Miserikordias Domini / 3. Sonntag der Osterzeit (19.04.15)

VorschlÀge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): 1 Petr 5,1-4; 1 Mose 16,1-16;
Joh 10,11-16(27-30);
1Petr 2,21b-25;
Hes 34,1-2(3-9)10-16.31;
Joh 21,15-19 [www.stichwortp.de]

 

Miserikordias Domini / 3. Sonntag der Osterzeit

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 10, 11-16 (27-30) Apg 3, 12a.13-15.17-19 1 Joh 2, 1-5a Lk 24, 35-48

Die Autorin betrachtet alle Bibelstellen des Sonntags.

Predigttext EKD Reihe I : Johannes 10, 11 ff

Assoziationen zum Bild vom guten Hirten

Der Text spricht von Jesus Christus als dem guten Hirten. Dazu fallen mir erst einmal Schlafzimmerbilder ein:

– mit einem sanft blickenden Jesus in einem wallenden Gewand – perfekt sitzend mit korrektem Faltenwurf - ohne Risse, ohne Löcher, ohne Flecken, mit rosigem, glatten Teint, als kĂ€me er direkt aus dem Kosmetikstudio oder dem Wellnessurlaub, mit sauberen FingernĂ€geln und HĂ€nden, die nach zehn Minuten Straße-Kehren Blasen bekĂ€men. Dahinter: ebenso sanft und unschuldig dreinblickende, wohlgenĂ€hrte Schafe vom Typ Merino.

In Wirklichkeit waren Hirten zu allen Zeiten rauhe Gesellen. Dies wird schon deutlich, wenn wir sie mit anderen Namen nennen : Cowboys, Beduinen, Gauchos (zum Gaucho-Tanz der Fußballweltmeister fĂ€llt mir ein: Nach 8 Stunden im Sattel kann ein Gaucho schon mal so Ă€hnlich laufen)

In Wirklichkeit war das immer ein Knochenjob, der Menschen frĂŒh verschleißen, frĂŒh alt werden ließ.

Ein GUTER Hirte – was ist das ? Der GUTE Hirte sorgt fĂŒr die Schafe, die sein Vater ihm gegeben hat. Er ist also der Nachfolger, der Erbe, der zukĂŒnftige EigentĂŒmer – im Gegensatz zum Tagelöhner, zum Leiharbeiter, der heute hier und morgen dort arbeitet, der heute Arbeit hat und morgen arbeitslos ist. Der GUTE Hirte setzt sich bis zum Äußersten fĂŒr SEINE Schafe ein. Er tut dies, weil daran seine Existenz hĂ€ngt, seine Zukunft, sein Leben. Ihr Leben bedeutet, dass er lebt. Wenn es ihnen gut geht, geht es ihm gut, wenn die Herde verloren geht, ist er verloren – ist er sozusagen bankrott. Der GUTE Hirte und seine Tiere sind GefĂ€hrten, sind voneinander abhĂ€ngig, aneinander gebunden – mit Haut und Haaren.

So ist das gemeint mit dem Bild vom GUTEN Hirten.

Jesus – der Hirte und sein Eigentum

Wenn der Evangelist Johannes seiner Gemeinde im ausgehenden ersten Jahrhundert sagt, dass Jesus ihr guter Hirte ist, dann will er ihnen damit deutlich machen: dieser Jesus, den Gott von den Toten auferweckt hat, der lĂ€sst euch nicht im Stich – auch in diesen schwierigen und schlimmen Zeiten der Verfolgung. Denn er ist kein göttlicher Leiharbeiter, der nach Feierabend den Hirtenstab fallen lĂ€sst. Ihr seid sein kostbares Eigentum.

Was bedeutet dies nun fĂŒr uns – außer dem guten GefĂŒhl, zu einer gut gefĂŒhrten Herde zu gehören?

Lehrlinge des guten Hirten

Wenn es einen zentralen Satz gibt, der von Jesus ĂŒberliefert ist, dann dieser: „FOLGE MIR NACH!“ - Jesus sagt nie „Betet mich an!“ aber immer wieder „Folge mir nach!“. Dies heißt nicht einfach, ihm willenlos hinterher zu trotten, was im ĂŒbrigen auch die vielfach als dumm verunglimpften Schafe nicht tun. Alte, erfahrene Mutterschafe fĂŒhren die Jungen und die Unerfahren die richtigen Wege an die richtigen Orte. Sie zeigen manches Mal dem Hirten den richtigen Weg.

FOLGE MIR NACH! Das heißt auch: Ihr sollt sein wie ich. Ihr sollt GUTE HIRTEN sein fĂŒr die, die Gott euch anvertraut. Ihr seid Gottes Kinder, und Gott vertraut euch sein Eigentum an, damit ihr es bewahrt. Gott bindet euch an sein Eigentum, an alle, die er euch anvertraut: seine Menschen, seine Tiere, seine Pflanzen, seine LebensrĂ€ume. Geht es ihnen gut, dann ist dies gut fĂŒr euch. Behandelt ihr sie schlecht, schadet ihr euch selbst.

