noch steht die Offenbarung der Letzen Dinge aus. Noch ist Raum für mehr als letzte Worte. Worte für Jetzt. Und hier zu leben und zu kämpfen.
Joh 17, 20-26 Alle eins in eins
Auch diese Worte sind letzte Worte. Die Zeilen bilden den Abschluss des hohepriesterlichen Gebets. Jesus betet für seine Jünger und für die, die zum Kreis der Jünger dazu kommen werden (Vers 20). Sein Gebet nimmt die Jünger in die Einheit, die ihn mit dem Vater verbindet, auf. Es ist geradezu eine unio mystica, die aus Gott heraus mit der Fleischwerdung des Wortes ihren Anfang nimmt und dann, wie ein Stein, der ins Wasser geworfen Kreise zieht. So entsteht eine Nähe zu Gott, an der alle Anteil haben werden, die an Jesus glauben. „Wie du Vater in mir bist und ich in dir, so sollen sie auch in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ (Vers 21). Das ist das Ziel. Die Welt soll zum Glauben kommen. „Damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen“ (Vers 26). Auch diese Lesung blickt – wie auch Apg 7 und Offb 22 - über diese Welt hinaus. Es sind letzte, es sind eschatologische Worte. Jesus betet für die Seinen und für uns, damit wir uns der Einheit und Innigkeit mit Gott gewiss werden und gewiss bleiben.
Trägt dieses Gebet aus, nachhaltig zu denken und nachhaltig zu predigen? Verhindert es nicht geradezu den nachhaltigen Blick? Oder die Kritik einer Bewegung wie „Friday for future“?
Oder – ganz anders gedacht - müsste nicht das Gebet den Auftrag zur Nachhaltigkeit Tag für Tag abschließen? Aber eben erst dann, wenn alles gesagt, alles gewagt und aller Einsatz erfolgt ist?
Wie den Gottesdienst mit einem der Texte der katholischen Lesungen gestalten?
Mit Konfirmanden über Visionen nachdenken. Sie verschiedene „Boxen“ (Karton, der nach vorne eine offenen „Bildschirm“ hat) gestalten lassen – ein Blick, wie sie sich unsere Welt wünschen mit ihren Träumen. Und ein Blick, wie sie sich das Jenseits vorstellen. Und mit diesen Boxen und ihren Beiträgen den Gottesdienst gestalten. Nachdenken, dass wir beides brauchen, den Blick auf unsere Welt und ihre Zukunft und den Blick über unsere Welt hinaus.
Markus Stambke, Limburg
Literatur, Texte, Links
Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, rev. 2017
Nestle-Aland, Das Neue Testament - Griechisch und Deutsch, 1986
Karl Barth, Die Lehre vom Nichtigen, in KD III,3 §50, 1950
Udo Lindenberg, Hinterm Horizont geht’s weiter, 1986
Songtext von Udo Lindenberg - Horizont Lyrics (songtexte.com)
Udo Lindenberg und der Glaube: Hinterm Horizont geht’s weiter! (pro-medienmagazin.de)
Gerhard Trabert behandelt Obdachlose und Arme in Mainz | chrismon (evangelisch.de)