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Joh 6, 30-35 | Koh 1, 2; 2, 21-23 | Kol 3, 1-5.9-11 | Lk 12, 13-21 |
Haben oder Sein?
Die thematischen Schwerpunkte des Sonntags
In der „festlosen“ Zeit des Kirchenjahres kommt es immer wieder einmal vor, dass protestantische und römisch-katholische Leseordnung sehr unterschiedliche thematische Schwerpunkte für einen Sonntag setzen. So auch für diesen Sonntag:
Im liturgischen Kalender der protestantischen Kirchen steht der 7. Sonntag nach Trinitatis im Zeichen des Abendmahles: Brot und Wein stiften Verbindung mit Gott und untereinander und stillen einen geistlichen Hunger, den physisches Brot allein nicht stillen kann.
Die Lesungen für den 18. Sonntag im Jahreskreis thematisieren deutlich allgemeiner das Verhältnis von irdischen und himmlischen Gütern: Das Evangelium (Lk 12,13-21) warnt mit dem Gleichnis vom reichen Kornbauern davor, sich allein auf irdische Güter zu verlassen, alttestamentliche (Koh/Pred 1,2 und 2,21-23) wie neutestamentliche (Kol 3,1-5.9-11) Lesung sprechen von der „Eitelkeit“ des Lebens allein nach irdischen Maßstäben.
Hintergrundüberlegung: Haben oder Sein?
In allen Lesungstexten begegnet eine Spannung irdisches Leben – himmlisches Leben (bzw. erlöstes Leben, Leben der Gläubigen). Die Auslegung muss hier aufpassen, nicht in einen Dualismus zu verfallen oder das Leben der Gläubigen zu vergeistlichen. Solch ein gnostisch-manichäistisches Verständnis christlicher Existenz würde den Texten nicht gerecht.
Diesen geht es – in je unterschiedlicher Zuspitzung – darum, eine Lebenshaltung zu hinterfragen, die ihre Sicherheit allein oder in erster Linie in irdischem Besitz findet: „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.“ (Lk 12,21) Es geht also in letzter Konsequenz um die Werthaltungen, die unser Leben als Christ:innen bestimmen.
Die Kritik daran, sich (allein) auf irdische Güter zu verlassen, kann natürlich als Wohlstands- und Wachstumskritik gelesen werden – und damit bieten die Lesungstexte Verbindungspunkte zu der Wachstumskritik, die in den meisten kontemporären Konzepten eines nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens zu finden sind („Green Growth“, „De-Growth“ oder Post-Wachstums-Ökonomie, um nur einige Stichworte zu nennen).
Wer diese Verbindungspunkte in der Predigt nutzen will, sei allerdings daran erinnert, dass die Lesungstexte tiefer und umfassender denken als nur in ökonomischen Dimensionen. Es geht um die Frage der grundsätzlichen Lebenshaltung. Der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm bringt vor knapp fünfzig Jahren dies Frage auf den Punkt „Haben oder Sein?“. In seinem 1976 erschienenen Buch reflektiert er die „seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ (so der Untertitel). Die aktuelle, westlich-kapitalistische Gesellschaft sei vom Haben geprägt:
„Die Existenzweise des Habens leitet sich vom Privateigentum ab. In dieser Existenzweise zählt einzig und allein die Aneignung und das uneingeschränkte Recht, das Erworbene zu behalten. Die Habenorientierung schließt andere aus und verlangt mir keine weiteren Anstrengungen ab, um meinen Besitz zu behalten bzw. produktiven Gebrauch davon zu machen. Es ist die Haltung, die im Buddhismus als Gier, in der jüdischen und der christlichen Religion als Habsucht bezeichnet wird: Sie verwandelt alle und alles in tote, meiner Macht unterworfene Objekte.
