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Joh 10, 11-16 (27-30) | Apg 5, 27b-32.40b-41 | Offb 5, 11-14 | Joh 21, 1-19 oder Joh 21, 1-14 |
Gott und uns selber erkennen – nachhaltig leben
Was können wir tun, um unsere Welt in politischer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht nachhaltig zu gestalten? Die Texte des Sonntags Misericordias Domini antworten darauf ganz grundlegend: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, und zwar die Erkenntnis Gottes in Jesus Christus.
Theologische Grundline
Wer die Werke Gottes wirken will (Joh 6), muss Gott in Jesus Christus erkennen (Joh 9). Der menschliche Anspruch auf Macht, Herrschaft und Kontrolle wird darin auf seinen Platz verwiesen (Apg 3). Wer aus eigener Macht und Sicherheit leben will und nicht gefährdet, angewiesen und von Gott begleitet in Einheit mit der Schöpfung (Joh 10), scheitert (Joh 18). So, gebrochen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, leben wir ohne Erkenntnis (Joh 9) und ohne Bewegungsspielraum (Apg 3), untreu (Joh 18), und in den Grundlagen unseres Lebens bedroht (Joh 10, Joh 21). Wenn Menschen erleben, wie Gott heilend, erhaltend und versöhnend wirkt (Joh 9, Apg 3, Joh 21), erkennen sie das Gelingen der guten Welt Gottes und entkommen dem Kreislauf des Scheiterns. Sie fügen sich dankbar in die Ordnung der Welt alles Geschaffenen (Offb 5), lieben (Joh 21) und loben (Apg 3, Offb 5) Gott.
Intertextuelle Lektüre
Diese Reihe von theologischen Pauschalaussagen stützt sich auf eine Lektüre, die die Texte des Sonntags Misericordias im Kontext ihrer weiteren Erzählstränge interpretiert.
Die Schafs- und Hirtenparabeln in Joh 10 („Ich bin der gute Hirte.“) gehören zur Heilungsgeschichte in Joh 9 („Damit an ihm die Werke Gottes offenbar werden.“), im ignoranten Umfeld der Urteilenden („Sind wir etwa auch blind?“). Die Erzählung von der taktischen Freilassung der Apostel in Apg 5 („Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“) gehört zur Heilungsgeschichte in Apg 3 („Aufgrund des Glaubens hat HaShem den Mann geheilt.“) im Umfeld der Gerichtsverhandlungen in Apg 4 und 5. Die Erzählung in Joh 21 („Weide meine Lämmer“) greift die Schafs- und Hirtenparabeln aus Joh 10 auf, rehabilitiert Petrus und weist ihm eine abgeleitete Macht zu, die sich dann in Apg 3 ff. in Lehre und Wundertaten als wirksam erweist. Die Geschichte vom Auferstandenen in Joh 21 belegt die Selbstaussage Jesu in Joh 10 („Ich habe Macht, [mein Leben] hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen.“) und die Aussage des Paulus in Apg 5 („Zeugen dieser Ereignisse sind wir“). Die Metapher von Schaf und Lamm, die Zuweisung der Hirtenrolle zu Göttlichem und Geschöpflichem oszilliert im Nebeneinander der Geschichten, verbindet die Geschichten darin aber auch. Alles Geschöpflichte lobt in Offb 5 im Lamm, wie Gott schaffend, erhaltend und erneuernd die Welt trägt („Ihm, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft“).
Vielstimmigkeit auf einem Grundton: Eine Schneise für Predigt und Liturgie
Eine Predigt wird sich für einen der Texte als Zentrum entscheiden. Alle Verweise aufzuführen, würde die Predigt überladen und ist auch gar nicht nötig. Ob ausgehend vom Guten Hirten, von den beiden Bekenntnissen des Petrus oder dem Lob der Geschöpfe, eines ist klar: Der Mensch, der sich Macht anmaßt, verfehlt die geschöpfliche Stellung unter Mitgeschöpfen gegenüber der Welt und Gott. Gleichzeitig sind wir als bedürftige Menschen nicht zur hilflosen Untätigkeit verdammt. Wer aus der Erkenntnis Gottes heraus auf Gott vertraut und aus diesem Vertrauen handelt, wirkt die Werke Gottes. Alle Texte verweisen auf den sakramentalen Charakter Jesu in Leben und Tod, mehr als auf sein Beispiel in Leben und Tat. Jesus ist hier kein Vorbild (auch und besonders nicht als „Guter Hirte“), sondern göttliche Quelle und Garant für Leben und Heil. Dieser Aspekt wird im liturgischen Kontext einer Eucharistiefeier für römisch-katholische Predigten leicht zu betonen sein. Im evangelisch-landeskirchlichen Kontext besteht ein besonderer Reiz darin, ebendies gut zu vermitteln. Wo es möglich ist, bietet es sich an, an diesem Sonntag Abendmahl zu feiern. Ein neues Abendmahlslied findet sich im Andachtsbuch „Tiefenklang“ des Popinstituts der Nordkirche: „Durch dein Geschenk“, online mit allen Materialen abzurufen unter: Durch dein Geschenk – Popinstitut. Auch wenn die Geschichten durch Erzählzusammenhänge, Theologie und Metaphorik verbunden sind, wird es den Texten eher gerecht, sie bei einer Gegenüberstellung nicht zu harmonisieren, sondern in ihren jeweils eigenen Aussageinteressen pointiert zu beleuchten.
