Neujahr / Hochfest der Gottesmutter
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Spr 16, 1-9 | Num 6, 22-27 | Gal 4, 4-7 | Lk 2, 16-21 |
Hinweis: Im Juni 2012 fand in Rio de Janeiro der Gipfel der Vereinten Nationen „Rio+20" für Nachhaltige Entwicklung statt, der sich am Gipfel am gleichen Ort im Jahr 1992 orientiert. Der Autor setzt die Schrifttexte des Neujahrstages aus der evangelischen und katholischen Leseordnung mit den Themen dieses Gipfels und mit den Millennium-Entwicklungszielen im Blick auf die Nachhaltigkeit in Bezug.
Spr 16, 1-9 / Num 6, 22-27 / Gal 4, 4-7 / Lk 2, 16-21
Was haben die Schrifttexte dieses Neujahrstages mit dem „Gipfel Rio+20" im Juni 2012 zu tun? „Der Mensch entwirft die Pläne im Herzen, doch vom Herrn kommt die Antwort auf der Zunge. Jeder meint, sein Verhalten sei fehlerlos, doch der Herr prüft die Geister." (Spr 16,1f) Das sind die ersten Verse des heutigen Predigttextes der evangelischen Reihe. Ist das nicht auch die Erfahrung des Gipfeltreffens in der brasilianischen Hauptstadt zwanzig Jahre nach dem großen Gipfel dort: „Der Mensch entwirft die Pläne" – Was haben sich die Diplomaten und die Regierungen in den letzten zwanzig Jahren an Plänen überlegt? Wie sie die Umwelt retten wollen. Wie sie Nachhaltigkeit als Ziel formulierten und so ein neues Zeitalter einläuten wollten: Ein Zeitalter der globalen Verantwortung. Ein Zeitalter des weltweiten Miteinanders. Ein Zeitalter, das die Wende bringen sollte, damit auch die Kinder und Kindeskinder noch eine gute Zukunft haben. All das waren Pläne, doch was ist tatsächlich daraus geworden? Sicher ist manches besser geworden, manches gelungen, zumindest auf den Weg gebracht. Aber wie ernst war der Wille, die Beschlüsse durchzusetzen? Wäre schon damals beim Gipfel in Rio 1992 eine „Geistprüfung" öffentlich sichtbar gewesen, wer weiß, was von den hohen Worten wirklich hohe und was hohle Worte waren? Zwanzig Jahre später wird manches deutlich und deutlicher. Aber es wird auch wieder deutlich, dass wir auch heute noch – trotz der Erfahrungen dieser zwei Jahrzehnte – hinter dem zurückbleiben, was damals in guter Absicht auf den Weg gebracht wurde. Wie wenig sind wir heute bereit, diesen guten Weg weiter zu gehen, einen Schritt weiter, weil wir eigene Nachteile befürchten – oder zumindest ein Stagnieren des Wohlstandes. Wie leicht ist es, von den „Großen" der Welt etwas zu fordern und im eigenen Bereich das Umdenken zu verweigern, weil es da ja konkret wird mit dem neuen Lebensstil...
Auch die Millennium-Entwicklungsziele sind solche Pläne, wie das Zusammenleben nachhaltig gelingen kann: Rückgang der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Müttergesundheit, Eindämmung der Krankheiten wie AIDS und Halbierung der absoluten Armut, eine Grund-Bildung für alle Kinder, mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, zwischen den Völkern und zwischen Mensch und Natur... – Was ist daraus geworden? Werden in den zwei verbleibenden Jahren bis 2015 auch nur einzelne dieser acht Millennium-Ziele tatsächlich erreicht und nachhaltig erreicht? „Der Herr prüft die Geister." (Spr 16,2b) Das klingt wie eine Drohung, die doch folgenlos zu bleiben scheint. Denn was passiert mit denen, deren „Geister" geprüft werden? Was ändert sich hin zu einer besseren Welt? Siegen am Ende nicht doch die, die hartnäckig am Bisherigen festhalten?
