Hinweis: Das jährliche Schwerpunktthema bietet zusätzliche Hintergrundinformationen zum Zusammenhang »Kirche, Christsein und Nachhaltigkeit«. Die Predigtimpulse im jeweiligen Kirchenjahr sind nicht an das Schwerpunktthema gekoppelt, greifen sie jedoch vereinzelt auf.
Das Ausstellungsplakat links verweist auf eine Ausstellung des Weltkulturen-Museums in Frankfurt. In einer Begleitpublikation werden Perspektiven zusammengeführt und um nationale und internationale Stimmen von WissenschaftlerInnen und AktivistInnen ergänzt und so »eine vielschichtige Zusammenstellung von Möglichkeiten für die Gestaltung des postkolonialen globalen Miteinanders und für ein gesundes Leben im Gleichgewicht« gegeben (s. Archiv des Museums).
Frieden und Heilung
Schwerpunktthema im Kirchenjahr 2022/2023
Unser Schwerpunktthema nimmt die Verwerfungen in den Blick, die ein friedliches Miteinander auf dem Planeten Erde verhindern. Welche christliche Kraft bzw. Haltung kann diese Verwerfungen »heilen«? Gibt es etwas typisch Christliches, das uns die Spur aufzeigt? »Bei Gott gibt es keine Fremden« - mit diesem Satz gab Bischof Papias aus Ruanda bei einem Vortrag in Radolfzell im November 2022 eine mögliche Denkrichtung an.
Die Verwerfungen, die ein friedliches Miteinander auf dem Planeten Erde verhindern, sind seit dem Krieg in der Ukraine in Europa in spürbare Nähe gerückt. Sie wirken sich über Rohstoffengpässe, gestiegene Energiepreise und ausbleibende Weizenlieferungen auf die ganze Welt aus – befeuert durch Spekulationen auf kriegsbedingte Gewinnspannen in einzelnen Branchen. Das »heile« Weltbild Europas steht auf einmal zur Disposition. Aber nicht nur das: Auch der »Krieg« gegen die Natur - Artensterben und Urwaldrodung - ruft schon lange nach einer heilenden Kraft. Unser Kohlendioxid- und Methanausstoß lässt den Meeresspiegel ansteigen und bewohnte Inseln im Meer verschwinden. Andere Inseln ersticken im Plastikmüll, den die Industrienationen in den Handel bringen. Es ist an der Zeit, die Frage nach Frieden und Heilung zu stellen.
Der Erdüberlastungstag fiel in diesem Jahr auf den 2. August, in Deutschland und in der Schweiz war er bereits am 4. bzw. 13. Mai: »Erdüberlastungstag« und »Frieden und Heilung« sind zwei Seiten derselben Medaille!
Scrollen Sie sich bei unserem diesjährigen Schwerpunktthema durch viele Beziehungen, die einer Heilung bedürfen. Jeder Punkt hat Verbindungen zu allen anderen, und das Bindeglied ist eine christliche Haltung:
- die Beziehungen zu Umwelt, Natur und Ressourcen
- Fernbeziehungen: Ausbeutung, Wirtschaftsbeziehungen, globale soziale Gerechtigkeit, Machtdemonstrationen und Gewalt
- die Beziehung zur mir selbst: Tue ich das, was Gewissen und Verantwortung von mir fordern? Bleibe ich mir selbst treu?
- zwischen Staaten, Institutionen / religiösen Kräften ...
Mehr Frieden durch Information: Missio
Das internationale kath. Hilfswerk Missio bietet in seinem Projektbereich »Frieden fördern« in verschiedenen Ländern wie Ägypten, Kenia, Mali oder Uganda auf unterschiedlichen Ebenen Informationen an. Dazu gehören der Sender »Radio Pacis«, Schulangebote für Flüchtlingskinder im Libanon und die Förderung des Dialogs zwischen Christen und Muslimen.
Friedensdekade
Die Ökumenische Friedensdekade ist die Zeit vom drittletzen Sonntag des Kirchenjahres bis zum Buß- und Bettag. In vielen christlichen Kirchen ist dies eine Zeit, die besonders der Arbeit an Friedensprojekten gewidmet ist bzw. auf das kirchliche Engagement für den Frieden hingewiesen wird. Im zweiten Jahr des Kriegs ind der Ukraine kommt dem eine besondere Bedeutung zu. Der Angriff auf die Ukraine durch Russland zerstört viele der bisherigen Ansätze zur heilenden Versöhnung mit der Schöpfung und zur globalen sozialen Gerechtigkeit. Wie kann die Beendigung dieses Krieges gelingen - sicher ein zentrales Thema für die Friedensdekade 2023! Was können Christinnen und Christen dafür tun, wie hilft der gemeinsame Glaube?
