Karfreitag (10.04.20)

Karfreitag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung
2 Kor 5,(14b-18)19-21 Jes 52, 13 - 53, 12 Hebr 4, 14-16; 5, 7-9

Der Verfasser betrachtet schwerpunktartig den evangelischen Predigttext aus 2 Kor und den Abschnitt aus Jesaja (Viertes Lied vom Gottesknecht). Die Hebräerperikope ist für ihn unter nachhaltigen Aspekten schwer zugänglich; hier beschränkt er sich auf einige Hinweise, wo nachhaltige Bezüge verborgen sein könnten. An Karfreitag wird in der katholischen Liturgie anstelle des Evangeliums die Passion nach Johannes gelesen, die hier nicht auszulegen ist.

2 Kor 5, (14b-18) 19-21: Botschafter an Christi statt: Lasst euch versöhnen!

Exegetische Hinweise

2 Kor gehört zu den sog. echten Paulusbriefen. Der Apostel hat ihn um 55 n.Chr. in Makedonien an die Gemeinde in Korinth geschrieben. Hintergrund waren Auseinandersetzungen in der Gemeinde um seinen Aposteldienst. Leidenschaftlich bekämpft er seine Gegner, die das Evangelium in seinen Augen verfälschen („Lügenapostel“). In sehr persönlicher Weise entwirft er ein Bild seiner apostolischen Tätigkeit und seiner Verantwortung für das Evangelium und ruft die Gemeinde zu Versöhnung und Gemeinschaft auf.

Theologische Impulse

Es ist die Liebe Christi, die uns erkennen lässt, dass in seinem Tod am Kreuz die alte Welt vergangen ist und in seiner Auferstehung eine neue Schöpfung ihren Ursprung genommen hat. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (Vers 17). Wir sind neue Schöpfung! Wenn wir das wirklich sind, dann leben wir auch nach einer neuen Ordnung, nicht mehr nach der alten, untergegangenen. Nur dann sind wir in Christus! Zeichen dieser neuen Schöpfung und zugleich Weg dahin ist – Versöhnung. Versöhnung mit Gott und Versöhnung unter den Menschen. Nicht Gott braucht diese Versöhnung, er hat am Kreuz schon in einem radikalen Akt der Liebe alles getan, um unsere Herzen aufzubrechen und uns Zugang seinem Herzen zu eröffnen. Wir brauchen die Versöhnung, um versöhnt zu sein mit uns selbst, mit den Menschen, mit Gott. Und dies bedeutet einen Auftrag: „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (Vers 20). Gott spricht durch uns. Wir sprechen Gottes Wort! Was für einen Wertschätzung, was für eine Bürde! Wir tun das, wenn wir Versöhnungsräume unter den Menschen schaffen. Voraussetzung dafür ist aber, was Paulus in Vers 21 schreibt: „Denn er (Gott) hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“ Er hat unsere Sünde geheilt. Nur so sind wir zur Gerechtigkeit fähig vor Gott und den Menschen.

Was bedeutet Versöhnung?  

-          Heil werden in sich selbst

-          Heil werden der Beziehungen zu den Menschen

-          Heil werden in Gott

-          Heil werden unserer gesellschaftlichen Ordnungen (Überwindung des Kapitalismus)

Versöhnung schafft neuen Lebensraum, neue Freiheit, neue Lebensmöglichkeiten für mich und die Anderen. Versöhnung bedeutet Kreativität, ermöglicht: neue Schöpfung!

Nachhaltigkeitsaspekte

Paulus dachte den kosmischen Christus. Versöhnung umfasst den gesamten Kosmos, neue Schöpfung umfasst das Universum. Wenn Paulus schreibt: „Gott wollte mit seiner ganze Fülle in ihm (Jesus) wohnen“, dann meint er mit „Fülle“ Gottes schöpferische Gegenwart, die das ganze All erfüllt. „Für Paulus wurde durch die Menschwerdung und die Auferstehung als deren Krönung Christi menschliche Natur als Haupt nicht nur des ganzen Menschengeschlechtes eingesetzt, sondern auch des ganzen geschaffenen Alls, das vom Heil ebenso mitbetroffen ist, wie es in die Schuld mit hineingezogen war, Röm 8, 19-22.“ (Neue Jerusalemer Bibel).

