Letzter Sonntag nach Epiphanias / 4. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
2 Mose 34,29-35 | Jer 1, 4-5.17-19 | 1 Kor 12, 31 - 13, 13 oder: 1 Kor 13, 4-13 |
Lk 4, 21-30 |
Jeremia 1,4-5.17-19: Berufung – Krieg und Frieden – Gerechtigkeit
Die Lesung besteht aus zwei kurzen Ausschnitten eines Textes, der als Ouvertüre am Anfang des Jeremia-Buches steht (Jer 1,4-19). Dabei kombiniert die Leseordnung den Berufungsbericht des Jeremia (V. 4-5) mit dem Sendungswort, das an ihn ergeht (V. 17-19). In beiden Teilen wird deutlich: Hier kommt der Herr selbst zu Wort. Er verleiht der Botschaft des Jeremia Macht und Autorität.
In exegetischer Sicht ist die deuteronomistische Redaktion gut erkennbar. Rückblickend wird die Situation des untergehenden Staates Juda verarbeitet. Jeremia, „der Prophet für die Völker“ (V. 5), tritt vor der Katastrophe des Jahres 587 v. Chr. auf und erhebt seine Stimme im Namen Gottes.
So verbindet sich das Thema der persönlichen Berufung mit der Frage von Krieg und Frieden. Jeremia wird nicht in eine heile, sondern in eine unheile Welt gesandt, denn gerade diese hat Gottes Wort nötig.
Der Herr beruft den Jeremia nicht zum Krieger, aber er verleiht ihm Stärke, Festigkeit und Resilienz („ich mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer“, V. 18). In der Ungerechtigkeit des Krieges ist Jeremia als unerschrockener Zeuge der Botschaft gefragt.
Dabei darf er darauf bauen, dass Gott in der Not hilft. Er wird für Gerechtigkeit sorgen: „Sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir.“ (V. 19.)
Das Beispiel des Jeremia zeigt: Gott beruft Menschen gerade in Zeiten der Not. Er sendet sie als Zeugen des Glaubens und des Friedens. Die Kriegstreiber werden am Ende keinen Erfolg haben, denn Gott verheißt Rettung und Gerechtigkeit.
1 Kor 12,31-13,13: Liebe – Ganzheitlichkeit – Nachhaltigkeit
Der berühmte Paulus-Text über die Liebe – Agape – ist keine nachträgliche Einfügung, sondern ein ursprünglicher Bestandteil des ersten Korintherbriefs. Formal betrachtet handelt es sich um kunstvolle Prosa und nicht, wie man meinen könnte, um einen Hymnus oder ein Lied. Paulus legt hier keinen romantischen Text über die Liebe vor, sondern ein Schlüsseldokument, das die Agape als entscheidendes Kriterium der höheren Gnadengaben (1 Kor 12,31a) definiert. Die Bedeutung des Textes reicht damit weit über den Zusammenhang des Korintherbriefs hinaus.
Glaube, Erkenntnis, Klugheit oder Askese lassen sich ohne weiteres jeweils für sich betrachten. Für Paulus aber reicht das nicht. Für ihn gehören die Gnadengaben in einen größeren Kontext, müssen sich messen lassen an der Frage, ob sie auf der Liebe gründen. Wenn die Liebe fehlt, bleiben sie Stückwerk. Statt auf Gott zu verweisen, sind sie dann Zeichen der menschlichen Begrenztheit.
Diese Erkenntnis spiegelt sich auch im modernen Begriff der Ganzheitlichkeit wider. Es macht keinen Sinn, den Glauben, die Intellektualität oder die Hingabe des Menschen isoliert zu betrachten. Man muss sie zusammendenken und von der Agape her verstehen.
Nur wo der Mensch als Ganzer gesehen wird, ist der Weg der Nachfolge Jesu nachhaltig und von Dauer. Die Botschaft Jesu setzt nicht auf oberflächliche Effekte und Emotionen, sondern auf die Veränderung und Erneuerung des Menschen in seiner Tiefe.
Die Liebe ist der Maßstab aller Gnadengaben. Paulus betrachtet den Menschen ganzheitlich. Nur in der Liebe kann die Nachfolge Jesu nachhaltig gelingen.
Lk 4,21-30: Glaube an Jesus – Glaube als Sinn für die Ökonomie des einen Hauses
Jesus legt in der Synagoge seines Heimatortes Nazaret die Schrift aus. Die Menschen begreifen nicht, warum er, den sie von klein auf kennen, Jesaja zitieren (V. 18-19) und sagen kann: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ (V. 21.)
Als Antwort auf ihren Unglauben erinnert Jesus die Nazarener an zwei Situationen aus der Vergangenheit Israels. In beiden Fällen kam es zu großer Not, nämlich einer mehrjährigen Dürre und Hungersnot (V. 25-26) und einer Aussatz-Epidemie (V. 27). In diesen Notzeiten ereignete sich das Heil nur an einzelnen Personen, die als Fremde in Israel lebten.
Im Evangelium jagen die Menschen Jesus daraufhin aus der Stadt heraus. Sie bestätigen damit – ohne es zu erkennen – den Vorwurf, den er ihnen macht. Sie finden keinen Zugang zum Wort Gottes, weil sie dem Propheten nicht glauben.
Was ist der Hintergrund der beiden Beispiele von Unglaube und Not? Man kann sie gemäß des klassischen Tun-Ergehen-Zusammenhangs deuten. Dann wäre die Botschaft: Weil die Menschen nicht geglaubt haben, hat Gott ihnen das Unheil gesandt. Und weil sie weiter verstockt blieben, wurden sie auch später nicht aus ihrer Not errettet.
Stimmiger ist eine andere Deutung. Zu glauben, heißt nicht, einfach nur die Existenz Gottes für wahr zu halten. Zu glauben, heißt genauso, ein Verständnis dafür zu erlangen, wie die Dinge zusammenhängen, dass man die Ökonomie des Hauses der Welt von Gott her begreifen muss. Wo der Glaube in Schieflage gerät, kommt auch der Sinn für den Zusammenhang der Dinge und die ganzheitliche Ökologie (Papst Franziskus, Enzyklika Laudato sì) aus dem Gleichgewicht.
Dürre, Hungersnot und Aussatz haben sich nicht ereignet, weil Gott eine Strafe über Israel verhängt hat, sondern weil die Menschen vergessen hatten, was sie der Glaube lehrt: Den Weg eines ganzheitlichen Verständnisses des Lebens, das der Mensch aus Gottes Hand empfangen hat, und das ihm überantwortet ist.
Glaube ist mehr als das Hochhalten von Traditionen. Er lehrt die Menschen, Gott und einander zu lieben und den Sinn und Zusammenhang zu erahnen, den Gott den Dingen verleiht. Dabei macht das Evangelium klar: Der Weg zu diesem Glauben führt über die Person Jesu.
Tonke Dennebaum, Mainz