(…)
In der Existenzweise des Habens gibt es keine lebendige Beziehung zwischen mir und dem, was ich habe. Es und ich sind Dinge geworden, und ich habe es, weil ich die Möglichkeit habe, es mir anzueignen. Aber es besteht auch die umgekehrte Beziehung: Es hat mich, da mein Identitätsgefühl bzw. meine psychische Gesundheit davon abhängt, es und so viele Dinge wie möglich zu haben. Die Existenzweise des Habens wird nicht durch einen lebendigen, produktiven Prozess zwischen Subjekt und Objekt hergestellt. Sie macht Subjekt und Objekt zu Dingen. Die Beziehung ist tot, nicht lebendig.“
(Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1976 [Deutsche Verlagsanstalt], zitiert nach der Online-Publikation: https://keinding.com/onewebmedia/Haben-oder-Sein.pdf, aufgerufen am 12.12.2024, S. 83f)
Den Unterschied zur Existenzweise des Seins macht Fromm in einem Vergleich mit einem blauen Glas deutlich:
„Ein blaues Glas erscheint blau, weil es alle andern Farben absorbiert und sie so nicht passieren lässt. Das heißt, wir nennen ein Glas blau, weil es das Blau gerade nicht in sich behält. Es ist nicht nach dem benannt, was es besitzt, sondern nach dem, was es hergibt.“ (AaO., S. 95f)
Sein ist für Fromm immer In-Beziehung-Sein: „Wir Menschen haben ein angeborenes, tief verwurzeltes Verlangen zu sein: unseren Fähigkeiten Ausdruck zu geben, tätig zu sein, auf andere bezogen zu sein, dem Kerker der Selbstsucht zu entfliehen.“ (AaO., 108). Es ist eine Existenz, die daher Sicherheiten aufgibt und sich einlässt auf das, was ihr begegnet, und die Personen, die ihr begegnen. Diese Existenz lebt in einem Gleichgewicht von Aktivität und Passivität, von Geben und Empfangen.
Jesus ist für den Juden Fromm ein „Held des Seins“, jedoch sei die Christianisierung Europas im 13. Jahrhundert ins Stocken gekommen und Europa lebe heute eigentlich nach heidnischen Idealen:
Jesus „war der Held der Liebe, ein Held ohne Macht, der keine Gewalt anwandte, der nicht herrschen wollte, der nichts haben wollte. Er war ein Held des Seins, des Gebens, des Teilens. Diese Eigenschaften beeindruckten die Armen Roms zutiefst, und auch einige der Reichen, die an ihrer Selbstsucht zu ersticken drohten. Jesus appellierte an die Herzen der Menschen. Vom intellektuellen Standpunkt aus wurde er bestenfalls für naiv gehalten. Dieser Glaube an den Helden der Liebe gewann Hunderttausende von Anhängern, von denen viele ihre Lebenspraxis änderten oder selbst zu Märtyrern wurden.“ (AaO., S. 149f)
Dieses Urteil „bestenfalls naiv“ beherrsche aber auch heute noch die westlichen Werthaltungen: „Wenn wir in unser Inneres schauen und uns das Verhalten fast aller Mitmenschen und unserer politischen Führer betrachten, ist nicht zu leugnen, dass unser Vorbild, unser Maßstab für das Gute und Wertvolle immer noch der heidnische Held ist. Die Geschichte Europas und Nordamerikas ist trotz der Bekehrung zum Christentum eine Geschichte der Eroberungen, der Eitelkeit und der Habgier; unsere höchsten Werte sind: stärker als andere zu sein, zu siegen, andere zu unterjochen und auszubeuten. Diese Wertvorstellungen decken sich mit unserem Ideal von ‚Männlichkeit‘: nur wer kämpfen und erobern kann, gilt als Mann, wer keine Gewalt anwendet, ist schwach und damit ‚unmännlich‘.“ (AaO., S. 150f)
Im letzten Teil seines Buches skizziert Erich Fromm dann sehr ausführlich den Weg zu einer neuen Gesellschaft, die sich nicht mehr am Haben, sondern am Sein als obersten Wert ausrichtet. Zu den Fähigkeiten – oder: Lebenshaltungen – der neuen Menschen in dieser neuen Gesellschaft gehören unter anderem:
„Sicherheit, Identitätserleben und Selbstvertrauen, basierend auf dem Glauben an das, was man ist, und auf dem Bedürfnis nach Bezogenheit, auf Interesse, Liebe und Solidarität mit der Umwelt, statt des Verlangens, zu haben, zu besitzen und die Welt zu beherrschen und so zum Sklaven des eigenen Besitzes zu werden“ (AaO., 182f) Eine Lebenshaltung, die uns auch in den Lesungstexten des heutigen Sonntags begegnet.