Impuls zum politischen Aspekt der Nachhaltigkeit: Erkenntnis der Geschöpflichkeit schafft Frieden
Aus der Erkenntnis, dass nur Gott Gott ist und Gott gegenüber alle Geschöpfe, entspringt ein im besten Sinne anarchistisches Mandat. Niemand hat den Anspruch auf absolute oder auch nur relative Macht innerhalb der Schöpfungsordnung, weder als Mensch noch aufgrund irgendwelcher anderer Privilegien. Wenn das menschliche, tierische, lebendige Gegenüber Ziel und Zweck und nicht Mittel des eigenen Handelns ist, herrscht Frieden. Das motiviert zu einer Frage, die den Blick wendet: Welche Dynamiken von Machtanspruch führen zu Streit und Krieg im persönliche Umfeld, in der lokalen, Landes- und Weltpolitik? Was wäre dagegen zu empfehlen? Wo können wir im Kleinen damit anfangen? Auch hier: es geht nicht um blindes Handeln oder um sehende Starre, es geht um sehendes Handeln. Die Welt ist komplex. Einfache Antworten und Handlungsanweisungen helfen nicht. Wo kurzsichtige politische Empfehlungen versagen, geht es in erster Linie darum, die eigene angewiesene Position in der Welt anzuerkennen. Hieraus lassen sich auch Spuren in eine antipatriarchiale (und darin institutionen- und kirchenkritische) Argumentation ziehen: Welche blinden Reflexe und erstarrten Positionen unreflektierter Männlichkeit kommen aus den privilegierten Perspektiven derer, die ihre eigene Rolle mit der Gottes verwechseln?
„Werft Eure Netze zur anderen Seite aus“ (Joh 21): Diese Empfehlung inspiriert, dass durch radikales Umdenken Perspektiven entstehen, die die Problemfokussierung lockern und von Trauer und Verzweiflung in die Gemeinschaft führen.
Impuls zum ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit: Verantwortlich leben in Verbundenheit mit der Welt!
Besonders die erzählenden Texte in Joh 9 und Joh 10 beinhalten Bilder, die der natürlichen Umwelt entnommen sind.
Erde und Wasser sind in der Heilungsgeschichte des Menschen-mit-Blindheit Hilfsmittel zur Erkenntnis der allumfassenden Wirkmächtigkeit Gottes. Gott hat all dies geschaffen, zusammen mit den Geschöpfen, die darauf angewiesen sind: Ps 23 (grüne Aue, frisches Wasser) verbindet die Erkenntnisgeschichte mit der Fürsorgegeschichte in Joh 10. Der Gute Hirte sorgt für Sicherheit und Nahrung für die Schafe.
Schafe sind nicht nur im Bild fähig zur Erkenntnis und Treue gegenüber denen, die für sie sorgen. Schafe sind faszinierende Lebewesen. Es lohnt sich, die Welt der Schafhaltung, die uns fremder ist, als den Zeitgenoss*innen der Bibel, näher zu erkunden. Dazu seien die folgenden Materialien empfohlen. In der Reihe „Naturkunden“ ist ein sehr eindrückliches Buch zu Schafen erschienen: Schafe - Verlag Matthes & Seitz Berlin. Eine Leseprobe aus diesem Buch beginnt mit einer bestechenden Interpretation eines Bildes von Caspar David Friedrich: Schafe : Eckhard Fuhr, Judith Schalansky - Book2look. Einen schnellen und authentischen Zugang mit vielen nützlichen Originaltönen gibt der Podcast zum Buch #09 Schafe kennenlernen mit Eckhard Fuhr und Knut Kucznik ~ NATURerKUNDEN Podcast. Und eine sehr aufschlussreiche Studie aus der medizinischen Forschung, die anschaulich macht, wie gut Schafe Menschen erkennen können, fasst die Studienleiterin Jenny Morton von der Universität Cambridge im TedTalk zusammen: What can we learn from sheep? | Jenny Morton | TEDxNewnham
Impuls zum wirtschaftlichen Aspekt der Nachhaltigkeit: Augenhöhe verbietet Ausbeutung!
Räuber, Dieb und Wolf aus Joh 10 nutzen das Schaf als Ressource. Sie machen es zum Mittel, anstatt es als Zweck zu sehen. Genauso ist es mit der Anhänger*innenschaft, bzw. den „Follower*innen“ auf die Apg 5 explizit (Theudas, Judas), Joh 20 (Schafe aus dem einen und dem anderen Stall) und Joh 21 (Fische im Netz) implizit anspielen. Die Erkenntnis Gottes verbindet sich mit dem Leben in Fülle, nicht die eigene Bereicherung. Es gilt zu unterscheiden, wen oder was wir als Ressource verdinglichen und was sich dieser Verdinglichung entzieht. Wer sich als Geschöpf in der Verwandtschaft mit allem Geschöpflichen versteht, wird es nicht zum Ding machen und ausbeuten. Neben diese Extremposition kann der suffiziente Umgang mit der mitgeschöpflichen Umwelt als praktische Handlungsoption gestellt werden, etwa im Dreiklang Wirklichkeit der Ausbeutung – Zuspruch der vollkommenen Verbundenheit – erste Schritte der Suffizienz.
Lars-Robin Schulz, Zentrum für ev. Gottesdienst- und Predigtkultur