Invokavit / 1. Fastensonntag (26.02.23)

Invokavit / 1. Fastensonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hiob 2,1-13 Gen 2, 7-9; 3,1-7 Röm 5, 12-19 Mt 4, 1-11

Schwerpunktthema »... paradising ...« bzw. »Frieden und Heilung«

Das Jahresthema fĂŒr 2023 sollte ursprĂŒnglich ‚Paradising' heißen. Es ist – einmal mehr – ein Neologismus (‚wording') und erfordert einen Verstehenstransfer, bevor klar werden kann, worum es eigentlich gehen soll. Hintergrund der zunĂ€chst exzentrisch oder hermetisch wirkenden Wortschöpfung ist der Versuch, den Begriff ‚Paradies' neu zu entdecken und zu interpretieren/fĂŒllen – vor dem Erfahrungs- und Verstehenshintergrund heutiger Menschen in einer Welt heutiger PlausibilitĂ€ten und Erkenntnisse, Probleme und Aporien, aber auch SehnsĂŒchte und Utopien. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine wurde das Schwerpunktthema in â€șFrieden und Heilungâ€č umbenannt. Dadurch wird der Begriff des Paradieses vermieden, der vor diesem betrĂŒblichen Hintergrund unpassend erscheint. Letztlich vebinden sich mit Frieden und Heilung jedoch die gleichen SehnsĂŒchte und Utopien.

Das Jahresthema eignet sich nicht fĂŒr eine stringente Auslegung der Predigtperikopen, allenfalls fĂŒr punktuell-assoziative BezĂŒge. Ein Teil der vorgegebenen Tagestexte bietet hierfĂŒr gute Ansatzpunkte.

Stellung im Kirchenjahr

In der evangelischen Perikopenordnung ist der 26. Februar 2023 der Sonntag Invokavit, nach katholischer Ordnung der erste Fastensonntag (Lesejahr A).

Predigtimpulse

Ijob 2,1-13

  • Das Buch Hiob stellt eine frĂŒhe Auseinandersetzung mit der Problematik um die Theodizeefrage dar. Die Antwort, die darin gegeben wird, kann vor dem Hintergrund heutiger Gottes-, Welt- und Menschenbilder nicht mehr oder nur noch sehr bedingt ĂŒberzeugen.
  • Da es (trotz der Unterscheidung in frĂŒhere RahmenerzĂ€hlung und spĂ€tere Ausformung) ein in sich geschlossenes gedankliches Konstrukt darstellt, eignet es sich grundsĂ€tzlich nicht gut, in einzelne Perikopen aufgeteilt „bepredigt" zu werden.
  • ‱ Ein Zusammenhang mit dem Denkmodell des ‚Paradising' lĂ€sst sich nicht leicht herstellen und mĂŒsste gewollt und artifiziell wirken.

Gen 2,7-9; 3,1-7

  • Thema der SĂŒndenfallerzĂ€hlung ist die Versuchbarkeit der Menschen, die aus ihrer Freiheit und diese wiederum aus ihrer GottĂ€hnlichkeit folgt.
  • Der Evangelientext des Sonntags ist die Versuchungsgeschichte nach MatthĂ€us. Dort wird die strukturelle und immer latent vorhandene Versuchung der Menschen, ‚wie Gott' sein zu wollen, ebenfalls thematisiert. Die allgemeine Versuchbarkeit wird dabei in konkrete Versuchungen heruntergebrochen, die eng mit den Themenkreisen um ‚Nachhaltigkeit' verbunden sind.
  • WĂ€hrend die SĂŒndenfallgeschichte den fortwirkenden Verlust des Paradieses erzĂ€hlt und zugleich begrĂŒndet, hat die Geschichte von der Versuchung Jesu die gegenteilige Botschaft: Durch die unbeirrte Standfestigkeit des einen gegen die Versuchungen des Widergöttlichen wurde der Bann des Bösen in der Geschichte gebrochen. In der Nachfolge Jesu und in seiner Kraft ist es auch uns möglich, der VerfĂŒhrungskraft des Bösen zu widerstehen – und als geschöpflich verfasster Mensch zu leben, nicht als Rivale Gottes um die Macht ĂŒber die Schöpfung, sondern als TreuhĂ€nder seiner Schöpfung und ihrer guten KrĂ€fte.
  • Weil die Versuchungsgeschichte, anders als die vom SĂŒndenfall, nicht tragisch endet, sondern einen neuen Weg erschließt und die Geschichte damit konstruktiv wendet (im Sinn des ‚Paradising'), soll sie bei der VerkĂŒndigung im Mittelpunkt stehen.