Auch wenn eine klare Lösung derzeit nicht in Sicht ist: Die Erpressbarkeit der Industriestaaten und die mangelnde Fähigkeit, wirtschaftlichen bzw. Verhandlungsdruck aufzubauen, hängt mit deren Energieverbrauch und unseren Konsumgewohnheiten zusammen. Was in Sachen Frieden und Heilung dazu kommt: Das global überbordende Konsumverhalten in den Industriestaaten ist die Ursache für die Ausbeutung afrikanischer Arbeiterinnen und Arbeiter und die Verletzung der Menschenrechte in diesen Ländern.
Die Predigtanregungen der Friedensdekade greifen die Themen Frieden und Heilung direkt auf: 12.11.23, 19.11.23 und 22.11.23
Der innere Frieden als Ausgangspunkt
Shalom!
Annette Behnken, Studienleiterin für Religiöse Praxis in der Gegenwartskultur an der Ev. Akademie Loccum (Ev. Landeskirche Hannovers; Foto: Christine Racka):
Shalom ist ein Gruß und eine Abschiedsformel in Israel, unter Jüdinnen und Juden. Ein einziges Wort, das ganz viel sagt. Mehr als tausend mal tausend Worte: Shalom. Friede. »Friede sei mit dir!« – Kenn' ich als Gruß nur aus Gottesdiensten. Wie würde es sich anfühlen, wenn ich ab jetzt meine Freundinnen so begrüße? Den Kollegen in der Kaffeepause? Die Frau, die die Post bringt. Den Busfahrer. Wie würde es sich anfühlen, wenn ich so begrüßt und verabschiedet würde: »Friede! Friede sei mit Dir!«
Friede. In seinem weitesten und tiefsten Sinn. Höher als alle Vernunft. Größer und tiefer, als mein Verstand es fassen kann. Viel mehr, als die Abwesenheit von Gewalt und Krieg. Das auch. Aber Shalom meint auch so etwas wie: erfülltes Leben. Zutiefst friedeerfüllt an Leib und Seele sein. Zuinnerst befriedet. In einem guten Gleichgewicht.
Ein anderes Wort, das ganz viel sagt. Es stammt aus der Sprache des indigenen Volks der Hopi: Koyaanisqatsi. Bedeutet übersetzt so viel wie: Leben in einer Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Das Ungleichgewicht der Welt – wir haben es vor Augen. Eine der ganz großen Wunden, die wir dem Gleichgewicht der Welt geschlagen haben, ist die Armut, die so unglaubliches Leiden für so viele Menschen bedeutet. Und nicht nur das. Sie bietet Despoten eine Flanke zum Angriff auf die Menschlichkeit, die Armut und Hunger aufs perfideste als Kriegswaffe benutzen. Für viele Menschen auf der ganzen Welt bedeutet der Ukraine-Krieg die absolute Katastrophe, auch wegen einer zu erwartenden massiven Hungerkrise. ... (hier geht es zur Fortsetzung)
(Der Text ist erschienen in: andere zeiten – Das Magazin zum Kirchenjahr, Heft 3/2022, Hamburg, Andere Zeiten e.V., www.anderezeiten.de, auf »nachhaltig predigen« mit Erlaubnis des Verlags und der Autorin veröffentlicht).
Paradising
Dr. Constantin Gröhn ist Pfarrer und theologischer Referent für Diakonie+Bildung in Hamburg. Mit Dr. Sarah Köhler entwickelte er das ökotheologische Konzept »Paradising«.
Stets fruchtbar, stets ausschöpfbar, so betrachten wir zuweilen die Erde und oft genug und leider auch uns selbst. Wir tun dies, als wären Zeiten und Rhythmen bloß auf Produktivität ausgelegt. Jürgen Moltmann verdanke ich dazu einen Gedanken: „Wenn am Sabbat die Schöpfung vollendet wurde", so schreibt er, „zeigt sich Paradiesisches durch den Frieden, der entsteht, wenn die Aktivität zum Ruhen kommt und die Harmonie des Daseins ins Bewusstsein rückt". Aufhören und ruhen lassen und zuweilen ganz bewusst nicht in unsere Umwelt einzugreifen, gehört daher auch in das Konzept „Paradising", das ich mit Sarah Köhler initiierte. Entsprechend den vier biblischen Flüssen, die den Garten Eden umfließen, haben wir dabei vier kontemplative wie auch aktive Wege entwickelt, die unsere Erde, welche auch der biblische Ort des Paradieses ist, wieder paradiesischer werden lassen.
