Osternacht / Ostersonntag (31.3.13)

Osternacht / Ostersonntag

ev. Predigttext kath. Lesungen kath. Evangelium
(Nacht:) Joh 5, 19-21
(Sonntag:) Joh 20, 11-18
Osternacht:
(1. L.) Gen 1, 1 - 2, 2
(2. L.) Gen 22, 1-18
(3. L.) Ex 14, 15 - 15, 1
(4. L.) Jes 54, 5-14
(5. L.) Jes 55, 1-11
(6. L.) Bar 3, 9-15.32 - 4, 4
(7. L.) Ez 36, 16-17a.18-28 / (Epistel) Röm 6, 3-11
Tag:
Apg 10, 34a.37-43 / (2.) Kol 3, 1-4 oder 1 Kor 5, 6b-8
Osternacht: Lk 24, 1-12
am Tag: Joh 20, 1-9

 

Der Autor übersetzt die Osterbotschaft neu auf unsere Zeit hin, ohne vom biblischen Urgestein abzurücken. Damit versucht er, die Relevanz des christlichen Glaubens in die Identität heutiger Menschen hinein zu verzahnen. Das Verständnis kirchlicher Sprachlichkeit bzw. der Respekt vor dem dynamischen Charakter der Alltagssprache sind dabei entscheidende Kriterien in der Vermittlung beider Ebenen. Auf pastoraler Ebene berührt dies die Frage der sozialen und strukturellen Nachhaltigkeit „nach innen" wie „nach außen".

 

Osterbotschaft ver-heutigt:
Einen Menschen lieben, das heißt ihm sagen „Du wirst nicht sterben"

Joh 20, 11-18 (ev.) / Lk 24, 1-12; Joh 20, 1-9; Kol 3, 1-4 (kath.)

 

Vorbemerkung zur österlichen Nachtfeier

Als man mir als Kind nahe zu bringen versuchte, dass das höchste Fest der Christenheit nicht Weihnachten sondern Ostern sei, war ich nicht schlecht überrascht: Hieß es nicht, an Weihnachten käme Gott selbst zu uns? Was sollte es Größeres geben? Doch wenn ich heute in den Gottesdiensten bei der Hochfeste im Chorraum stehe, sehe ich stets voll besetzte Kirchenbänke vor mir – ganz im Gegensatz zum Rest des Jahres. Während ihnen die Sprache der Liturgie mehr und mehr fremd geworden ist, haben viele Menschen die Bedeutung beider Feste offensichtlich (noch) verinnerlicht. Zumindest tritt an diesen Tagen eine besondere Sehnsucht nach dem „Hauch der Ewigkeit" (R. Guardini) zu Tage.

Nach dem dreifachen „Lumen Christi"-Ruf setze ich als kath. Diakon in der nur von Kerzen erleuchteten osternächtlichen Kirche unvermittelt mit dem Gesang des Osterlobes ein: „Frohlocket, ihr Chöre der Engel ... gekommen ist das heilige Osterfest, an dem das wahre Lamm geschlachtet ward, dessen Blut die Türen der Gläubigen heiligt und das Volk bewahrt vor Tod und Verderben ... unfassbare Liebe des Vaters, um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin ... der Glanz dieser heiligen Nacht nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sündern die Unschuld ...", heißt es in dem fast zehn Minuten währenden „Exsultet". Die Atmosphäre am Anfang dieser österlichen Nachtfeier, der „Mutter aller Vigilien", ist unbestritten eine einmalige, aber verstehen die Anwesenden - und ich mit ihnen - den Sinn dessen, was gerade rezitiert wird, heute überhaupt noch? Oder zeigt sich ausgerechnet in der österlichen Liturgie eine tiefe Spannung zwischen kirchlicher Sprachlichkeit und dem Leben heutiger Menschen? Damit Liturgie nicht zu etwas Aufgesetztem oder Inszeniertem wird, muss gerade heute genau so gefragt werden – hängt damit nicht zuletzt die Nachhaltigkeit der ältesten Organisation der Welt, sowohl als Nachhaltigkeit „nach innen" - im Dialog mit den Gläubigen - wie auch „nach außen" - in der (Selbst-)Darstellung der Kirche als binnensprachlich geschlossenes „Milieu" oder als offene Glaubens- und Kommunikationsgemeinschaft - ab.

