14.o4.24 – Miserikordias Domini / 3. Sonntag der Osterzeit

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Mose 16,1-16 Apg 3, 12a.13-15.17-19 1 Joh 2, 1-5a Lk 24, 35-48

Der Autor betrachtet den Predigttext der ev. Perikopenordnung und arbeitet die erkannten Nachhaltigkeitsbezüge in einen Predigtentwurf ein. Denkimpulse zur kath. Leseordnung könnten sein: das Beachten von Regeln (Weisheit, die in der Schöpfung angelegt ist) und der wiederkehrende Friedensgruß, der sich aktuell auf viele Bereiche unseres Lebens übetragen lässt.

„DU BIST EIN GOTT, DER MICH SIEHT“ (Gen 16, 13)

„Liebe Schwestern und Brüder, was für ein biblischer Text, was für eine großartige Erzählung (Gen.16)! Kurz und knapp, nur die Umrisse wie ein Holzschnitt, keine Details – Familiengeschichte, aber so lebensnah. Angesehen, aber nicht nur drüber hinweg-gesehen, weckt sie in uns so lebendige Bilder und Gedanken, als könnten wir sie miterleben. Dabei gehört sie zu den ältesten überlieferten Erzählungen im AT. Diese Geschichte sollten wir unseren Kindern erzählen, damit sie sie sich fürs ganze Leben einprägen. Denn sie hilft uns sowohl für unseren ganz persönlichen Lebensweg – und für die Gestaltung der Zukunft über unsere Familie hinaus.

1 Gestaltung der Zukunft? Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Nein, denn hier wird Weltgeschichte geschrieben! Genauer: Geschichte von Völkern und Religionen im Vorderen Orient der damals bekannten Welt mit Israel, seiner Geschichte und seinem Gesetz im Brennpunkt, Werden und Wachsen, aber eben auch das Zusammenleben der Völker (1. – 4. Mose).

Aber es ist nicht Geschichte im Rückblick: Welcher König hat wann regiert, welche Kriege wurden geführt, welche Völker erobert…? Nein. Es ist Weltgeschichte nach vorn in die Zukunft. Sehr familiär, sehr intim hören und sehen wir: Abram (Abraham) ist der Vater nicht nur des Volkes Israel, sondern vieler Völker – für das auserwählte Volk Israel (im Blick) durch seinen Sohn Isaak - und nun für die - nennen wir sie jetzt schon einmal: „arabischen“ - Nachbarvölker durch seinen Sohn Ismael. Auf Abram liegt der Segen für das kommende Israel. Nur Abram mit Sarai und dann weiter zu Isaak? Nein, auch Abram mit Hagar, der Magd, der Ägypterin, der Fremden im Lande, und dann weiter zu Ismael. Gott sagt: Ich sehe euch. Ihr seid angesehen. Vielleicht anders, als ihr euch selbst seht: Ihr gemeinsam seid eine Familie, Völkerfamilie, ihr seid MEINE Familie, jede/r mit meinem Segen. Vergesst das nicht, wenn ihr als Nachbarn zusammenlebt; - auch und erst recht nicht, wenn ihr als Feinde gegeneinander in der Krieg zieht, wenn ihr euch unterjocht und eure Lebensgrundlagen und Freiheit raubt. Ihr seid und bleibt eine Familie, auch wenn ihr unterschiedliche Kulturen entwickelt oder Euren Gott anders nennt. – Eure Geschichte ist eine Familiengeschichte, ihr seid miteinander aufgewachsen, ihr seid Geschwister, ihr seid gesegnet. Weltgeschichte mit dem Blick in die Zukunft.

Wenn das so ist, frage ich: Was bedeutet das für uns heute, für das Zusammenleben? – was für das Verhältnis von Israel und seine Nachbarn?

  • was für das Verhältnis in der Familie der Kirchen, von der römischen Weltkirche und den reformatorischen Kirchen?
  • was für die orthodoxen Kirchen in Russland und in der Ukraine?
  • was dann, wenn die Flüchtlinge zu uns kommen und unter uns wohnen? (Denken wir also nicht zu bescheiden von dieser Familiengeschichte.)

