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Mk 3, 31-35 | Ex 32, 7-11.13-14 | 1 Tim 1, 12-17 | Lk 15, 1-32 |
Mk 3,31–35 So und ganz anders. Gott.
Eine neue Familie
Was geschieht, wenn alte Familienmuster nicht mehr passen, wenn sie zu starr, zu eng sind, die Wirklichkeit nicht mehr abbilden? Wenn Familien sich nicht mehr zusammenfinden und als Familie betrachten, weil die Überzeugungen viel zu weit auseinander gehen? Wenn die Wahlverwandtschaften mehr Heimat geben als die Blutsverwandtschaften?
Das Bekenntnis zu Jesus Christus kann spalten, auch wenn es das nicht beabsichtigt. Neue Hausgemeinschaften entstehen im frühen Christentum. Menschen, die sich um Jesus versammeln. Menschen, die zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben und dafür mit Leib und Seele einstehen. Menschen, die „den Willen Gottes tun“, kommen zusammen, um einen neuen „Haushalt“ zu bilden. Eine sehr offen gehaltene Gruppe wird zu einer Familie, zu der Brüder, Schwestern und Mütter gehören. Die Väter werden in der Aufzählung nicht genannt. Das kann durchaus als Hinweis verstanden werden, dass in dieser Nachfolgegemeinschaft keine patriarchalen Herrschaftsansprüche Eingang finden sollen.
Was aber heißt: den Willen Gottes tun?
So miteinander im Kleinen und Großen zu leben, dass alle gut leben können. Einer Ordnung zu folgen, die sich als Gottes Schöpfungswerk versteht und darin dessen bleibende Gegenwart bezeugt. Die Gerechtigkeit sprießen zu lassen und getragen von dieser Gerechtigkeit aufeinander zuzugehen. Sehen, wie andere Gottes Willen tun und sie darin unterstützen. Sich selbst in neue Gemeinschaften einzubringen und zum Wohl aller beizutragen. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, untereinander zu verteilen und allen zugute kommen lassen. Auf die Ressourcen achten.
Ein neuer Haushalt, eine neue Familie. Sich beheimaten in der Wahlfamilie, die sich um Jesus Christus versammelt.
Ex 32,7–11.13–14 So und ganz anders. Gott
Sichtbar oder unsichtbar?
Ein Gott, den man nicht sehen kann. Immer und immer wieder die Frage: Wie sieht euer Gott aus? Welche Gestalt, welche „Züge“ hat dieser Gott? Gibt es ihn überhaupt, wenn er nicht vorgezeigt werden kann? Wie kann dieser unsichtbare Gott verehrt werden? Wo ist sein Ort?
In einer von Bildern geprägten (Götter-)Welt ringt das Volk um seinen Gott. Sie sind bereit, alles, was sie haben, zu geben, um sich ihren Gott zu formen, bilden zu können.
Aber so ist ihr Gott nicht. Er lässt sich nicht in eine einzige Gestalt, in eine bestimmte Form zwängen. Kein fertiges Bild, keine Schlachtopfer an einem bestimmten Ort. Keine Festlegung. Es ist ein Gott, der sie in die Freiheit geführt hat. Eine kaum auszuhaltende Freiheit, die aus ihm kommt und die er seinem Volk zumutet mit all der Verantwortung, die ihr innewohnt. Eine Freiheit, die der Bindung Gottes an sein Volk entspringt und die einzig zur Treue auffordert. Treue, die in Freiheit bejaht wird.
Ein solcher Gott sieht sein Volk, hört hin, ermahnt, lässt mit sich streiten, ringen – wenn sie denn auf ihn hören. So zeigt er sich ihnen: unsichtbar, unverfügbar, aber mit seinem Volk auf dem Weg. Das muss genügen.
Phlm 9b–10.12–17 So und ganz anders. Gott
Ohne Unterschied gleich
Die Aufhebung gängiger Zu- und Einordnungen: Sklaven, Freie, Fremder, Einheimischer, Diener, Herr. Der Glaube an den einen Gott hebt diese Unterschiede auf; sie sind menschengemacht. Alle Geschöpfe haben dieselbe Würde, sind von Gott beseelt, atmen durch ihn. Die Gemeinschaft der Christus-Gläubigen lebt diese Überzeugung radikal und setzt damit den Stachel in gängige Selbstverständlichkeiten und Unterscheidungen. Brüder, Schwestern sind wir in diesem einenden Glauben. Keiner höher, keiner niedriger als der oder die andere. Das lässt menschliche Machtallüren ins Leere laufen. Niemand spielt das hierarchische Spiel mehr mit oder bedient es.
Es ist eine der Grundüberzeugungen im frühen Christentum, die durch die Jahrhunderte alsbald verloren ging. Sie konnte sich nicht durchsetzen, Paulus zum Trotz. Schade. Denn Gott ist anders.
