Jubilate / 4. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 16,16-23a | Apg 2, 14a.36-41 | 1 Petr 2, 20b-25 | Joh 10, 1-10 |
Zur evangelischen Perikope: Johannes 16,16-23a
Die Perikope aus den Abschiedsreden Jesu thematisiert eine Zeit, in der die Jünger Jesus nicht sehen können. Auf der Erzählebene sind die Worte in der Nacht vor der Kreuzigung an die Jünger gerichtet. Der eigentliche Adressat des Textes aber ist die Gemeinde nach Ostern bzw. nach Pfingsten. So kann die Weile, während der die Jünger den Herrn nicht sehen, die Zeit von der Grablegung bis zur Auferstehung Jesu sein. Denn an Ostern sehen die Jünger Jesus wieder, und die Auferstehungsberichte gleichen Blindenheilungen. Es kann aber auch die Zeit von Himmelfahrt bis Pfingsten sein. Denn an diesem Fest sehen die Jünger den Herrn zwar nicht mehr, aber dank der Gabe des Geistes leben sie von da an glaubend in der Gegenwart des Herrn. In Joh. 16,22 wird nicht gesagt, dass die Jünger Jesus sehen, sondern dass er sie wiedersehen und dass ihr Herz sich freuen wird.
Darüber hinaus gehört zu jedem geistlichen Weg die Erfahrung, dass Gott sich verbirgt. Wer den Weg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung geht, wird Widerstand erfahren. Wenn man einfache Wahrheiten verkündet wie die, dass das Fliegen eingeschränkt werden muss, um die Schöpfung bewahren zu können, dass es unethisch ist, ein übergrosses Auto zu fahren, oder dass man als Christ möglichst wenig Wohnraum beanspruchen sollte, wird man schnell angefeindet und verlacht. Das kann mit dem Wort in Verbindung gebracht werden: «Ihr werdet weinen und klagen, die Welt aber wird sich freuen» (Joh. 16,20). Wenn man Niederlagen erleidet und sein Tun zweifelnd in Frage stellt, wird man eine Weile vergeblich fragen: «Wo bist du, Gott?».
Der Trost, den Jesus den Jüngern und seinen heutigen Nachfolgern gibt, besteht darin, dass die Zeiten der Verborgenheit Gottes begrenzt sind, und dass am Ende aus der Traurigkeit eine grosse Freude entsteht, die einem niemand mehr nehmen kann. Aus der spirituellen Tradition lernen wir zudem, dass solche Zeiten uns geistlich formen. Wenn wir den Herrn nicht sehen, spüren wir die Sehnsucht nach Gott und seinem Reich umso mehr und werden empfangsbereiter. Manchmal löst man sich im Leiden um Christi willen noch mehr von der Welt und ihren unguten Strukturen und kann sich eindeutiger für Gott und seine neue Welt entscheiden. Und eine Zeit, in der wir die vertraute Vorstellung von Gott verlieren, kann eine Zeit der Reifung sein. Danach werden wir Gott nicht mehr sehen wie vorher, aber er wird uns wiedersehen und wir werden eine Freude im Herzen erleben, die uns niemand nehmen kann.
Zur katholischen Leseordnung
Apostelgeschichte 2,14a + 36-41
Die pfingstliche Busspredigt erinnert daran, dass der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eine Erlösung von den Prägungen und eine Distanzierung von den Tendenzen braucht, die zu Umweltzerstörung, Krieg und Ungerechtigkeit führen. Stattdessen soll der Heilige Geist uns erfüllen und treiben.
1. Petrus 2,20b-25
Die Anweisung an die Sklaven, sich ihren Herren unterzuordnen, dürfen wir nicht als Legitimation für ungerechte soziale Verhältnisse verstehen. Vielmehr sollen wir uns in unserer Welt für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Wer dies aber tun will, muss bereit sein, «für gute Taten Leiden hinzunehmen» (1. Petrus 2,20b). Dazu sind wir berufen und dafür bekommen wir die Kraft im Glauben an und im Schauen auf Jesus Christus, der für uns gelitten hat.
Johannes 10,1-10
In Johannes 10 besteht eine Spannung zwischen dem Ich-bin-Wort Jesu: «Ich bin die Tür zu den Schafen» (Joh. 10,7 und 9) und dem anderen: «Ich bin der gute Hirte». Die beiden Bilder gehen ineinander über, obwohl sich die Vorstellungen widersprechen. Da das zweite Ich-bin-Wort in Joh. 10,1-10 nicht vorkommt, empfiehlt es sich, sich auf das erstere zu beschränken.
Der Hirt führt die Schafe am Morgen hinaus und am Abend hinein, sodass sie tagsüber draussen weiden und sich nachts im Stall ausruhen können. Das Bild wurde auf Josua übertragen, der als Anführer der Gemeinde des HERRN eingesetzt wurde, damit «sie nicht sei wie Schafe, die keinen Hirten haben» (Numeri 27,17).
Nach Joh. 10,1-10 ist derjenige ein vertrauenswürdiger Hirt, der im Auftrag Jesu kommt, denn Jesus identifiziert sich mit der Tür, durch die der Hirt in den Pferch eintritt. Wer aber über die Mauer einbricht, d. h. mit bösen Absichten kommt, ist ein Räuber. Die Bedeutung dieser Perikope im Blick auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zeigt sich darin, dass Joh. 10,1+9 der 1. These der Barmer Theologischen Erklärung (Mai 1934) vorangestellt wurde, die heisst: «Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.» Mit dieser Erklärung begründete die Bekennende Kirche ihre Ablehnung der Ideologie der Deutschen Christen. Grössen wie Volkstum, Rasse, Nation und Staat sollten nicht vergötzt werden. Für einige führte der Gehorsam gegenüber Jesus Christus in den Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Für engagierte Christen stellt sich auch heute die Frage: Auf welche Autoritäten sollen wir hören und welche sollen wir ablehnen? Denn nicht alles, was man allgemein für gut und normal hält, ist gut. Wie können wir erkennen und unterscheiden, wer oder was Leben in Fülle bringt und wer oder was kommt, um zu rauben und zu vernichten? Das äusserliche Bekenntnis zu Jesus ist leider trügerisch. Der Text bietet aber ein fassbares Kriterium zur Unterscheidung: die Qualität der Beziehung zwischen dem Hirten und seinen Schafen. Der Hirt ruft seine Schafe einzeln beim Namen, und die Schafe kennen die Stimme des Hirten und folgen ihm in Freiheit. Vor dem Fremden aber, der kommt, um sie zu töten, haben sie Angst. Wir können uns fragen: Welche inneren Regungen (z. B. Vertrauen oder Angst) spüren wir, wenn wir auf die Stimmen der verschiedenen Autoritäten unserer Zeit hören? Diejenigen, die tiefes Vertrauen in uns wecken, weil sie uns persönlich kennen und achten, sind eher gute Hirten nach Gottes Willen als diejenigen, die uns mit Propaganda, Einschüchterung und Gewalt zu fangen versuchen.
Arnold Steiner, Zürich