Zu den Texten
Joh 6,30 – 35 (Predigttext EKD, Reihe I)
Ein Ausschnitt aus der Himmelsbrot-Rede Jesu des Johannes-Evangeliums. Johannes komponiert die Jesus-Reden seines Evangeliums alle nach einem ähnlichen Schema: Anfangs geht es um ein konkretes materielles Bedürfnis (Wasser, körperliche Heilung, Brot), das dann im Verlauf des Gesprächs von Jesus in einer spirituellen (Tiefen-)Dimension erschlossen wird. Oft kommt es im Verlauf dieser Gesprächen zu einem Missverständnis zwischen Jesus und den Beteiligten, aus dessen Lösung dann die Einsicht der Gesprächspartner:innen in die Tiefendimension des Themas erwächst.
Ausleger:innen haben den Evangelisten aufgrund dieser kompositorischen Dynamik immer wieder in der Nähe der Gnosis gesehen, jedoch liegt es dem johanneischen Jesus fern, einen Dualismus zwischen materieller und spiritueller Welt aufzubauen. Die materiellen Güter, um die es zu Beginn der Gespräche geht, behalten ihre Bedeutung, doch Jesus bringt ihren Stellenwert in den Zusammenhang der Tiefendimension eines Lebens im Vertrauen auf Gott.
Auslöser der Himmelsbrot-Rede ist, dass Jesus von einer Menschenmenge gesucht und gefunden wird, die offenbar wenig vorher die Speisung der Fünftausend erlebt hat. Jesus unterstellt den Menschen, dass ihre Begeisterung für ihn nur durch diese materielle Sättigung ausgelöst ist, sie aber die Tiefendimension seiner Botschaft noch nicht erfasst haben (Joh 6,26f). Die Menschen fordern daraufhin ein Zeichen von Jesus (v. 30) und bringen das Brotwunder, das sie von Jesus erlebt haben, in den Zusammenhang mit der Geschichte vom Manna in der Wüste (v. 31). Damit bringen sie zum Ausdruck, dass sie in Jesus einen göttlichen Gesandten wie Mose sehen. Das Manna wird in der Tradition als „Brot vom Himmel“ bezeichnet. Jesus nimmt diesen Begriff zum Anlass, der Menge deutlich zu machen, dass hinter diesem Stillen der materiellen Bedürfnisse noch ein Hunger nach Leben(sbrot) steht, der tiefer geht und nur von Gott selbst gestillt werden kann (v. 32f). Die Zuhörenden missverstehen dies zunächst als Angebot eines materiellen Brotes, das für immer satt macht (v. 34), worauf Jesus mit einem der johanneischen Ich-Bin-Worte antwortet und deutlich macht, dass dieser Hunger nach Leben nicht durch materielle Speise, sondern nur durch eine neue Glaubenshaltung gestillt werden kann (v. 35).
Das Streben nach einem irdischen Brot, das anhaltend satt macht, kann mit Erich Fromm als Existenzweise des Habens interpretiert werden: Die Menschen hoffen, glücklich zu werden, wenn sie sich nicht mehr um die alltägliche Nahrung kümmern müssen. Die Manna-Erzählung selbst enthält schon eine deutliche Kritik dieses Haben-Wollens: Mose befiehlt den Menschen in der Wüste, von dem Brot nur so viel zu sammeln, wie die Familie für einen Tag zum Essen braucht (2.Mose/Ex 16,16) – wer meint, auf Vorrat sammeln zu müssen, steht am nächsten Morgen vor einem stinkenden Haufen voll Würmer (2.Mose/Ex 16,20). Schon in der Manna-Erzählung selbst tritt also der Existenzweise des Habens die Existenzweise des Seins gegenüber, die davon geprägt ist, dass die Menschen Genüge an dem haben, was sie für einen Tag brauchen, und sich, was die Zukunft betrifft, auf Gott verlassen.