Paradiese sind begrenzte und umfriedete Räume. Sie sind damit auch Räume der Heilung. Sich auf sie nicht bloß zurückzuziehen, sondern sie auszudehnen, größer werden zu lassen und zu Räumen für Viele statt der Wenigen zu machen, ist die große gesellschaftspolitische Aufgabe, die sich damit verbindet.
Mehr zum Konzept „Paradising" findet sich auf www.umkehr-zum-leben.de/asa/paradising.
Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn ... (2 Tim 1,7)
Die Brot für die Welt-Aktion »Eine Welt. Ein Klima. Eine Zukunft.« erinnert daran, dass die durch den Klimawandel ausgelösten sozialen Verwerfungen nicht weniger geworden sind. Sie werden nur durch die Kriege von den Medien aus dem Blick gedrängt:
»Der Klimawandel ist eine globale Bedrohung ‒ er zeigt sich vor Ort jedoch in unterschiedlicher Weise. Zu viel oder zu wenig Wasser ‒ es sind zwei Gesichter derselben Krise. Beide offenbaren schmerzhaft, dass die sensiblen Grundrhythmen unserer Einen Welt aus dem Takt geraten. Mehr denn je spüren wir, dass wir auf unserem Planeten nur gemeinsam eine Zukunft haben.« Der wirksame Einsatz für globale Klimagerechtigkeit ist fordernd. Er beruht auf derselben Einstellung des inneren Friedens und ist Zeugnis christlichen Glaubens.
Aktuell nicht gerade paradiesisch: Zustand der Zivilgesellschaft (Brot für die Welt): Der im Jahr 2023 neu erschienene Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt zeigt in Zahlen, Analysen und Interviews auf, dass weltweit gesehen der Druck auf die Zivilgesellschaft zugenommen hat. Darunter ist zu verstehen: Freiheitsrechte sind beeinträchtigt, KritikerInnen werden drangsaliert, verhaftet oder verfolgt. Besonders wer sich für Menschenrechte oder den Umweltschutz einsetzt oder wer als JournalistIn tätig ist, setzt sich in immerhin 86% aller Staaten (!) Beeinträchtigungen oder Verfolgung aus. In 28% der Staaten ist dieses Engagement prinzipiell lebensgefährlich, Meinungs- und Pressefreiheit existieren nicht (Details / Staaten s. »Atlas der Zivilgesellschaft«).
Es geht dabei um den Frieden zwischen der Bevölkerung und der Regierung eines Landes, besser: dem (totalitären) Regime. Ansätze für die Idee »Heilung« sind – wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen möchte, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen – die Menschenrechte, Belange des Umweltschutzes sowie das christliche Gebot der Nächstenliebe, das nicht an Landesgrenzen Halt macht. Die Menschenrechte beruhen auf einer globalen Vereinbarung, ein Vertrag, dessen Einhaltung deswegen angemahnt werden kann. Umweltschäden betreffen oft nicht nur das Land, das sie verursacht, und bieten einen Ansatzpunkt für eine berechtigte Einflussnahme. Die Nächstenliebe findet ihre Legitimation im persönlichen Gewissen.
Heilung: Wer dem Gewissen folgt und sich für Migranten und Geflüchtete einsetzt, wird in vielen Ländern selbst zum Opfer. Im Bericht wird deutlich gemacht, dass eine zunehmende und bessere Vernetzung in der Zivilgeselschaft den NGOs hilft, sich auszutauschen und Interessen erfolgreich auch vor Gericht zu vertreten. Brot für die Welt und andere Hilfsorganisationen helfen direkt und sorgen dafür, dass die Interessen der Unterdrückten der Öffentlichkeit bekannt werden. Auch Gespräche mit den VerteterInnen der politischen Parteien können helfen. Zur Spendenseite:
Jesu Botschaft: Ein Frieden, der den ganzen Menschen erfasst.
