Osternacht / Ostersonntag (5.04.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK):
Osternacht: Joh 5,19-21; Kol 3,1-4; Mt 28,1-10; 2 Tim 2,8-13;
Jes 26,13-14(15-18)19;
1 Thess 4,13-18
Ostersonntag: 1 Kor 15,1-11; 1 Sam 2,1-8a; Joh 20,11-18;
1 Kor 15,(12-18)19-28;
2 Mose 14,1-31; 15,20f i.A.;
Mk 16,1-8 [www.stichwortp.de]

 

Osternacht / Ostersonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Osternacht: Mt 28, 1-10

Tag: Mk 16, 1-8

Nacht (1. Lesung): Gen 1, 1 - 2, 2
Nacht (2. Lesung): Gen 22, 1-18
Nacht (3. Lesung): Ex 14, 15 - 15, 1
Nacht (4. Lesung): Jes 54, 5-14

Tag: Apg 10, 34a.37-43

Nacht (5. Lesung): Jes 55, 1-11
Nacht (6. Lesung): Bar 3, 9-15.32 - 4, 4
Nacht (7. Lesung): Ez 36, 16-17a.18-28
Nacht (Epistel): Röm 6, 3-11

Tag: Kol 3, 1-4 od. 1 Kor 5, 6b-8

Nacht: Mk 16, 1-7

Tag: Joh 20, 1-18

Der Verfasser betrachtet die 1. und 5. Lesung aus der kath. Leseordnung. Stichworte zur Nachhaltigkeit: die Bestimmung des Menschen in der Schöpfung, Verantwortung für die Ausgestaltung und christliche Grenzen der Gestaltungsfreiheit, z.B im Ressourcenzugriff (Gen 1/2); gleichzeitige Fülle und Begrenzheit materieller Güter - ein christlich-weltlicher Spagat (Jes 55)

Genesis 1, 1-2, 2

Die Schöpfungsgeschichte – Genesis 1 und 2 gehört zu den Texten schlechthin. Die Aussagen sind unausschöpflich, die Wirkungen unabsehbar. Gott und die Welt sind nicht identisch, die Dinge der Welt sind endlich, haben aber Teil am Sein, in dem Gott sie hält. Das ist die eine Differenz, und das ist die andere: Der Mensch ist Teil der Natur und er steht ihr als Subjekt gegenüber.

Die Schöpfungsgeschichte beschreibt keine Naturgeschichte, ist kein Lehrbuch der physischen Weltentstehung, auch wenn gerade Genesis 1 mit der Epocheneinteilung der „Tage" und der Aufeinanderfolge der Lebensformen insoweit eine erstaunliche Intuition aufweist. Die Schöpfungsgeschichte ist keine Argumentationshilfe gegen eine wissenschaftliche Evolutionstheorie oder für einen fundamentalistischen „Kreationismus". Auch das „Paradies" oder der „Garten Eden" (Gen 2, 8-15) ist kein geographischer oder historischer Ort, trotz der um der Authentizität oder der Anschaulichkeit willen genannten realen Orte zur Lagebestimmung (Gen 2, 11-15); im Urzustand des Heils liegt unentzweit auch die physische Welt.

Die Schöpfungsgeschichte nach Genesis 1 und 2 hat demgegenüber in all ihren Aussagen und Bildern normativen Gehalt, ist Verkündigung, Bekenntnis und Leitlinie. Gewiß, die Schöpfungsgeschichte ist Verkündigung des einen Gottes, begründet die Differenz von Gott und Welt, macht aus der dem Menschen erfahrbaren und erlebten „Natur" in den Augen des Glaubens die „Schöpfung". Die Schöpfungsgeschichte tritt einem monistischen Materialismus entgegen und begründet eine Ontologie der Welt. Was Gott geschaffen hat, hat Teil am Sein und weist gerade damit über sich selbst hinaus. Das Erfahrbare ist nicht das Ganze des Seins. Die Schöpfung ist „gut" (Gen 1, 25 und 31).