Wie viel materielle Sicherheit brauchen wir in einer gerade sehr unsicheren Welt? Was ist genug zum Leben – und was braucht es für ein „gutes“ oder „gelingendes“ Leben? Wo versuchen wir heute, unseren tiefen Hunger nach Leben mit materiellem Brot (und anderen materiellen Gütern) zu stillen, die diesen Hunger doch nicht stillen können? Wer oder was kann uns heute zum wahren Brot des Lebens werden? Wie viel Glaube oder Gottvertrauen braucht es dazu?
Mit solchen Fragen kann die Auslegerin oder der Ausleger die Zuhörenden zum Nachdenken über den eigenen Lebensstil und über die Grundhaltung(en) ihres Lebens anregen. Im Vertrauen auf Gott können wir einen nachhaltigen Lebensstil einüben, mit dem wir innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten leben, und uns immer wieder fragen, welche materiellen Ressourcen wir wirklich brauchen.
Koh/Pred 1,2; 2,21-23 (1. Lesung im Lesejahr C)
„Es ist alles ganz eitel“, dieses Leitmotiv Kohelets stellt die Leseordnung wohl ganz bewusst der eigentlichen Lesung aus dem zweiten Kapitel voraus. Eine Zusammenstellung dessen, was Kohelet alles als „eitel“ bezeichnet, würde den Raum dieser Predigtanregung sprengen. Wer sich aber kurz mit der Konkordanz oder der Suchfunktion eines Online-Textes einen Überblick verschafft, merkt schnell, dass höchst unterschiedliche Lebenserfahrungen und Lebenssituationen unter dieses Urteil fallen: das Alter (11,8) genauso wie die Jugend (11,10), die Ungerechtigkeit, die auf der Erde herrscht (8,14ff), das Streben nach Macht (4,13ff) genauso wie das Streben nach Reichtum (4,7ff).
Materieller Besitz wird von Kohelet häufig angesprochen, so auch in der Passage des Lesungstextes. Hier, in 2,21-23, ist es gar nicht das Streben nach solchem Besitz, das als „eitel“ gekennzeichnet wird, sondern allein die Tatsache, dass dieser materielle Besitz vererbt wird – an Erben, die diesen sich nicht selbst erarbeitet haben. Für Kohelet ist diese Gesetzmäßigkeit des menschlichen Lebens nicht nur eitel, sondern sogar „ein großes Unglück“ (v.21).
In der Auslegungsgeschichte wurde immer wieder ein möglicher Kulturpessimismus Kohelets diskutiert. Tatsächlich kann man aus 2,17f eine gewisse Lebensmüdigkeit Kohelets heraushören. Vielleicht ist Kohelet aber auch nur „lebensrealistisch“, die Passage der Lesung gibt mir für diese Interpretation Anhalt: Da hat sich eine:r über das ganze Leben etwas Wohlstand erarbeitet und merkt jetzt, dass dieser Wohlstand an andere (ja, Verwandte!) übergehen wird, welche die Mühen dahinter möglicherweise gar nicht kennen oder nicht wertschätzen. Menschliches Leben ist endlich – wie das tierische übrigens, sodass es für Kohelet keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Vieh (3,19), und es ist die Einsicht in diese Endlichkeit und Begrenztheit menschlichen Lebens, die Kohelet immer wieder zu dem Urteil bringt „Alles ist eitel“. Es ist die Einsicht, dass menschliches Planen und Gestalten an Grenzen kommt – und die Zukunft trotz allen Planens unverfügbar bleibt. Lebensrealismus heißt für Kohelet, diese Grenzen anzuerkennen und sich innerhalb dieser Grenzen unserer Existenz im Vertrauen auf Gott einzurichten: „Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ (3,10-13)
Auch Kohelet lässt sich somit wieder gut durch die Brille von Erich Fromms Differenzierung zwischen der Existenzweise des Habens und der Existenzweise des Seins lesen: Die Endlichkeit menschlicher Existenz und die Unverfügbarkeit der Zukunft limitieren den Wert des Habens, ein Leben, das sich an diesem Haben ausrichtet, ist eitel. Im Sein dagegen lebt, wer anerkennt, dass bei Gott alles seine Zeit hat (3,1-8) und daraus die Gelassenheit gewinnt, in guten wie in bösen Tagen im Vertrauen auf Gott im Hier und Jetzt zu leben (7,14).
