o6.o7.25 – 3. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Tim 1, 12-17 Jes 66, 10-14c Gal 6, 14-18 Lk 10, 1-12.17-20

Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Gnade und Fülle – das sind keine Projekte für Einzelkämpfer:innen. Das verdeutlichen uns jedenfalls die Texte des heutigen Sonntags. Sie verweisen auf das Miteinander, auf die Beziehungsgeflechte, in die wir Menschen gestellt sind – untereinander und mit Gott. Und sie ziehen daraus allesamt eine große Hoffnung. Die Hoffnung auf eine nachhaltige Stärkung, Heilung und Sättigung, die uns als Kindern Gottes verheißen ist. Blicken wir unter dieser Perspektive auf die einzelnen Perikopen:

 

1 Tim 1, 12-17 (evang. Predigttext)

Vor uns liegt ein Dankgebet des Verfassers des ersten Timotheusbriefs. In seinem Dank bindet er sich an die Erfahrung des Paulus und schreibt so – von ihm lernend und aus seinen Erkenntnissen gespeist – in seinem Namen. Der Text beschreibt eine existentielle Erfahrung des Paulus: Vom egoistisch fixierten Einzelkämpfer und Verfolger wird er zum in der Liebe und im Glauben gewandelten Christus-Nachfolger. Die Erfahrung dieses Sinneswandels bringt eine zentrale Erkenntnis mit sich:

Das Einlassen auf die Gottesbeziehung und damit auch die Abkehr von einem allzu selbstbewussten Egoismus zeigen Paulus die Weite der Liebe Jesu, die Seligkeit für ihn und seine Mitmenschen will und bedeutet. Fortan erlebt und begegnet er Gott, sich selbst und seiner Mitwelt in einem ganz anderen Habitus: Er ist zu einem barmherzig geliebten Liebenden geworden, der weitergibt, was ihm zuteilwurde und fortan als „Gemeindemensch“ (und das heißt als Gemeinschaftsmensch) agiert – zum Wohle aller. Denn barmherzige Gnade kann nur erleben, wer offen ist für seine Mitwelt und die liebende Zuwendung Gottes.

Und so ist es nur konsequent, dass der Verfasser des ersten Timotheusbriefs hier ein Dankgebet als Genre wählt: Dankbarkeit kann schließlich nur ehrlich empfinden, wer sich in ein wohlwollendes Beziehungsgeflecht verwoben weiß und sich auf dieses einlässt. Klingt nach dem ganz modernen Gedanken der Ganzheitlichkeit und des Bewusstseins um die eigene Bedingtheit, oder?

 

Jes 66, 10-14 (1. Lesung kath.)

Die erste Lesung der katholischen Leseordnung stellt uns im Rahmen einer kühnen Vision von Frieden und Fülle an diesem Sonntag ebenfalls in einen umfassenden Horizont der Gemeinschaft:

Wir lesen hier einen träumenden Text eines in der Zeit kurz nach dem Exil wohl nicht nur geographisch allzu fern erscheinenden Jerusalem voller (himmlischer) Fülle. Verheißen wird da – mitten im frühnachexilischen Chaos und Machtvakuum – eine sattmachende Tröstung im globalen Ausmaß. Mitten also in einer offenen, chaotischen Machtfrage, einer offenen Frage nach Grenzziehungen, Besitz und ethnischer Zugehörigkeit ist hier die Rede von der „Herrlichkeit der Nationen“. Das ist erstaunlich und verdient einen genaueren Blick:

Friede (hier in den Bildern von Sättigung und Durststillung beschrieben) kann nur dann nachhaltig sein, wenn er Grenzen überwindet und global angelegt ist. Nur dann ist tatsächlich erfüllt, was im Hebräischen mit göttlichem „Shalom“ – einem umfassenden, heilmachenden Heil – beschrieben wird.

Wie wunderbar und wie eingängig, dass (Trito-)Jesaja diesen Frieden/Shalom entsprechend mit Naturmetaphern zu beschreiben versucht: Frieden fließt wie ein Strom, wie ein rauschender Bach und Totgeglaubtes („Knochen“) bringt frisches Grün hervor. Die immerwährende Erneuerung der Natur, die wahrlich nachhaltige Zukunftsperspektive fließenden Wassers und sprossenden Grüns, das ist es, zu dem alle Menschen berufen sind – gerade dann, wenn sie drohen, sich in Machtkämpfen zu verlieren oder die Hoffnung auf zukünftiges Leben totzusagen.