In solch grundlegenden Zukunftsfragen der Menschheit kann niemand über den Misserfolg der Pläne zufrieden sein: Auch nicht, um zu belegen, dass es vielleicht gar nicht so ernst gemeint war in der Absicht damals. Denn vom Scheitern dieser Ausweg-Pläne hängen Existenzen ab, hängt wirklich die Zukunft des menschlichen Lebens ab – zumindest auf dieser Erde. „Befiehl dem Herrn dein Tun an, so werden deine Pläne gelingen." (Spr 16,3). Vielleicht ist es das, was den wirklichen Trost gibt: Wer sich einsetzt für eine nachhaltige Bewahrung der Schöpfung; wer sich einsetzt für den Plan Gottes, nicht für den eigenen, dessen Pläne werden vom Erfolg gekrönt sein. Das zumindest sagt die Bibel. Und wir wissen doch eigentlich auch: Es funktioniert nicht im Gegeneinander. Es funktioniert nicht im eigensinnigen immer mehr Haben-Wollen, in der Gier nach dem eigenen Vorteil, auch auf Kosten anderer. Diese Wege werden scheitern – und auch dann, wenn sie einen neuen Anstrich bekommen, aber doch die alten, ausgetretenen Wege sind: Wer zum Beispiel in der Green-Economy nur das Wirtschaftswachstum unter neuen, quasi-ökologischen Vorzeichen sieht, der bleibt in den altbekannten Wegen, die nicht zum Ziel führen. Wer nur immer mehr haben will, in welchen Bereichen auch immer, der lebt zwangsläufig auf Kosten anderer, die immer weniger haben. Wer in den alten Strukturen verharrt und etwa soziale Ungerechtigkeit gegen ökologische Verantwortung ausspielt - hier Verbesserung um den Preis des dortigen Verlusts - der bucht weiter vom Guthaben ab, das diese Erde nur begrenzt hat. Der bucht vom Guthaben der eigenen Zukunft ab.
Kann man die Schrifttexte aber wirklich einfach so analog setzen zu konkreten wirtschaftlichen, umweltpolitischen oder gesellschaftsethischen Problemen? Kann man das „Alles hat der Herr zu seinem Zweck erschaffen, so auch den Frevler für den Tag des Unheils" (Spr 16,4) als Warnung nehmen für das konkrete politische Handeln? Ist es nicht zynisch, dieses „Jeder ist für etwas gut – und sei es als schlechtes Beispiel" auf das Versagen von globalen Lösungen für die globalen Fragen der menschlichen Existenz zu deuten? Vielleicht passt es besser, wenn der Folgevers als Mahnung dient: „Ein Gräuel ist dem Herrn jeder Hochmütige, er bleibt gewiss nicht ungestraft" (Spr 16, 5). Ein „Einfach-weiter-so" führt nicht zum Heil. Ganz konkret merken wir das ja schon, wenn sich in unserem Alltag der Klimawandel auswirkt: wenn Naturkatastrophen auf uns einschlagen – die wir doch selbst verursacht haben. Wenn wir mit unserer Art des Wirtschaftens in Wirtschaftskrisen stürzen, Länder vor dem Ruin stehen, berufliche und private Existenzen an ihre Grenzen kommen. Wie leicht ist es für uns, darüber zu klagen, wenn andere am Minimum ihrer Existenz leben müssen und von solchen Veränderungen noch viel existenzieller betroffen sind als wir? Da ist das Wort vom Hochmut und der Androhung der Strafe vielleicht verständlicher. Wer Raubbau betreibt mit den Ressourcen der Erde, der spricht sich selbst das Urteil. Wer hochmütig nur sich selbst im Blick hat, für den gibt es auf Dauer keine Zukunft, der wird vielleicht selbst noch gerade so überleben, aber der vernichtet damit die Grundlage für die weitere Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder. Und der vernichtet schon jetzt die Zukunft seiner Zeitgenossen auf der anderen Seite der Erde. Der verbaut sich eine Zukunft, die über die eigene Existenz und die zeitliche Begrenztheit des eigenen Lebens hinausweist. „Er bleibt gewiss nicht ungestraft!" (Spr 16, 5b).