Schwester Marie-Salome, Kloster Hegne: Frieden und Heilung - zwei Begriffe, die erst einmal so nebeneinander stehen, allerdings schon verbunden durch das kleine Wörtchen „und". Doch was haben diese Worte wirklich miteinander zu tun und in welcher Verbindung stehen sie zu einander? Eine Frage, die ich mir im Blick auf das Schwerpunktthema in diesem Jahr gestellt habe. Ein erster Gedanke dazu: Beides sind Begriffe, die zu tiefst mit der Botschaft Jesu verbunden sind. So grüßt Jesus seine Jünger nach dem Ostermorgen stets mit genau diesem Gruß: Friede – Schalom! Ein Friede, der mehr meint als nur äußeres Niederlegen von Streitigkeiten. Er wünscht einen Frieden, der den ganzen Menschen erfasst. Einen, der das Innere und das Äußere des Menschen berührt. Friede im Sinne Jesus heißt aber nicht, jede Ungerechtigkeit wehrlos zu ertragen und sich alles gefallen zu lassen. Friede in seinem Sinn heißt immer auch Einstehen für den Menschen und eben gegen das, was unrecht ist, Standpunkt zu beziehen. Friede im Menschen kann nur dann herrschen, wenn dieser mit dem, was er tut im Einklang ist. Und genau da berührt sich Jesu Vorstellung von Frieden mit seinem Wunsch nach Heilung für den Menschen. Auch hier in den vielen Heilungsgeschichten der Bibel erfahren wir immer wieder, dass Jesus auf den ganzen Menschen schaut: auf das, was außen ist und auf das, was in ihm ist, was er in seinem Herzen bewegt. Beidem soll Heil geschenkt werden. In diesem Angesehen werden durch Jesus und in dem Geschehen-Lassen des Menschen liegt also Friede und Heil. Aber das heißt nicht, dass wir nur noch die Hände in den Schoß legen und warten. Nein, denn in der Begegnung Jesu mit Menschen geht es immer um ein Miteinander, um eine Begegnung auf Augenhöhe: Der Mensch der in sich Sehnsucht spürt, der es zulässt sich darin selbst anzuschauen und dies Gott zeigt, damit auch er einen Blick drauf legt. Frieden und Heilung gehen nicht am Menschen vorbei, sondern geschehen durch ihn: In der Begegnung mit anderen Menschen und mit Gott. In einem Blick kann beides liegen: Frieden und Heilung – für mich und für den, den ich anschaue.
Kommunikation und innere Haltung; Räume schaffen!
Dr. Cornelia Johnsdorf, Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED), Ev. Landeskirche Hannovers: In der Arbeit mit internationalen Studierenden, aber auch mit den Engagierten aus Gemeinden Initiativen erleben wir als KED sehr deutlich, wie unterschiedlich die Sichtweise auf das Thema Frieden ausfällt. Menschen aus Bürgerkriegsregionen und gewaltsam ausgetragenen Konflikten sprechen dazu völlig anders als solche, die dies nur aus den Nachrichten und Medienberichten kennen. Und damit sind wir schon mittendrin, in dem, was wir als programmatisches Lernen und Verstehen bezeichnen.
Wir brauchen eine innere Haltung, die die unterschiedliche Ansicht des Gegenübers aushält. Wir benötigen dringend eine Kultur der Kommunikation, in der Kompromisse erarbeitet werden können – und nicht als „faul" abgewertet werden. Überdies muss das Kommunizieren von Freundlichkeit im Umgang getragen werden und weitaus weniger von aufgeregter Empörung und gezielt beleidigender Abwertung.
Gerade als Kirchen sollten wir buchstäblich Räume anbieten, in denen unterschiedliche Positionen ausgetauscht werden – und zwar nicht als ein rein akademisches Gespräch, sondern durchaus als ein Prozess, der Annäherung und Auseinandersetzung ermöglicht. Die persönliche Begegnung und das gut und erfolgreich moderierte Gespräch tragen dazu erheblich bei.
Ganz klar wird dabei, dass es nicht eine richtige Position auf strittige Themen gibt. In den jeweiligen Kontexten muss diese immer wieder neu erarbeitet werden, und die Beteiligten lernen immer wieder neu dazu.