 

„Es frohlocke schon" und 7+2 Lesungen

In der kath. Liturgie der Osternacht sind neun Lesungen vorgesehen: sieben aus dem Alten und zwei aus dem Neuen Testament. Sie erzählen von existentiellen Glaubenserfahrungen des Volkes Gottes – deshalb ist bei pastoral notwendigen Kürzungen der „Durchzug durch das Rote Meer" (Ex 14) immer verbindlich: Der Gott der Mütter und Väter im Glauben, der Gott des Volkes Israel, der „Ich bin da", hat sich in der Geschichte immer wieder als befreiender und rettender Gott erwiesen – diese Glaubensgewissheit will sich in der Geschichte der Christenheit und im Leben des Einzelnen fortsetzen. Das „Exsultet" („Es frohlocke schon") nimmt Teile dieser alttestamentlichen Lesungen im Gesang vorweg und verbindet sie gleichzeitig mit den letzten Stunden Jesu: Als Jesus seine „Stunde" gekommen sah und dies nach seinem Einzug in Jerusalem im Tempel ausrief, setzte er hinzu: „Jetzt ist die Krisis der Welt" (Joh 12,31). Damit manifestiert sich in Jesu Konfrontation mit den Mächten und Machenschaften dieser Welt eine zeitlose Menschheitserfahrung: „blut - überall blut - kain erschlägt - bis heute - seinen bruder abel - menschenblut - tierblut - schöpfungsblut - bis auf's blut - entblößt - der mensch hetzt das leben - zu tode - nur das herzblut - kann von der blutschuld - reinwaschen", bringt Karl-Heinz Berger (2012) diese Schicksals- und Hoffnungsbotschaft lyrisch ins Wort. Mit Jesu Wirken und Tod sind die großen und kleinen Krisen unseres Lebens aber nicht einfach verschwunden – die Lösung aus der Krise besteht, konsequent lutherisch gedacht, einzig in der persönlichen Annahme des wesenhaften Gottesnamens:

 

Lk 24 und Joh 20: Heute für Heutige von Auferstehung reden

Es ist nicht der weg gewälzte Stein, weswegen Christen die Auferstehung Jesu glauben. – Würden wir dann nicht am Greifbaren hängen bleiben? Und den Glauben davon abhängig machen, ob ein Stein leicht oder „sehr groß" - so die Begründung für die Unmöglichkeit des Wegrollens - war?

Der französische Philosoph Gabriel Marcel schrieb ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges: „Einen Menschen lieben, das heißt, ihm sagen: Du wirst nicht sterben." Dieser Gedanke hängt tiefer mit dem christlichen Auferstehungsglauben zusammen, als ein weg gewälzter Stein vor einer Grabeshöhle: Wie viele Menschen mögen diese flehentliche Bitte an einen geliebten Sterbenden kennen: „Du darfst nicht weg gehen"; diese nachvollziehbare, verzweifelte Reaktion im Angesicht des Todes. Dieser Gedanke ist zutiefst menschlich und verständlich; dieser Wunsch, „du darfst nicht gehen" – und es braucht Zeit - Trauerzeit und Trauerarbeit - um auf die zweite Ebene zu kommen, von der Marcel spricht: Nicht „du darfst nicht", sondern „du wirst nicht sterben". Genau hierin besteht der tiefere Grund des christlichen Auferstehungsglaubens, anstatt in einem weg gewälzten Stein, der von wem auch immer hätte weg genommen sein können. Dabei bleiben wir gerade nicht im Philosophischen stehen, sondern dieser Gedanke berührt zutiefst das Wesen Gottes – und seinen Namen.

Einige Kapitel nach der heutigen (kath.) Lesung vom Tage wird Paulus argumentieren: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden" (1 Kor 15,15). Beachtlich ist, dass für ihn nicht die Auferstehung Jesu der Grund ist, an die Auferstehung der Toten zu glauben, sondern genau entgegengesetzt gedacht. Oder anders formuliert: Wer nicht an die Auferstehung der Toten glauben kann, dem fehlt auch das tiefere Verständnis für den christlichen Auferstehungsglauben. Dabei setzt Paulus - wie in den Lesungen der Osternacht - nicht an „hoher Theologie" an, sondern an den Erfahrungen von Menschen: Weil Gott - daran glaubt Paulus fest - bedingungslose und vorleistungsfreie Liebe ist, will er uns für immer; kann er uns nicht „ins Nichts" fallen lassen, weil er sonst „Verrat" an sich selbst üben müsste. Die Auferstehung dieses wesenhaften Liebes-Gottes machen sich Christen an Ostern bewusst - mit allen Sinnen, mit Worten, Gesten, Gesängen, Gerüchen -, und damit die Auferstehung ihrer Verstorbenen: Wer daran glauben kann, dass der Gott, der Liebe ist, keinen aus seiner Liebes-Beziehung herausfallen lassen kann, dass er nicht als einsamer Gott im Irgendwo thront, sondern Beziehung ist - sowohl innergöttliche Beziehung (das feiern Christen besonders am Dreifaltigkeitssonntag; vgl. ebd.) als auch Beziehung mit der Welt (dessen wird an Pfingsten erinnert), der kann die Verstorbenen auch nicht irgendwo, sondern nur bei und in Gott wissen. Vielleicht kann diesen Gedanken aber auch nur ganz ein Mensch erfassen, der Liebe zu einem anderen so tief und so schmerzhaft empfinden durfte/musste, dass im Letzten nur das sichere Gefühl blieb: Dieser Mensch kann nicht einfach „weg" sein, das verbietet die Liebe!

