Pfingstsonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Kor 2,12-16 | Vorabend: Gen 11, 1-9 od. Ex 19, 3-8a.16-20b od. Ez 37, 1-14 od. Joel 3, 1-5 Tag: Apg 2, 1-11 |
(V:) Röm 8, 22-27 (T:) Röm 8, 8-17 od. 1 Kor 12, 3b-7.12-13 |
(V:) Joh 7, 37-39 (T:) Joh 20, 19-23 od. Joh 14, 15-16.23b-26 |
Die Autorin konzentriert sich bei der Vielzahl der Texte des Tages auf die der aktuellen Reihe und entwickelt für den ev. Text drei, für jeden katholischen je einen Predigtgedanken.
Kirchenjahreszeitliche Perspektive: Pfingsten macht nachhaltig predigen einfach: Das zentrale Thema, die Heilige Geistin, als lebensschaffende, Grenzen überwindende, verändernde Kraft Gottes, die in ihrer Wirkung erkennbar wird, legt die Verbindung zu den SDGs nah.
1. Kor 2, 12-16
Gedanken zum Text
Auf den ersten Blick erscheint in dieser Perikope eine Abgrenzung, die schmerzt und anmaßend wirkt. Das erschwert den Zugang zunächst, denn die pfingstliche Botschaft überwindet doch vielmehr Grenzen, zieht hinein in die Welt in aller Unterschiedlichkeit und markiert eben nicht das Gegenüber von Welt und Geist. Bei näherer Betrachtung überschreitet Paulus aber ebenfalls eine Grenze: Er lässt sich auf die für ihn fremde Denkweise der Gegner*innen ein und argumentiert aus Sicht und in Sprache seines Gegenübers. Hier (wie in den Kor insgesamt) will er die konkurrierenden Gruppen versöhnen und wird (nach 9,20ff.) den Geistbegabten ein Geistbegabter. Er formuliert sprachlich in der Wir-Form, die alle Christ*innen umfasst, denn nach 12,13 haben sie mit der Taufe die Geistkraft erhalten. Somit gibt es keine exklusiven Geistesgaben, die nur eine Gruppe für sich reklamieren könnte. Paulus besetzt den Weisheitsbegriff positiv, füllt ihn mit 1,23f. vom Kreuz her und nimmt ihn umfassend in Anspruch im Sinn von Phil 2 (Wir haben den Sinn Christi). In den Korintherbriefen werden immer wieder praktisch-ethische Fragen diskutiert. Paulus Antwort dazu ist die Liebe als übergeordnetes Kriterium, das eben diesem Sinn Christi entspricht.
Nachhaltige Predigtideen
Gegen Exklusivität: Das Problem in Korinth: Manche Gruppen haben besondere Gaben exklusiv für sich in Anspruch genommen. Dies entspricht nicht dem Sinn Christi. Die Gnaden- und Geistesgaben können aktuell nachhaltig interpretiert werden: wem gehören die Rechte an Wasser, Luft, Bildung, Gesundheit, Macht, usw.?
Kirche in Vielfalt: Wo ist es möglich, sich versöhnend auf Fremdes einzulassen? Das ist reizvoll, im Blick auf die Gottesdienstgestaltung in der Perspektive von „Kirche in Vielfalt" auszuführen und dabei die Kontextualität eigener theologischer und liturgischer Prägungen zu bedenken. Pfingsten ist das Kommunikationsgeschehen schlechthin.
Unabhängige Perspektive: Die Welt schaut genau hin, was Christ*innen tun und was die Kirche tut. Und natürlich werden wir beurteilt. Das „Nicht beurteilt werden, aber alles beurteilen", von dem Paulus spricht, meint eine unabhängigere Perspektive, die Christ*innen in gesellschaftliche Diskurse einbringen können. Sie sind nicht an wirtschaftliche, politische oder funktionalisierende Interessen gebunden, weil ihre Kraftquelle und Inspiration sowie Rechtfertigungsinstanz Gott ist.