Kommunikation und Räume - Kirchen
Dr. Tobias Foß, Redakteur und Schulseelsorger der Ev. Kirche in Mitteldeutschland, hat für den 21. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis (29. Okt. 2023 und somit kurz vor dem Beginn der Friedensdekade) einen Predigtimpuls beigetragen, der sich in mehreren Perspektiven auf das Schwerpunktthema »Frieden und Heilung« bezieht. Ergänzend hier ein Statement, das seine persönliche christliche Motivation dabei vermittelt:
Wir befinden uns in einer Zeit multipler Krisen: In Europa ist Krieg, globale Ausbeutungsprozesse wüten weiter, die soziale Ungleichheit weltweit und in Deutschland wächst. Hinzu kommt die Klimakatastrophe: Übersäuerte Flüsse, Artensterben, langanhaltende Dürren und extreme Wetterereignisse belasten unser Zusammenleben und zwingen Menschen in die Flucht. Die multiple Krisenlandschaft ist komplex und hat komplexe Ursachen - dennoch ist sie nicht zusammenhangslos. Spätestens seit den 1980er Jahren hat sich ein neoliberales Wirtschaftssystem durchgesetzt, das von drei Maximen bestimmt ist: die Deregulierung des Marktes, ein vermeintlich »freier« Wettbewerb und die Privatisierung jeglicher Lebensbereiche (Wohnen, Gesundheit usw.). Ein System, das auf ‘Teufel komm raus’ wachsen muss und dabei kannibalistisch seine eigenen Ressourcen zum weiter- und überleben verschlingt, hat sich entwickelt. Eine Zangenkrise hat sich eingestellt: Die CO2-Emission muss gesenkt werden, bei sinkenden Ressourcen. Das alles befördert Krieg.
Die Jagd auf Lithium, Kobalt und vieles mehr ist eröffnet. Der Frieden ist gefährdet. Mitten in diesen Kipppunkten stehen Kirchen und christlicher Glaube. Bei aller Suche nach Relevanz und Anschlussfähigkeit muss die Frage gestellt werden: Nehmen die Kirchen ihr prophetisches-kritisches Amt wahr, um das Ganze unseres Zusammenlebens zu verändern und den Götzen unserer Wirtschaftsweise anzuprangern? Wir brauchen die gesellschaftliche Transformation und einen Glauben, der lebt; ein Glaube, der nicht davon ablässt, dass unsere Welt und unser Zusammenleben ganz anders aussehen könnten. Unsere Welt ist ein Geschenk, und wir sind dafür verantwortlich, dass dieses Geschenk allen Menschen zugute kommt. Gottes Gerechtigkeit soll weiterfließen – es gibt Alternativen (Kreislaufwirtschaft, Gemeinwohl- und Postwachstums-Ökonomie usw.). Hans-Martin Gutmann hat in seinem Buch »Engagierter Protestantismus« betont, dass die Gottesfrage (wer und was Gott ist) mit der Menschheitsfrage (wie leben wir? Wer sind die Marginaliserten? Was machen wir kaputt?) unmittelbar zusammenhängt. Das Reich Gottes steht für eine heilsame Revolution unseres Zusammenlebens. Wir tragen dafür Verantwortung. Auf geht‘s.
P.S.: Wer mehr zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Kipppunkten, christliche Nachfolge und gesellschaftliche Verantwortlichkeit lesen will, dem/der empfehle ich meine monatliche Kolumne Tipping Point: https://eulemagazin.de/ressort/tipping-point
„Frieden, Heilung und Frauen"
Prof'in i.R. Dr. Agnes Wuckelt, Paderborn; stv. Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands e.V. (kfd): „HABT DEN MUT, DEN ERSTEN SCHRITT ZU TUN. WERDET FRIEDENSFINDERINNEN!" – so lautet ein Aufruf auf der Webseite des Bundesverbands der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. Was ist eine Friedensfinderin? Sie hat ein ehrliches Interesse an dem, was andere Frauen glauben und was ihnen wichtig ist. Sie sucht den interkulturellen und interreligiösen Dialog.
Einen Dialog, der auf Zukunft ausgerichtet ist und in dem Zukunft gemeinsam gedacht und gestaltet wird. Frauen sind es gewohnt, Kontakte zu knüpfen und auf pragmatische Weise Hindernisse zu überwinden und Probleme zu lösen. Im interreligiösen Dialog können sie einander helfen, die je eigene Religion besser zu verstehen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen, ist eine Grundlage für Vertrauen und ein friedvolles Miteinander. Das Wissen voneinander nimmt Ängste und vermittelt Nähe; es kann heilende Wirkung haben, wo vorher Desinteresse gegeben war, Vorurteile bestanden oder gar Verletzungen zugefügt wurden.