Der zentrale normative Gehalt der Schöpfungsgeschichte ist die Bestimmung des Menschen. Diese wird mehrfach entfaltet. Der Mensch ist endliches Geschöpf und zugleich „Ebenbild Gottes" (Gen 1, 27). Der Mensch ist Person und Subjekt. Der Mensch ist zweifach als Mann und Frau (Gen 1, 27; Gen 2, 23-24), hat Teil an der Geschlechtlichkeit allen Lebens und erfüllt gerade darin seine Personalität. Die Gleichheit von Mann und Frau und die Würde des Menschen sind damit grundgelegt.

Auf die Subjektstellung des Menschen zielt das sittliche Gebot: Fruchtbarkeit und Verantwortung für die Schöpfung (Gen 1, 28-29; 2, 15), aber auch die Grenze menschlichen Dürfens im Hinblick auf den „Baum der Erkenntnis" (Gen 2, 16-17). Der Mensch soll sich die „Erde untertan machen" (Gen 1, 28), soll über die Tiere „herrschen" (Gen 1, 28), den „Garten Eden ... bebauen und behüten" (Gen 2, 15), aber sich der Grenzen seiner Freiheit bewußt sein (Gen 2, 17). Und das große Gebot des Sabbath kündigt sich an im Ruhetag Gottes (Gen 2, 3). Der Mensch aber ist darauf angewiesen, von der Natur zu leben, und er darf und soll das auch. Von Anfang an jedoch kann der Mensch mehr als er darf. Die Quelle der Norm ist dabei eine doppelte, mit weitreichender Wirkung für Glaube, Theologie und Geistesgeschichte: das positive Gebot Gottes, das Gesetz, und die Gutheit der Natur, das Naturrecht.

Im Urzustand des „Paradieses" oder der „Gnade" ist die Geltung der sittlichen Norm gleichsam nur virtuell; Freiheit und Gnade sind ineinander aufgehoben; die Norm ist erfüllt; Sein und Sollen fallen in eins. Im Zustand der „Sünde" aber wird die Geltung der sittlichen Norm zur unentrinnbaren, dringlichen Forderung, die Einheit ist zerrissen, die Norm sucht zu retten, was zu retten ist. Nach dem „Sündenfall", im Zustand der Sünde erfahren wir Menschen jetzt die Natur anders: Als widerständig und als Bedrohung (Gen 3, 17-19), aber auch als grausam und als von vernichtenden Kräften bedroht. Die Natur nichtet und wird zernichtet. Mitten darin steht der Mensch, selbst gefallen und unvollkommen.

Der Kampf mit der Natur, die Nutzung der Natur bestimmt die Geschichte des Menschen. Durch technische Mittel scheint er die Natur „besiegt", alle ihre Ressourcen für sich verfügbar gemacht zu haben. Doch was gegenwärtig erscheint, sind die „Grenzen des Wachstums", die Endlichkeit aller Ressourcen, aber auch die Zerstörung des Lebens. Die menschliche Herrschaft über die Natur droht in deren Zerstörung katastrophal umzuschlagen. Was bedeutet in dieser Situation der Schöpfungsauftrag aus Genesis 1, 28? Der Schöpfungsauftrag stand von Anfang in der Dialektik von Natur und Kultur: Der Mensch hat ja selbst den Auftrag, auf die Natur zuzugreifen, in sie einzugreifen, sie sich nutzbar zu machen, ja sie schöpferisch zu gestalten und damit am Schöpfungswerk selbst mitzuwirken. Das geht indes nicht ohne Veränderung, Eingriff, Steuerung und Zurückdrängung jeweils anderen Lebens, bei gleichzeitiger Erschließung anderweitiger natürlicher Potentiale. Es ist hierbei exegetisch längst anerkannt, daß der Schöpfungsauftrag in Gen 1, 28 nicht unbeschränkte Herrschaft und restlose Ausbeutung beinhaltet, wie es in der Geschichte und in mancher Auslegung mißverstanden worden sein mag. Doch wo liegen die Grenzen der Einwirkung, vorausgesetzt, das Handeln des Menschen gegenüber der Natur und sich selbst wird überhaupt sittlich bestimmt? Hierauf hat die Gesellschaft und hat die Kirche jeweils eine Antwort zu geben versucht.

