Palmarum / Palmsonntag (24.3.13)

Palmsonntag

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 17, 1 (2-5) 6-8 Jes 50, 4-7 Phil 2, 6-11 Lk 19, 28-40

 

Predigtsituation - Kirchenjahreszeit

Palmsonntag erinnert an den Einzug Jesu in Jerusalem, markiert den Beginn des Leidens und Sterbens Jesu – liturgisch den Beginn der Karwoche.
Am 24. März 1976 fand in Argentinien der Militärputsch statt, dem Jahre der Repression folgten. Während der Diktatur „verschwanden" ca. 30.000 Menschen. Heute ist dieser Tag ein nationaler Feiertag mit großen landesweiten Demonstrationen. Am 24. März 1980 wurde in El Salvador Erzbischof Oscar Arnulfo Romero ermordet, weil er sich für die Armen in seinem Land einsetzte und die Ursachen der Verarmung öffentlich anprangerte.

 

Johannes 17, 1 (2-5) 6-8:

Exegetische Überlegungen und Nachhaltigkeitsbezug
Der Predigttext steht am Anfang des hohepriesterlichen Gebetes Jesu, ist Teil der Abschiedsreden. Ein Nachhaltigkeitsbezug im engeren Sinne ist hier nicht auszumachen. Allerdings wird in Vers 2 betont, dass Gott seinem Sohn Jesus Christus Macht gegeben hat über alle Menschen. Dies relativiert alle anderen Mächte der Welt und hat eine herrschaftskritische Implikation.

 

Jesaja 50, 4-7:

Exegetische Überlegungen
Es handelt sich um das dritte Gottesknechtslied bei Deuterojesaja: Der Knecht Gottes, der stellvertretend leidet, bringt Licht und Recht zu den Völkern.

Nachhaltigkeitsbezug
Gewaltlosigkeit als verändernde Lebenspraxis wird hier beschrieben, vergleichbar dem jesuanischen Gebot der Feindesliebe. Für eine Ethik des gerechten Friedens einer der Grundtexte.
Und: Der Gottesknecht redet zu den Müden, ermutigt und motiviert. Ohne Gottes Wort und ohne Gottes Ermutigung läuft Engagement irgendwann ins Leere, droht sich von Frustration überwinden zu lassen. Gewaltloses Engagement braucht Worte der Ermutigung.

 

Philipper 2, 6-11:

Exegetische Überlegungen
Die Gemeinde in Philippi, an die der Brief des Paulus gerichtet ist, lebt in einer römischen Kolonie in Mazedonien. Sie ist nach der Apostelgeschichte die erste Gemeindegründung in Europa.
Der Predigttext ist der Christushymnus, ein bereits bekanntes Christuslied, das der Briefschreiber aufnimmt, zitiert und der Gemeinde zu Vorbild hinstellt: „Ein Jeglicher sei gesinnt wie Jesus Christus auch war" (Luther). Der Hymnus betont, dass sich christliche Existenz im Verzicht auf Macht verwirklicht.1) In der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, die in hohem Maße von Aufstiegsbewußtsein geprägt war, läuft dieser Text dem Trend total zuwider: Die Demut Jesu, die hier besungen wird, sucht nicht den eigenen Vorteil, sondern den der anderen. Beschrieben wird, wie Jesus, gottgleich, sich selbst entäußerte, Mensch wurde, sogar Sklave wurde und sich bis zum Tode erniedrigen ließ – eine Abwärtsbewegung sondergleichen, die Beschreibung einer Antikarriere, die die gesellschaftlichen Werte kontrastierte.
Christus wählt den Weg der Demut als Akt der Solidarität mit den Gedemütigten der damaligen Welt. Er wird wie sie. Dann hat Gott ihn erhöht über alle – die Aufwärtsbewegung, die dennoch nichts vom gesellschaftlichen Aufstieg hat. Mit Christus haben die Gedemütigten Anteil an der Erhöhung, erhalten ihre Würde zurück, indem sie sich Christus zugehörig wissen.

