Gründonnerstag (02.04.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): 1 Kor 11,(17-22)23-26(27-29.33-34a); 2 Mose 12,1-4(5)6-8(9)10-14;
Mt 26,17-30; 1 Kor 10,16-17; Lk 22,39-46; Joh 13,1-15.34-35 [www.stichwortp.de]

 

Gründonnerstag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 13, 1-15 (34-35) Jes 61, 1-3a.6a.8b-9 Offb 1, 5-8 Lk 4, 16-21

Vorbemerkung:
Gründonnerstag spielt im Alltag so gut wie keine Rolle mehr, selbst im kirchlichen Leben sind die Symbole und Rituale nur noch wenigen bekannt. Das Ritual der Fußwaschung ist freilich noch immer ein medienwirksamer Akt, die tiefere Bedeutung wird dabei eher weniger vermittelt.

Die Texte handeln in einem sehr präzisen Sinn von Nachhaltigkeit: Es geht um die Person Jesu Christi in seiner Bedeutung für die Menschen und die Welt, die Verkündigung von Gerechtigkeit und Erlösung in globaler Perspektive. Die biblischen Ausschnitte dieses Tages spannen den Bogen von der Verheißung Jesajas bis zum doxologischen Beginn der Sendschreiben der Offenbarung. Inhaltlich steht bei Jesaja der Blick auf die Elenden und Zerbrochenen im Zentrum, auf den Gott, der sich gegen das Unrecht stellt und seinem Volk Treue auf ewig zusagt. Diese im Kontext des Exils Israels an die Israeliten gerichteten Worte sind zum Glaubensgut der Kirche geworden und wurden in der Tradition wie in Lukas 4 oft auf die Person und das Werk Jesu bezogen. Aus Sicht des Johannesevangeliums ist die Fußwaschung ein weiteres Merkmal des sich erniedrigenden Gottes, der in seiner Schwachheit Stärke und in seiner Ohnmacht alle Macht erweist, die zum Heil aller führt.

Zu Johannes 13:

„Wisst Ihr, was ich Euch getan habe?“ Die Frage steht im Raum. Sie muss von uns neu beantwortet werden. Auf alle Macht verzichten und den Menschen zu dienen, das bleibt die Aufforderung Jesu an die Kirche durch alle Zeit. „Ein Beispiel habe ich Euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe. So wie bei Johannes Menschen durch das Zeichen der Fußwaschung Anteil bekommen an dem Geheimnis des Lebens Jesu, so soll dieses Beispiel uns ermutigen, zu tun wie er es getan hat.

Wo Kirche sich selbst und ihre Reichtümer für die verwendet, die „zerbrochenen Herzens“ sind, wird etwas vom Geheimnis des Lebens Jesu sichtbar. Es hat mit dem Geheimnis des Lebens zu tun, das sich erst erschließt, wenn wir etwas von uns oder uns selbst geben, um dann festzustellen, auf welche oft unvorhersehbare Weise es uns reich macht oder gra „zu neuem Leben erweckt“.

Ich sehe Menschen, die sich im Stadtteil für andere stark machen, sei es durch Tauschbörsen oder durch Lebensmittelteilen (Foodsharing); Menschen, die eine Kindertafel einrichten oder überschuldete Familien ehrenamtlich beraten. Sie sind, oft genug außerhalb der Kirche, „ein Beispiel“ im Sinne der johanneischen Erzählung und werden so gerade zum Zeichen, dass Teilhabe möglich ist und sein soll.

Es gibt bei uns im Ruhrgebiet Hunderttausende, die nicht teilhaben können an den vielen Angeboten, in Bildung und Kultur, aber auch am wirtschaftlichen Leben, darunter immens viele Kinder und Jugendliche. Gutes Leben ist schnell eine Frage, die sehr mittelschichtorientiert gehandelt wird. Wir wissen aus soziologischer Hinsicht zwar, dass es fast nicht möglich ist, die Milieus miteinander in Beziehung zu bringen, aber für die Kirchen bleibt genau das die Herausforderung im Sinne Jesu: „Wissen“ wir, und wollen wir es überhaupt wissen, was er uns getan hat?

Zu Jesaja 61:

Der Gesalbte des Herrn – meine naive Vorstellung findet noch immer Gefallen daran, dass die frühe Christenheit dieses Bild auf die Person Jesu gemünzt hat. Es ist einer der Texte, in denen die jüdisch-christliche Tradition ihre emanzipatorische Kraft entfaltet. Das Wort Gottes, Evangelium, ist zugleich immer ein subversives Element im Alltag.