Gen 11, 1-9
Gedanken zum Text
Eine Segenserzählung am Ende der Urgeschichte! Zwischen Regenbogen-Bund und dem Sendungs-Segen für alle Völker steht die Geschichte von der Rettung menschlicher Diversität. Die Bewahrung erfolgt durch Begrenzung und Zerstreuung (sub contrario), fast als würde Gen 3 noch einmal variiert: Der Mensch möchte sein wie Gott und das überwinden, was ihn als Geschöpf kennzeichnet, nämlich Begrenzungen und Diversität. Das uniforme Großprojekt (ein Volk, eine Sprache, selbst die Steine sind einheitlich) ist nicht seines Bauwerks wegen Grund von Gottes Eingreifen; - der Turm wird auch nicht zerstört. Es ist die Uniformität, die Gott verhindert. Die Gefahr („dass den Menschen nun nichts mehr verwehrt werden kann") besteht in der Bedrohung der Schöpfung in ihrer Vielfalt und damit in ihrer Existenz an sich. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hält als ein solches Projekt des Konformitätswahnsinns zur Zeit der Abfassung dieser Predigtgedanken die Welt in Anspannung und Sorge. Ist dem russischen Präsidenten in seinem Traum einer Mir Rus, unterstützt vom russisch-orthodoxen Patriarchen im ähnlichen Streben nach der einen orthodoxen Kirche, nun nichts mehr zu wehren bis hin zum Einsatz von Atomwaffen?
Nachhaltige Predigtidee
Diversität ist Segen: Mit dem sog. morphing kann durch ein digitales Übereinanderlegen von Fotos verschiedener Gesichter ein Durchschnittsgesicht abgebildet werden; so sieht dann die Durchschnittsdeutsche, der Durchschnittschinese usw. aus. Diese Durchschnittsgesichter werden in der Regel als sympathisch empfunden und Werbung nutzt sie vielfach. Problematisch wird bei einem solchen Einheitsgemisch (neben der prinzipiellen Frage, welche Bilder überhaupt zugrunde gelegt werden) der Umgang mit abweichenden Physiognomien, der auf der einen Seite die Selbstoptimierungsmanie befeuert und auf der anderen Ausgrenzung produziert. Ein Predigteinstieg könnte damit beginnen oder mit der Frage: Wessen Lieblingsfarbe ist grau? Da sich hier vermutlich kaum jemand meldet, kann sich die Frage anschließen, warum so viele Autos und Sofas diese Farbe haben. Baobab und Pusteblume, Blauwal und Haselmaus, Eispole und Regenwald, Mann und Frau, Tag und Nacht und alles was an Varianz bei diesen Endpunkten mitgemeint ist: Und siehe es war sehr gut. Gott liebt Vielfalt und hat die Welt in Diversität geschaffen; gewollt in der Fülle der Tageszeiten, Pflanzen, Tiere und menschlichen Geschlechter; gewollt als gestalterisches, normbrechendes Leben jenseits binärer Konzepte und einengender Kategorien. Bewahrend und segnend greift er ein, wo der Mensch seine Schöpfung bedroht. Segnet, nicht mit dem grauen Band der Gnade, sondern mit dem bunten Bund des Regenbogens, auch der Farben, die wir nicht sehen wie Ultraviolett und Infrarot.
Röm 8, 22-27
Gedanken zum Text
Paulus beschreibt Mensch und Natur in einer Schicksalsgemeinschaft der Vergänglichkeit und Erlösungsbedürftigkeit. Biblische Rede lässt Bäume nicht nur frohlocken und in die Hände klatschen (z.B. Ps 98,8 und Jes 55,12), sondern die Natur eben auch seufzen. Durch diese Verbundenheit allen Lebens kann einem Speziesismus, der menschliche Existenz höher wertet, widersprochen werden. Die Dignität der Natur wird durch die Erwähnung als Gegenüber von Gottes Erlösungshandeln betont. In paulinischer Naherwartung rekurriert Röm 8 auf ein Seufzen aufgrund der Vergänglichkeit (Stichwort Messiaswehen). In Artensterben und Diversitätsverlust ist dies aktuell als lautes Stöhnen und Schmerzgeschrei zu vernehmen. Mit Leonardo Boff steht das Schreien der Erde und das Schreien der Armen in einem unmittelbaren Kontext. Im Hebräischen bedeutet Ruach Geistin und Atem zugleich, und es ist reizvoll beide mit der Perikope wieder zusammenzubringen. Die Geistin ist der Atem gegen Kurzatmigkeit und Erschöpfung im Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung. Jesus bläst seine Jünger*innen an: Nehmt hin und empfangt Gottes Ruach. Und so sind sie schon neue Kreatur und neue Schöpfung, die gelebt und gestaltet werden will.
