Neujahrstag / Hochfest der Gottesmutter Maria (01.01.23)

Neujahrstag / Hochfest der Gottesmutter Maria [V/A]

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Lk 4,16-21 Num 6, 22-27 Gal 4, 4-7 Lk 2, 16-21

Ein gutes neues Jahr – eine gute neue Chance

Impulse zum nachhaltigen Gleichgewicht zwischen unseren äußeren Gesetzen und der Gottesliebe

Gibt es bei uns nicht unendlich viele Regeln, Paragraphen, Konventionen? Sind unsere Gesetzeswerke – gleich ob innerkirchlich oder gesellschaftlich – nicht so komplex, dass es schwer ist, noch Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden? Worin gründet eigentlich unsere Gesetzestreue? Haben nicht diejenigen die besten Chancen, ihr Recht zu erhalten, die Rechtsanwälte gut bezahlen können? Lebt es sich vielleicht besser, weniger mitzudenken, dafür aber zu nutzen, was ich bekommen kann? Was geht mich das als Christin an? Wie ernst nehme ich unsere Gesetze wirklich?
Paulus sagt dazu, als er unter den Galatern einen Streit schlichten musste: „(Handelt) nicht aus Gesetzeswerken, sondern aus Glauben!".

Schaue ich zurück auf unser vergangenes Jahr, so fällt mir auf, dass wir es mit drei großen Herausforderungen zu tun hatten und noch im neuen Jahr haben werden. Sie alle hatten mit vielen Regeln und Gesetzen zu tun:

  • Da ist das Virus: Es gab Regeln und Bestimmungen ohne Unterlass – sie helfen, zurecht zu kommen, sie zerstörten aber auch viel Lebendiges, viel Schönes unter uns.
  • Da sind die Herausforderungen durch die Erderhitzung: Welche gerechten Gesetze brauchen wir, um noch das 1,5 Grad Ziel erreichen zu können? Wie wollen wir entsprechend sanktionieren?
  • Nicht zuletzt ist da der Krieg um die Autonomie der Ukraine. Wie fassungslos waren wir als sich die vorhandenen Regelsysteme und internationalen Gesetze als nicht nachhaltig und unbrauchbar erwiesen? Wie eigentlich müssen Gesetze und Verträge sein, um einen nachhaltigen Frieden zu haben, der nicht im Ernstfall wie eine Pappschachtel zusammenfällt?

Paulus spricht im Galaterbrief von einer „Sklaverei" durch das Gesetz! Er wirbt für eine innere Freiheit. Das begründet er mit einer Dringlichkeit der Zeit: Es muss jetzt entschieden werden, weil die Zeit so wertvoll ist. Jetzt ist die Zeit!

  • Unmöglich – das geht gar nicht - die Regeln einfach weglassen? Legal-illegal-egal wie legal? Wie sollen wir ohne Regeln und Gesetze Kriege beenden, Viren stoppen oder gar die Erderhitzung? Ebenfalls ist es ein No-Go, denen die Tür zu öffnen, die mit liberalem Freiheitsverhalten die Freiheit Anderer missachten. Und: „Zeitdruck" führt zu Kurzschlüssigkeit und Fehlern. Welche Mittelwege also sind vorstellbar?

  • Es ist leichter gesagt als getan. Wenn Paulus sagt: „Sei kein Sklave des Gesetzes", so meint er damit, dass wir im Besitz der „Sohnschaft" Gottes sind. Und: Dazu gehört selbstverständlich die respektvolle Debatte mit Menschen anderer Meinung: faires, liebevolles Ringen um Lösungen, Kompromisse machen. Jedem steht Würde zu und jedem die Gottessohnschaft und Gottestochterschaft.

 

Zu den heutigen Texten:

Alle biblischen Texte von heute sind wunderbar kraftvoll und erfrischend – passend zum Anfang des Neuen Jahres. Je auf ihre Weise erzählen sie davon, wie aus christlicher Sicht nachhaltige Lösungen gehen:

1.1) Zum Galaterbrief: Als Sachwalter Gottes sind wir im Geist der „Söhne und Töchter Gottes" mit der vollen Kompetenz ausgestattet, mit der vollen Kompetenz Schöpfungsmacht (Vollmacht).