Dieser Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zeigt darüber hinaus, gerade im Kontext kapitalistischer Globalisierung, wie notwendig interreligiöse und interkulturelle Dialog- und Verständigungsprozesse sind. Sie beleuchten die Strukturen, die die Verhältnisse von Frauen in unterschiedlichen Zusammenhängen und Herkünften bestimmen. Um zu Frieden und Heilung zu finden, ist der kritische Blick notwendig, der Sexismen, Rassismen und Unterdrückung und damit Ungleichheiten auch zwischen Frauen deutlich werden lässt. Er ist Voraussetzung dafür, visionäre Perspektiven erarbeiten und Handlungsmöglichkeiten zur Transformation von Lebensbedingungen schaffen zu können.
Bei der Suche nach Frieden und Heilung stellt sich nicht die Frage, ob wir uns diesen Dialog leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, darauf zu verzichten.
Transformation von Denkweisen
Nachhaltigkeit statt Ertragsmaximierung: Archehof
Uwe Hesse ist Pfarrer der Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck, Landwirt und Betreiber eines Archehofs für Tiere: »Bei einem Archehof handelt es sich um keinen Gnadenhof, wo alternde Tiere der Fleischvermarktung entzogen werden, bei guter Lebensqualität alt werden und eines natürlichen Todes sterben dürfen.
Ein Archehof ist ein landwirtschaftlicher Betrieb, bei dem die Tiere auch geschlachtet und vermarktet werden. Dabei handelt es sich aber um historische Nutztierrassen, die nicht mehr »wirtschaftlich« sind und mit anderen Rassen nicht konkurrieren können, was etwa die Fleisch- oder Milchproduktion betrifft. Dafür haben sie andere Qualitäten: Langlebigkeit, Genügsamkeit, eine robuste Gesundheit, gute Futterverwertung, Leichtkalbigkeit bei Kühen, Mutterliebe, besondere Fürsorge für den Nachwuchs. Die meisten unserer Tiere werden nicht geschlachtet, sondern gehen in die Zucht. Dabei sind die Transportwege oft sehr lang: Um damals unsere Parkrindkühe decken zu lassen, mussten wir einen Bullen vom Tierpark Arche Warder leihen und abholen, gut 470 km von unserem Standort Rengershausen entfernt. Dazu sind wir morgens früh losgefahren und waren nachts wieder zu Hause, nach knapp 1000 km Strecke und Stau im Elbtunnel. Drei Monate später war der Bulle wieder zurückzubringen.
Das besondere an den historischen Haustierrassen ist oft ihre lange Geschichte, teils in Verbindung mit der Religion der Völker, in denen sie entstanden sind. Oft sehen sie auch besonders schön oder skurril aus. Grund dafür, etwa das »Rote Höhenvieh« zu erhalten, war für eine Gruppe Idealisten zu Beginn der 1980er Jahre, dass diese Rasse (auch »Keltenrind« genannt) 1000 Jahre und mehr das Leben der Menschen begleitet hat und nun - als Dreinutzungsrind - dem Untergang geweiht war. Man hielt es für zu schade, diese Rasse - als Kulturgut - aussterben zu lassen, während man doch anderes Kulturgut wie etwa unsere Fachwerkhäuser, vor dem Abriss schützt.«
Das Gegenteil von »Frieden und Heilung«: »Tierquälerei in niedersächsischem Geflügelbetrieb«(Report Mainz auf www.tagesschau.de am 23.08.23) Jede(r) steuert mit dem Kaufverhalten, der Staat steuert mit Vorschriften und Kontrollen, BürgerInnen und Bürger kontrollieren den Staat über ihre ParteienvertreterInnen und Abgeordneten.
Eine Idee wird zum Projekt - »Artenreich«
Eine andere Art und Weise, um die Beziehungen zur Natur und Mitschöpfung zu verbessern (bzw. zu heilen), ist im christlichen Projekt »Artenreich« zu entdecken. Viele Arten und ihre Lebenräume gilt es wieder zu entdecken. »Artenreich«-Treffen erhöhen die Achtsamkeit und nennen die Tieren und Pflanzen wieder bei ihrem Namen - echte Beziehungsarbeit! Es gibt bei »nachhaltig predigen« bereits eine Themenseite. Weitere Begegnungen haben inzwischen auch an anderen Orten stattgefunden.
