Karfreitag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mt 27, 33-50 (51-54) | Jes 52, 13 - 53, 12 | Hebr 4, 14-16; 5, 7-9 |
Als „höchster Feiertag des Protestantismus" wird der Karfreitag manchmal bezeichnet. Eignet sich der Tag des Todesgedenkens Christi zu einer Predigt über Nachhaltigkeit? Jede Predigerin und jeder Prediger sollte sich mit dieser Frage auseinander setzen, bevor sie sich ans Werk der Predigt machen.
Für mich ist zweifellos, dass Sterben – und Auferstehen - Jesu Christi die Dominante des Karfreitags bleiben müssen. Diese Dominante begleitend bieten die Lesungstexte für den Karfreitag allerdings durchaus einige Anknüpfungspunkte, um über das Engagement für einen nachhaltigen Lebensstil nachzudenken.
Karfreitag als „höchster Feiertag"?
Zunächst aber eine Überlegung zu der theologischen Bedeutung des Karfreitags. Die liturgische (Nicht-)Farbe Schwarz macht schon deutlich, dass dieser Tag isoliert betrachtet eigentlich keineswegs geeignet wäre, als höchster Feiertag zu gelten. Der Karfreitag für sich alleine betrachtet, ist der Tag höchster Verzweiflung: Alle Hoffnungen, die die Menschen in Jesus von Nazareth gesetzt haben, scheinen auf Golgatha zu einem Ende gekommen zu sein. Der, der als der Erlöser der Welt aufgetreten war, ist nun hingerichtet wie ein Verbrecher. Schlimmer noch: durch den Kreuzestod scheint endgültig klar zu sein, dass Jesus nicht der Messias Gottes, sondern von Gott verflucht ist (Dtn. 21,23 vgl. Gal 3,13). Der Schmerz kann kaum größer sein – und ihn gilt es, am Karfreitag aus zu halten.
Zum Festtag wird der Karfreitag erst vom Ostersonntag her. Erst aufgrund der Erfahrung, dass Gott den Gekreuzigten nicht im Tod gelassen, sondern auferweckt hat, verliert der Karfreitag seinen abgründigen Schrecken. Die Ohnmacht weicht der Erkenntnis, dass dieser Weg zum Kreuz der Weg in die letzten Tiefen der menschlichen Existenz war, so dass Gott nun wirklich nichts Menschliches mehr fremd ist. Selbst im tiefsten Leiden, selbst im Tod ist er uns nicht mehr fern. Diese Nähe Gottes im Leiden ist für mich das Besondere unseres christlichen Glaubens, sie kann Verzweiflung und Verzagen in Hoffnung und Vertrauen verwandeln.
Engagement für einen nachhaltigen Lebensstil und Frustrationserfahrungen
Der enge Zusammenhang von Leiderfahrung, Scheitern und neuer Hoffnung, der den Karfreitag als „höchsten Feiertag" prägt, kann nun aber durchaus in Bezug gesetzt werden zu den Erfahrungen, von denen Menschen geprägt sind, die sich in Umweltfragen engagieren, sich für den Umbau unserer Gesellschaft und einen nachhaltigen Lebensstil einsetzen:
Ich schreibe diese Predigtmeditation in den Tagen der Rio+20 – Konferenz der Vereinten Nationen. Wer die Jahre zwischen dem „Erdgipfel" 1992 in Rio und heute betrachtet, stellt schnell fest, wie viele gute Vorsätze der Staatengemeinschaft in diesen zwei Jahrzehnten versandet oder aufgrund von Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrisen zunichte gemacht worden sind. Wer sich für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen engagiert, kennt die Erfahrungen des Scheiterns. Gerade bei langjährig Engagierten macht sich Frustration breit, die mitunter zu einer Verbissenheit des Engagements führt, die andere dann keineswegs mitreißt, sondern abschreckt und neue Frustration generiert.
Über die drei langen Tage der Frustration über das (vermeintliche) Scheitern der Mission Jesu nachzudenken, kann hier eine Hilfe sein, mit eigenen Frustrationserfahrungen anders und gelassener umzugehen und zu einer Perspektive der Hoffnung zu gelangen.
Zu den Texten im Einzelnen:
Evangelische Predigtreihe V: Mt 27, 33-50 (51-54):
Wie sein Vorlagentext, das Markus-Evangelium, bringt auch Matthäus mit dem letzten Wort Jesu am Kreuz unverblümt das völlige Scheitern der Mission Jesu zum Ausdruck: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (v. 46) Lukas und Johannes schwächen diesen Ausruf der völligen Verzweiflung ab, indem sie Jesus hier ein letztes Mal das Vertrauen auf den, der ihn gesandt hat bzw. auf seine eigene Mission in Worte fassen lassen.