1.2) Wir befinden uns nicht mehr in dem Räderwerk der Zeit, das uns vor sich hertreibt, auch sind wir sonst von niemandem die Sklaven. Wir müssen nichts müssen, wir dürfen nur wollen. Wir sollten handeln! Unsere Zeit steht ganz in Gottes Händen und wir gestalten unsere Mitwelt autonom. In unserem Gewissen stehen wir vor Gott. Ob und welcher Erfolg unserem Handeln folgen wird – das liegt ohnehin in Gottes Händen.

1.3) Als „Söhne" und „Töchter" sind wir „Erben". Das meint, wir sind noch die einzigen, die es überhaupt regeln können, denn es gibt sonst keine Erben. Gott schaut mir ins Angesicht. Wer, wenn nicht ich? Wann, wenn nicht Jetzt?

2.1) Zu Lukas 4,16-21: Jesus, das Beispiel: Er klappt nach dem Ablesen des tradierten Gesetzeswissens das dicke Buch zu und legt es nun „an die Seite"! Das bedeutet: Er übernimmt in diesem „Augenblick" die volle Wahrheit der Schrift durch seine ganze Person – mit Haut und Haar. So etwas kann jedem von uns passieren und wir beginnen, frei und selbst zu handeln und zu sprechen! „Alle Augen" waren auf Jesus gerichtet. Er sprach: Jetzt! Heute! Das geschriebene, verwaltete und gelehrte Gesetz findet einen Menschen und wird echt und lebendig. Jesus proklamiert etwas, was sonst nur Regierungschefs tun: Ein neues Reich unter dem Segen Gottes.
Er wartet nicht mehr auf andere, die es für ihn vielleicht besser regeln könnten – keine weitere Sicherheit, keine Zusatzversicherung, kein Hadern und kein Zaudern mehr. Die Zeit ist da: Jetzt beginnt das Erlassjahr, das Ende der Schuldknechtschaft, die Neuverteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen, die Freisetzung der Sklaven...

  • Ich frage mich: Habe ich den Mut, für die innersten Überzeugungen einzustehen, zu handeln, mich souverän einzusetzen für die Reich-Gottes-Botschaft, für Minderbemittelte, für Ausgegrenzte, für Unsichtbare? Wie sieht es aus mit meiner Bereitschaft, auf eigene Wohlfühlprivilegien zu verzichten? Nehme ich mir genug Zeit für die Pflege meiner geistlichen Kräfte, für bewusste „Wüstentage" – so wie Jesus sie machte? Der LK Text vom Coming Out Jesu endet mit der versuchten Steinigung Jesu durch die Zuhörerschaft! (Er aber entschwand ihnen nur mit Gottes Hilfe.)

3.) Auch Lk 2,16-21 erzählt von einem eindeutigen Zeichen, welches das JETZT zum neuen Handeln ankündigt. Das eindeutige Zeichen ist das geborene Kind, Gott im Menschenkind, in einem Milieu der Randgesellschaft. Das alte Gesetz wird zum neuen Gesetz: lebendig, liebevoll, frei / autonom und deshalb bleibend bedroht. Es sind die Hirten, die das Zeichen als Erste entziffern können: Für sie wird alles besser werden. Maria ist die Zweite: Sie erkennt aber auch zugleich - und das schon seit dem Beginn ihrer Schwangerschaft mit ganzem Körper und allen Sinnen – dass es bedrohlich sein wird, dass sie das Wort, das lebendige Gesetz ausgetragen hat hinein in die krisengeschüttelte Welt. Er und sie werden in Gefahr leben.

4) In Num 6 wird wie in Gal 4 deutlich, dass unsere volle Macht durch Gott schon längst gegeben ist – wir sollten sie nutzen. Er selbst begleitet uns mit seinem Segen. Sein Angesicht erscheint nicht nur über uns, sondern vis-a-vis.
Ja, DU bist gemeint! Geh! Du kannst es! Gott schaut mich an: Wer, wenn nicht ich? Wer, wenn nicht wir? Lösungen suchen, Streit überwinden, schlichten, Gesetze in ihrem innersten Sinn verstehen und verkünden, die Herausforderungen 2023 anpacken, dem Populismus widerstehen. Wir leben in einer Demokratie und diese lebt von freien, in ihrem Gewissen verankerten Menschen, vielfältig, weltweit verbunden mit ebenso liebenswürdigen Menschen. Freunde und Feinde, wir gehören zusammen, denn alle haben ein Herz und sind Gottes Geschöpfe.