Die Rede des Gesalbten malt eine Vision vor Augen – Freiheit für die Gefangenen, Bautätigkeit, die aus Trümmerstätten bewohnbare Städte macht, Gutes Leben für alle, Integration der Fremden, Frieden im Land und unter den Völkern, all diese Motive erklingen in einer Symphonie aus Bildern, eine Komposition von Zukunftsmusik im besten Sinne. Was eindeutig Israel zugesprochen wird, geht in sich selbst weit über Israel hinaus, es ist eine „inklusive“ Vision. Ich würde in einer Predigt die einzelnen Teile dieses Hoffnungsbildes auf dem Hintergrund von elementaren Ängsten entfalten, die sich in uns und um uns ausbreiten. Angst vor ungewisser Zukunft, Angst vor Gewalt, Angst vor den sich ausweitenden Kriegen, Angst vor Verlust und Trennung, all dies findet sich in den Bildern wieder, die Jesaja vor uns ausbreitet.

Zwei inhaltliche Hinweise: Was steckt eigentlich im Bild des Aufbaus von Städten? Die Perspektive einer bewohnbaren Stadt möchte ich gerne weiter spinnen. Wie bewohnbar bzw. wie verödet sind unsere Städte heute? Was muss geschehen, dass diese faszinierende Siedlungsform wieder Lebensraum wird oder bleibt? Welche Bilder weckt das in uns, wofür wollen wir uns vor Ort einsetzen? Städte, in denen Kindern Raum gegeben wird, zum Spielen und zur Entfaltung? Mit Räumen für Alte, wo sie sich begegnen und teilhaben können am Leben, ihre Erfahrungen einbringen, Geschichten erzählen und den nächsten Generationen verlässliche Partner sind? Orte, wo sich in vielfältiger Weise die Kulturen entfalten können und Leben blüht, weil Menschen sich begegnen, in Musik Tanz, Essen und Trinken, in Diskussion und Aktion. Wie können wir die biblische Vision bei uns aufnehmen, uns begeistern lassen, sie aber gleichzeitig auch im politischen Raum weiterführen? Welche Architektur wollen wir fördern, uns auf sie einlassen? Wie ist es mit der Entwicklung intelligenter und energieneutraler Transportsysteme, ökologisch sinnvoll und erschwinglich für alle und in diesem Sinne „nachhaltig“? All das schwingt im Bild vom Aufbau der Stadt mit.

Und ein Zweites: Zu dieser Vision gehört wie in vielen anderen Bibelstellen das Recht bzw. die Präsentation Gottes als den, „der das Recht liebt und das Unrecht hasst“. So wie die „Rache“ Gottes u.a. darin besteht, alle Trauernden zu trösten, so ist sein Recht zugleich seine Barmherzigkeit und Treue, also die verlässliche Beziehungen schaffende Kraft.

Um Recht muss gestritten und oft genug gekämpft werden. Mit Verfassungen und Gesetzen ist es nicht getan. Die elementare Frage für jede Gesellschaft nach dem Zusammenhang zwischen Barmherzigkeit und Recht stellt sich in jeder Generation neu.

Zum Beispiel: Welche Rechte haben Flüchtlinge in unserem Land? Was passiert wann und wo mit dem Asylrecht? Politiker reagieren äußerst empfindlich auf Fragestellungen in diesem Bereich, offenbar, weil sie genau wissen, dass dies eine ethische Frage ist, bei der Deutschland vorneweg, aber auch die Europäische Union sich in inhumane Tricksereien flüchten, wenn es um den Schutz besonders bedrohter Menschen geht. Nachhaltig kann hier nur eine beständige Diskussion und auch Provokation sein, damit einer der zentralen Werte des Grundgesetzes wieder aufgerichtet wird.

Diesen Horizont anzusprechen bedeutet aber auch die ernsthafte Auseinandersetzung vor Ort: Wie begegnen wir Menschen, die aus welcher Not auch in unserer Stadt angekommen sind? Gibt es eine Willkommenskultur? Oder ducken wir uns auch als Kirchengemeinden weg, wenn es um Menschen geht, die in den Augen Gottes besonders

Schließlich: Es ist mehr als eine Assoziation, wenn unter der Perspektive des Rechts und dem angekündigten ewigen Bund Gottes mit seinem Volk die ganze Problematik der gegenwärtigen Freihandelsabkommen in den Blick kommt. Von Wirtschaft und Politik werden solche Verträge wie das TTIP (Transatlantisches Handels und Investitionsabkommen) mit aufgeladener Heilsrhetorik beworben. Warum sind sie dann aber geheim? Warum geben Staaten wie Deutschland ureigene Interessen wie den Schutz von Menschen, Mitwelt und Dienstleistungen leichtfertig aus der Hand? Die Entwicklungen zeigen bislang: Recht wird ausgehebelt und Verträge z.B. zum Schutz von Arbeitnehmern oder der Natur schlicht und einfach beiseite geschoben. Es sind gerade diese impliziten „Heils“erwartungen, allein auf wirtschaftliche Prosperität ausgerichtet, die das ganze in einen scharfen Gegensatz stellen zum Bild der verlässlichen Treue Gottes und dem durch ihn zugesagten Zusammenführen der Völker unter Recht und Segen.