Was bedeutet Versöhnung mit der Schöpfung?

-          Dankbarkeit für alles Leben, das diese Welt mir schenkt.

-          Eine Lebenshaltung, d.h. lieben lernen, die das Leben, Welt (= Natur: Flora und Fauna) und Mensch achtet in ihrer einzigartigen Wirklichkeit und Würde.

-          Erkennen der Verletzungen, die wir der Schöpfung zugefügt haben.

Wie können wir heilend wirken? Persönlich, politisch? Fragen und Anregungen:

-          Wie sieht mein ökologischer Fußabdruck aus? Was brauche ich wirklich zum Leben?

-          Lebe ich wirklich schon einen Ressourcen schonenden Lebensstil? Reduktion.

-          Hinterfrage ich genügend: Muss ich Auto fahren? Muss ich fliegen? Muss ich kreuzfahren?

-          Ist Konsum nicht auch für mich ein Seelentröster? Konsumkritik.

-          Wie ist mein Umgang mit elektronischem Gerät? Tut´s nicht noch das alte Smartphone? (Coltan etc.)

-          Nutze ich regionale (Bio-)Produkte und Produkte einheimischer Betriebe (Transportwege)?

-          Müssen nicht Andere die Folgen unseres Handelns ausbaden? (Wetterphänomene, ansteigender Meeresspiegel, Armut und Hunger, Kriege)

-          Flüchtlingsströme: ihre Ursachen, unsere Verantwortung. Ist hier nicht auch Versöhnung angesagt mit einer großen Vergebungsbitte, z.B. Europas gegenüber Afrika?

-          Politisches Handeln gegen den Klimawandel einklagen in Parteien

-          Sich selbst in Verbänden für die Umwelt einsetzen, z.B. in Greenpeace, Attac, BUND, katholischen, international agierenden Sozialverbänden wie Kolping, KAB, kfd etc.

-          Initiativen unterstützen zum Schutz von Natur, Urwäldern

-          Wiederaufforstungsprogramme fördern

-          Engagement gegen die Vermüllung der Meere, gegen das Artensterben

-          Politische Opposition: „friday for future“ – Greta Thunberg

Jes 52, 13 – 53, 12: Das Vierte Lied vom Gottesknecht: „Durch seine Wunden sind wir geheilt“

Exegetische Hinweise

Hintergrund unseres Textes, der zu Deutero-Jesaja gehört, ist das Babylonische Drama, die Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr., die Deportation von Teilen der Bevölkerung nach Babylon und die nun unter Kyros möglich gewordene Rückkehr nach Jerusalem. Der Freudenbotschaft der Verse 7-12 folgt überraschend ein Lied, in dem tiefste Leiderfahrung, Ohnmacht, Schmerz und Verachtung, aber auch finales Heil thematisiert werden. Wer diese geheimnisvolle Gestalt des Gottesknechts ist, beschäftigt bis heute die Theologen. Die Frage, ob es sich um ein Individuum handelt, wird später durchaus bejaht (vgl. Jes 61, 1-3). In alttestamentlicher Sicht ist eine Führungsfigur auch immer Haupt ihrer zugehörigen Gemeinschaft. Der Gottesknecht kann somit eine Einzelgestalt sein, die als Repräsentant des ganzen Volkes verstanden wird. Die Redaktoren von Jesaja haben offenbar Zion in dem Gottesknecht entdeckt „und das Geschick des Knechts als eine radikale Erfassung des Schicksals des Zion zwischen Erniedrigung und Erhöhung oder Befreiung verstanden“ (Höffken).