Friedliche Welt: »Si vis pacem ...«
Dr. Franz Alt, für »nachhaltig predigen« mit sonnigen Grüßen: Seit mehr als 2000 Jahren gilt auf der ganzen Welt der altrömische Grundsatz „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten". („Si vis pacem, para bellum"). Ergebnis: 2000 Jahre immer wieder Kriege, Massenmord, unermessliches menschliches Elend und Leid, brutale Zerstörungen und Millionen Menschen auf der Flucht. Solange wir Kriege vorbereiten, werden sie auch geführt werden. Das ist natürlich im Interesse der Waffenindustrie. Waffenproduzenten sind eher am Krieg als am Frieden interessiert. Ganz in diesem Geist fordern die Verteidigungsminister aller reichen NATO-Staaten immer wieder: „Mehr Geld fürs Militär". Wir stecken bis heute in der Kriegsfalle, die uns zuflüstert: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen". Die 27 europäischen NATO-Länder hatten 2019 einen mehr als doppelt so hohen Rüstungsetat als Russland. In Deutschland wurde – am Beginn des Ukraine-Kriegs - 2022 beschlossen, einen militärischen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro aufzulegen. Und das soll erst der Anfang sein, kündigt Verteidigungsministerin Lambrecht an. Auch die USA, Russland und China geben Rekordsummen fürs Militär aus und sie „modernisieren" ihre Atomarsenale, ihre Massenvernichtungswaffen. Kann so tatsächlich eine friedliche Welt entstehen? Wird so Frieden möglich?
Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Was hätte in den letzten Jahrzehnten aus Afghanistan werden können, wenn wir das Geld, das wir in Kriegshandlungen gesteckt haben, in soziale, ökologische und Bildungsprojekte gesteckt hätten? Wir brauchen endlich mehr Phantasie für Friedensprojekte. Klimaschutz statt Kriegsvorbereitungen. Krieg ist konträr zur Kultur der Menschlichkeit. Auch der dritte Weltkrieg, den wir gegen die Natur führen.
Die Lösung der Energiefrage steht am Himmel. Jesus schon vor 2.000 Jahren: "Die Sonne des Vaters scheint für alle." Sie schickt uns 15.000 mal mehr als die gesamte Menschheit heute verbraucht. Und die scheint auf jedes Dach - kostenfrei, umweltfreundlich und für alle Zeit. Worauf warten wir?
(Journalist Dr. Franz Alt hat ab der Mitte seines Lebens als Pazifist öffentlich Stellung bezogen. Krieg und Gewalt haben nicht das letzte Wort. Passend zu »Frieden und Heilung« erschien in 2022 sein Buch „Frieden ist NOCH IMMER möglich: Die Kraft der Bergpredigt".)
Neugestaltung geht.
Sebastian Sladek, Geschäftsführer der Elektrizitätswerke Schönau eG (EWS): Die immer drastischer spürbar werdende Klimakrise zeigt uns: Wir können so nicht weiter machen. Während die Weltgemeinschaft auf Klimakonferenzen noch diskutiert, ob man denn mal langsam was gegen die Erderwärmung machen wolle, schmelzen Gletscher, verschwinden Tier- und Pflanzenarten, trocknen Äcker und Flüsse aus und Stürme und Hochwasser sorgen für gigantische Zerstörung und millionenfaches unsägliches Leid. Das sind die Konsequenzen des fossilen Zeitalters, das aber nicht zu Ende gehen will, ohne zuvor noch einen brutalen Krieg mitten in Europa ausbrechen zu lassen.
Kaum ein Motto könnte besser in diese Zeit passen als „Frieden und Heilung". Denn Heilung wird es nicht geben ohne Frieden, und Frieden wird es nicht geben, wenn wir uns nicht selbst davon heilen, die Erde auszubeuten. Wir als EWS haben uns seit unserer Gründung für eine Energieversorgung eingesetzt, für die keine Kohle verbrannt oder hochgefährliches, krank machendes radioaktives Material eingesetzt werden muss. Windkraft und Sonne können uns Energie spenden, und alle können daran teilhaben. Der Schlüssel zur Heilung liegt in der Veränderung, hin zu einer Welt, in der wir lernen, mit weniger auszukommen. Nur so kann uns die Erde morgen noch geben, was wir brauchen. Es gibt viele, die bereits zeigen, wie das aussehen kann. Lassen Sie uns gemeinsam den Weg der Heilung einschlagen, denn viel kranker darf unser Planet nicht mehr werden.
