Judika / 5. Fastensonntag (17.3.13)

Judika

ev. Predigttext kath. 1.Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 11, 47-53 Jes 43, 16-21 Phil 3, 8-14 Joh 8, 1-11

Der Autor geht auf alle Bibelstellen des Tages ein. Stichworte sind: „Opfer bringen" (Joh 11, 47-53), „Wahrwerdende Visionen" (Jes 43, 16-21), „Immer wieder" (Phil 3, 8-14) und „Drei Finger gegen einen Finger" (Joh 8, 1-11).

 

Exegetische Anmerkungen zu den Bibelstellen:

Joh 11, 47-53:

Wohl wider der historischen Wahrheit spielen die Pharisäer in der Passionsgeschichte Jesu die Hauptrolle. Am Handeln des Hohen Rates, also dem Obersten Gericht, lassen sich die jüdischen Verhältnisse nach der Zerstörung des Tempels, somit nach 70 n. Chr., ablesen. In dieser katastrophalen Situation gilt es für die Pharisäer eine starke Opposition zu der erstarkenden Anzahl von Christen zu bilden. Im Wesentlichen geht es ihnen um Machterhalt, demzufolge gilt es dem grundlegenden Übel, nämlich Jesus, Einhalt zu gebieten, indem sein Tod zur beschlossenen Sache wird. Die Idee des stellvertretenden Todes Jesu, den er weit über das jüdische Volk hinaus auch für die „versprengten Kinder Gottes" auf sich nimmt, ist von grundlegender Bedeutung. Jesus gibt sich in seinem Opfertod ein für allemal für die Seinen hinein.1)

Jes 43, 16-21:

Dieser in sich geschlossene Text beginnt mit einer sog. Botenformel. Kernpunkt ist hierbei die Idee die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich auf das Neue einzulassen. Bildlich gesprochen wird dafür das Bild eines Weges durch die Wüste verwand. Das „Alte" ist wichtig, da sich nur auf seinem Hintergrund das „Neue" abhebt. Dieses Neue ist schon dabei sich Bahn zu brechen und somit ganz nah (vgl. Vers 19). Damit kommt eine starke Naherwartung zum Ausdruck. War noch der Weg des 1. Exodus durch die Wüste gespickt mit Katastrophen, wird der neue Weg von positiven Erfahrungen gekennzeichnet sein.2)

Phil 3, 8-14:

Für Paulus ist in diesem Abschnitt, der sich auf sein Damaskus(-bekehrungs-)erlebnis bezieht, das Entscheidungsmoment des Glaubens von zentraler Bedeutung. An anderer Stelle ging es ihm im Gegensatz dazu um den Gnadencharakter, den er dadurch erhalten hat. Seine Entscheidung für Jesus Christus hat er nicht nur in der Vergangenheit, sondern neu und entschiedener noch in der Gegenwart getroffen. Für Paulus spielen „Gedanken der hellenistischen Mystik mit herein, wonach ... (die Erkenntnis Christi Jesus) ... eine Umwandlung des Erkennenden auf den Erkannten hin bewirkt, und zugleich der alttestamentarische Gedanke, dass Erkennen immer auch entscheidend das Moment des Anerkennens beinhaltet."3)

Joh 8, 1-11:

Dieser Text unterscheidet sich deutlich vom Stil der vorherigen Kapitel bei Johannes. Dementsprechend kann man mit Fug und Recht behaupten, dass er nicht Johannes zugeschrieben werden kann, sondern wahrscheinlich eher Lukas entstammt. Der Text weißt zwei Höhepunkte auf, nämlich die Auseinandersetzung mit den „Schriftgelehrten und Pharisäern" und die Begegnung Jesu mit der des Ehebruchs bezichtigten Frau und deren Freispruchs. Ziel der Widersacher Jesu ist es, ihn in ein Dilemma zu bringen. Auf der einen Seite die geforderte Gesetzestreue auf der anderen Seite, die von Jesus betonte barmherzige Liebe Gottes. Jesus gelingt es jedoch den Blick aller auf sich selbst und die eigene Schuldhaftigkeit zu lenken. Jesus ermöglicht der Frau in seinem anschließenden Handeln die Möglichkeit einer neuen Perspektive. Im Gegensatz zur späteren problematischen Haltung der Kirche im Umgang mit öffentlichen Sündern, zeigt Jesus wie wahre Vergebung aussieht.4)
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1) Vgl. Felix Porsch, Johannes Evangelium, Stuttgarter Kleiner Kommentar – Neues Testament 4 -, Stuttgart 20015, Seite 125-127.
2) Vgl. Peter Höffken, Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66, Neuer Stuttgarter Kommentar – Altes Testament 18/ 2 -, Stuttgart 1998, Seite 76f.
3) Bernhard Mayer, Philipperbrief/ Philemonbrief, Stuttgarter Kleiner Kommentar – Neues Testament 11 -, Stuttgart 20033, Seite 55.
4) Vgl. Felix Porsch, Johannes Evangelium, Stuttgarter Kleiner Kommentar – Neues Testament 4 -, 20015, Seite 85f.