Wenn menschliche Wirtschaft im Zugriff auf natürliche Ressourcen, in Herstellung und Verbrauch von Produkten und in Entsorgung nicht verwertbarer Stoffe besteht, kann sie auf Dauer nur Bestand haben, wenn der Ressourcenzugriff auf die natürliche Regeneration und die Entsorgung auf die natürliche Verarbeitungskapazität in den Umweltmedien Boden, Luft und Wasser beschränkt wird. Genau das ist die Konzeption der Nachhaltigkeit, die weltweit in Politik und Gesellschaft prinzipiell anerkannt ist. An einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, angepaßt an die jeweiligen lokalen Möglichkeiten und Bedingungen, arbeiten Politik, Forschung, Industrie, Landwirtschaft und zivilgesellschaftliche Initiativen.

Auch in der Kirche hat das gesellschaftliche „Prinzip Nachhaltigkeit" Anerkennung gefunden. Die kirchliche Soziallehre hat es rezipiert und eingehend begründet. Im Blickfeld steht dabei auch die grundlegende Erkenntnis, daß mit Nachhaltigkeit zugleich auch Begrenzung, wenn nicht gar Selbstrücknahme und Verzicht notwendigerweise verbunden ist. Daher läßt sich Nachhaltigkeit mit den traditionellen Tugenden wir Maß, Bescheidung, Genügsamkeit, Verantwortung auch für materielle Güter in eine genuine Übereinstimmung bringen. In der Relativierung aller materiellen Zwecke, in der Rücknahme von Aktivität, in der Ruhe ist es der alte Sabbath, der gerade heute einen neuen, bestürzenden Sinn erfährt. Aus der Schöpfungslehre aber fügt die Kirche in der aktuellen Diskussion noch hinzu: „Bewahrung der Schöpfung". Zur „Bewahrung der Schöpfung" steht die säkulare „Nachhaltigkeit" in Analogie. Doch was heißt „Bewahrung der Schöpfung"? Die Schöpfung ist als Natur dynamisch, von sich aus auf Veränderung angelegt, dem Wandel unterworfen, ja, der menschlichen Veränderung zugänglich. Wenn die Schöpfung selbst aber keinen absoluten Stand hat, vom Menschen auch selbst hervorgebracht wird und auch hervorgebracht werden darf, was heißt dann „bewahren"? Die Antwort könnte nur ein ontologisch begründeter Begriff von Natur und Schöpfung geben, den zu begründen Aufgabe der Theologie wäre und der bislang nicht gefunden scheint.

Gleichwohl lassen sich einzelne Elemente eines sittlichen „Bewahrens der Schöpfung" bestimmen.

So liegt denn der sittliche Gehalt des Nachhaltigkeitsprinzips offen zutage: Nicht mehr verbrauchen, als vorhanden ist, nicht mehr belasten, als verkraftet werden kann. Dies freilich ist im konkreten Leben schon schwer genug, doch Ansatzpunkte gibt es viele; zahlreiche gesellschaftliche Initiativen stehen hier hilfreich zur Seite. Auch das gärtnerische „Bebauen", in Genesis 1, 28 und 2,15 grundgelegt, ist immer schon dem Nachhaltigkeitsprinzip gefolgt.