Lk 15,1–32 So und ganz anders. Gott
Finden und gefunden werden durch Barmherzigkeit
Das Gleichnis in einer Reihe von drei Gleichnissen[1]
Das Lukasevangelium ordnet dieses Gleichnis in eine Reihe von Gleichnissen ein, die Jesus Pharisäern und Schriftgelehrten erzählt, um sein eigenes Verständnis der Weisungen Gottes ihrer Empörung über sein Tun gegenüber zu stellen. Ein theologischer Disput mit Beispielen aus der Praxis – so könnte man das 15. Kapitel des Lukasevangeliums überschreiben. Oder eben auch: Wie ist Gott? Wie erzählen wir Gott? Denn letztlich stehen in diesem Disput verschiedene Vorstellungen von Gott einander gegenüber. Jesus zeigt in den Gleichnissen vom suchenden Hirten und der suchenden Witwe seinen Gesprächspartnern auf, welche Mühe um das Verlorene, um die Verlorenen Gott sich macht. Wie Gott als Hirte und die Gott-Ewige als suchende Frau alles in Bewegung setzt, um das Verlorene zu finden und dann in großer Freude mit allen ein Fest zu feiern. In unserer Erzählung heute: Wie er als Vater nie aufhört, seinen Sohn zu lieben – trotz und mit allem Schmerz, trotz und mit allem, was das Leben dieser Beziehung zumutet. Der mitfühlende Gott also als Kontrapunkt zu einem aufrechnenden und auf seinen Vorgaben beharrenden Gott? Werden diese Bilder von Gott einander gegenübergestellt? Nein, denn Gott wird hier anders erzählt. Der Vater sucht nicht aktiv nach seinem Sohn, sondern wartet, bis er zurückkommt. Dann allerdings läuft er ihm voller Freude entgegen und feiert ein großes Fest. Weil er verloren war und wiedergefunden wurde – so heißt es ihm Evangelium. Es klingt fast so, als wäre der Sohn wie das Schaf und wie die Münze einfach verloren gegangen. Wie es eben passieren kann, wenn einem etwas aus der Hand fällt, wenn man einen Moment nicht achtet … Dass der Sohn selbst diese Entscheidung traf und wollte, spielt bei seiner Rückkehr keine Rolle. Hauptsache, er ist da. Wiedergefunden. Lebendig. Und: Dem Bild des Vaters werden weiblich-mütterliche Attribute hinzugefügt: Mitgefühl, Barmherzigkeit. Weil wir oft genug Vätern zu Unrecht unterstellen, dass Strenge vor Liebe kommt und diese Haltung männlich sei. Das Lukasevangelium hat einen ganz anderen Hintergrund: der römische Kaiser, der sich mit „Vater“ ansprechen ließ, war ein gnadenloser Herrscher, der auf Unterordnung bestand, der bestrafte und in dessen Moralkodex Umkehr keine Barmherzigkeit bewirkte.
Barmherzigkeit als Handlungsbasis
Gott ist anders. Gott ist eine Suchende, einer, der dem Verlorenen nachgeht, dem jeder und jede Einzelne wichtig ist, einer, der warten kann, bis die Menschen ihn (wieder-)finden und sich über die Wiedergefundenen unendlich freut. Sie haben sich für das Leben entschieden. Für die Gemeinschaft, für die Beziehung zu Gott. Barmherzigkeit ermöglicht all das. Sie ist das Grundmerkmal göttlichen Handelns. Davon erzählt Jesus den Zuhörenden: Stellt Euch vor, Gott ist ganz anders, als ihr ihn denkt und als ihr ihn euch vorstellt.
Suchende werden und ein Fest feiern
Tatsächlich führt Jesu Weise, Gott zu erzählen, zu einer anderen Haltung im Handeln und im Denken. Suchende werden, die dem und den Verlorenen nachgehen. Mühevolle Wege gehen oder das Unterste nach Oben kehren. Manchmal braucht es Zeit, Geduld, bis wir das oder die Verlorenen finden. Manchmal müssen wir lange die Augen offenhalten. Doch die Freude über das Wiedergefundene ist größer als alle Mühe, die mit dem Suchen und Warten verbunden ist.
Wiedergefunden werden und ein Fest feiern
Der andere Gedanke in dieser Gleichniserzählung ist die Freude über das Gefunden werden. Wie oft geschieht es, dass wir uns selbst verloren gehen, dass wir herausfallen, irgendwohin ins Dunkle, dass wir uns aus einer Gemeinschaft, einer Beziehung entfernen, weil wir andere Wege gehen möchten. Wie gut tut es da, sich von Gott gehalten zu wissen, von Gottes Liebe und Barmherzigkeit getragen zu fühlen, gerade wenn alles aussichtslos und verloren erscheint. Von dieser mütterlich-väterlichen Liebe erzählt uns Jesus. Eine Liebe, die uns sucht und entgegengeht. Eine Liebe, die mit uns feiert, dass es uns gibt und dass wir leben. Eine Liebe voller Barmherzigkeit. So ist Gott. Ganz anders und genau so. So einen Gott will ich glauben.
Barbara Janz-Spaeth, Diözese Rottenburg-Stuttgart
[1] Gekürzter Auszug aus: dies., So und ganz anders. Gott, in: Kempter, Klaus, Seeberger, Anton, Dienst am Wort – Gedanken zur Sonntagspredigt, Ostfildern, 76. Jg 2025, Nr 2, 227-235