Pfingstsonntag (08.06.14)

Pfingstsonntag

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 8, 1-2 (3-9) 10-11 Gen 11, 1-9 od. Ez 37, 1-14 od.
Ex 19, 3-8a.16-20b od. Joel 3, 1-5
Röm 8, 22-27 Joh 7, 37-39

 

Die evangelische Perikopenordnung sieht fĂŒr den Pfingstsonntag Röm. 8, 1-2 (3-9) 10-11 vor.
Der Abschnitt Röm 8,22-27 ist die zweite Lesung in der katholischen Leseordnung. Ich möchte darum die beiden Abschnitte – unter BerĂŒcksichtigung des dazwischen stehenden Abschnittes (Röm 8, 12-21) in ihrem Gesamtzusammenhang betrachten:


Paulus ermutigt die Christen in Rom, ihr Leben vom Geist Gottes bestimmen zu lassen.
Markante Gegensatzpaare ziehen sich durch seine AusfĂŒhrungen:
Nicht Fleisch sondern Geist, nicht Tod sondern Leben, nicht Knecht sondern Kind und Erbe, nicht Angst vor dem Gesetz der SĂŒnde sondern Mut zu einem Leben im Geist, nicht Knechtschaft der VergĂ€nglichkeit sondern die herrliche Freiheit der Kinder Gottes fĂŒr die ganze Schöpfung – all das vermag „der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat“. Es ist derselbe Leben gebĂ€rende Geist, der Himmel und Erde schuf. Deshalb ist die herrliche Freiheit der Kinder Gottes kein menschliches Privileg und Privateigentum sondern ein universelles Geschehen mit befreiten Menschen als HoffnungstrĂ€ger fĂŒr die ganze Schöpfung. - Der Abschnitt Vers 22ff dĂ€mpft die Euphorie ein wenig, weist darauf hin, dass wir als Gerettete immer noch in der realen Welt leben, dass wir nicht Wissende sondern Hoffende sind, nicht Beherrscher und Besitzer des Geistes sondern Menschen, die aus seiner StĂ€rke Kraft schöpfen.

Das Erkennungszeichen des Geistes Gottes: Er schafft Leben. Er macht uns zu Menschen, die leben und dem Leben dienen. Er macht uns zu Beteiligten an diesem universellen Geschehen, durch das alle frei werden sollen von der Knechtschaft der VergĂ€nglichkeit, durch das alle teilhaben sollen an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Diese Freiheit kann niemand gehören. Sonst wĂ€re sie keine Freiheit. Diese Freiheit kann man „nur“ empfangen, leben, ausstrahlen, verschenken.

Es gab und es gibt Menschen, die als freie Kinder Gottes Unglaubliches durchstanden und leisteten. Ich denke an Menschen wie Nelson Mandela, den Jahrzehnte im GefĂ€ngnis nicht brechen konnten, nicht verbitterten, nicht zynisch machten sondern zu einem starken Versöhner in einem gespaltenen Land. Ich denke aber auch, dass es falsch wĂ€re, uns an solchen Menschen zu messen oder andere nach dieser Messlatte zu beurteilen und zu verurteilen. Dann wĂŒrden wir uns und andere - mit Paulus gesprochen -  wieder dem Gesetz der SĂŒnde und des Todes unterwerfen. Viele andere sind im Laufe der Geschichte unter Gewalt und UnterdrĂŒckung seelisch zusammengebrochen – so wie schon viele frĂŒhe Christen, die das Kaiseropfer brachten, um zu ĂŒberleben. Wer wollte sie verdammen !

Vögel fliegen, weil die Luft sie trĂ€gt. Manche sind brilliante, wendige Flieger, andere gute Langstreckler, wieder andere fliegen vergleichsweise schwerfĂ€llig und bewegen sich meistens am Boden. Wir werden vom Geist Gottes getragen. Was wir daraus machen können, ist unterschiedlich. Auch hier gibt es unterschiedliche FĂ€higkeiten. Es kommt m.E. darauf an, dass wir das, was uns geschenkt ist, auch anwenden, dass wir das, was wir können, auch tun. Wer gut fliegen kann, der soll es auch tun. Wer umweltfreundliche Motoren bauen kann, der soll sie auch bauen und nicht um des Gewinnes willen im Firmentresor verstecken. Wer zu den Reichen in unserer Gesellschaft gehört, der soll diese Gesellschaft auch stĂŒtzen, indem er/ sie Steuern zahlt. Wer genug Geld hat, um es anzulegen, der soll in Firmen und Projekte investieren, die nicht todbringend sind sondern lebensfördernd. Wer Einfluss hat, der soll ihn nutzen – nicht zum grĂ¶ĂŸtmöglichen persönlichen Vorteil sondern fĂŒr Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung (vgl. Verse 6, 10, 19, 27). Jede und jeder von uns hat in irgendeiner Weise Einfluss – in Politik und Wirtschaft, in Vereinen und VerbĂ€nden, in Hochschulen, Schulen und KindertagesstĂ€tten, in den Kirchen, in den Familien oder als Verbraucher.

