Dr. Franz-Josef Overbeck

Bischof von Essen und Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz:

Vor einiger Zeit ging ein Bild um die Welt, das mich nachdenklich machte. Darauf zu sehen waren dutzende Bergsteiger, die in weit über 8000 Metern in einer Schlange stehen, um für einen einzigen kurzen Moment allein auf dem Mount Everest zu sein. Das Foto vom Stau am Gipfelgrat des Everests steht sinnbildlich für eine gesellschaftliche Entwicklung, die ich sehr kritisch betrachte. Auf der Suche nach dem Individuellen, das mich von der ‚Masse‘ unterscheidet und abhebt, wird die Masse zur Gefahr – denn sie besteht aus Individualisten, die das Einzigartige suchen. Dieses Paradox begegnet in so machen Lebensbezügen und wird leider nur selten als solches erkannt. Während man Mittelmäßigkeit mit Scheitern gleichsetzt, kann der Erfolg nur im Besonderen liegen. Gemäß dieser Regeln gesellschaftlicher Anerkennung wird ein durchschnittliches ‚Leben in der Mitte‘ nicht mehr als gut und gelingend betrachtet. Die Orientierung am vermeintlich Einzigartigen lässt keinen Platz mehr, um die eher alltäglichen Sorgen und Nöte derjenigen Menschen ernsthaft in den Blick zu nehmen, die – im besten Sinne des Wortes – maßvoll in der Mitte leben wollen. Eine solidarische und verantwortungsbewusste Gesellschaft braucht aber eine Mitte als Maß. Sie kann auch ein Gradmesser für Nachhaltigkeit sein, denn ein maßloses Streben ‚nach oben‘ geschieht meist auf Kosten anderer.

Das Projekt „nachhaltig predigen“ liefert einen wichtigen Beitrag für einen gesellschaftlichen Perspektivenwechsel: Einzigartigkeit heißt nicht, sich von anderen ‚abheben‘ zu müssen. Sie ist vielmehr ein Geschenk, das im Mit-Menschsein empfangen wird. Dieses Bewusstsein ist der Schlüssel für nachhaltiges Leben und Handeln.

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