(Sebastian Sladek ist der Sohn von Ursula und Michael Sladek, die als die »Schönauer Stromrebellen« bekannt geworden sind. Unter ihrer Führung haben die Bürgerinnen und Bürger als Reaktion auf den Reaktorunfall von Tschernobyl 1991 zuerst eine Bürgerinitiative und 1994 eine Energiegenossenschaft gegründet und für 8,7 Millionen DM das Stromnetz der Stadt Schönau von dem regionalen Stromversorger gekauft.)
Mitten im Rhein-Main-Gebiet: Entschleunigung Wolle(n)
Nur ein Beispiel: Verarbeiten von Vliesen aus der regionalen Schafzucht, waschen, färben, spinnen ... Schauen Sie mal hinein! Und wie kommen Sie vom Konsumtripp runter? Reden Sie mit Anderen über persönliche Visionen von »Frieden und Heilung«?
... Entschleunigung vs. »Zwei neue Kohlekraftwerke pro Woche« (www.tagesschau.de am 29.08.23)
Gibt es nicht schon genug Konsum, Warentransporte und Ressourcenausbeutung auf diesem Planeten? Warum immer mehr kaufen, statt glücklicher zu sein? Mit Ihrer Kaufentscheidung für entsprechende Konsumgüter beeinflussen Sie den Bedarf an den neuen Kohlekraftwerken im obigen Tagesschau-Artikel mit ... Nachhaltig konsumieren bedeutet langlebige, dafür hochwertige Produkte nachzufragen, die nach zukunftsfähigen sozial-ökologischen Kriterien hergestellt werden.
... Konsum-Zwang vs. Dinge in Ordnung bringen
Ein besonderes Merkmal des Menschen ist seine Kreativität. Bei der einen mehr, bei dem anderen weniger ausgeprägt, versucht man, Dinge um sich herum zu verbessern, in Ordnung zu bringen, so zu verändern, dass man Zeit spart, etc. Ohne dieses Wesensmerkmal kann man sich Menschen kaum vorstellen. Die Kreativität ist zwar ein Segen, aber sie muss irgendwo untergebracht werden. Man kann sie nicht ausschalten. Wem es an Ideen der »Heilung« fehlt, in die die angeborene Kreativität fließen kann, der lässt die Kreativität in den Konsum fließen: Es gibt immer irgendetwas, das das Leben angenehmer, bequemer macht - auf das man seine Aufmerksamkeit, die Dinge um sich herum zu verbessern, ausrichten kann. Und schon ist die Kreativität ins eigene Leben integriert! Kreativität kann aber mehr, etwa die Welt in Ordnung bringen, sich zusammenschließen, die Einhaltung der Menschenrechte bei Konsum und Warenproduktion fördern / fordern, neue Alternativen zu Wegwerflösungen finden, die Lebensumstände global so verändern, dass das Klima nicht weiter den Bach hinunter geht. Irgendetwas muss man mit seiner Kreativität anfangen: Dinge neu denken.
»Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt« (Gotteslob Nr. 458, Ev. Gesangbuch Nr 667)
Die Initiative »Friedensgebet Erfurt« führt unter anderem das Lied »Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt« als besonders geeignetes Lied für das Friedensgebet auf. Im kath. Gotteslob hat es die Nummer 458 und im Ev. Gesangbuch die Nummer 667 (im Stammteil). Sehen Sie selbst:
Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt. (Auszug 1. Strophe) / Selig seid ihr, wenn ihr Güte wagt. (Auszug 2. Strophe)
Selig seid ihr, wenn ihr Frieden macht. Selig seid ihr, wenn ihr Unrecht spürt. (4. Strophe)
Außerdem passend: »Vertraut den neuen Wegen« (Gotteslob Nr. 860)
Die Themenseite »Frieden und Heilung«, die unser Kooperationsprojekt durch das Kirchenjahr 2022/23 begleitet, wird im Laufe des Kirchenjahres vertieft und in Zusammenarbeit mit den beteiligten Bistümern und Landeskirchen inhaltlich weiter ausgearbeitet.
Ihre Redaktionsgruppe |
12.09.2023 |