Die Predigt kann einerseits die Habens-Kritik Kohelets aufgreifen und nach dem Stellenwert fragen, den materielle Güter in unserem Leben haben. Sie kann andererseits aber auch die Existenzweise des Seins herausarbeiten, die hinter Kohelets Kritik sichtbar wird, und die Gelassenheit betonen, zu der diese neue Lebenshaltung führt. Letzteres könnte gerade in aktivistisch engagierten Gemeinden ein guter Impuls sein, um mit Enttäuschungen und Scheitern (von Transformationsprozessen) umzugehen.
Kol 3, 1-5.9-11 (2. Lesung im Lesejahr C)
Leben nach irdischen Maßstäben und Werten oder Leben nach himmlischen Maßstäben und Werten? Das ist die Frage, vor die der Kolosserbrief seine Leser:innen stellt. Die irdischen Maßstäbe und Werte werden in einem Lasterkatalog benannt, der so oder so ähnlich auch an anderen Stellen der neutestamentlichen Briefliteratur zu finden ist – und zeitgenössischen Leser:innen auch aus anderen, säkularen oder philosophischen, Kontexten bekannt war. Habsucht begegnet als eines der Stichworte in diesem Lasterkatalog (v.5).
Auch hier bietet Erich Fromms Unterscheidung der Existenzweise des Habens und der Existenzweise des Seins wieder einen möglichen Interpretationsrahmen: Leben nach irdischen Maßstäben ist Leben in der Existenzweise des Habens, aus der Habsucht lassen sich viele der anderen, in dem Lasterkatalog genannten Verhaltensweisen ableiten.
Interessant ist, dass der Autor die neue, himmlische Existenzweise lange nicht so ausführlich beschreibt wie die irdische Existenzweise: „Ihr habt den neuen Menschen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat.“ (v. 9f) Die zentrale neue Erkenntnis, das legt Vers 11 nahe, ist, dass in Christus alle bisherigen gesellschaftlichen Unterschiede aufgehoben sind. Alle und alles ist eins in Christus. Eine Lebenshaltung der universellen Verbundenheit, wie sie auch in der Beschreibung der Existenzweise des Seins bei Erich Fromm begegnet.
Wer in solch vernetzter Gemeinschaft lebt muss nicht mehr alles haben, er oder sie kann teilhaben an dem, was andere mit ihr oder ihm teilen. Tauschbörsen, Nachbarschaftsnetzwerke, Gemeinschaftsgärten und vieles mehr sind Ausdruck solch einer neuen Lebenshaltung. Wenn die christliche Gemeinde von der universellen Gemeinschaft aller in Christus geprägt ist, könnte hier doch der Ort sein, um solches gemeinschaftliche Leben im Sein zu gestalten…
Lk 12,13-21 (Evangelium im Lesejahr C)
Im Gleichnis vom reichen Kornbauern, das im Zentrum des Lesungstextes steht, stehen sich die beiden von Erich Fromm skizzierten Existenzweisen des Habens und des Seins direkt gegenüber: Der Kornbauer vertraut darauf, dass sein Besitz ihm Sicherheit bieten wird. Er lebt im Haben. Das Gotteswort und die abschließende Interpretation Jesu dagegen betonen, dass Sicherheit angesichts des Todes nur durch das Vertrauen auf Gott entstehen kann. Ähnlich wie bei Kohelet ist es auch hier der Tod, der den Wert des materiellen Besitzes relativiert und in Frage stellt.
Worauf also vertraue ich, worauf baue ich mein Leben? Diese grundsätzliche Frage scheint Jesus zu stellen, wenn er im das Gleichnis einleitenden Abschnitt vor der Habgier warnt – „denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“ (v.15). Diese Aussage ist radikaler als die Botschaft des Gleichnisses, denn der Kornbauer lebt ja zunächst von seinen Gütern sehr gut. In der Mahnung Jesu dagegen begegnet die grundsätzliche Frage nach der Lebenshaltung – lebe ich in der Existenzweise des Habens oder in der Existenzweise des Seins? Was braucht es wirklich zu einem guten und gelingenden Leben?
Dr. Wolfgang Schürger, Ev.-Lutherische Kirche in Bayern