Verzweiflung und Scheitern auch bei unseren Aufgaben, bei unserer „Mission" – hier am Kreuz Jesu haben sie einen Platz, sind gut aufgehoben bei ihm.
Es braucht eine Zeit, bis aus diesem (vermeintlichen) Scheitern etwas Neues entsteht: Der (römische!) Hauptmann ist einer der Ersten, die den Umbruch wahrnehmen (v. 54) – die Jüngerinnen und Jünger werden noch bis zum Ostermorgen und der Begegnung mit dem Auferstandenen brauchen.
Römisch-Katholisches Lesejahr C
1. Lesung: Jes 52,13-53,12:
Das letzte der vier Lieder vom Gottesknecht. Durch die Zeiten hindurch hat die Gestalt des Gottesknechts Einzelne und Gruppen dazu angeregt, sich mit ihrem Leiden und Scheitern mit diesem Erwählten Gottes zu identifizieren (vgl. z.B. Carlos Mesters: Die Botschaft des leidenden Volkes, Neukirchen-Vluyn 1982). Der Knecht erhält seinen Auftrag von Gott (Jes 42,1-9) und hält an diesem auch dann fest, als er Widerstand und Anfeindungen erfährt (Jes 49,1-6; 50,4-11). Erst spät – eventuell nach seinem Tod, die Auslegungen sind hier nicht eindeutig – erkennen die Menschen, dass der Knecht tatsächlich der Gesandte Gottes war und für sie das Heil erworben hat.
Wer sich in den letzten 20 Jahren für eine lebenswerte Zukunft eingesetzt hat, ist ebenfalls oft verspottet und geschmäht worden. Erst allmählich erkennt die große Mehrheit, dass das fossile Zeitalter an sein Ende gekommen ist und Umkehr Not tut. Für viele, die in den 80er und 90er Jahren standhaft für einen nachhaltigen Lebensstil eingetreten sind, sind die Entwicklungen der letzten Jahre eine späte Genugtuung.
2. Lesung: Hebr 4,14-16; 5,7-9:
Die Perspektive der Hoffnung, die den Karfreitag vom Ostersonntag aus umgibt, kommt in diesem Text deutlich zum Ausdruck: Weil Christus auferweckt und als himmlischer Hoherpriester eingesetzt ist, deswegen kann die christliche Gemeinde auch inmitten von Leiden und Anfechtung Hoffnung haben. Diesem Hohenpriester nämlich ist selbst das Leiden nicht fremd, er weiß um die Erfahrungen des Scheiterns.
Hier im Hebräerbrief wird unmittelbar deutlich, welche spirituelle Kraft aus der Erkenntnis entspringen kann, dass durch den Weg des Karfreitags Gott auch im Leiden, Scheitern und Sterben nicht fern ist. Für alle, die heute in ihrem Engagement zu verzweifeln drohen, hat dieser Text wirklich Worte der Hoffnung zu bieten.
Epilog
Vor 25 Jahren habe ich zum ersten Mal ein Protestcamp landloser Bauern in Brasilien besucht – in der Karwoche. Mehrere hundert Familien hatten brachliegendes Ackerland besetzt, um auf diese Weise für eine Landreform zu demonstrieren. Menschen, die vom Land kamen und auf dem Land arbeiten wollten, deren eigener Besitz aber nicht groß genug war, um die ganze Familie oder die verschiedenen Geschwister zu ernähren. Das Camp existierte schon über viele Monate, viele hatten auch schon eine Odyssee als Tagelöhner oder Migranten in die Städte hinter sich. Die Menschen lebten von der Hand in den Mund, waren auf Unterstützung durch Kirchengemeinden und andere zivilgesellschaftliche Gruppen angewiesen. Tag für Tag bestand die Gefahr einer gewaltsamen Räumung des Geländes durch die Militärpolizei.
Als ich hörte, dass am Karfreitag im Camp eine Karfreitagsprozession stattfinden würde, erfüllte mich das durchaus mit Sorge: „Hier begegnet einem so viel menschliches Leid – werden die Menschen nicht in die volle Verzweiflung versinken, wenn sie jetzt auch noch Leiden und Sterben Jesu meditieren?"
An de einzelnen Kreuzwegstationen kam dann nicht nur das Leiden Jesu zur Sprache. Menschen berichteten von ihren eigenen Leiderfahrungen. Dadurch verbanden sich Jesu Leiden und das Leiden der Menschen – und aus dieser Verbindung entstand die große Hoffnung, die den ganzen Kreuzweg durchzog: Dass Gott, der Jesus nicht in seinem Leiden allein gelassen hat, auch die Menschen heute nicht in ihrem Leiden allein lässt, sondern neues Leben ermöglicht. Selten bin ich so gestärkt aus einem Karfreitag gegangen!
Wolfgang Schürger