Zu Offenbarung 1

Seit langem wissen wir, dass die Apokalypse des Johannes anders als es der umgangssprachliche Gebrauch vermuten lässt, das Buch des Trostes für die unter Druck geratenen Gemeinden ist, mit dem sie zum Durchhalten ermutigt werden, in den Bildern der damaligen Vorstellungen und Mythen, die in diesem Buch so vielfältig bemüht werden.

Der Abschnitt aus der Lesung des Tages hat die wundervolle Kraft Jesu vor Augen, die den Ausgangspunkt bildet für die folgenden Darstellungen der Konflikte und Bedrohungen der Gemeinden.

Ich frage mich im Moment der Abfassung (Mitte 2014), wie diese Worte der Offenbarung heute von den christlichen Minderheiten in Ägypten, Syrien, im Irak oder auch in Indonesien, China oder Sri Lanka aufgenommen werden. Kann dieses „Heute ist das Schriftwort vor Euren Ohren erfüllt“ im postmodernen Europa überhaupt als wirklicher Trost gehört werden und wie können wir getröstet werden – und selber trösten - in einer zerbrechenden Welt. Die Hartherzigkeit, mit der über die Aufnahme z.B. syrischer Flüchtlinge bei uns debattiert wird, bleibt für mich erschreckend und wirft ein Schlaglicht auf eine in sich trostlose Gesellschaft. Mindestens genau so fragwürdig ist die allenthalben sichtbare Gleichgültigkeit. Die „Gründonnerstagsszene“ des in Gethsemane bittenden und – um Trost! - ringenden Jesus kommt mir in den Sinn, deren Tiefe sich bezeichnenderweise erst im Licht der Auferstehung erschließt.

Wo wir diese doxologische Sprache der Offenbarung im ökumenischen Kontext erschließen, öffnet sie uns Perspektiven zu konkreten Bildern heutiger Bedrängnis und der Ermutigung, sich neu der Herausforderung des Evangeliums zu stellen.

Zu Lukas 4

Die Zuschneidung dieses Textes ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Es geht um den programmatischen Auftakt zur Darstellung des Wirkens Jesu mit dem nicht weniger programmatischen Bezug zur genannten Jesaja-Stelle, gleichzeitig aber auch um die ausführliche Darlegung des Konflikts, in den die Botschaft Jesu führt.

Genau diese Spannung ist ja auch in den Passionserzählungen sichtbar. Lukas antizipiert in seiner Exposition mit der Darlegung des Konflikts bereits das Ende seines Evangeliums. Der Glaube will unter die Leute, aber durch die Perspektive einer Zukunft voller Heil wird aufgedeckt, wie wir in törichten, verlogenen und gefährlichen Zusammenhängen gefangen sind und uns selbst immer wieder verstricken. Darum die Wut der Menschen in dem Augenblick, als Ihnen dieses Heil gegenübersteht.

Besonders im Kontext von Religion werden Veränderungen im Zusammenleben als bedrohlich wahrgenommen und lösen heftige Reaktionen aus. Man denke im protestantischen Bereich an die Debatte rund um die Frauenordination. Die Diskussionen in den 60er 70er Jahren zeichneten sich nicht immer durch Sachlichkeit oder gar durch Freude am Aufbruch aus. Ähnliches wiederholt sich gegenwärtig rund um die Fragen nach Wiederverheiratung Geschiedener und die Folgen für das kirchliche Leben oder die nach der Einladung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen bis hin zu deren Ordination. Die Heftigkeit der Debatte lässt mich an die Leute in Nazareth denken. Sie legt offenbar in einer Weise Ängste frei, die sehr tief sitzen und dem bzw. der Einzelnen so nahe sind, dass die Reaktion Ablehnung und auch das Aussetzen vernünftigen Denkens mit sich bringen kann.

In diesen und anderen Herausforderungen Jesu Wort „Heute ist dieses Schriftwort vor Euren Ohren erfüllt“ zu meditieren, kann uns zu einer engagierten Einladung, dem Heil weiter nachzuspüren und in den Dialogen die betroffenen Menschen im Blick zu haben, führen. So bleiben wir auf der Spur des Lebens Jesu, wie Lukas sich nach diesem Kapitel auch auf dessen Spuren begibt.

Martin Domke, Herne