Laetare / 4. Fastensonntag (19.03.23)

Laetare / 4. Fastensonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 54,7-10 1 Sam 16, 1b.6-7.10-13b Eph 5, 8-14 Joh 9, 1-41

Jesaja 54,7-10

Exegetische Bemerkungen:

Die Kapitel 40 bis 55 des Jesajabuchs werden gemeinhin «Deuterojesaja» genannt. An die Stelle von Gerichtsworten treten überwiegend Heilszusagen. Diese Texte dürften wesentlich später als der Grundstock des Buchs entstanden sein. Sie setzen den Untergang Judas und die Katastrophe des Babylonischen Exils voraus. Die Rückkehr der Exulanten nach Israel, ein zweiter «Exodus», wird erhofft.

Kapitel 54 ist eine grosse Heilsankündigung für Zion. In den uns interessierenden Versen 7 bis 10 schwört Gott im Rückgriff auf den Noah-Bund (Genesis 9) unverbrüchliche Treue. Er sagt Zion nach der vorübergehenden Gottverlassenheit (V. 7f.), mit der die Katastrophe des Exils interpretiert wird, ewige Gnade zu. Denn letztlich ist die Treue Gottes zu seinem Volk unerschütterlich. Deshalb wird die Textstelle auch häufig unter das Stichwort des «Gnadenbunds» gestellt.

Nachhaltigkeitsbezüge:

Die Perikope ist in Nachhaltigkeits-Hinsicht sehr ergiebig und lässt sich auf spannungsreiche Weise auf unsere eigene Situation beziehen. Was bedeutet diese unverbrüchliche Zusage der Treue Gottes in Zeiten des menschengemachten Klimawandels, in einer Situation, die von uns in höchster Dringlichkeit den Wandel unseres Lebensstils verlangt? Ist diese Zusage gleichsam ein «Beruhigungsmittel» angesichts grassierender Weltuntergangsängste?

Die Situation, in die unser Text spricht, ist auf den ersten Blick eine ganz andere als die unsere: Die Katastrophe ist bereits Wirklichkeit. Der Tempel ist zerstört, Jerusalem verwüstet, das erwählte Volk fremden Mächten ausgeliefert, ja es befindet sich im Exil. Es gibt keinerlei Hoffnung, die sich auf Bestehendes gründen könnte, d.h. jedes Band zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ist zerschnitten. Wenn es eine Zukunft für Israel gibt, dann muss sie ganz anders sein, als es die Vergangenheit war.

Wir Heutige leben in Erwartung einer (Klima-)Katastrophe, auf die wir unaufhaltsam zuzugehen scheinen und die bereits im Kommen ist. Der Klimawandel ist in Folge von Extremwettereignissen – Hitzewellen, Starkregen, Stürme – zunehmend spürbar. Der Handlungsdruck nimmt stetig zu, moralische Appelle verständlicherweise auch. Wir befinden uns quasi im Würgegriff unserer eigenen Lebensweise. Aber werden wir es schaffen, unser Leben tatsächlich enkelkompatibel zu gestalten? Und wie schaffen wir das? Immer deutlicher wird, dass von uns Bewohner:innen der westlichen Industrienationen ein radikaler Wandel unserer Lebensweise verlangt wäre: keine kleinen «Reförmchen», sondern tatsächlich eine Revolution unserer Lebensform.

Die Zusage Gottes, von der unser Text handelt, darf deshalb nicht als Bestandesgarantie für unsere Welt, wie sie jetzt ist, verstanden werden. Der Trost darf nichts vom Ernst unserer Situation wegnehmen. Aber wie lässt sich der Zuspruch von Gottes unverbrüchlicher Treue auf unsere Lage beziehen?

Deuterojesajas Zusage weist auf eine Form von Hoffnung hin, die – in einer Wortprägung des Philosophen und Psychoanalytikers Jonathan Lear – eine radikale Hoffnung1 ist. Eine radikale Hoffnung ist eine Hoffnung über alles Bestehende hinaus. Lears Beispiel ist das von Plenty Coups, des letzten Häuptlings der Crow, der eine Zukunft für die Crow imaginiert, die über alles hinausgeht, was bis anhin die Lebensweise der Crow definierte. Alles, was die Identität eines Crow ausmachte, gibt es jetzt, wo die Crow in Reservate verbannt worden sind, nicht mehr.

Deuterojesajas Zusage bringt eine radikale Hoffnung zum Ausdruck, deren Grund und Gegenstand ebenfalls nichts «Bestehendes» ist: Gottes Treue zu seinem Volk. Die Aufgabe scheint mir zu sein, diese Zusage im Kontext der Nachhaltigkeitsproblematik so zur Sprache zu bringen, dass zugleich der «Ernst der Lage» (das Drohen einer wirklichen Katastrophe) und der Trost der Heilszusage zum Ausdruck kommen. Gott will eine Zukunft mit seinem Volk, ja mit seiner ganzen Schöpfung, über jeden Bruch, über jeden kulturellen Zusammenbruch hinaus. Aber diese Aussicht soll uns nicht beruhigen, in dem sie uns von der Änderung unserer Lebensweise abhält. Sie soll uns vielmehr eine Änderung unserer Lebensweise ermöglichen und uns aus einer lähmenden Angst und dem Gefühl der Zukunftslosigkeit befreien. Diese Hoffnung aber, sie gründet nicht im Bestehenden, sondern in der Verheissung von etwas Neuem. Denn das Festhalten an der Kontinuität mit unserer ressourcenintensiven Lebensweise eröffnet keine Zukunft.