2 Doch kehren wir zur Familiengeschichte zurück. Denn: Weltgeschichte besteht aus den vielen (unseren!) Familiengeschichten und beginnt hier bei uns. – Wir haben die Geschichte angesehen – MIT UNSEREN AUGEN. Der uralte Erzähler traut sich etwas, das wir zwar gelegentlich etwas locker einfordern, aber kaum wirklich tun: Sieh doch einmal die Welt MIT GOTTES AUGEN an. Ohne Besserwisserei – wir kennen nicht Gottes Gedanken. Aber wir kennen sein Wort, d.h. wie ER zu uns spricht. Sieh einmal das Leben aus dem Glauben und aus der Liebe zu Gott, der sagt: ICH SEHE.

Dann fragen wir uns: Wer ist dieser Gott? Mit welchen Augen sieht er uns? Mit dem des fernen Gottes, dem unser Schicksal gleichgültig ist? Mit den Augen des Moralisten, dem es nur um die reine Lehre und die Erfüllung jedes Tüpfelchens deines Gesetzes geht, puritanische Reinheit, in der „alles verboten ist, was Spaß macht (Tanz, Konzert, Theater, Liebe?“ - du sollst nicht…, du sollst…? –dem wir nichts recht machen können, denn Sünde ist erblich – Mit den Augen des Diktators, dem es nur um die Macht geht über alles, was er besitzt, wie es zu manchen Zeiten als „Mission“ bezeichnet wurde? Sagen wir nicht, das hätte es nicht gegeben, manches haben wir noch erlebt, wenn wir nur alt genug sind.

Nein, ganz menschlich gesprochen: Gott ist der liebende Vater (und wenn ich Vater sage, gilt das auch für die Mutter), der da ist, - und das gibt Sicherheit, - uns aber die Freiheit lässt. Er möchte, dass wir im Vertrauen auf ihn an eigenen Erfahrungen wachsen und in Verantwortung eigene Wege gehen - selbst wenn wir damit auch einen falschen Weg gehen oder einen Weg ohne ihn. „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ (Rö. 8.) Er kann warten, und er ist bei uns oft unerwartet und unsichtbar, der Engel, um zu retten. Er ist ein Gott, der mich sieht und immer für mich dableibt, sagt Hagar. Dem will ich ein bleibendes Denkmal setzen (Brunnen am Weg durch die Wüste, wo man es sieht und sich erinnert, ein Bekenntnis, das andere auf dem Weg stärkt).

Wie mag Gott auf Sarai schauen? Wir WISSEN es nicht; aber wir können es ahnen, wenn wir mit seinem Worte leben. Er sieht eine starke Frau, die ihr Familienglück in Gefahr sieht, wenn kein Stammhalter geboren wird. Es soll alles gut werden! Gott sieht mehr: Vielleicht sorgt sie sich sogar um die Verheißung an Abram und will ihr/ihm eine Chance geben: Siehe, ich ebne dir einen Weg, Gott! – Aber es ist wie im wirklichen Leben: An Vieles hat sie gedacht, doch kennt sie alle Risiken und Nebenwirkungen? Für Sarai geht es gründlich schief. Hagar behandelt sie verächtlich und erhebt sich über sie. Was Wunder, wenn der Herrin der Kragen platzt: Ab in die Wüste! – Ja, aber: Ob sie das wirklich glücklich macht, eine Vertraute zu verlieren?

Hagar ihrerseits ist zwar Sklavin aus Ägypten, fremd, hat geringe Rechte. Aber auch sie ist eine starke Frau, nur In ihrer Stellung muss man vorsichtig sein. Doch nun sieht sie ihre Stunde gekommen, ihre Stellung aufzuwerten. – Ist sie nun ANGESEHEN unter den Menschen? Doch auch sie hat die Nebenwirkungen nicht beachtet. Nun ist es ärger als vorher: Aus Stellung und Haus verjagt in die Wüste. Keine Freunde mehr, die Familie verloren, nach menschlichem Ermessen keine Zukunft. Und keinen Menschen, mit dem du sprechen und nach einem Ausweg suchen kann. Was bleibt ihr? – die Angst vor einem qualvollen Tod, Verzweiflung? Nach menschlichem Ermessen ein schwerer Schicksalsschlag.