Mir fĂ€llt auf, dass sich Ă€hnliche AufzĂ€hlungen wie die gerade genannte hĂ€ufig in FĂŒrbittegebeten finden – oft verbunden mit Formulierungen wie „Lass sie/ uns...das Rechte tun.“ - Ich mag diese Formulierungen nicht, weil sie klingen, als ob wir Gott um Erlaubnis fragen mĂŒssten, recht zu handeln und Gutes zu tun. Er hat uns doch den Geist gegeben, der uns frei macht, all das Gute und Notwendige zu tun, das in unseren KrĂ€ften steht. Wir sind befreit zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Befreite sollen nicht im offenen KĂ€fig sitzen . Sie sollen losfliegen - jede(r) wie sie/ er kann. „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebĂŒhrt“ heißt es im Vers 26.  Das gilt – finde ich - auch und gerade fĂŒr das öffentliche Beten in den Kirchen. Gerade in diesem öffentlichen Raum sollten unsere Worte sorgfĂ€ltig gewĂ€hlt sein – nicht so sehr im Sinne von schön, eloquent und liturgisch korrekt, sondern im Sinne von Wahrhaftigkeit: Will ich das wirklich,  worum ich da bitte ? Will ich, dass es mein Leben und mich verĂ€ndert oder möchte ich nur, dass außerhalb von mir etwas passiert – ohne dass ich damit belastet und belĂ€stigt werde.  „Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist.“ (Vers 27).

Genesis 11,1-9

Warum, fragt sich der ErzĂ€hler, sind die Menschen so unterschiedlich, dass sie einander nicht verstehen: ihre Sprachen, ihre BrĂ€uche und Traditionen, ihre Gewohnheiten, ihre Absichten. Seine Antwort: Eine vereinigte Menschheit ist vereinigt in ihrer Selbstverliebtheit, in ihrer Sucht nach Statussymbolen, in ihrem Wunsch, sich „einen Namen zu machen“, in Allmachtsfantasien, in der Gier nach immer schöner, prachtvoller, grĂ¶ĂŸer, höher, teurer.  Eine solchermaßen vereinigte Menschheit wĂŒrde sich und die Welt in den Abgrund fĂŒhren. Gott stoppt den GrĂ¶ĂŸenwahn der Menschen, indem er dafĂŒr sorgt, dass sie einander nicht mehr verstehen. Er ist zwar noch da, ist jedoch durch das gegenseitige Nichtverstehen quasi verdĂŒnnt und in seiner SchĂ€dlichkeit begrenzt.

Der große Traum von der Vereinigung wurde und wird gerne getrĂ€umt: das Reich Alexanders des Großen, das römische Reich, das Reich Karls des Großen, Dschingis Khan, Napoleon, das britische Empire mit seinem kleinen Nachfolge-Resttraum Commonwealth, die Vereinigten Staaten von Amerika, China, die Sowjetunion, Russland, ein vereinigte Europa, eine vereinigte Christenheit, das worldwide web mit seiner weltweiten web-community, weltumspannende Großkonzerne, weltweite SportverbĂ€nde wie FIFA und IOC. Fast all diese TrĂ€ume haben Statussymbole hervorgebracht: PalĂ€ste, Tempel, Kathedralen, Schiffe, Handelsniederlassungen, Konzernzentralen, Sportstadien. Diese Statussymbole forderten und fordern Opfer von Mensch und Natur. Die Narben lang zurĂŒckkliegend Raubbaus sind z.T. heute noch zu sehen: z.B. der vor langer Zeit entwaldete Libanon. Dem olympischen Traum wird immer wieder Natur geopfert. In Brasilien lĂ€sst die FIFA fĂŒr den Traum vom vereinigten Weltfußball mal wieder Prachtstadien bauen – mit Geld, das dringend fĂŒr Bildung, Gesundheitswesen, Armuts- und KriminalitĂ€tsbekĂ€mpfung gebraucht wĂŒrde. Deshalb gab es bereits beim Confed-Cup, der WM-Generalprobe, heftige Proteste.

Die junge brasilianische Regisseurin hat ein Protestvideo produziert, in dem sie u.a. sagt: 

"Wir brauchen keine Stadien, wir brauchen Bildung. Wir mĂŒssen Brasilien nicht fĂŒr den Rest der Welt besser aussehen lassen, wir brauchen Nahrung und Gesundheit fĂŒr die Menschen.Wir brauchen keine Partys." Es gebe, sagt sie, genug Geld in dem Schwellenland, um etwas gegen diese MĂ€ngel zu unternehmen, nun ja, bis zur Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016 habe es genug Geld gegeben. Carla fasst zusammen: "Wir mĂŒssen ĂŒber unsere ProritĂ€ten nachdenken." (Quelle: www.sueddeutsche.de am 23. Juni 2013)

Viele dieser TrĂ€ume haben Leid und Tod, Armut und UnterdrĂŒckung gebracht, weil ihr Ziel nicht Gemeinschaft sondern Ruhm und Macht war.