1 Sam 16, 1b.6-7.10-13b

Die Geschichte von der Berufung Sauls weist keine erkennbaren Bezüge zur Nachhaltigkeitsthematik auf.

Eph 5, 8-14

Exegetische Bemerkungen:

Unsere Passage steht im Kontext einer ethischen Belehrung. Schon im vorangehenden Lasterkatalog (V. 3ff.) geht es um die Abgrenzung einer christlichen von einer unchristlichen Lebensweise. Die Christinnen und Christen sollen sich mit ihrem Leben abheben von ihrer nicht-christlichen Umwelt. Leitend ist dabei die Licht/Finsternis-Metaphorik: Jetzt, da sie als ehemalige Heiden «im Herrn» sind (Indikativ), sollen sie auch als «Kinder des Lichts» leben (Imperativ). Die Antithese von Licht und Finsternis erinnert an die Qumran-Texte, etwa die dort in der «Kriegsrolle» zu findende Formulierung eines «Kampfes der Söhne des Lichts mit den Söhnen der Finsternis»2. Die Trias «Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit» - die Früchte eines Lebens «im Licht» - erinnert an prophetische Sprache und findet sich ebenfalls ähnlich in Qumran. Der Duktus der Passage ist klar: Das Leben als Christ/Christin ist charakterisiert durch seine Orientierung an Jesus Christus und erfordert eine scharfe Abgrenzung von Verhaltensweisen, die damit nicht kompatibel sind. Weil Christ:innen nun Licht sind, sollen sie sich frei machen von jeder Beteiligung an den «Werken der Finsternis», vielmehr sie und ihre Täter:innen «aufdecken» (V.11).

Nachhaltigkeitsbezüge:

Ist die scharfe Antithese von Licht und Finsternis und ihre Zuordnung zu «christlich» (Licht) und «nicht christlich» (Finsternis) auch problematisch, so lässt sich die Perikope doch auf fruchtbare Weise auf die Nachhaltigkeitsthematik beziehen. Zentral ist, dass der Fokus dabei auf der «Selbst-in-die-Pflichtnahme» der christlichen Gemeinde liegt und nicht auf der moralischen (bzw. moralistischen) Kritik der «Anderen» als Täterinnen und Tätern von finsteren Werken. Das heisst: Der ethische Anspruch, der der christlichen Lebensweise innewohnt, ist hervorzuheben. Wenn es dabei spezifischer um die ökologischen Folgen unserer Lebensweise geht, so ist klar zu machen, dass wir Christ:innen hier «mit drin hängen». Es geht nicht um ein Innen und Aussen. Wir sind Kompliz:innen, auch wenn es um die dunklen und ökologisch fatalen Seiten unseres Wirtschaftssystems geht. Wenn wir diese – wie in V.11 verlangt – «aufdecken» und zur Sprache bringen sollen, statt einfach «mitzumachen», dann tun wir das im Wissen um unsere eigene Komplizenschaft. (Hier hat der Begriff «strukturelle Sünde» nach wie vor seine Berechtigung.)

Der Text wirft aber zudem die Frage auf, wie wir als christliche Gemeinde auch in ökologischer Hinsicht «Licht» sein können. Von welchen ökologisch fatalen Praktiken können wir uns als Gemeinde distanzieren? Wie können wir – wie unscheinbar auch immer – hier das Gute bezeugen, statt einfach das zu machen, was die meisten anderen (immer noch) tun? Wie können wir «Leuchttürme» des Guten sein, nicht notwendigerweise gegen andere zivilgesellschaftliche Akteure, sondern vielmehr mit ihnen? Ein Beispiel ist hier die Förderung einer weniger ressourcenintensiven Ernährungsweise. In Kirchgemeinden wird viel gekocht, aber nur sehr selten wird diese Praxis im Horizont der Nachhaltigkeitsthematik und der Mitgeschöpflichkeit – ethisch gesagt: im Licht des Guten – betrachtet. Was hiesse es, in diesem Feld nicht mit den «Werken der Finsternis» zu kooperieren, sondern uns am Guten – letztlich: an Gottes Liebe, wie sie in Christus offenbar wurde – zu orientieren?

Unser Text liefert gewissermassen eine Steilvorlage, ethische Fragen, die sich im Zuge der Klimathematik mit grosser Dringlichkeit aufdrängen, aufzuwerfen und Menschen (und uns selbst) mit der Notwendigkeit zu konfrontieren, auf sie in unserem Leben eine Antwort zu geben.

Joh 9, 1-41

Diese Perikope liesse sich m.E. nur auf gekünstelte und sehr indirekte Weise auf die Nachhaltigkeitsthematik beziehen. Aus diesem Grund wird hier auf eine Kommentierung verzichtet.

Dr. Christoph Ammann, Zürich


1) Jonathan Lear: Radikale Hoffnung. Ethik im Angesicht kultureller Zerstörung, Berlin 32021 [engl. Originalausgabe 2006].

2) Vgl. dazu z.B. Schneckenburg, Der Brief an die Epheser (EKK), Neukirchen 22003, 227.