Okuli / 3. Fastensonntag
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1 Kön 19, 1-8 (9-13a) | Ex 17, 3-7 | Röm 5, 1-2.5-8 | Joh 4, 5-42 |
1. Kön 19, 1-8 - Gottes Botschaft an Elia in der Wüste
Wieviel ist genug? Nicht mehr haben wollen, als man braucht, nicht vom zerstörerischen Ideal des Habens getrieben sein - genügsam leben, so dass für alle genug bleibt, das ist die eine Bedeutungsseite des Genügens. Die andere liefert uns der Blick auf die eigene Kraft, deren Begrenztheit so manches Mal erfahren werden muss.
Es ist genug!, stöhnt Elia. Genug des Engagements, des Streitens für seinen Gott, des missionarischen Auftretens wider die Propheten Baals, verausgabt bis an die Grenze der Vitalität. Der Prophet Gottes ist am Ende seiner Kraft. Genug der Bedrohung und Verfolgung durch die Macht des Königspaares Ahab und Isebel. Sie hatte den Kult ihrer kanaanitischen Herkunft mitgebracht an den Hof des israelitischen Königs. Adonai, der Wüstengott, passte für Nomaden und Kleinbauern, reichte aus für Tauschwirtschaft und Suffizienzökonomie. Aber die Zeiten hatten sich geändert: Internationale Wirtschaftsbeziehungen erforderten, so sahen es die Ökonomen, ein Geldsystem mit Zinserlaubnis, mit Schuldknechtschaft und Zwangsversklavung und Sippenhaft. Das altisraelitische Bodenrecht galt nicht mehr. Nach zwei bis drei Missernten verlor der Kleinbauer nun sein Land und durfte bestenfalls als Fronarbeiter auf seinem ehemaligen Besitz sein fragliches Mindesteinkommen verdienen. Landbesitz und Kapital sammelten sich in den Händen weniger Großgrundbesitzer. Hinter die Kulissen solcher gesellschaftlichen Veränderungen schauten die Wahrheitsaufdecker, die Propheten Israels. Und Elia formuliert die klare Alternative: Gott oder Baal.
Wir kennen diese Situation in der Mitte des 9. vorchristlichen Jahrhunderts nur aus der Beobachtung und Interpretation der Propheten. Eine gewisse Verzerrung ist damit mitgeliefert. Weder die königlichen Beamten noch die wirtschaftlich Mächtigen waren gewissenlos. Sie wollten und taten das Beste für sich und ihr Land. Die Baalsreligion lieferte das Instrumentarium, den Erfolg dieser Politik zu legitimieren, zu überhöhen und zu feiern. Die reiche Ernte ist Zeichen des Gesegnetseins, die Kapitalakkumulation führt zum Erfolg. Ein breiter Niedriglohnsektor hat seinen Effekt, wie wir wissen.
In einem gewaltigen Schaukampf inszeniert der Schreiber, dessen Überlieferung wir kennen, den Sieg des Geschichtsgottes des alten Israel gegen den Fruchtbarkeits- und Erfolgsgott Baal, der hier dramatisch unterliegt. Der ersehnte Regen kommt, die Baalspropheten und Ascherapriester werden hingeschlachtet. Das kann sich das Königshaus nicht bieten lassen. Elia, der unbequeme Kämpfer und vorgestrige Gottesmann, wird verfolgt. Er flieht dahin, wo er herkommt: in die Wüste. „Ich kann nicht mehr“, wünscht er den Tod herbei. Ermattet schläft er unter einem Ginsterstrauch ein. Reinhold Messner, der Extrembergsteiger mit unvergleichlichem Durchhaltewillen, gibt aus seinen Erfahrungen preis: Die größte Versuchung (wenn die Kraft am Ende ist) ist das Aufgeben...
„Es ist genug“ - mir klingen im Ohr die aufeinanderfolgenden drei Ganztöne am Anfang dieses Chorals, dessen Melodie 1662 Johann Rudolf Ahle komponierte, von Johann Sebastian Bach zur Grundlage seiner Kantate BWV 60 gemacht, erhalten im Lied EG 375 (Dass Jesus siegt), am eindrücklichsten aber im Violinkonzert Alban Bergs, der hier den Bachchoral in das „Andenken eines Engels“ einarbeitet. Todessehnsucht und unendliches Gehaltensein durchwirken sich hier als Depression und Trost auf unvergleichliche Weise.