Theologische Impulse

Mit dem Knecht Jahwehs kommt etwas Neues, Anderes, noch nie Dagewesenes. Er wird Erfolg haben, heißt es gleich zu Beginn. Vers 10 betont, dass der Herr Gefallen an ihm hat. Doch dieser Knecht ist entstellt, sieht nicht mehr wie ein Mensch aus. Er hat keine schöne Gestalt. Er wird verachtet und gemieden von den Menschen, ein von Krankheit geschlagener „Schmerzensmann“. Bedrängt, misshandelt, schwach, ohnmächtig, wie ein Lamm, dass man zur Schlachtbank führt, ist er verstummt. Durch einen Justizmord wird er beseitigt, ohne dass das jemand kümmert. Und diese erbärmliche Gestalt wird „sich erheben und erhaben und sehr hoch sein“ (Jes 5, 1). Durch diesen Ohnmächtigen, Leidenden werden viele Nationen „entsühnt“ (Jes 4, 15); „er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 5, 5). Und Gott reißt ihn aus dem Tod: „Nachdem er vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der Gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt die Schuld auf sich.“ Und Gott gibt ihm Anteil an den Großen und Mächtigen, „weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Abtrünnigen rechnen ließ. Er hob die Sünden der Vielen auf und trat für die Abtrünnigen ein“ (Jes 5, 12). Der Gottesknecht ist der, der stellvertretend für die Anderen Leiden und Tod auf sich nimmt, damit diese leben. Durch sein stellvertretendes Leiden geschieht Heilung und Frieden, umfassender Schalom. Die Menschen werden in Ganzheit versetzt und geheilt an Leib, Seele und Geist. Der Gottesknecht ist der Erwählte Gottes, der Geistbegabte, der Gesalbte = Messias (Jes 42, 1; 61, 1). Er ist der Bote Jahwehs, der in besonderer Weise zu den Armen, den Trauernden, den Gefangenen gesandt ist, um ihnen eine frohe Botschaft, Trost und Freude und – Befreiung zu bringen (Jes 61, 1-4). Jesus wird dies auf sich beziehen (Lk 4, 16-21). Die Christen sehen im Gottesknecht das Urbild Jesu und in der Botschaft des Vierten Gottesknechtsliedes Frohe Botschaft - Evangelium.

Nachhaltigkeitsaspekte

Wir haben hier die radikale Umwertung aller bisher in der Welt geltenden Umstände und Maßstäbe vor uns, das Gegenprogramm zum Kapitalismus, zum „America first“, zum Gewinn- und Selbstoptimierungswahn unserer Zeit durch Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik, durch Propaganda eines Menschenbildes, das nur Schönheit, Gesundheit und Stärke kennt. Das Lebensrecht des Kranken, Schwachen und Alten wird in Frage gestellt. Eine neue Form des Sozialdarwinismus droht, in der nationalen und internationalen Politik scheint das Recht des Stärkeren wieder immer mehr zur Maxime zu werden. Rassismus und Antisemitismus scheinen unausrottbar. Menschen werden dabei im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben gebracht. Jesaja sagt uns etwas anderes: Jedes Leben, auch das schwache, nicht schöne, auf den ersten Blick wertlose Leben, hat Lebensrecht. Es gibt kein Leben, das verachtet werden darf. Es hat eine unverlierbare und deshalb unantastbare Würde in sich. Einer Welt, in der das nicht mehr gilt, droht ein bestialischer Untergang. Und der hat womöglich schon begonnen.

Gott hat sich mit diesem schwachen, bedrohten Leben solidarisiert. Er tut dies, indem er dort bei diesem Leben ist. Gottes Ort ist die Ohnmacht, die Schwachheit, Machtlosigkeit – das Kreuz. Aber dort durchdringt er alles mit seiner Liebe. Einer Liebe, die stärker ist als der Tod. In der radikalen Ohnmacht Gottes am Kreuz geschieht die einzigartige Liebe zwischen Vater und Sohn, die den Sohn in das Leben Gottes reißt und uns ins Leben verwandelnd zufließt.