Sodann tritt ein „Bewahren der Schöpfung" allen Vernichtungskräften offensiv entgegen. Dabei ist allerdings zu unterscheiden: Vernichtungskräfte sind auch in der Natur selbst wirkmächtig, sie sind sogar Bedingung der vielfältigen Formen des Lebens selbst. Es ist paradoxerweise gerade die allgegenwärtige, reale Vernichtungsgefahr, die die jeweils artspezifische Ausprägung der Lebensformen erst hervorgebracht hat (so denn auch „Dornen und Disteln", in Umkehrung von Gen. 3, 18). Andererseits kann, soll und darf der Mensch den naturhaften Vernichtungskräften durch Schutz, Vorsorge, Linderung von Leiden und durch Hilfe auch schöpferisch entgegentreten. Hier hat übrigens auch alle Medizin ihren Ort. Andererseits gehen auch vom Menschen selbst Vernichtungskräfte aus. Vernichtung von Natur und Leben um ihrer selbst willen, als Zerstörung ohne Sinn und rechtfertigenden Zweck, ist als Handlung gegen das Leben Sünde. Auch Zerstörung als Nebenfolge des Handelns bleibt fragwürdig und fordert Ausgleich. Gewalt gegen die Natur als einseitige Machtausübung, als unbegrenzte Ausbeutung, als Verursachung von Leiden ist sittlich nicht erlaubt. Der Natur, dem Leben als Teil der gottgewollten Schöpfung muß ein Rest von Unverfügbarkeit, von Eigenwert verbleiben. Der Mensch darf nicht verneinen, was Gott als geschaffen gewollt hat. Von daher ist insbesondere der Umgang des Menschen mit dem Tier unter sittlichen Maßstab zu stellen. Aus Genesis 1, 29-30 ist unter den Bedingungen des Sündenfalls in der gegenwärtigen Welt gewiß kein Vegetarismus verbindlich abzuleiten; aber schon die Schrift, die Jagd und Fleischgenuß konzediert, stellt eben auch dies unter limitierende Bedingungen (Mosaisches Gesetz, Apostelgeschichte 15, 28-29). Aber Jagd –insbesondere als Freizeitvergnügen-, Fischfang, Massentierhaltung und insbesondere der hohe Fleischkonsum stehen als Gewalt gegen die Natur, als deren restlose Verzweckung unter sittlichem Verdikt. „Nachhaltig leben" heißt demgegenüber Schonung des Lebens.

„Bewahrung der Schöpfung" zielt darüberhinaus auch auf die Achtung vor dem, was der Mensch selbst in Erfüllung des Schöpfungsauftrages durch Arbeit hervorgebracht hat: Materielle Güter, kulturelle Leistungen. Auch der Wert von Kulturgütern wie Bauwerken, Kulturlandschaften, Lebensformen steht deren Zerstörung, deren vollständiger Verzweckung sittlich entgegen. Was Menschen kreativ geschaffen haben, steht einer kapitalistischen Expansion, einer rein ökonomischen Inanspruchnahme, einem heteronomen Fremdinteresse nicht schlechthin zur Verfügung. Die Güterordnung muß dem Wohl des Menschen und seiner kreativen Schaffenskraft entsprechen. Auch das ist Inhalt eines nachhaltigen Lebens und eine Analogie zur Ordnung der Schöpfung. Und hier kommt herein, was in der ursprünglich gleichen Würde von Mann und Frau angelegt ist: Es ist der besondere Beitrag der Frauen, der vornehmlich in Ländern mit traditionell spezifischer Arbeitsteilung und Lebensform zu einem nachhaltigen Leben in Übereinstimmung mit der Natur beitragen kann. Weder Diskriminierung noch eine gottlose, menschenwidrige „Gender"-Ideologie, sondern Würde und Kraft der Frau schaffen menschliches, nachhaltiges, schöpfungsgemäßes Leben.
Ein umstrittener Grenzfall der „Bewahrung der Schöpfung" ist die sogenannte „Grüne Gentechnik", die das Erbgut von Pflanzen durch technische Mittel zugunsten menschlicher Zwecke verändert. Hier geschieht ein Eingriff in die Natur, der die natürlichen Grundprinzipien der Identität der Art und der Individualität jedes einzelnen Lebewesens im Wesensgehalt trifft. Darf menschlicher Eingriff so weit gehen? Werden hier die Grenzen des „Baumes der Erkenntnis" überschritten? Vieles spricht dafür: Gibt es keine Grenze menschlichen Dürfens gegenüber der Natur, ist der Gegenstand der „Bewahrung" verloren. „Bewahrung der Schöpfung" hat dann keinen letztlich greifbaren Sinn mehr und müßte daher als Gebot aufgegeben oder von Grund auf neu gedacht werden. Doch eine solche Neubegründung scheint in der Ferne, wenn nicht gar unmöglich. Hier liegt derzeit eine beunruhigende Aporie.