Was also tun? Der Schrifttext von heute weist einen Weg, wenn er auch nur abstrakt die grobe Richtung vorgibt, die wir in unserem Leben und unseren Beziehungen erfüllen müssen: „Besser wenig und gerecht als viel Besitz und Unrecht" (Spr 16, 8). Die „Ethik des Genug", wie es der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, formuliert hat, zeigt sich im konkreten Alltag: Besitz ist nicht in sich schlecht. Eigentum verpflichtet aber zum verantwortungsvollen Umgang zum Wohl der Gemeinschaft. Das ist nicht nur eine juristische Forderung im Grundgesetz, sondern auch eine fundamentale ethische Regel für ein gutes Zusammenleben. Das Anhäufen von eigene Besitz auf Kosten anderer, also das Zementieren ungerechter Strukturen, die sich nicht am Bedarf, sondern an der Gier und der Potenz orientieren, fangen schon im Kleinen an: Wenn die Kleidung nicht mehr kosten darf als ein paar Euro, auch um den Preis von unwürdigen Arbeitsbedingungen für die, die sie produzieren; wenn das zweite und dritte Auto als bequemes Statussymbol dient – und die hohen Benzinpreise zwar lästig, aber doch erträglich sind, solange die Bequemlichkeit nicht leidet, die so ein Auto bietet. Und wenn die Zinsen auf dem Konto das entscheidende Kriterium für eine „gute" Geldanlage sind – gleich, wie solche „Zinsen" erwirtschaftet werden und auf wessen Kosten. Es sind Äußerlichkeiten, die scheinbaren Erfolg vorgaukeln, die aber nicht das Heil in sich tragen. Am Ende bleibt nichts zurück, was wirklich Bestand hat; es zerstört schon jetzt, statt aufzubauen und zu bewahren. Es zementiert die Ungerechtigkeit.
Gott mahnt uns dagegen immer wieder, den Weg der Gerechtigkeit zu suchen. Denn das ist der Weg, den er selbst für seine Schöpfung vorgesehen hat. Gott will die Zukunft der Menschen – nicht nur für kurze Zeit und für wenige, sondern ein „Leben in Fülle" (Joh 10,10) für alle Menschen. Das ist der Segen Gottes, der auf den Menschen liegt, vom Anbeginn der Welt an bis heute: es ist der Segen, der Bestand hat, der uns leben lässt, auch in Zukunft. Dann lässt der Herr „sein Angesicht über dich leuchten" und ist uns gnädig. So wendet uns der Herr sein Antlitz zu und schenkt uns Heil. Das ist die Zusage des aaronitischen Segens (Num 6, 22-27), der von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Das ist der Segen Gottes, seine Zusage für die Menschen, sein Versprechen für eine gute Zukunft.
Das ist aber nicht nur eine abstrakte Vorstellung, ein guter Wunsch und ein gutes Gefühl. In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, „als die Zeit erfüllt war" (Gal 4, 4) ist dieser Segen Gottes so konkret geworden, wie wir es uns nur vorstellen können: Er ist aus Fleisch und Blut, tatsächlich als Mensch unter Menschen zu uns gekommen, um uns frei zu machen von den Dingen, in die wir uns verstricken und abhängig machen (vgl. Gal 4, 7). Er bleibt Gott und wird Mensch – in aller Konsequenz. Man nennt ihn auch den „Retter", den „Friedensfürst" und den „Erlöser". Wie sehr können wir dieses Vorbild gebrauchen! Der Retter für die Armen und Unterdrückten: Das ist nicht nur ein schöner Titel. Das hat auch Konsequenzen für das Leben – bis heute. Wo sind heute diejenigen, denen es am Nötigsten zum Leben fehlt? Es sind konkrete Menschen mit ihren Lebensgeschichten und Schicksalen, die wir gerne statistisch zusammenfassen als Menschen „in absoluter Armut". Ob es 1 Dollar am Tag zum Überleben ist oder 1, 25 Dollar. Was macht das schon in der Statistik? Dort bleiben es Zahlen. Aber was macht das mit den konkreten Menschen? Was bedeutet „Unterdrückung" jenseits des Wortes konkret? Wo leben Menschen in ungerechten Verhältnissen, weil andere – weil wir – es uns gut gehen lassen? Weil wir günstig und ganzjährig nach Lust und Laune konsumieren wollen? Weil wir an Rabatten mehr interessiert sind als an Ressourcen? Weil wir unsere Ansprüche und unsere Bequemlichkeit wichtiger sehen als die Bedingungen, unter denen wir unsere Annehmlichkeiten erzielen? Gott wird Mensch – für alle Menschen. Er kommt nicht als Fürst, sondern als Friedensfürst; er kommt nicht als Retter aus einer Unannehmlichkeit, sondern als Erlöser aus einer existenziellen Not. Er ist solidarisch mit den Armen und Schwachen seiner Zeit – und drängt uns, solidarisch zu sein mit den „Kleinen" und „Armen und Bedrängten aller Art". Das ist nicht nur das süßliche Kindlein in der Krippe (vgl. Lk 2, 16), das ist ein weltverändernder Einschnitt, den wir an Weihnachten gefeiert haben und weiter feiern. Das Geschenk der Menschwerdung ist nicht nur eine Gabe zu unserem Heil, das ist auch eine Aufgabe an uns heute. „Die Liebe Christi drängt uns!" (2 Kor 5,14)
Dr. Michael Kinnen