Vielleicht hat die uralte ErzĂ€hlung ja recht und der schöne Traum von der großen Vereinigung ist in Wirklichkeit ein Alptraum.

Wenn zu viele Menschen zu sehr von sich und ihrem System ĂŒberzeugt sind, wenn sie ĂŒberzeugt sind, dass ihre Welt die beste aller Welten ist – so sehr, dass dies nicht mehr angezweifelt oder hinterfragt werden darf - dann wird es schwierig oder gar gefĂ€hrlich fĂŒr die, die anders sind oder anders sein wollen. Denn die anderen darf es eigentlich gar nicht geben. Sie werden als Bedrohung fĂŒr die eigene schöne Welt empfunden. Deshalb haben Herrscher zu allen Zeiten geheime Staatspolizeien erfunden. Deshalb erfand die Kirche die Inquisition. Deshalb werden Islam-Gegner mit Fatwas zur Tötung frei gegeben. Deshalb werden Whistleblower von Konzernen und Staaten gemobbt oder gar verfolgt.

Wo sich zu viel Macht zusammenballt, wo Menschen sich in kollektivem GrĂ¶ĂŸenwahn vereinigen, dort gibt es keine Toleranz, keinen Dialog, kein gemeinsames Lernen, keinen kultureller Fortschritt, kein Wachsen an Menschlichkeit, an Weisheit, an Wahrhaftigkeit. Dort gibt es nur Stillstand und fortschreitende Dekadenz, und am Ende ist oft der Zusammenbruch, die Katastrophe die einzige Chance fĂŒr einen Neuanfang. Im von den Nazis verblendeten grĂ¶ĂŸenwahnsinnigen Deutschland war dies der Fall.

Nicht nur unvorstellbar viel Geld sondern auch sehr viel Macht ballt sich heute im international agierenden Finanzsystem zusammen. Die global players spielen ihr Spiel auf Kosten der Armen, auf Kosten der Natur. Frei nach dem Motto des Sonnenkönigs „l'etat c'est moi“erklĂ€ren sie ihre selbst gemachten Spielregeln quasi zu Naturgesetzen, denen sich alle unterwerfen sollen. Immer waghalsigere Finanzbauwerke werden errichtet. Der Gewinn wird privatisiert, das Risiko sozialisiert. Bleibt zu hoffen, dass nicht am Ende nur noch die Katastrophe, die totale Zerschlagung und Verwirrung der einzige Ausweg in die Zukunft ist.

Die ErzĂ€hlung vom Turmbau hat fĂŒr mich etwas zeitlos Zukunftsweisendes, Hoffnungsvolles.

Die totale (totalitĂ€re)  Einheit ist kein erstrebenswertes  Ziel – nicht in der Politik, nicht in der Gesellschaft, nicht in der Kultur, nicht in der Religion. Vor das gegenseitige Verstehen hat Gottes weiser Ratschluss die MĂŒhe des Verstehenlernens gesetzt. Vielfalt ist keine Strafe, auch keine Bedrohung sondern ein Geschenk Gottes. Diese Erkenntnis bewahrt uns vor Hochmut und Dekadenz und ist Voraussetzung fĂŒr das Wachsen an Menschlichkeit.

Das Pfingstwunder ist nicht einfach die Aufhebung der Verschiedenheit. Das Pfingstwunder besteht darin, dass die unterschiedlichen Menschen einander begegnen, einander verstehen und miteinander leben. Darum – finde ich – muss es auch heute gehen. Wenn der Geist Gottes uns die Angst vor dem Fremden nimmt, dann passiert ein Pfingstwunder.

Johannes 7,37-39

Lebendiges Wasser ist fließendes Wasser. Wer es als Glaubender in sich aufnimmt, aus dem strömt es wieder heraus. Er wird selbst Teil dieses lebendigen Stromes. Glaube ist kein individueller Besitz von Menschen oder kollektiver Besitz von Kirchen. Glaube kann man nicht speichern, nicht ansparen, nicht konservieren. Dann wĂŒrde – mit Johannes gesprochen – aus dem lebendigen Wasser eine tote abgestandene BrĂŒhe. Leben ist kein Museum. Leben kann nur aktuell gelebt werden. Wir mĂŒssen uns als Kirchen, Gemeinden und einzelne Christen immer wieder fragen, ob unser Wasser noch fließt oder schon stinkt. Wir mĂŒssen uns fragen, ob unser Strom noch ein lebendiger meandrierender Fluss ist oder ein toter Kanal mit abgeschnittenen, versumpfenden Altwassern.

Ob der Geist Gottes mit unserer Hilfe die Welt belebt und fruchtbar macht oder nutzlos kanalisiert wird, liegt auch an uns. Sind wir nur noch mit uns selbst beschĂ€ftigt wie ein abgeschnittener Altrheinarm (mit unserer persönlichen SpiritualitĂ€t, mit unseren Finanzen, mit unseren GebĂ€uden, mit unserer Struktur, mit unserem Wohlbefinden....) oder sind wir Wasser und DĂŒnger fĂŒr eine menschlichere Welt, Lebensspender fĂŒr Mensch und Natur? 

 

H. Krebs