Wir Wanderarbeiter

Wenn ich mich so umschaue, dann denke ich, dass wir uns viel zu oft benehmen wie Wanderarbeiter. Nicht das wohl der Herde / der Anvertrauten, sondern unser kurzfristiger Vorteil bestimmt unser oft so kurzsichtiges Handeln – auch im kirchlichen Bereich – immer noch.

– Meine Bitte, fĂŒr die LagerkĂŒche eines Zeltlagers Eier aus Freilandhaltung zu kaufen, wurde abgeschmettert mit der BegrĂŒndung, dies sei zu teuer. Bodenhaltung mĂŒsse reichen.
– Meine Bitte, beim Lagergottesdienst auf das Versenden von WĂŒnschen mit aufsteigenden Luftballons zu verzichten, weil so PlastikmĂŒll in der Landschaft verteilt wird, der unter anderem in TiermĂ€gen landet – mit oft tödlichen Folgen – sie wurde belĂ€chelt.
– Die Isolierung des Pfarrhausdachbodens in meiner neuen Gemeinde wurde eingespart.
– Fleisch aus tiergerechter Haltung und schonender Schlachtung beim Gemeindefest ? Fehlanzeige ! Mal kurz aufgeregt ĂŒber die schlimmen GeflĂŒgel- und SchweinezĂŒchter – und dann weiter so mit den zĂŒnftigen Haxen und BratwĂŒrsten

In Kirche und Gesellschaft: Wir benehmen uns wie Leiharbeiter:

– Energiewende – zu teuer
  (Zitat Gregor Gysi: „FĂŒr die Commerzbank war Geld da.“) ,
– weniger Elektroschrott – verdirbt den Spaß,
– weniger VerpackungsmĂŒll – zu mĂŒhsam,
– weniger Autos, mehr öffentlicher Nahverkehr – zu eingeengt und angebunden,
– weniger CO2 – zu wirtschaftsunfreundlich, zu unbequem

Wir verlieren allmĂ€hlich das GefĂŒhl dafĂŒr, dass wir zusammengehören – wir und die anderen Menschen, wir und die anderen Geschöpfe. Wir lassen uns umerziehen zu mobilen, immer und ĂŒberall einsetzbaren Leiharbeitern, LegionĂ€ren. Der Wandel in der Fußballszene ist hierfĂŒr ein Symptom – ein Ausschnitt, der fĂŒr das Ganze steht: FrĂŒher gab es Vereinsbindung – heute Kaufen und Verkaufen von Spielern. Viele Vereine (auch Fußballvereine) stehen vor der Auflösung. Sie werden nicht mehr gebraucht. Aus Vereinen werden GmbHs oder Aktiengesellschaften. Aus Stadien werden Werbearenen.

Verbunden sein mit Menschen und Orten – das kann ein Karrierekiller sein. Mobil sein heißt die Devise. Heute in MĂŒnchen arbeiten, morgen in Berlin, ĂŒbermorgen in London.

Ich finde, es ist Zeit, Alarm zu schlagen !

Wir haben nur diesen einen Planeten. Wir können nicht einfach kĂŒndigen und weiterfliegen zum NĂ€chsten (obwohl ja auch dies schon vorbereitet wird). Wir haben nur diese eine Menschheit. Wir können uns nicht von ihr scheiden lassen. Wir haben nur diese eine wunderbare Gemeinschaft von Geschöpfen. Wir können uns nicht einfach davon ausklinken.

Wir haben nichts anderes, niemanden anderen. Dies ist das Gut, das Erbe, dies sind die Lieben, die Gott uns anvertraut hat, an die er uns gebunden hat, damit wir - wie Jesus, sein Sohn, - gute Hirten sind als seine Kinder.

Kath. Lesejahr B - 1. Lesung: Apg. 3, 12a13-15.17-19

Unschuld schĂŒtzt nicht vor Strafe

„Ihr habt darum gebeten, dass man euch den Mörder schenkt.“
Vorausgeschickt sei, dass niemand geopfert und getötet werden soll – weder Schuldige noch Unschuldige - auch nicht von Staats wegen. Dennoch trifft der Vorwurf des Lukas auch heutige Menschen: Verbrecher lĂ€sst man laufen, Unschuldige werden in MĂŒhlen der Justiz zermahlen. DafĂŒr gibt es unzĂ€hlige Beispiele. NazifunktionĂ€re machten nach dem zweiten Weltkrieg Karriere in der bundesdeutschen Justiz und im BND, sogar in Geheimdienstorganisationen der Amerikaner. Wehrmachtssoldaten, die desertierten und sich den Alliierten anschlossen, sind in Deutschland immer noch nicht rechtlich rehabilitiert. Berlusconi wurde vom Amtsmissbrauch freigesprochen. Edward Snowdown sitzt im Sommer 2014 immer noch in Moskau fest. UmweltschĂŒtzer mĂŒssen in vielen LĂ€ndern um Freiheit, Leib und Leben fĂŒrchten. Die Menschenrechtsorganisation Global Witness recherchierte mehr als 700 Morde an UmweltschĂŒtzern und Aktivisten, die sich fĂŒr indigene Rechte einsetzen, im Zeitraum zwischen 2003 und 2013.