Nachhaltige Predigtidee
Kurzatmigkeit durchbrechen durch mehr Raum für die Ruach: Atmen kann jede*r. Aber eigentlich atmet es in uns. Sie können ja einmal probieren, nicht zu atmen. Gott hat uns den Lebensodem nicht nur einmal eingehaucht, sondern als Schöpfer und Bewahrer gibt er ihn mit jedem Atemzug neu (Creatio continuans). Atem ist zugleich Chiffre und Synonym der Heiligen Geistin (Ruach) und des göttlichen Lebensgeschenkes an sich. Nun spüren wir in der Regel den Atem nur, wenn etwas nicht stimmt (fehlt, eng wird, stockt,..), manchmal aber auch, wenn wir eine besondere Klarheit oder Schönheit spüren (frische Nachtluft, Fliederduft oder bei besonderen Atemübungen. So verhält es sich auch mit dem Glauben und der Heiligen Geistin. Das Seufzen kann von seiner physiologischen Funktion die Wirkung der Geistkraft verdeutlichen: Neben der nonverbalen Kommunikation ist Seufzen ein Regulativ, mehr Luft in die Lungen zu pumpen und wird hirnfunktionell genutzt, den Atemrhythmus insgesamt zu stabilisieren. Ruach als glaubensstabilisierende, stärkende Kraft. Übungen können Ruach-Räume bewusst wahrnehmen lassen und sie weiten. Die Silben Ru-ach können als Herzens-/Atemgebet gebetet werden („Ru" beim Ein-,"ach" beim Ausatmen) Das „ach" kann als hörbarer Seufzer auf die Länge des Ausatmens gesetzt werden. Seufzen lässt tiefer Luft holen, wieder in den Rhythmus kommen. In zwei aufeinanderfolgenden Runden werden bei der ersten zwischen den Atmern Dinge benannt, unter denen Schöpfung und Menschen leiden, in der zweiten, worüber zu staunen ist. Das Seufzen der Ruach wird miteinander realisiert und der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Natur Ausdruck verliehen.
Joh 7, 37 - 39
Gedanken zum Text
„Am letzten Tag des Festes" bezieht sich auf das Laubhüttenfest, eines der großen jüdischen Wallfahrtsfeste. Ursprünglich ein Natur- und Erntefest erfuhr es zunächst eine historische Erweiterung als Erinnerung an die Wüstenwanderung und dann eine eschatologische als Erwartung der Geistin-ausgießung. Die Wasserzeremonie des Festes bildet den Hintergrund dieser Jesurede, die formgeschichtlich immer wieder in die Nähe der Ich-bin-Worte gesetzt wird. Die exegetische Frage des Bezugs, von wessen Leib Ströme des lebendigen Wassers ausgehen, wird mehrheitlich auf Jesus bezogen, braucht m.E. aber nicht ganz aufgelöst zu werden. Vielleicht hat Joh bewusst in dieser Mehrdeutigkeit formuliert. Auch „Licht der Welt" hat neutestamentlich einen doppelten Bezug auf Jesus und auf seine Jünger*innen. Neben vielfachen biblischen Anklängen werden auch die Paradiesströme erinnert, die die lebensfreundliche Schöpfung Gottes symbolisieren.
Nachhaltige Predigtidee
Strom der Gerechtigkeit: Durst kann als Chiffre für menschliche Grundbedürfnisse insgesamt gelesen werden. Wie diese im Sinne der SDGs für alle in gerechter Weise befriedigt werden können, kann gerade an dem Beispiel Wasser gut veranschaulicht werden. Im Frühsommer 2022 gibt es neben den allgemeinen Fragen nach den Ressourcen Wasser und sauberes Trinkwasser einen traurigen aktuellen Bezug: In Burkina Faso blockieren Terroristen den Zugang zu Trinkwasser für die Bevölkerung, um sie so aus ihren Wohngegenden zu vertreiben. Diese Praxis erinnert an koloniale Grausamkeiten der Maafa, z.B. in dem Genozid an Herero und Nama. Welche konkreten Maßnahmen braucht es, dass bei dem Thema Wasser Gerechtigkeit fließt? Wo Menschen von der Heiligen Geistin geflutet werden, gehen von ihnen Ströme aus, die Lebendigkeit und Leben bedeuten. Können aus den Pfingstgottesdiensten wenigstens Rinnsale plätschern?
Claudia Latzel-Binder, Bad Berleburg