Miserikordias Domini / 3. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Petr 5, 1-4 | Apg 3, 12a.13-15.17-19 | 1 Joh 2, 1-5a | Lk 24, 35-48 |
Ermahnung zum achtsamen Umgang mit dem, was uns anbefohlen ist (1 Petr 5,1-4)
Wir sind es gewohnt, diesen Text – so wie die meisten Texte des Neuen Testaments – nur auf das Innenleben christlicher Gemeinde zu beziehen. So gesehen geht es dem Verfasser des 1. Petrusbriefs mit seiner Mahnung an die Ältesten ausschließlich um das Beziehungsgefüge von Gemeindeleiter und Gemeinde bzw. Gemeindemitgliedern. Doch schon die Wortwahl mit einer Reihe von Begriffe aus dem agrarischen Kontext (z.B. weiden, Herde, Hirte, unverwelklich) legt eine weitere Weise der Auslegung nahe. Der Auftrag der Christen reicht weiter, als nur innerhalb der Gemeinden ein gutes Miteinander zu pflegen. Die Herde, auf die zu achten Gott uns aufgetragen hat, ist größer als die mehr oder weniger kleine Schar der Getauften, die an einem Ort ihr Christsein leben.
Schon am sechsten Schöpfungstag hat uns Gott die ganze Erde anvertraut, dass wir in der Weise des Dienens über sie herrschen. Durch Jesu Geburt hat sich Gott auf eine neue und untrennbare Weise mit seiner Schöpfung verbunden. Durch seinen Tod und seine Auferstehung, durch die auch das Seufzen der ganzen Schöpfung erlöst worden ist, hat dieser Auftrag eine neue Dimension erhalten.
Christen sind gerufen, auf die ganze, durch die Menschwerdung Jesu geheiligte Schöpfung zu achten – nicht in der Weise des ausbeutenden Herrschens, sondern von Herzensgrund, also in jener Haltung des barmherzigen Gottes, dem jedes seiner Geschöpfe am Herzen liegt. Sie sollen es tun im festen Vertrauen darauf, dass die ganze Schöpfung teilhaben wird an der nicht verwelkenden Herrlichkeit, die – anfanghaft bereits hier und jetzt, dereinst aber endgültig – offenbart werden soll.
Umkehr zu Gott, dem Urheber des Lebens (Apg 3,12a.13-15.17-19)
„Den Urheber des Lebens habt ihr getötet!“ Jahrhunderte lang wurde dieser Satz bzw. wurde die ganze Perikope, in der Petrus auf dem Tempelplatz zum Volk Israel spricht, von Christinnen und Christen missbraucht, um Juden anzuklagen und zu verfolgen. Noch heute gibt es in unseren Kirchen Strömungen, das Volk des Alten Bundes als Gottesmörder und als von Gott Verworfene abzulehnen. Dem ist mit Verweis auf unsere untrennbare Verbundenheit mit unseren älteren Geschwistern im Glauben und auf die bleibende Erwählung Gottes mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.
„Den Urheber des Lebens habt ihr getötet!“ Die Anklage des Petrus weist in eine andere Richtung. Petrus hat alle im Blick, die Gott als den Urheber des Lebens ablehnen. Und Gott als den Urheber, Urgrund, Ursprung und das Haupt (all das bedeutet das griechische Wort „archegos“ an dieser Stelle) des Lebens ablehnen, dasist nicht nur ein innerliches Auflehnen gegen Gott, sondern zeigt sich ganz konkret im äußeren Tun inmitten der Welt, die erfüllt ist von seiner Gegenwart. Gott, den Urheber des Lebens, ablehnen, bedeutet: Im Unfrieden leben mit den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung.
„Den Urheber des Lebens habt ihr getötet!“ Dieser Satz des Petrus mündet jedoch unmittelbar in ein Bekenntnis: „Aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt!“ Gott ist nicht der, der im Blick auf unsere ablehnende Haltung in hartherziger Anklage verharrt, sondern uns den Weg zum Leben in Fülle weist. Dieser Weg ist der Weg der Umkehr: „Kehrt um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden!“ Der Ostersieg Jesu bricht auch in unserem Leben durch, wenn wir umkehren, wenn wir uns hinkehren zum lebendigen Gott und wenn wir abkehren von einem Lebensstil, durch den wirausbeuten, quälen und töten, was der Urheber des Lebens uns zu einem guten Leben geschenkt hat.