Nachhaltigkeitsbezug und Predigtgedanken
Längst ist deutlich geworden, dass die drängenden gesellschaftlichen Probleme des 21. Jahrhunderts nicht als Einzelphänomene zu lösen sind, sondern einer gesamtgesellschaftlichen Transformation bedürfen. In einen Aufsehen erregenden Gutachten forderte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) 2011 eine Große Transformation hin zu einer einer post-fossilen Wirtschaftsweise. Diese sei nur durch umfassende gesellschaftliche Veränderungen, z.B. einer Abkehr vom wirtschaftlichen Wachstum zu erreichen.
„Die Bibel lehrt Menschen, „Wohlstand" und „Fülle des Lebens" nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie materiell zu definieren. Was „Märkte" wollen darf nicht zum Leitbild für die Definition eines „guten Lebens" werden. Verzicht auf materielles Wachstum tut vielfach nicht nur der Umwelt gut, sondern auch den Menschen, die mehr als genug zum Leben haben. Mit einer "Ethik des Genug" wollen Theologie und Kirchen darauf aufmerksam machen. „Gut leben" heißt nicht nur „viel haben", sondern auch „solidarisch leben" und „mitmenschlich teilen"." (Nikolaus Schneider, EKD-Ratsvorsitzender, zur Eröffnung des Transformationskongresses, Juni 2012).
Diese notwendigen Veränderungen gilt es theologisch zu reflektieren. Das Konzept der Demut ist dafür zweifellos geeignet: Vom Aufstiegsstreben zur Selbstentäußerung, vom Geschwindigkeitswahn zur Langsamkeit, vom Wachstum zur Begrenzung, von der Selbstdurchsetzung zur Achtsamkeit. Eine gesellschaftschaftliche Transformation muss mit einer Veränderung des persönlichen Lebensstils und der eigenen Lebenshaltung einhergehen. Hier kann der Christushymnus Vorbild sein.

 

Lukas 19, 28-40:

Exegetische Überlegungen
Der eigentliche Palmsonntagstext, der den Einzug Jesu in Jerusalem schildert: Gefeiert als König zieht der Messias ins Zentrum der religiösen wie politischen Macht ein. Jedoch: Auch in diesem Text werden gesellschaftliche Macht und jesuanische Haltung kontrastiert: Nicht hoch zu Ross kommt dieser König, sondern auf einem Eselsfüllen – in Aufnahme des prophetischen Textes Sacharja 9,9: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin." Ein armer, ein Friedenskönig kommt hier, keiner, der mit Macht regiert, sondern ein Machtloser, der – gerade noch bejubelt – bald hingerichtet werden wird.

Nachhaltigkeitsbezug
Wie in den anderen Texten geht es um den jesuanischen Gegenentwurf zu den gesellschaftlichen Normen seiner Zeit, die in mancher Hinsicht auch die unserer Zeit sind. Dabei geht es nicht nur um einen individuellen Gegenentwurf, ein „Sich Entziehen" von den Ansprüchen einer an Aufstieg und Macht orientierten Gesellschaft, sondern gerade um die welt-verändernde Kraft dieses Gegenentwurfes: Der Verzicht auf Macht, Reichtum, Wachstum, Statussymbole verändert das Zusammenleben der Menschen in jesuanischer Zeit, ist aber auch heute not-wendig, wenn der gnadenlose wachstumsorientierte Ressourcenverbrauch nicht zur weltweiten Zerstörung der Lebensräume führen soll.

Predigtgedanken
Die Herausforderung der Predigt besteht darin, das Anstößige der alten bekannten Texte aufscheinen zu lassen, Ernst zu machen mit dem Gegenentwurf Jesu. Die Predigt nicht nur als Sonntagsrede zu halten, sondern sie mit verändernden Schritten in der eigenen Gemeinde und im Quartier zu verbinden, das ist die eigentliche Herausforderung. Wie sähen Schritte zur Demut, zum Verzicht auf Status und Macht konkret in der Gemeinde aus? Und: Sind wir bereit, den Preis dafür zu bezahlen?
Dem Predigttext folgt die Passage, in der Jesus über Jerusalem weint, und seine Tränen könnten auch die heute vergossenen sein: Und er sah die Welt und weinte über sie und sprach: Wenn du doch heute erkennen würdest, was dem Frieden und der Schöpfungsbewahrung dient. Aber vor deinen Augen ist es verborgen.
So oder ähnlich könnte Jesu Wort heute angesichts aller vertaner Chancen von Weltklimakonferenzen lauten.
Die Hoffnung der Gemeinde ist am Ende die Auferstehungshoffnung, das DENNOCH gegen allen Augenschein. Aber in der Karwoche eben auch das Aushalten des Scheiterns, des Leidens. Der Ort der Gemeinde ist die Solidarität mit den Gedemütigten, mit den Leidenden, in denen sich der Gekreuzigte heute verkörpert.
In der Predigt könnte an Erzbischof Oscar Romero erinnert werden, oder an die Menschenrechtsaktivisten in Argentinien, die an diesem Tag an die unter der Militätdiktatur Verschwundenen erinnern, zugleich aber auch die Überwindung der Unterdrückung feiern.

Heike Koch

 

1 Zum Folgenden vgl. Klaus Wengst, Demut – Solidarität der Gedemütigten. Wandlungen eines Begriffs uns seines Bezugs in griechisch-römischer, alttestamentlich-jüdischer und urchristlicher Tradition, München 1987.