Röm 5,12-19

  • Das KernstĂŒck aus dem Römerbrief thematisiert den Gedanken der Stellvertretung.
  • Ein Aspekt von Stellvertretung ist SolidaritĂ€t, das wechselseitige Einstehen fĂŒreinander. Die volkstĂŒmliche Version ist der Grundsatz „Einer fĂŒr alle, alle fĂŒr einen."
  • Das Prinzip universaler SolidaritĂ€t gilt im Guten, ebenso aber auch im Bösen, nach dem ebenso bekannten Grundsatz: „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen". Dabei geht es um die ‚Mithaftung' derer, die fĂŒr eine Situation oder Handlung zwar nicht persönlich verantwortlich sind, wohl aber fĂŒr die Folgen des Fehlverhaltens weniger bzw. einzelner in Mitverantwortung genommen werden.
  • Im Blick auf das Thema ‚Nachhaltigkeit' lĂ€sst sich dieser Gedanke ĂŒbertragen: Der Teil der Weltbevölkerung, der die grĂ¶ĂŸten SchĂ€den verursacht, ist klein (‚wenige') – im Vergleich mit dem viel grĂ¶ĂŸeren Teil, der (allein schon durch relative oder absolute Armut) gar nicht in der Lage wĂ€re, so zu leben, dass die Schöpfung aus der Balance geraten wĂŒrde. Die SchĂ€den, die durch die ‚wenigen', deren Lebensstil die Schöpfung schĂ€digt, verursacht werden, treffen aber viel unmittelbarer und mit grĂ¶ĂŸerer Wucht die ‚Vielen', die nicht oder wenig dazu beitragen (etwa durch Klimakatastrophen wie DĂŒrre, Überschwemmungen, TropenstĂŒrme, durch den Anstieg des Meeresspiegels etc.).
  • Das Gegenmodell, wonach ‚durch den Einen' alle Gnade erfahren, gilt nach dem Denkmodell des Römerbriefs zunĂ€chst nur fĂŒr Christus. Aber vielleicht dĂŒrfen wir hoffen, dass dieses Prinzip auch allgemein gilt: dass die ‚wenigen', die der Zerstörung nach KrĂ€ften entgegegenwirken, auch fĂŒr die vielen anderen ‚Gnade' bewirken können. Dass die Mithaftung im Bösen zur SolidaritĂ€t im Guten wird. Dass auch kleine, scheinbar vergebliche BemĂŒhungen mit â€šĂŒberreicher Gnade' gesegnet werden und mehr bewirken können, als menschliche Berechnungen voraussehen.
    Auch dies ist ja ein biblisch bezeugtes Prinzip: Auf die FĂŒrbitte Abrahams fĂŒr die Stadt Sodom (Gen 18) genĂŒgen schließlich wenige ‚Gerechte', um Unheil von der Stadt abzuwenden.