Liebend Gott erkennen (1 Joh 2,1-5a)
Kennen Sie Gott? Wenn ja, wo und wie haben Sie ihn kennengelernt? Was wissen Sie von ihm? Und sind Sie sich wirklich sicher, dass es Gott ist, den Sie erkannt haben? Um diese Fragen geht es im 2. Kapitel des Johannesbriefs. Und sie werden unmissverständlich beantwortet: Wenn wir Gottes Gebote halten, erkennen wir ihn; und umgekehrt: Wer meint, Gott erkannt zu haben, sich aber nicht an seine Gebote hält, der lügt.
Gotteserkenntnis ist für den Autor dieses neutestamentlichen Briefes nicht in erster Linie ein Ergebnis theologischer Spekulationen oder ein Erfolg intensiver Frömmigkeit, sondern ereignet sich in der konkreten Nachfolge. Gotteserkenntnis ist nicht primär eine Sache des Verstandes und des Gefühls, sondern vollzieht sich in der gelebten Tat. Den lebendigen Gott kann man nicht erfassen wie einen Gegenstand, sondern man kann sich ihm nur nähern, indem man in eine lebendige und liebende Beziehung zu ihm und zu allem, in dem und durch das er uns begegnet, eintritt.
Der Maßstab für eine so verstandene Gotteserkenntnis ist das Halten seiner Gebote. Damit ist keine kasuistische Erfüllung von Vorschriften gemeint, sondern ein Leben unter dem Vorzeichen des Doppelgebots der Liebe zu Gott und zu den Menschen. Das heißt konkret: Wer im Namen Gottes Gewalt verübt und Unschuldige tötet, der hat Gott nicht erkannt und darf sich nie und nimmer auf seinen Namen berufen. Wer seine Gottesbeziehung allein auf Gottesdienst und Gebet reduziert, der hat Gott nicht erkannt und übersieht, dass ein Leben aus dem Glauben alle Dimensionen menschlicher Existenz umfasst. Wer in seinem Lebensstil völlig missachtet, dass weltweit 795 Millionen Menschen hungern, dass derzeit 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind, dass jährlich ca. 50.000 Tierarten aussterben usw., der hat Gott nicht erkannt und wird seiner Verantwortung als Mitschöpfer und zugleich als Mitgeschöpf nicht gerecht.
Zeugen für die leibliche Dimension der Auferstehung sein (Lk 24,35-48)
Alle Erzählungen von der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngerinnen und Jüngern haben gemeinsam, dass sie die leibliche Dimension der Auferstehung betonen. Der, der nach drei Tagen vom Tod auferweckt wurde, ist zwar in den Himmel, das heißt in eine völlig andere Wirklichkeit eingetreten. Er ist jedoch ein und derselbe, der inmittenseiner Jünger gelebt, zu ihnen gesprochen, Wunder getan und mit ihnen Brot und Wein geteilt hat. DieBegegnung mit ihm ist somit kein rein geistiges Geschehen, sondern eine konkret greifbare Wirklichkeit.
Auferstehung – als die Mitte des christlichen Glaubens – ist kein bloß jenseitiges Ereignis, sondern schließt Leiblichkeit und Weltbezug wesentlich mit ein. Christen glauben nicht, dass Gott am Ende des Lebens (des Einzelnen und der Welt als ganzer) etwas ganz Neues schafft. Christen wissen vielmehr darum, dass in die Hände und Füße, die der Auferstandene seinen Jüngern zeigt, die Wundmale bleibend eingezeichnet sind; dass „sein Fleisch und seine Knochen“, mit denen er sein Leben im Hier und Jetzt gestaltet hat, auch weiter fassbar bleiben.
Wenn Jesus am Ende der Perikope seine Jüngerschar aufruft, Zeugen für ihn und für die Auferstehung zu sein, dann ist auch darin die leibliche, weltzugewandte Dimension der Zeugenschaft mit eingeschlossen. Zeugen des Auferstandenen ducken sich vor den Verwundungen der Welt nicht weg, sondern helfen mit, dass sie bereits hier und heute im Licht des Ostermorgens verwandelt werden. Zeugen des Auferstandenen verschließen nicht die Augen vor all dem unfassbaren Leid so vieler Menschen und vor dem geschundenen Antlitz der Schöpfung, sondern tun das ihnen Mögliche, damit alle, die heute unter ungerechten Strukturen zerfleischt werden und sich bis auf die Knochen abreiben, das Leben in Fülle erfahren – schon hier und jetzt und einmal für immer.
Dr. Thomas Stubenrauch, Speyer