 

Gal 6, 14-18 (2. Lesung kath.)

Gerechtigkeit und Recht – und das für alle Gläubigen – das ist auch eines der großen Themen der Paulusbriefe. Und so begegnet uns dieser Themenkomplex auch in der heutigen zweiten Lesung aus dem sechsten Kapitel des Galaterbriefs. Ähnlich der Vision des Jesajabuchs, richtet Paulus seine Vorstellung einer „neuen Schöpfung“ universal aus: Die Gnade Jesu, die er erkannt hat und nun weitergibt, richtet sich an Beschnittene und Unbeschnittene, also an „eingefleischte“ Gläubige ebenso wie an „Neulinge“. Gottes Liebe lässt sich nicht durch menschliche Kategorien begrenzen, sie sucht sich ihren Weg jenseits ausgetrampelter Pfade und Grenzziehungen. Und so kann Paulus diesen Briefteil auch enden mit der Anrede „meine Brüder und Schwestern“. „Schöpfung“, das meint also auch hier die unmittelbare Verwiesenheit auf eine Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Wer meint, dieses gnadenhafte Beziehungsgeschenk durch vermeintlich klare Regelungen und Abgrenzungen zu einem exklusiven, menschlich veräußerbaren und verfügbaren Gut zu machen, der hat nicht verinnerlicht, was wirklich neu, ja revolutionär an der „neuen Schöpfung“ in Jesus Christus ist.

 

Lk 10, 1-12.17-20 (Evangeliumstext kath.)

Im Rahmen unserer Evangelien ist die vorliegende Perikope wohl die „Spitzengeschichte“, wenn es um die Zusammenfassung der Kerngedanken der vorangegangenen Lesungen im Sinne Jesu geht: Er sendet seine Jünger aus, um ihm den Weg zu bereiten und die Orte seiner Reise auf die Mission vorzubereiten, in der Jesus selbst kommt: Das anbrechende Reich Gottes. Dieses „zu-Zweit-Sein“ ist zugleich alles, was die Jünger:innen haben, sollen sie doch sonst nichts mitnehmen – keine warme Kleidung, kein Wanderequipment und erst recht kein Geld. Dieses radikale „kein“ erscheint uns heute vielleicht zu Recht leichtsinnig, wenn es um einen längeren Fußmarsch geht. Aber: Der Evangelist Lukas braucht hier ganz klar diese „immaterielle Zuspitzung“, die er Jesus in den Mund legt! Wer die Botschaft Jesu verbreiten will, der braucht nichts weiter als Zusammenhalt, als Beziehung, als Vertrauen auf persönliche Bindung. Wer die Botschaft Jesu verbreiten will, der kann und darf sich nicht hinter einer „Ausrüstung“ verstecken. Wer die Botschaft Jesu verbreiten will, dessen „Ausrüstung“ ist die Liebe Gottes und die Liebe seiner Gefährt:innen. Jenseits von materiellem Überfluss, jenseits einer „materiellen Panzerung“, in der Einfachheit erfahren wir, wie Gottes Gnade im Zusammenspiel mit unserem Mut wirken will. Jesus war nicht naiv, denn er wusste genau, dass kein Mensch allein es vermag, Großes zu bewegen. Jesus wäre aber dann naiv gewesen, hätte er die Jünger:innen – wenn auch vielleicht mit perfekter Wanderausrüstung – ganz allein, als Einzelkämpfer gesandt. Das Evangelium sagt uns auch heute: Unsere nachhaltigste, wirksamste Ressource, unsere Ausrüstung, das ist die Liebe und das Vertrauen Gottes zu uns Menschen und daraus folgend unser Zusammenhalt. Mit Geld kann man diese Ressource nicht kaufen, sie ist uns geschenkt – als Gabe und als Aufgabe.

Dr. Hannah Judith, Erzbistum München und Freising