Ich kann die ganze Elia-Geschichte auch nicht lesen, ohne den „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy im Ohr zu haben. Der störrische, unbequeme Gottesmann wird als gewaltiger Kämpfer mit zarter Innenseite vorgestellt, entsprechend der überlieferten Geschichte aus dem Buch der Könige. Gerade das Gewaltige und Gewalttätige im Kampf gegen die Baalskultur wird ja in den nachfolgenden Versen in Frage gestellt: Gott ist nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Erst im sanften, säuselnden Hauch ist er präsent, mit einem eindeutigen Auftrag für den Propheten.
Wie hilft die göttliche Kraft der menschlichen Schwäche auf? Mit Wasser und Brot. Nicht als karge Kost für Strafgefangene, sondern als elementare Stärkung. Elia war ein bedürfnisloser Kämpfer, ein unbeugsamer Querdenker mit der Radikalität eines Diogenes. Mehr als Wasser und Brot hätte er nicht genommen. Seine Sturheit wird aber überboten.
Steh auf und iss! heißen die mutmachenden Zauberworte, die ihm ins Leben zurückhelfen. Anders als am Rande der Laufstrecke von einem Triathlontrainer zu hören war: Quäl dich, du Sau!
Nein, um fragwürdigen Sport geht es hier nicht, sondern um Kraft zu einem engagierten Leben. Steh auf und iss! könnte auch das Sendungswort einer christlichen Abendmahlsfeier mit Brot und Wein sein. Lass dich stärken und wage Schritt für Schritt dein Leben. Okuli als Fastensonntag liefert mit dieser Elia-Geschichte die geistige Fastenspeise und den Blick auf die religiöse Tradition:
Die vierzig Tage und Nächte seines vor ihm liegenden Weges erinnern an die Wüstenzeit Israels und an die Fastenzeit Jesu, bevor er in die Öffentlichkeit ging.
Was sollte ein Mensch machen, der müde und verzweifelt im Begriffe steht, alles hinzuschmeißen, auch seine Ideale, seine Ziele, seinen Glauben? Ausschlafen und gut frühstücken. Die Hälfte der empfundenen Schwäche ist damit aufgehoben. Zuspruch, Mutmachen, solidarisches Auffordern allerdings kann man sich nicht selbst verordnen. Gut, wenn da ein anderer seine Stimme erhebt. Und wer den Auftrag ernstnimmt, seinen Weg zu gehen, wird die Erfahrung machen, dass er gestärkt wird, mit Urvertrauen losziehen kann und sein Ziel nicht aus den Augen verliert.
Im Zusammenhang der Diskussion, wie wir einen nachhaltigen Lebensstil entwickeln, wie wir für seine Plausibilität sorgen und wie wir Durchhaltekraft gewinnen, sind immer wieder auch Kennzeichen von Mutlosigkeit zu erkennen. Kein Wunder, denn mannigfach sind andere Interessen lautstark und mächtig: Kapitalinteressen, also die Habsucht; Bequemlichkeit, also Faulheit; Dominanzstreben, also Hochmut; Imponiergehabe, also Machtgeilheit; Luxusstreben, also Egoismus. Beispiele?
Die Lobbyarbeit des Automobil-Syndikats. Kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Der deutsche Waffenexport in alle Welt.
Die Halbherzigkeit beim Umsteuern gegen die Klimaveränderung.
Die Abgrenzung des EU-Marktes gegenüber armen Handelspartnern, etwa Afrika.
Das Dichtmachen der Grenzen gegenüber Flüchtlingen.
Der Fleischkonsum auf Kosten artgerechter Tierhaltung.
Die Spreizung der Einkommen zwischen arm und reich bis zum Mehrhundertfachen.
Es gibt mehr dieser Merkmale, sowohl im individuellen Verhalten als auch in den Strukturen unseres zivilisierten Lebens. Was ist diesen Gegeninteressen entgegenzusetzen, um nicht eines Tages sagen zu müssen: Ich habe genug?
- Die innere Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein. Hinter die eigene Erkenntnis kann man nicht zurückfallen.
- Die geschwisterliche Beratung. Keiner hat das Wissen für alles, aber wir können voneinander lernen und uns helfen.
- Die gemeinschaftliche Praxis. Das Individuum rettet nicht die Welt. Wir müssen nicht als einzelne Eliagestalten durch die Wüste ziehen. In der Gruppe erfahren wir Stärkung.
- Das Vertrauen auf die Begleitung Gottes. Im Abendmahl wird uns seine Präsenz zugesprochen. Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir.
Wilhelm Wegner