„Bewahrung der Schöpfung" ist ein Postulat unter den weltzeitlichen Bedingungen der Unvollkommenheit, christlich gesprochen der Sünde. Auch dieses Postulat kann verfehlt werden, und das Ziel wird nur annähernd erreicht. Allzuviel scheint dem entgegenzustehen: Habsucht, Selbstentfaltung, Genuß gegenwärtigen Daseins als Grundkonstitution des irdischen Lebens. Auch das sollte ein sittlicher Übereifer nicht verkennen. Das Gebot ist indes unabdingbar, es ist Grundorientierung menschlicher Existenz. Die letztliche Erfüllung liegt jenseits menschlicher Möglichkeiten. Alle Gebote haben eine eschatologische Dimension, die ihnen Sinn und Dringlichkeit verleiht. Der Trost der Nichterfüllung in der Jetztzeit aber ist die Hoffnung. So umfaßt die christliche Hoffnung auch das Heil der gesamten Schöpfung, die „bis zur Stunde seufzt und in Wehen liegt" (Röm 8, 22), aber die nachösterliche Zusage hat: „Siehe, ich mache alles neu." (Offb 21, 5).


Jesaja 55, 1-11

Das sind Worte der Verheißung. Einzigartige Worte aus dem „Trostbuch Israels“ (Jerusalemer Bibel; Überschrift zu Kap. 40, dem Beginn von Deuterojesaja). Mit diesen Worten schließt Deuterojesaja seine Verkündigung. Sie sind hineingesagt in die geschichtliche Situation des Volkes Israel, das in der babylonischen Gefangenschaft der Heimkehr in das Land der Väter entgegenharrt. Dem Exodus aus Ägypten wird ein zweiter Exodus folgen: Der neue Aufbruch des Volkes Israel in das Land der Verheißung jetzt nicht mehr zur Besitznahme und Begründung einer dynastischen Herrschaft, sondern als Heilsträger für alle Völker (Jes 55, 4-5).

Der Text ist heilsgeschichtliche Verkündigung. Diese Dimension des Textes ist unausschöpflich. So spricht denn auch Jahweh: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“ (Jes 55, 8). „Der „ewige Bund“ (Jes 55, 3b), die Gewißheit und die Vollendung des Wortes (Jes 55, 10-11) transzendieren die Geschichte und weisen über die Vollendung Israels hinaus auf die Vollendung des Heiles in Jesus Christus.

Die heilsgeschichtliche Dimension der Schlußworte Deuterojesajas verweist die Lebenswirklichkeit der säkularen Geschichte mit deren gegenwärtiger Herausforderung eines „nachhaltigen Lebens“ in eine nur ferne Analogie. Und doch stellt der Wortlaut, stellen die Bilder des Textes eine bestürzende Nähe her: Kaum je in der alttestamentlichen Prophetie werden die unmittelbarsten Bedürfnisse des Menschen wie Wasser und Brot so plastisch, geradezu marktschreierisch (Claus Westermann: Das Buch Jesaja Kapitel 40-66, 4. Aufl., Göttingen 1981, S. 227) zum Ansatz der Verheißung gemacht, wird deren Erfüllung zum Sinnbild des Heiles schlechthin (Jes 55, 1-2). So wird denn das Heil, das alle Vorstellung übersteigt, als Fülle des Lebens beschrieben, wie denn auch umgekehrt die Fülle des irdischen Lebens voll in das Heil hineingenommen wird. Und das Wort Gottes selbst ist wie die Gewißheit der Gesetze der Natur und ihrer Lebenskreisläufe, wie denn umgekehrt die Natur zum Gleichnis des Wortes Gottes wird (Jes 55, 10-11).