Predigtskizze: Opfer bringen (Joh 11, 47-53)

Bundespräsident Joachim Gauck sprach anlässlich seines Antrittsbesuches in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg am 12. Juni 2012 davon, dass „eine funktionierende Demokratie auch Einsatz fordert, Aufmerksamkeit, Mut, und eben manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben. Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten geworden in Zeiten, da jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat – und zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich überall auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen – gewissermaßen treffe ich auf ,Mut-Bürger in Uniform'!"5) Starke Worte, aber auch, wenn man sich das Medienecho angeschaut hat, nicht unumstrittene Worte. Der Einsatz für andere gehört gewiss zu den Überlebensbedingungen einer funktionierenden Gesellschaft. An vielen Orten wird diese Hingabe praktiziert. Zivile Bereiche, wie in der Pflege und dem Rettungsdienst, im privaten und ehrenamtlichen caritativen und diakonischen Engagement werden selbstverständlich mit Hingabe und Opferbereitschaft in Verbindung gebracht. Viel schwerer tun sich viele hierbei im Kontext des Militärs. Bundeswehrsoldaten die sich aufopfern? Sicherlich im Angesicht einer immer mahnenden deutschen Geschichte keine leichte Sichtweise. Und dennoch gibt es in einem Land, in einer Gesellschaft „nichts für nichts". Alles hat seinen Preis. Friede, Freiheit und Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Gezwungen wird niemand sich einzusetzen und in den Einsatz zu gehen. Aber wir können und sollten dankbar sein, dass sich auch heute (immer) noch Männer und Frauen in den Dienst dieser Sache stellen.
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5) http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/06/120612-Bundeswehr.html 

Bezüge zur Nachhaltigkeit, Beispiele zur Umsetzung und weitere Kontexte:

1. Wahrwerdende Visionen (Jes 43, 16-21)

Deutschen wird ganz sicher kein Übermaß an Optimismus nachgesagt, im Gegenteil. Im Schlechtreden, Nörgeln, Kritisieren und Schwarzmalen sind wir gut. Politischer Optimismus scheint allenthalben nicht angesagt zu sein. Sicherlich ist die berühmte „rosa Brille" nicht geeignet den objektiven Durch- und Überblick zu erlangen. Aber wenn sich Horizonte nur noch bis zu den ungeliebten Haaren auf der Nasenspitze erstrecken, dann haben motivierende Visionen keinen Platz mehr. Die Bibel und der gläubige Mensch leben von Visionen. Sätze wie: „wofür und für was soll ich mich einsetzen, wenn sowieso alles vergebens ist und sich nichts ändern lässt" sind nicht gerade inspirierend. Jesaja will Horizonte aufzeigen. Das „Neue" ist schon da. Hinter und unter allem gibt es etwas, was das Leben schön machen kann. Dieses will entdeckt und manchmal auch erst ausgegraben werden. Neben der Arbeit an konkreten Problemen und Herausforderungen dürfen wir weder die großen Visionen vergessen, noch das kleine Blühenden, das sich seinen Weg bahnt, oder schon da ist. Nur mit diesen beiden ist bzw. wird das Leben erst lebenswert.

2. Immer wieder (Phil 3, 8-14)

Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn man alles ein für allemal klären könnte. Wie oft müssen Dinge in einer Beziehung verhandelt werden? Wie oft gilt es immer wieder Kompromisse einzugehen? Wie oft muss über Störendes Worte gemacht werden? Nichts ist für allezeit klar, nur weil es irgendwann mal klar war. Es ist völlig absurd anzunehmen, nur weil man irgendwann einem Menschen sein „Ja-Wort" gegeben hat, dass das restliche gemeinsame Leben dann nur noch Formsache ist. Es geht darum sich immer und immer wieder füreinander zu entscheiden. Das bedeutet Arbeit. Arbeit an sich und Arbeit an der Beziehung. Alle Bereiche des Lebens sind davon betroffen. Ohne das immer wiederkehrende „Ja" für eine Sache oder die Menschen hat nichts eine Zukunft. Paulus macht deutlich wie wichtig ein entschiedenes Leben, ein entschiedenes „Ja" ist. Durch die Identifikation mit Gott bzw. dem Glauben an Gott wird Jesus zu einem wesentlichen Teil seiner Identität. Diese Verinnerlichung seiner Ausrichtung wird zur Triebfeder seines Handelns. Worin besteht die Triebfeder meines Handelns? Worauf möchte ich mich so einlassen, dass es zu einem wesentlichen Teil meines Lebens wird? Wer oder was ist mir so wichtig?

3. Drei Finger gegen einen Finger (Joh. 8, 1-11)

Wer mit dem (Zeige-) Finger auf einen anderen zeigt, hat gleichzeitig immer drei Finger (Mittel-, Ring- und kleiner Finger) gegen sich. Ein mehr wie sanfter Hinweis von „Mutter Natur", dass man äußerst vorsichtig seine sollte, was man anderen vorwirft. Die eigene schuldhafte Perspektive wird nämlich allzu leicht und allzu gern ausgeblendet. Jesus öffnet seinen Zuhörern die Augen für diese Problematik. So manches „verbales Massaker", so mancher „pharisäischer Amoklauf" wäre auf diese Weise zu verhindern gewesen. Unser Umgang mit Schuldiggewordenen in Pfarreien, Gemeinden und Familien gilt es aus dem Blickwinkel Jesu einmal anzuschauen. Wenn wir schon für uns immer wieder eine neue Chance vehement einfordern, dann steht dies doch auch allen anderen zu?!

Thomas Stephan

Literatur:

Schott-Messbuch (C). Freiburg-Basel-Wien 1983.
Felix Porsch, Johannes Evangelium, Stuttgarter Kleiner Kommentar – Neues Testament 4 -, 20015.
Peter Höffken, Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66, Neuer Stuttgarter Kommentar – Altes Testament 18/ 2 -, Stuttgart 1998.
Bernhard Mayer, Philipperbrief/ Philemonbrief, Stuttgarter Kleiner Kommentar – Neues Testament 11 -, Stuttgart 20033, Seite 54-60.
Bundespräsident Joachim Gauck, Antrittsbesuch bei der Bundeswehr vom 12. Juni 2012:
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/06/120612-Bundeswehr.html