Kath. Lesejahr B ; 2. Lesung : 1. Johannes 2,1-5a

Gottes GĂŒte in unseren HĂ€nden und FĂŒĂŸen

Die Liebe darf nicht nur bekannt und beschworen, sie muss gelebt werden. Zum Leben gehört das Scheitern – an eigenen und fremden AnsprĂŒchen, an berechtigten und unberechtigten Erwartungen, an Zielen, an Aufgaben, an VorsĂ€tzen, an der Liebe, an der Gerechtigkeit, an uns anvertrauten Menschen, an Gott.
Wir scheitern jeden Tag:

  • Wir fliegen schnell und billig in den Urlaub.
  • Wir kaufen das schöne und billige T-Shirt aus Bangladesch.
  • Wir nehmen das Auto statt Rad oder Bahn.
  • Wir lassen das LadegerĂ€t in der Steckdose und den PC eingeschaltet.
  • Wir essen den Döner mit Putenfleisch
  • Wir schmĂŒcken AltĂ€re mit Blumen aus pestizidverseuchten Plantagen.
  • Wir lassen die gewĂ€hren, die die Erde ausrauben, missbrauchen, verunstalten und verletzen.
  • Wir sehen und hören weg.
  • Wir kaufen uns frei mit MĂŒlltrennung und Kaffee aus fairem Handel.

Es gilt beides: der Anspruch und die Entlastung durch Christus, sagt der Text. Das eine – sagt er - hebt das andere nicht auf. Vergebung entbindet nicht vom ehrlichen BemĂŒhen. Der hohe Anspruch verbietet nicht die Barmherzigkeit mit dem Scheiternden. Entscheidend ist, dass die Liebe zu Menschen und Geschöpfen ehrlicher Teil unseres Lebens ist (Scheitern inbegriffen). Gottes GĂŒte soll in unserer gĂŒtigen Zuwendung zu allem Lebendigen HĂ€nde und FĂŒĂŸe bekommen – menschliche HĂ€nde und FĂŒĂŸe. Die können mĂŒde werden, ungeschickt sein, stolpern, Blasen bekommen; aber sie können auch aufstehen, lernen, ĂŒben, besser, geschickter und belastbarer werden

Kath. Lesejahr B – Evangelium: Lk. 24, 35-48

Gottes Geist ĂŒberwindet Grenzen

Der Auferstandene verheißt seinen JĂŒngern die Gabe des Geistes und gibt ihnen den Auftrag, Umkehr „zur Vergebung der SĂŒnden unter allen Völkern“ zu predigen. Aus der Fortsetzung in der Apostelgeschichte (PfingsterzĂ€hlung) wissen wir, dass sich die dynamische PrĂ€senz dieses Geistes darin erweist, dass er Grenzen zwischen Menschen unterschiedlicher Sprache, Tradition und Kultur ĂŒberwinden kann. Er kann dies heute noch – wenn man ihn lĂ€sst (hereinlĂ€sst, zulĂ€sst an uns heran lĂ€sst). Menschen haben die Tendenz, Gottes Geist zĂ€hmen zu wollen, zu kanalisieren, einzusperren in religiöse und gesellschaftliche Klimaanlagen, fĂŒr sich zu beanspruchen, ihn anderen vorzuenthalten oder abzusprechen.

Wo weht der Geist Gottes am stĂ€rksten ? „In der Amtskirche“, sagt die Amtskirche; „Im Salafismus“, sagen die Salafisten; „Bei den wiedergeborenen Christen“, sagen die Evangelikalen; „Bei den orthodoxen Juden“, sagen orthodoxe Juden, „Bei den Armen“, sagen eine-Welt-Aktivisten“; „Bei den TierschĂŒtzern“, sagen TierschĂŒtzer, „Bei den Pazifisten“, sagen Pazifisten.

Gottes Geist braucht die Freiheit, zu wehen, wo er will. Einsperren geht nicht. In dem Fall macht er sich – glaube ich – aus dem Staub. Erst wenn wir herausgehen aus unseren muffigen RĂ€umen haben wir die Chance, ihn neu aufzuspĂŒren und zu spĂŒren, wie er – auch in uns – Grenzen ĂŒberwindet.

Heike Krebs, Ensheim