Osternacht / Ostersonntag (1.4.18)

Osternacht / Ostersonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Osternacht: 1 Thess 4, 13-14

Sonntag: 1 Sam 2, 1-2.6-8a

Nacht (1.Les.): Gen 1, 1 - 2, 2
N. (2. Lesung): Gen 22, 1-18
N. (3. Lesung): Ex 14, 15 - 15, 1
N. (4. Lesung): Jes 54, 5-14
Tag: Apg 10, 34a.37-43
N. (5. Lesung): Jes 55, 1-11
N. (6. Lesung): Bar 3, 9-15.32 - 4, 4
N. (7. Lesung): Ez 36, 16-17a.18-28
N. (Epistel): Röm 6, 3-11
Tag: Kol 3, 1-4 oder 1 Kor 5, 6b-8
Nacht: Mk 16, 1-7

Tag: Joh 20, 1-18

In der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tags, und in ihrer dunklen Erde blüht die Hoffnung. Dieses Lied von Sybille Fritsch und Fritz Baltruweit stammt zwar aus den 80ern, aber es drückt für mich nach wie vor mein Osternachtsgefühl aus: eine Nacht durchwachen und durchbeten, um dem Geheimnis von Werden und Vergehen, Anfang und Ende nachzusinnen, vom Tod zum Leben, von der Verzweiflung zur Hoffnung, von der Trauer zur Freude zurückzufinden. Das ist der Sinn der Osternachtsfeier. Sie ist wahrhaft Heilige Zeit, Zeit, in der Begegnung mit Gott stattfinden kann und die Heiligung menschlichen Lebens neu ihren Anfang nimmt.

Ich gehe nicht im einzelnen auf die Texte der Osternacht ein. Sie stehen für sich. Sie haben ihren eigenen Resonanzraum. Diesen in Form von Raumatmosphäre, Zeiten der Stille und hilfreichen musikalischen Akzenten zur Verfügung zu stellen, ist m.E. die zentrale Aufgabe bei der Vorbereitung einer Osternachtsfeier. Zu viele eigene Worte – und seien sie noch so richtig – zerstören nur den Klang der Schöpfungsgeschichte, der Isaak-Erzählung, der Exodusgeschichte und der stärkenden Prophetenworte.

Ich empfehle daher auch für evangelische Gottesdienste, alle vier Lesungen der 1. Lesung des katholischen Lesejahres zum Klingen zu bringen: Gen 1,1-2,2; Gen22,1-18 (evtl. verzichtbar); Ex. 14,15-15,1; Jes. 54,5-14.

Gen. 2,3,Gott heiligte den siebten Tag, ist nicht mehr Bestandteil der vorgeschlagenen 1. Lesung, aber als Interpretationshintergrund der Schöpfungsgeschichte interessant. Nach der Erschaffung der Welt heiligt Gott nicht einen Ort, an dem man ihn hinfort verehren soll, sondern die Zeit, den siebten Tag. Das ist nach Abraham Joshua Heschel „eine radikale Abkehr von den herkömmlichen religiösen Vorstellungen“. Das biblische Verständnis der Schöpfung lautet: nachdem die Schöpfung beendet ist, beginnt Gottes Geschichte mit ihr. Und das ist eine Geschichte der Hoffnung. Sie setzt damit ein, dass Mensch und Tier einen freien Tag bekommen, um das gute Leben einzuüben.

Die Bibel verschließt nicht die Augen vor dem Scheitern der Menschen. Aber Gottes Blick auf seine Geschichte mit den Menschen bleibt der Blick der Liebe und der Hoffnung. Daran knüpft Ostern an. Alle lebensfeindlichen Mächte sind besiegt. Gutes Leben ist möglich. Ostern feiern wir die neue Schöpfung Gottes.

Die Osternacht ist uns geschenkt, um das Geheimnis Gottes zu erfahren und mit unserem Leben an die alten Hoffnungs- und Exodusgeschichten anzuknüpfen. Das zu begreifen braucht Zeit und Raum. Da kann eine gute Inszenierung der biblischen Texte hilfreicher sein sie zu erschließen als viele erklärende Worte.

