Laetare / 4. Fastensonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 12,20-24 | 2 Chr 36, 14-16.19-23 | Eph 2, 4-10 | Joh 3, 14-21 |
Der Sonntag Lätare
In der Mitte der Passions- und Fastenzeit steht der Sonntag Lätare, auch als Freuden- oder Brotsonntag bekannt. Benannt ist er nach Jes. 66,10 "Lätare Jerusalem" – "Freut euch mit Jerusalem", ein Text, in dem der Stadt und seinen Bewohner*innen eine Zeit des Friedens angekündigt wird. Die Vorfreude auf das Ende der Passionszeit – das Ende von Leid und Schmerz und die Freude über den Sieg des Lebens über den Tod – symbolisiert die liturgische Farbe: rosa! Das Weiß von Ostern mischt sich in das Violett der Fastenzeit. Der Name Brotsonntag verdankt sich der Erinnerung an das Brotwunder: Diesem Wunder des Teilens und der Solidarität liegt die Vision einer gerechten Welt zugrunde, in der die Güter, die wir zum Leben brauchen, gerecht verteilt sind. Das könnte ein wichtiger Impuls in der derzeitigen Debatte um die globale Impfgerechtigkeit sein. Medico international, Brot für die Welt und zahlreiche andere international arbeitende Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen argumentieren, dass die Pandemie erst dann vorbei ist, wenn sie für alle vorbei ist. Im Licht der Botschaft von Lätare ausgedrückt: Etwas von dem österlichen Sieg über den Tod erfahren wir, wenn die Entwicklung von Impfstoffen und die Versorgung mit Impfstoffen als ein Menschenrecht für alle und als öffentliches Gut behandelt wird.
Joh. 12,20–24
Der Text beginnt mit einer leicht übersehbaren, aber überaus bemerkenswerten Information, die eine Verbindung zum Thema Frieden durch interreligiöse Begegnung und religionsverbindendes Gespräch herstellt: Es sind "einige Griechen", die auf Philippus (den Jünger Jesu mit einem griechischen Namen!) mit der Bitte um Vermittlung eines Gesprächs mit Jesus zugehen. Offensichtlich haben diese Griechen Interesse am jüdischen Glauben, da sie doch zum Passahfest nach Jerusalem gekommen sind. Wir erfahren leider nichts weiter über ihre Geschichte. Dabei wäre es spannend, mehr über ihre Biographie zu wissen, ein narratives Interview mit ihnen zu führen: Was motiviert sie dazu, ihre geographischen, kulturellen und religiösen Grenzen zu überschreiten? Wie deuten sie ihre eigene Lebensgeschichte mitsamt ihren Brüchen – auch und gerade im Licht ihres Glaubens? Die Textpassage bietet die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu wecken für die beeindruckenden und trotzdem – auch im Raum der Kirche oder in der Kirchengeschichte – oftmals nicht gehörten Lebensgeschichten und religiösen Deutungen von Menschen, die aus Syrien, dem Iran oder anderen Ländern nach Europa gekommen sind. Jesus macht kein großes Aufheben darüber. Überschreitungen von geographischen und religiösen Grenzen, Migrationen, erscheinen eher als Selbstverständlichkeit und Normalfall. Im Lichte der Liebe und Gerechtigkeit Gottes sind Grenzziehungen zwischen Religionen und Nationen fragwürdig. Doch das Verhalten Jesu lässt darauf schließen, dass es dem Text nicht um große Parolen geht wie "Kein Weltfrieden ohne Frieden der Religionen". Im Zentrum steht vielmehr die konkrete Begegnung mit den Einzelnen, die meist viel nachhaltiger wirkt als politische Programme.
Das zentrale Thema der Passage ist das Bild vom Weizenkorn. Als Gleichnis, das den Tod Jesu als Segen für alle deutet, hat es Implikationen für den erwähnten religionsverbindenden Dialog. Dieser Aspekt fällt in einer christlichen Auslegungstradition, die das Bild vom Weizenkorn in erster Linie als Grundlage für eine Ethik und Nachfolge der Hingabe für die Mitmenschen interpretiert, manchmal unter den Tisch. In jüngerer Zeit werden aber insbesondere auf der Ebene der Weltchristenheit Nachfolgeethik und globale Gerechtigkeit zusammengesehen. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) im Jahr 2022 in Karlsruhe steht unter dem Motto "Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint". Eine meiner Student*innen schrieb dazu: "Persönlich finde ich das Thema wenig originell und ein bisschen abgedroschen, wie Weichspül-Christentum. Ich würde das Thema umbenennen: Die Liebe Christi tritt uns in den Hintern, fordert uns heraus und macht uns klar, dass es keine billige Gnade geben kann.
Mit der Liebe Christi, die bewegt, verbinde ich, dass wir aufgerufen sind, indem wir Christus nachfolgen, unsere Mitmenschen zu lieben und das ernst zu meinen. Nicht im Sinne von Charity, sondern eher im Sinne von: Wie trage ich mit meinem Leben und meinem Lebensstil dazu bei, dass Menschen, die ich noch nie getroffen habe, unter menschenunwürdigen Bedingungen existieren müssen, und wie kann ich das ändern?"
