Invokavit / 1. Fastensonntag (22.02.15)

VorschlÀge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): Hebr 4,14-16; 1 Mose 3,1-19(20-24); Joh 13,21-30; 2 Kor 6,1-10; Hiob 2,1-13; Mt 4,1-11 [www.stichwortp.de]

 

Invokavit / 1. Fastensonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mt 4, 1-11 Gen 9, 8-15 1 Petr 3, 18-22 Mk 1, 12-15


Der Evangeliumstext zum 1. Fastensonntag „Invokavit“ ist eine dermassen vielschichtige ErzĂ€hlung, dass ich mich im Folgenden ausschliesslich auf diesen Text konzentriere, und zwar vorwiegend in Form von Fragen, die zu weiteren Überlegungen anregen sollen.

Predigtanregung zu Mt 4, 1-11

Der Text, der sich zwischen der Taufe Jesu und dessen ersten öffentlichem Auftreten befindet, ist strukturiert durch die drei Versuchungen Jesu.

1. Heisst leben, auf die Probe gestellt zu werden?

Im ersten biblischen Buch wird Abrahams Glaube von Gott aufs HĂ€rteste auf die Probe gestellt. In Mozarts Zauberflöte stehen Pamino und Tamina schwerste PrĂŒfungen bevor, ehe sie zueinander finden können. Und in Dostojewskis Roman „Die BrĂŒder Karamasoff“ schleudert der Grossinquisitor Jesus den Vorwurf entgegen, durch seine Verweigerung, auf die Angebote des Teufels einzusteigen, mĂŒsse nun er selbst sich im Namen der Kirche mit den teuflischen Versuchungen dieser Welt abplagen.

2. Gibt es das Böse in Reinkultur?

Der Teufel, der Jesus in der WĂŒste versucht, wurde in der Kunst und Literatur immer wieder zum Thema und steht fĂŒr das Böse schlechthin. Aber: Gibt es das Böse in Reinkultur tatsĂ€chlich? Oder widerspricht die Wirklichkeit der Welt nicht tagtĂ€glich unseren Denkmustern, die „Gut und Böse“ fein sĂ€uberlich, gleichsam wie ein chemisches Scheidewasser, voneinander trennen? Offenbart der Blick in die eigenen AbgrĂŒnde nicht, dass Gut und Böse aufs Tiefste miteinander verwoben sind? Wird uns nicht immer wieder vor Augen gefĂŒhrt, dass der Kampf zwischen Gut und Böse nicht an entlegenen Grenzen, sondern inmitten eines jeden Menschen, mitten in uns geschieht?

Und: Wieweit sind wir selber anfĂ€llig fĂŒr die Versuchung, das Böse stets beim andern, bei der anderen Nation, der anderen Kultur und Religion, der anderen Gruppe, der anderen Partei zu verorten?

3. Brot als erste Versuchung?

Auf die Versuchung des Teufels antwortet Jesus mit einem Vers aus dem Alten Testament: „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot, sondern von einem jeden Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.“

Klingt dieser Satz nicht wie Hohn fĂŒr all jene Menschen in den SaharalĂ€ndern, die Hunger leiden und den Kampf ums tĂ€gliche Brot oftmals verlieren? Können wir heute, angesichts der grossen Sortimente im Supermarkt, mit Brot ĂŒberhaupt noch in Versuchung gefĂŒhrt werden? Verleitet uns der materielle Überfluss dazu, dass wir selbstgenĂŒgsam und selbstgerecht werden?

Und: Wenn nicht nur der Bauch, sondern auch das Bankkonto schön voll ist, kommt es dann gelegentlich vor, dass wir das leibliche Wohlergehen mit dem Wohlwollen Gottes verwechseln und Sören Kierkegaard rechtgeben, wenn dieser scharfzĂŒngig mahnt: „Die Liebe des SpiessbĂŒrgers zu Gott tritt ein, wenn das vegetative Leben in voller Wirksamkeit ist und die HĂ€nde behaglich ĂŒber dem Magen sich falten.“

4. Bungee-Jumping als zweite Versuchung?

Vom Dach des Tempels soll Jesus herabspringen und so auf spektakulĂ€re Art unter Beweis stellen, dass er von Gott gerettet wird. Anstatt zum Sprung anzusetzen, antwortet Jesus dem Versucher: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen“. Wieso kann mir Gott nicht ein untrĂŒgliches Zeichen geben, fragt der Zweifelnde. Weshalb konnte Gott meine Schwester nicht retten, fragt die Trauernde. Sind wir angesichts der ausbleibenden Antworten auf derartige Sinnfragen versucht aufzugeben?

Oder erliegen wir der Versuchung, Gott fĂŒr unsere PlĂ€ne, Ideale und Ideologien zu vereinnahmen und gewissermassen in göttlicher Mission aufzutreten?

5. Machtspiele als dritte Versuchung?

Einen Kniefall nur kostet die Weltherrschaft, gibt der Teufel Jesus zu verstehen. Ein Kniefall vor den MĂ€chtigen, um selber in unverhoffte Höhen zu gelangen oder zumindest ein ganz klein wenig an den GĂŒtern der Schönen und Reichen teilhaben zu können? Einmal ist keinmal, ist man versucht zu sagen.

Neue ArbeitsplĂ€tze aus dem Boden stampfen, Gesundheitsvorsorge auf hohem Niveau vorantreiben, Wohlstand ohne Schweiss und TrĂ€nen schaffen: die Wunschlisten der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger sind lang, die Versprechungen der Politiker ebenso. Den Himmel auf Erden schaffen zu wollen – eine Versuchung, nicht nur hĂŒben und drĂŒben, sondern auch fĂŒr uns?

 

Spricht der Teufel, der Jesus in Versuchung fĂŒhrt, etwas aus, das wir nicht selbst auch schon gedacht hĂ€tten? DarĂŒber nachzudenken, bietet sich (nicht nur) wĂ€hrend der vierzig Tage der Fastenzeit an.

Dr. BĂ©atrice Acklin, ZĂŒrich