Predigttext für Ostersonntag: 1. Sam. 2,1-2.(3-5).6-8a

Die Anklänge des Lobgesangs der Hanna an das Magnificat in Luk. 1,46-55 sind unverkennbar, besonders wenn man den Text in voller Länge zugrunde legt. Auch hier wird die Umkehrung ungerechter Verhältnisse besungen: die Satten müssen sich um Brot verdingen, und die Hungrigen kommen zur Ruhe (V.5, Übersetzung BigS).

Befremdend mag Vers 5b klingen: Sogar die Unfruchtbare gebiert für uns siebenfach, und die Kinderreiche welkt dahin(BigS). Dazu muss man wissen, dass die Stellung der Frau in der Gesellschaft damals unmittelbar an ihrer Mutterschaft hing. Kinderlose Frauen waren sozial so gut wie tot und da sie auch von ihren Ehemännern verstoßen werden durften, auch physisch unversorgt.

Für Hanna bedeutet ihre Schwangerschaft daher eine neue Lebensperspektive. Sie weitet sie aus auf Strauchelnde (V.4), Geringe und Arme (V.8). Die im täglichen Überlebenskampf den Kürzeren ziehen, die im Staub hocken und auf Müllhalden leben, werden von Gott lebendig gemacht, aus der Unterwelt heraufgeführt, erhöht, aufgerichtet und an die Seite Edler gesetzt. „Einen Ehrenplatz gibt Gott ihnen zu eigen.“ (V.8)

Was für eine Vorstellung! Auferstehung für die Armen, durchbuchstabiert für die Bettlerin am Bahnhof, die geschlagene Ehefrau, die junge Ghanaerin mit den traurigen Augen. Wie verändert es uns und unsere Gemeinde, wenn wir ihren Geschichten Stimme verleihen in unserem Ostergottesdienst? Nicht nur in den Fürbitten oder im Kyriegebet. Nein, geben wir ihnen einen Ehrenplatz und lassen wir sie erzählen von ihren Hoffnungen, ihrem Glauben, ihren Auferstehungserfahrungen!

Der Lobgesang der Hanna als Predigttext am Ostersonntag eignet sich besonders dazu, einmal die Frauenperspektive auf das Leben und auf die Überwindung lebensbedrohlicher Mächte in den Mittelpunkt zu rücken. Eine gemeinsame Vorbereitung des Gottesdienstes mit Frauengruppen oder Einrichtungen für Frauen vor Ort ist daher besonders empfehlenswert. Der theologisch abstrakte Gedanke der Auferstehung lässt sich am besten vermitteln, wenn man – ganz evangeliumsgemäß – Zeuginnen der Auferstehung befragt.

Evangelium: Joh. 20,1-18

Auffällig an dieser Perikope ist die unterschiedliche Umgangsweise der drei Protagonisten mit der Situation des leeren Grabs. Maria aus Magdala sieht das leere Grab, sie deutet: sie haben den Leichnam weggenommen und sie handelt unverzüglich, indem sie Rat holt. Simon Petrus und „der Jünger, den Jesus liebte“ hören, laufen (=handeln), sehen – und glauben. Der Wettlauf der beiden, den der Jünger, „den Jesus liebte“, gewinnt, zeugt von einer späteren Überarbeitung und interpretativen Gestaltung der Szene, insbesondere, da der Gewinner dem später bedeutenderen Simon Petrus den Vortritt und damit die Deutungshoheit überlässt. Vers 9 „Allerdings wussten sie noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste“ (Übersetzung BigS) unterstreicht die These der nachträglichen Bearbeitung. Aus dem Glauben folgt eine Handlung, die aber in Vers 10 nur ganz knapp erwähnt wird: Sie gingen wieder zu sich.

Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist dieser Pfad weniger interessant als die innere und äußere Bewegung, die Maria aus Magdala vollzieht. Nachdem sie Hilfe geholt hat, bleibt sie vor dem Grab und weint. Weinend beugt sie sich ins Grab hinein und sieht zwei Engel. Sie nimmt also aufgrund ihrer Gefühlsregungen eine ganz andere Wirklichkeit wahr als die beiden Männer. Sie spricht von „meinem Rabbi“, also von einer inneren Beziehung zu dem Vermissten, die bei den beiden anderen so nicht zum Ausdruck gebracht wird.

Aufgrund dieser inneren Beteiligung ist sie fähig Anderes zu hören und zu sehen als ihre Freunde. Sie spricht mit den Engeln und mit Jesus, hört ihren Namen aus seinem Munde und weiß plötzlich, dass er lebendig ist. „Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen“ (V.18) Das kann sie glaubhaft bezeugen. Ja, es drängt sie geradezu, davon zu sprechen.

Das ist kein Kopfwissen, sondern Herzenswissen. Sie braucht kein Studium der Schrift, sondern spricht mit der Autorität der authentischen Zeugenschaft. Damit wird der den Männern vorbehaltenen Schrifttradition eine orale Tradition entgegengesetzt, die von Frauen in die Welt getragen wurde. Das war der Ursprung des Christentums. Ein Bruch mit bestehenden Traditionen und Herrschaftswissen.

Den Bezug zu den Themen der Nachhaltigkeit sehe ich darin, dass wir durch das Evangelium von der Auferstehung aufgefordert sind, nach Wegen der Transformation der bestehendenVerhältnisse zu suchen. Transformation hat mit Reformation zu tun. Sie hat auch mit Nachfolge im ursprünglichen Sinne zu tun. Damals waren es Frauen, die als erste gegangen sind und vom lebendigen Christus erzählt haben. Bewegt durch ein persönliches Erlebnis haben sie die ihnen zugewiesene gesellschaftliche Rolle verlassen und sind losgegangen, um zu erzählen, dass sie dem Lebendigen begegnet sind.

Beim Klimawandel ist es deutlich, dass das Kopfwissen allein nicht reicht, um vernünftig und nachhaltig mit den Ressourcen dieser Erde umzugehen. Es braucht Überzeugungstäter/innen, Menschen, die sich mit ganzer Kraft für eine Veränderung des Lebensstils und der politischen Verhältnisse einsetzen. Es braucht den Spirit der Veränderung, die spirituelle Energie aus einer großen Vision, genährt von Kontemplation und Gebet.

Der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens (pilgrimage of justice and peace), den der Ökumenische Rat der Kirchen 2013 in Busan ausgerufen hat, ist der Versuch der Kirchen sich weltweit auf einen spirituellen und gleichzeitig politisch wirksamen Weg der Transformation rufen zu lassen.

Eine besondere Rolle kommt dabei den Marginalisierten, zu. Sei es, den kleinen Kirchen im pazifischen Ozean, sei es den Flüchtlingen, die uns diese Botschaft direkt vor die Haustür bringen, den Menschen, die übers Mittelmeer geflohen sind, die Mitflüchtlinge haben ertrinken sehen, die durchgekommen sind bis zu uns. Sie erzählen uns von Gott, dessen Gedanken höher sind als unsere Gedanken und dessen Wege weiter reichen als unsere Wege. Sie rufen uns heraus aus unseren Sicherheiten, aus unserer Sesshaftigkeit und aus unserer Ängstlichkeit.

„Halte mich nicht fest“, sagt Jesus zu Maria und schickt sie zu den anderen. Unter denen, die neu in unsere Gemeinden gekommen sind, gibt es sicherlich viele Marias, die uns davon erzählen können, was es heißt, dem lebendigen Christus zu begegnen. Sie können ihn weder fassen noch festhalten, aber sie sind bewegt und fühlen sich gerufen von ihm. Lassen wir sie zu uns sprechen?

Und wenn ja, wie feiern wir mit ihnen Auferstehung?

Annette Muhr-Nelson, Dortmund