Judika / 5. Fastensonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Hebr 5,(1-6)7-9(10) | Ez 37, 12b-14 | Röm 8, 8-11 | Joh 11, 1-45 |
Der folgende Gedankengang nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Lesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel und bezieht von dort aus die anderen drei Perikopen ein.
Der erste Lesungstext der katholischen Leseordnung entstammt dem vermutlich bekanntesten Kapitel (Ez 37) aus dem Buch Ezechiel, genauer gesagt der Vision von der Auferweckung Israels (V1-14). In diesem Teilkapitel sind dem 11. Vers zwei Visionen vor- bzw. nachgestellt (V1-10 und V12-14). Prägnant wird in Vers 11 die Hoffnungslosigkeit des Hauses Israel hervorgehoben: „Ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind abgeschnitten." Während die Verse 1-10 bereits eine Antwort auf den ersten Teilsatz gegeben haben (das Gebein wird wieder von Sehnen, Haut und Fleisch überzogen), nimmt die Tageslesung mit den Versen 12b-14 den Schluss des Satzes auf: Abgeschnitten zu sein (aus dem Land der Lebenden) ist ein bekannter Topos (vgl. z.B. auch Jes 53,9). Ihm wird die Verheißung entgegengesetzt, dass Israel aus den Gräbern heraufgeholt (V12 und 13) und wieder lebendig gemacht wird (V14), aus dem Grab des Todes auf die Oberfläche, auf den eigenen, nährenden Ackerboden (V12 und 14) gebracht wird.1
Eine Hoffnungslosigkeit, wie sie hier für das Haus Israel in Vers 11 beschrieben wird, hat bereits viele Menschen erfasst, die sich nicht den täglichen Nachrichten und wissenschaftlichen Untersuchungen verschließen bzw. in ihrer eigenen Umgebung wahrnehmen, wie rapide sich der Zustand unseres Planeten verschlechtert. Die Klimaerhitzung ist ebenso offensichtlich und virulent, wie das sechste große Artensterben der Erdgeschichte, das das nichtmenschliche Leben auf der Erde erfasst hat. Vom Menschen verursacht befindet sich unser gemeinsames Haus, Schwester Erde, längst in einer unheilvollen Situation. Auch wenn Ökosysteme wie unser Wald in seiner jetzigen Form weitgehend intakt erscheinen mögen oder nach Phasen des Hitzestresses wieder temporär Erholung eintreten mag (vgl. Great Barrier Reef), scheint das Todesurteil doch faktisch und auf längere Sicht schon gesprochen (nicht unähnlich dem katholischen Tagesheiligen vom 26. März, Castulus, der lebendig begraben wurde).
Worin aber besteht die Reaktion auf diese hoffnungslose Situation? Ein achselzuckendes Weiter-so? Resignatives Verdrängen? Ein hedonistisches Auskosten dessen, was noch (und solange es noch) übrig ist?
Sich im Innersten erregen und erschüttern zu lassen (Joh 11,33), muss die Reaktion sein. Sich von den Tränen der Menschen, dem Schrei der geknechteten Natur und dem Seufzen der ganzen Schöpfung2 zutiefst berühren zu lassen, muss die Antwort sein. Die Bitterkeit, die Hoffnungslosigkeit in Gebeten und Bitten vor Gott zu bringen, muss der Weg sein. Daraus zum Handeln und Gegensteuern zu kommen, muss die Folge sein (Joh 11,38).
Sich der Hoffnungslosigkeit auszusetzen, mitzuleiden, sich erschüttern zu lassen und die konkrete ökologische Umkehr im eigenen Lebensstil zu vollziehen – trotz fehlender Hoffnung auf eine Verbesserung der globalen Situation –, ist uns Christinnen und Christen möglich in dem Vertrauen, dass Gott die Situation des Todes wenden kann (Ez 37,14; Hebr 5,10; Röm 8,11; Joh 11,41).
Dr. Dirk Preuß, Hildesheim
1) Vgl. zum Vorangegangenen: Moshe Greenberg, Ezechiel 21-37 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg i.Br. u.a. 2005, S. 453.
2) Vgl. Röm 8,21f. im Anschluss an die zweites Tageslesung Röm 8,8-11.