5) Ich weise über das Biblische hinaus auf engagierte Bewegungen von Bürger*innen hin, die dafür eintreten, im Hier und Jetzt zu handeln: Ich zitiere beispielhaft zwei Personen aus der humanistischen und libertären Bewegung des 19. Jhdt's und zwei aktuelle Bewegungen:

5.1) Friday for future/Schule jetzt wandeln: „Klima und Religion", Mitmachen, Regionalgruppen
https://fffutu.re/klima-und-religion
https://fridaysforfuture.de/mitmachen/
https://fridaysforfuture.de/regionalgruppen/

5.1) Extinction Rebellion: Sie haben 10 Regeln gegeben, setzen sich mit gewaltfreien Mittel für ein nachhaltiges Leben ein und pflegen einen fürsorglichen, liebevollen Umgang untereinander. Mit zivilen Aktionen machen sie aufmerksam auf zerstörende Automatismen in unserem gesellschaftlichen Alltagsverhalten, das sie zeichenhaft in aller Öffentlichkeit unterbrechen. Konflikten gehen sie nicht aus dem Weg. https://extinctionrebellion.de/documents/99/Rebellionskonsens_Zusammenfassung.pdf

5.3) Bürgerbewegungen aus dem Ende des 19. Jhdt. riefen die Autonomie der Vernunft und die persönliche Gewissensentscheidung ins Bewusstsein, die jedem Christen und Menschen – angesichts zunehmenden Populismus und gesellschaftlicher Aufrüstung und Militarisierung des Denkens, dem die meisten Vertreter der Politik, der Konzerne, der Waffenindustrie und auch der Kirchen anheim gefallen waren. Ich zitiere als Beispiele zwei Personen:

  • Leo N. Tolstoi, russischer Christ, Pazifist und Schriftsteller:
    • - „Die wichtigste Stunde im Leben ist immer der Augenblick; der bedeutsamste Mensch im Leben ist immer der, welcher uns gerade gegenüber steht; das notwendigste im Leben ist stets die Lieb."
    • - „Im Herzen eines Menschen ruht der Anfang und das Ende aller Dinge." (https://gutezitate.com/zitat/221811)
  • Gräfin Bertha von Suttner, österreichische Christin, Humanistin, Pazifistin, Schriftstellerin, Friedensnobelpreisträgerin:
    • - „Was dieser Opportunismus schon alles auf dem Gewissen hat, es ist schauderhaft! Er ist der Hemmschuh, die Sklavenkette, die sich an jede energische Tätigkeit hängt, die alles hindert, die jede Handlung unmöglich macht; er ist der Grund der heutigen Flügellahmheit, des Misstrauens."
    • - „Merkwürdig, wie blind die Menschen sind! Die Folterkammern des finstren Mittelalters flößen ihnen Abscheu ein; auf ihre Arsenale aber sind sie stolz." (https://gutezitate.com/autor/bertha-von-suttner)

Die vielen Gesetze und Vorschriften, die Regelwerk und Sicherheitskonzepte – sie alle sind wertvoll. Aber nur zum Verwalten taugen sie nicht und auch nicht für populistische Phrasen. Hohle Begründungen wären fahrlässig und rufen mit dem Unverständnis langfristig den Ärger hervor. Sie sind nicht mehr als eine Grundlage für gutes Ringen und Streiten um bestes Leben – für Versöhnung, für Kompromisse, für Umweltschutz und gegen die globale Ernährung.
Nachhaltig werden sie sein, wenn wir sie in ihrem tiefsten Kern verstehen. Dann können wir sie mit unserem eigenen Leben füllen. Unter dem ´Namen Gottes' sind wir frei. Sein Segen wird ´auf uns' liegen.

Lied: Ich empfehle zu guter Letzt das bekannte Kirchenlied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde"

Bernadette Ackva, Schöffengrund