Dieser Versuch, für heutige und in der Regel philosophisch nicht vorgebildete Menschen Auferstehung so zu erklären, dass dieser Glaube Bedeutung bekommen kann für das je eigene Leben, dass Gott so nicht ein fernes Abstraktum bleibt, ist keine Gefühlsduselei oder sentimentales Verdrängen des Todes. Nein, dieses Bewusstsein beginnt nicht erst beim Tod, sondern im Alltäglichen: immer dann, wenn wir Menschen „aus den Augen verlieren": Ein Kleinkind weiß nur um die Nähe der Mutter, wenn es diese leibhaftig spürt, sie erlebt, greifen, fühlen, riechen kann. Und ist es nicht ähnlich bei Verliebten, die dem anderen immer nahe sein müssen, wofür alles andere unwichtig wird? Und im Laufe des Lebens - und des Liebens - lernt die „soziale Frühgeburt" (M. Schelen) Mensch, dass uns auch Menschen nahe bleiben, wenn wir sie gerade nicht halten, nicht greifbar erspüren können. Denn die Liebe ist der Zeit und dem Raum erhaben.

„Einen Menschen lieben, das heißt, ihm sagen: Du wirst nicht sterben", sagt das Herz des Liebend-Glaubenden. Nicht: „Du darfst nicht sterben". Denn: Es wäre gegen die Liebe, den Tod als stärker zu glauben! Und um wie viel mehr muss diese menschliche Erfahrung für einen Gott gelten, der wesenhaft Liebe ist – und nicht anderes als lieben kann.

 

Kol 3: Nachhaltigkeit der Taufe „nach innen" und „nach außen"

Der deuteropaulinische Kolosserbrief weitet die von Paulus selbst noch paränetisch verwendete soma-christou-Theologie kosmologisch. Die Schreiber begreifen die Kirche als „der von Jesus Christus ermöglichte und durchwaltete universale Heilsraum" (U. Schnelle). Vor diesem Hintergrund und einem starken judenchristlichen Einfluss muss der heutige (kath.) Lesungstext verstanden werden: Letzten Sinn findet die Taufe darin, den „Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische" (V. 2) zu richten. Was als „Weltflucht" verstanden werden könnte, findet seine geistliche Basis - kennzeichnend in den vielen verwendeten syn-Wendungen - in der tiefen Gewissheit der Schreiber, dass die Empfänger des Briefes durch die Taufe bereits im allumfassenden Be-Reich Gottes leben – keine Weltflucht, sondern die Zusage von Angstfreiheit vor der erfahrenen Welt ist somit der Tenor des Briefes. Das „Töten" dessen, was „irdisch" ist - nachfolgend, ab V.5, werden menschliche „Laster" aufgelistet - ist damit nicht als ein verordneter Pflichtenkatalog zu begreifen, sondern als geistliche Konsequenz verinnerlichter Taufgnade, die in der Wirkung in zwei Richtungen zielt: ad intra - vorausgesetzt die Handlungen sind authentisch und echt - systemstabilisierend, und ad extra - unter derselben Bedingung - im Sinne glaubwürdiger sozialer Nachhaltigkeit. So verstanden „sonntäglich" - also aus der Auferstehungshoffnung und -gewissheit heraus - zu leben, und dabei alltagstauglich geerdet zu bleiben, greift aus, steckt an, irritiert in einem positiven Sinne gängige Lebensmodelle und Deutekategorien. Dabei nimmt Kirche ernst, dass ihre Verkündigung immer mehrdimensional, und nie auf das Wort reduziert ist. Denn sie „verkündet das Evangelium nicht in Worten bloß, sondern durch ihre ganze Lebensgestalt." (Tertullian)

Dr. Thomas Hanstein

Quellen

Benedikt XVI.: Deus caritas est (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 171; hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Rom/Bonn 2006.
Körner, R.: Mit Gott von Du auf Du. Von der christlichen Art, Mensch zu sein, Münsterschwarzach 2010.
Marcel, G.: Der Tote von morgen, St. Ottilien (übersetzt von Reck, M.) 2001.
Schnelle, U.: Einleitung in das Neue Testament, 42002, bes. 330-347.
Textbuch Gemeindemesse (hrsg. vom Deutschen Liturgischen Institut Trier), Augsburg 1997, bes. 211-236.