Mt 4,1-11

  • Die sogenannte Versuchungsgeschichte wird in allen synoptischen Evangelien ĂŒberliefert, bei Markus in summarischer KĂŒrze, bei MatthĂ€us und Lukas inhaltlich entfaltet und nahezu gleichlautend.
  • Es geht darin um die wesensmĂ€ĂŸige Versuchbarkeit der Menschen, die gleichsam die dunkle RĂŒckseite der Freiheit ist.
  • Damit ist das Evangelium die ErgĂ€nzung der ersten Schriftlesung: anders als in der SĂŒndenfallgeschichte hat Jesus die Kraft, der ‚Versuchung', in die alle Menschen gestellt sind, zu widerstehen. Die Paradiesgeschichte, die in Genesis einen tragischen Fortgang nimmt, wird zum Guten gewendet.
  • Der Mensch Jesus gibt dem ‚Paradiesdrama' – exemplarisch und stellvertretend fĂŒr alle Menschen – einen anderen Verlauf und zeigt damit, dass es auch unter irdischen Bedingungen möglich ist, ‚paradiesisch', ‚paradiesgemĂ€ĂŸ' zu leben.
  • Dies ist immer dann möglich, wenn der Mensch die Bedingungen seiner Geschöpflichkeit respektiert und in seinem Leben verwirklicht.

    Die Versuchbarkeit des Menschen hat mehrere Dimensionen:

  • Die erste Dimension betrifft die materielle BedĂŒrftigkeit des Menschen: Als Geschöpfe, die aus ‚Ackerboden' gebildet sind, sind wir Teil der Schöpfung und haben wir teil an ihrer materiellen Substanz (dafĂŒr steht ‚Brot'). Die Gesetze des Lebens gelten fĂŒr uns nicht anders als fĂŒr jedes andere Leben. Wenn wir uns diesem Zusammenhang ĂŒberheblich verweigern, schaden wir der Schöpfung als ganzer, weil alle Teile darin systemisch verbunden sind. Zugleich aber schaden wir uns selbst, weil wir Teil der Schöpfung bleiben und auf das Zusammenspiel darin angewiesen sind.
  • Die zweite Dimension spricht die Gottebenbildlichkeit des Menschen an. Der ‚Versucher' (der ja wesentlich der ‚Versucher in uns' ist) stiftet uns an, aus der GottĂ€hnlichkeit zu einer Gottgleichheit bzw. Göttlichkeit aufzusteigen, uns also gleichsam von Gott zu emanzipieren um selbst zum Schöpfergott zu werden. Mit anderen Worten: Gott die (Macht-)Mittel aus der Hand zu nehmen bzw. zu entwinden, um sie nach eigenem Ermessen selbst anzuwenden.
  • Die dritte Dimension bezieht sich nicht auf den Umgang mit der Schöpfung und den Mitgeschöpfen insgesamt, sondern auf den der Menschen untereinander. Das Thema heißt hier Macht (‚Pracht' ist hier kein eigenstĂ€ndiger Wert, sondern die Folge und der Ausweis von Macht). ‚Alle Reiche' zu beherrschen bedeutet die Weltherrschaft zu erlangen. So einseitige Verteilung der Macht ist jedoch nicht menschengemĂ€ĂŸ: Die einen werden von ihrer Macht ĂŒberfordert, weil unbegrenzte Macht nicht zum ‚Bauplan' von Menschen passt und menschliche KapazitĂ€ten und FĂ€higkeiten in jeder Hinsicht ĂŒbersteigt. Die anderen – die große Mehrheit der Menschen – werden vom Willen der Herrschenden unterdrĂŒckt und haben keine Chance auf Gerechtigkeit. Und ebenso wenig auf echten Frieden, der nur aus einem Ausgleich der Interessen und AnsprĂŒche entstehen kann.
  • Damit gibt es gute Ansatzpunkte fĂŒr die klassisch dreiteilige Themenstellung Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

  • Den Gedanken des ‚Paradising' bzw. ‚Frieden und Heilung' zu vermitteln, bedeutet dann in diesem Zusammenhang: In der Nachfolge Jesu ist es möglich, schöpfungskonform zu leben. Damit wird der Schöpfer geehrt und zugleich das Leben in jeder Gestalt gefördert.

Elisabeth Schmitter, Rottenburg