Wo ist Gott heute zu finden? Wer ist heute sein Knecht, an dem er Gefallen gefunden hat? Der nicht schön ist, sondern verachtet, krank und bedrängt, der gefoltert wird, verachtet ist und ausgestoßen? Sind es nicht die Favelas Lateinamerikas oder die Slums Afrikas mit ihrer zum Himmel stinkenden Armut und Not? Sind es nicht die Flüchtlinge, die aus ihren Heimatländern fliehen, weil sie dort nicht mehr leben können, im Mittelmeer ertrinken oder in den Ankunftsländern Europas verachtet, oft auch misshandelt werden? Ist es nicht unsere geschundene Schöpfung? In der wir nicht nur unsere Lebensgrundlagen zerstören, sondern auch jegliche kreatürliche Lebensfülle und Schönheit, die Zukunft unserer Kinder? Und begegnet uns der Gottesknecht nicht in jedem Armen, Gescheiterten, Zerbrochenen? Und wird uns zur Aufgabe? Vergessen wir nicht: Gott hat an seinem Knecht Gefallen. Wo finden wir Gott, wenn nicht dort? Und wir sind es, die ihm die Hand reichen müssen, um ihn zu erheben (Jes 4, 13).

Hebr 4, 14-16; 5, 7-9: Ein Priestertum nach der Ordnung des Melchisedek

Die Theologie des Opferkults und des Priestertums, das darin gründet, bleiben dem Verfasser fremd und sperren sich ihm für eine nachhaltige Auslegung. Dennoch mag es in dieser Perikope Ansätze dafür geben, wenn man Hebr 5, 1-6 und 10 mitliest. Zum einen liegen sie im Verständnis des Amtes des Hohenpriesters, zum anderen in der Gestalt des Priesterkönigs Melchisedek (Gen 14, 18-20; Ps 110, 4).

Recht und Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität

Vers 4, 15 spricht von dem Hohenpriester im Himmel, Jesus Christus, der „mit unseren Schwächen“ mitfühlen kann, weil er selbst als Mensch „in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat.“ Jesus kann mit uns fühlen, er bleibt uns zugewandt und eröffnet uns Zugang zu Gott. In Vers 5, 2 heißt es, dass der – menschliche – Hohepriester mit den Unwissenden und Irrenden mitfühlt, da auch er ein Mensch ist, „selbst behaftet mit Schwachheit.“ Erst seine Teilhabe an menschlicher Schwachheit befähigt ihn zum Mitfühlen mit den Menschen, zu einer Solidarität, die Konstitutivum (hohen-)priesterlichen Dienstes ist, ja Voraussetzung, dass er als Hoherpriester seinen Dienst, die Menschen in Verbindung mit Gott zu bringen, ausüben kann. Dazu gehören Gebet und Opfer, aber auch ein Leben „nach den Geboten“, nach dem Zehnwort, nach Recht und Gerechtigkeit.

Melchisedek heißt „König der Gerechtigkeit“. Er ist König von Salem. Damit kann mit gutem Grund Jerusalem gemeint sein. Salem kann wohl auch Frieden (Schalom) bedeuten, dann ist Melchisedek König des Friedens. Melchisedek reichte Abraham „Brot und Wein“. Jesus feierte das Abendmahl mit Brot und Wein als „Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“ (Hebr 5, 6). Der geheimnisvolle Priesterkönig der Vorzeit wird zum Urbild oder Vorausbild der Eucharistie: Gott teilt sein Leben mit uns und wir teilen das empfangene göttliche Leben mit Mensch und Welt. Das Leben teilen heißt auch, es mit der ganzen Schöpfung teilen.

Thomas Bettinger, Speyer

Literatur

Neue Jerusalmer Bibel. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, hrsg. Von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes Nützel, Freiburg 1985
Peter Höffken: Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66, Reihe: Neuer Stuttgarter Kommentar Altes Testament, 18 / 2, Stuttgart 1998
C.-P. März: Hebräerbrief, in: Die neue Echter Bibel. Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg, 2. Auflage 1989