2. Chr. 36,14–16.19–23
Der Text schildert die Untreue des Königs Zidkija gegenüber JHWH und – interessanterweise sehr knapp und relativ undramatisch – die Strafe: den Untergang Jerusalems und die Deportation ins Exil, das von Anfang an als zeitlich befristet geschildert wird. Für das Thema Nachhaltigkeit scheinen drei Aspekte besonders relevant:
(a) In V. 21 wird (in Verbindung mit Lev. 26) die Aussage gemacht, dass das Exil die Strafe für die Missachtung des Sabbatgebotes ist. Das führte zu dem heute an allen Orten der Welt bekannten Raubbau am Land, dem keine "Ruhe" zur Regeneration gegönnt wird. Die Exilzeit verschafft dem Land die nötige Zeit zur Erneuerung. Welche Möglichkeiten des Sabbats für das Land gibt es heute?
(b) In den Chronik-Büchern erhält – anders als in den Königsbüchern – jede Generation ihre eigene Strafe (und nicht erst Generationen später die Kindeskinder, die die Folgen für das Vergehen ihrer Vorfahren zu spüren bekommen). Diese Verantwortungsethik impliziert wichtige Perspektiven für die ökologische Frage und den Generationenkonflikt, der sich etwa in der Friday-for-Future-Bewegung zeigt. Der Vorwurf an die Alten ist nicht von der Hand zu weisen: "Ihr habt auf unsere Kosten gelebt, den Planeten zerstört und seid weiterhin in Gremien, die mit Minimallösungen gerade nicht zu einer deutlichen Veränderung der Klimapolitik beitragen." Es geht um Umkehr und einschneidende Transformationen im Jetzt. Es geht aber auch darum, dass diejenigen, denen die Zukunft gehört, an Entscheidungsprozessen teilhaben.
(c) Das Exil wird schließlich durch den Erlass eines fremden Königs, Kyrus, beendet. Die Geschichte Gottes mit den Menschen überschreitet die Grenzen der Völker und Religionen. Gerade in Zeiten, in denen Fremdenhass, Populismus und Rassismus immer wieder versuchen, die Oberhand zu gewinnen, ist die Perspektive, dass Frieden und wirtschaftliches Aufblühen durch "Andere" gebracht werden, zentral.
Joh. 3,14–21
Der Zusammenhang zwischen 2. Chr. 36 und Joh. 3 liegt in der Parallele zwischen Kyrus und Christus: die Frage des Nikodemus an Jesus – "Wie kann ein Mensch neu geboren werden?" – ist ebenfalls die Frage des Neuanfangs. Und wieder kommt der "Retter" von "Außen", in diesem Fall aber sogar von einem Ort außerhalb der Welt.
Das Johannesevangelium eröffnet tendenziell eine sehr dualistische Weltsicht, die für Fragen der nachhaltigen Entwicklung und der Schöpfungsethik nicht unproblematisch ist. Denn zwar wird die Welt als Wohnort Gottes – ja sogar das "Fleisch" in Joh. 1 – aufgewertet. Allerdings bleibt immer die Tendenz einer Hierarchie zwischen dem Ort und der Zeit außerhalb der Welt und der Welt selbst. Die südafrikanische postkoloniale Neutestamentlerin Musa Dube hat in einem beeindruckenden Aufsatz "Savior of the World but not of this World"1) aufgezeigt, dass diese Vorstellung in der Kolonialzeit dazu benutzt wurde, um die Kolonialisierung fremder Gebiete zu legitimieren. Gerade weil sich das Christentum durch seine "Heimat im Himmel" als ortsungebunden verstand, betrachtete es sich gegenüber den sogenannten traditionalen lokalen Religionen etwa afrikanischer Länder als höherwertig. Ohne ein Verständnis für die Bedeutung, die bestimmte Orte für manche Menschen haben, seien diese einfach besetzt worden.
Seit einigen Jahren gibt es eine postkoloniale ökologische Bewegung, der es darum geht, den Zusammenhang zwischen (westlichem) Ressourcenimperialismus, Umweltzerstörung und Missachtung von Menschenrechten aufzudecken. Eine der Vorreiterinnen ist die Nobelpreisträgerin Wangari Maathai aus Kenia. Die von ihr gegründete Bewegung "Green Belt Movement" kämpft dafür, ökologische Rechte und Menschenrechte nicht auseinanderzureißen: Ökologische Rechte sind Menschenrechte. Eine ökologische Spiritualität, die Orten wieder Bedeutung beimisst und ein Gegengewicht zu ortsunabhängiger kosmopolitischer Lebensweise darstellt, bildete dabei eine treibende Kraft. Wenn man den Satz aus Joh. 3,16 "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab" aus dualistisch-metaphysischen Deutungstraditionen löst, dann tritt die Radikalität der Fleischwerdung Gottes und damit die unbedingte Bejahung dieser Welt als Wohnort Gottes ins Zentrum und fordert die Sorge für diesen Planeten und für die, die darauf wohnen.
Eph. 2,4–10
Die Textstelle lässt zwar keine direkten Bezüge zum Thema Nachhaltigkeit erkennen, wohl aber indirekte Berührungspunkte. Das sola gratia hinterfragt die Kultur des ressourcenintensiven Wetteiferns um "Höher, Weiter, Besser". Der Lutherische Weltbund hat im Zuge des Reformationsjahrs 2017 die Kampagne "Not for sale" mit den Schwerpunkten ausgerufen: Human Beings, Creation, Salvation – Not for Sale. Gottes erlösende Liebe sola gratia ist also eine umfassende Inspiration und treibende Kraft für nachhaltiges Denken und Handeln.
Prof. Dr. Claudia Jahnel, Bochum
1) Dube, Musa W., Savior of the World but not of This World. Post-Colonial Reading of Spatial Construction in John, in:
Sugirtharajah, R. S., The Postcolonial Bible, Sheffield 1998, 118–135.