Doch Gott sieht. Er ist noch lange nicht am Ende. Das Wunder der Errettung durch den Engel ist für uns nur eine Geschichte, ein bisschen fernab, - ist für Hagar aber wie eine neue Geburt. Gott sieht. Er sagt nicht: „Warum muss ich mir das Gezänk auch noch mit ansehen? Das haben sie sich selbst eingebrockt. Das sollen sie nun auch selbst auslöffeln.“ – Im Gegenteil: Gott sieht, auch sie ist meine Familie. Weil er jede braucht, jeder eine Aufgabe von ihm hat. Er zeigt das mit jener unglaublichen Verheißung, die alles vorher Gewesene in den Schatten stellt, die alles eigene Vermögen und alle Grenzen übersteigt: die des Standes, der Familie, die des Volkes. Die Sklavin steht nun ebenbürtig neben Sarai und Abram mit einer Verheißung. Ein Jubel liegt in der Luft. Er klingt nach im Lobgesang der Maria: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd (Sklavin) angesehen.“ Und dicht daneben steht verborgen die Frage: Ist SIE, Hagar, bin ICH nun die Größte?

Schauen wir recht hin. Das Hochgefühl hält nicht lange an. Hagar hört: „Geh zurück in das Haus deiner Herrin, deines Dienstes, bleibe in der Familie, bleibe in deinem Stand, vertrage dich mit deiner Herrin. Du hast hier eine Aufgabe - und dafür eine Verheißung. Das gibt deinem Leben einen Sinn und öffnet für Menschen um dich und nach dir eine gute Zukunft.“ Wie wird das ausgehen? Der Text schweigt. Aber er weckt bei uns den Gedanken aus Ps. 133,1, den Gott gedacht haben könnte: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen“ (und Schwestern auch!). Wie gut wäre es, die beiden würden wieder ein gutes Team und alle miteinander eine gute Familie. - Und – ich springe aus der Geschichte – diese Verheißung gilt auch uns, jedem. Gott sieht uns, d.h. du und ich, wir haben einen Lebensauftrag von ihm, und zwar an der Stelle, an der wir im Leben stehen. Was du tust, wird immer viel mehr Nebenwirkungen haben, als du selbst erkennst, - aber eben auch positive! - „Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt,“ so beschreiben es die jüdischen Schriften des Talmud. Denke nicht zu gering von dir – denke an deine Taufe: WIR haben von Gott einen Lebens-Auftrag, seinen Namen und seinen Geist dazu. Was wir tun, sollte immer etwas Gutes, Helfendes. Heilendes, Ermutigendes und Zukunft Eröffnendes sein.

3 Ein Letztes sollten wir nicht vergessen. Die familiäre Erzählung ist das richtige Leben – alles sehr menschlich-mitmenschlich. Hagar bringt Ismael als Abrams Sohn zur Welt. Alles gut, „ist Gott nun zufrieden?“ - Die große, weltgeschichtlich überspannende Linie (1.-4-Mose) zeigt: Sarai wollte vielleicht Gottes Verheißung eine Chance geben und seinen Willen tun – und das war sicher gut so. Aber ganz leise und verborgen geht Gott einen anderen Weg: Sarai, so alt sie ist, bringt selbst noch einen Sohn zur Welt, den Isaak. Dankbarkeit - alles gut! – Alles gut? Bedeutet das nicht für Sarai: Alles umsonst? Alles, was sie gut meinte, was sie dafür leiden musste und falsch gemacht hat? - Nein, im Gegenteil. Wir können nicht alles vorher sehen mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Gott sieht unser wahres Leben, unseren Glauben und wie wir eigene Wege gehen, manchmal falsche Wege. Doch ER kommt in jedem Falle zum Ziel – oft auf einem anderen und unerwarteten Wege, aber immer in aller Liebe. Der Umweg, den Sarai ging, war überhaupt nicht umsonst (frustra). Menschlich gesprochen: Gott nimmt den falschen Weg als Gelegenheit für eine Verheißung für Hagar und Ismael. So sehen wir Gott, unseren Vater, in Jesus Christus, anders als wir denken. Auf seine Liebe ist unbedingt Verlass. „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen,“ sagt Dietrich Bonhoeffer im Nazistaat, im Weltkrieg und angesichts seines schweren Schicksals.

Wer so glauben kann, hört und sagt „bleiben Sie zuversichtlich!“ In Jesu Namen. Amen.

Klaus Bürger, Ev. Kirche in Mitteldeutschland

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