Das Heil ist das Heil des Menschen in seiner physischen und personalen Ganzheit.

Damit rückt denn auch das irdische Leben, seine Not und seine Bedürfnisse, das Handeln des Menschen in seiner geschichtlichen Welt in den Blickpunkt des prophetischen, heilsgeschichtlichen Wortes. Das Leben löst sich nicht einfach im Transzendentalen auf, sondern hat eigenständigen Wert. Es ist zugleich in unsere Verantwortung gelegt. Die Schrift, so denn auch Deuterojesaja, legt Grund, setzt Grenzen und zeigt Hoffnung für die Verantwortung eines tätigen Lebens. Die Fülle des Lebens ist eben auch Erfüllung der materiellen Bedürfnisse, der Prophet verheißt den Armen Nahrung, den Dürstenden Wasser (Jes 55, 1). Die Arbeit des Menschen aber, seine Mittel, sein „Kapital“ sollen daher nicht verwirtschaftet werden, sondern der Nahrung, dem Wohl des Menschen –man darf es wagen: „nachhaltig“- zugutekommen: „Warum wägt ihr Silber dar für das, was kein Brot ist, und gebt euer mühsam Erworbenes für das, was nicht sättigt?“ (Jes 55, 2a).

Auch die materiellen Güter liegen in der Verantwortung des Menschen; das sei auch in Richtung derer gesagt, die in allem ökologischen Eifer den materiellen Besitz der Menschen, die Güter der Kirchen für ungerecht, für vernachlässigbar halten.

Die materiellen Güter freilich sind begrenzt und knapp; Gott weiß, daß wir ihrer bedürftig sind, läßt uns aber nicht ohne Verheißung (Mt 6, 31-33). Darum ist wahre Ökonomie nicht Ausbeutung, sondern vernünftiger Umgang mit den Gütern und deren Knappheit. Trotzdem wird der Mensch die vollkommene Befriedigung aller Bedürfnisse, gar in einem „sozialistischen Paradies“, nicht leisten können; die Welt mit allen wirksamen Kräften des Unfriedens und der Habsucht, ist nicht danach; „Arme habt ihr allezeit unter euch“ (Joh 12, 8). Der Mensch wird die Fülle des Lebens, die Überwindung aller Knappheit und aller Grenzen, nicht schaffen, und alle seine Kräfte reichen nicht für eine aktuell propagierte, utopische „Große Transfomation“ aus, wie denn auch der Prophet die Grenzen bewußt macht: „… so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über den euren“ (Jes 55, 9).

Ein verantwortetes Leben aber, persönlich und in gemeinschaftlichem Verbund, als Antwort auf das Wort Gottes ist aufgegeben. So erinnert denn auch der an sich etwas verlorene Vers 7 (Westermann S. 231) immerhin an die Moral des Gesetzes, die die klassischen Tugenden Maß, Klugheit und Nächstenliebe einschließt. Das verantwortete Leben bleibt ein zeitliches, lebensweltliches, unvollkommenes, den Bedingungen der Welt verhaftetes; auch ein „nachhaltiges“ Leben erfüllt sich nicht selbst, sondern bleibt im Stand der Sünde und steht unter dem Kreuz.

Aber es steht im Horizont des Heils. Das verantwortete Leben ist die Antwort, auf die der Herr wartet, die der Prophet mit Leidenschaft herausruft: „Neigt euer Ohr und kommt zu mir! Höret, und eure Seele wird leben!“ (Jes 55, 3a). Die Prophetie ist keine Vorhersage menschheits- oder naturgeschichtlicher Ereignisse und erschöpft sich nicht in moralischen Geboten, sondern ist der Ruf des Heils. Eine Vorhersage ergibt sich nicht, aber die Verheißung ist gewiß.

Dr. Frank Hennecke, Speyer