ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. Evangelium |
Röm 2, 1-11 | Offb 4, 1-11 | Lk 19, 11-28 |
Die Autorin skizziert einen Predigtentwurf, der »Nachhaltigkeit« aus der Umkehrhaltung entschlüsselt, die sich aus dem Römerbrief als das aus christlicher Sicht Gebotene ergibt.
Liebe Gemeinde,
Zum Geburtstag bekam ich ein Buch geschenkt, mit dem Titel „Das Jahr der Wunder“. Darin versprachen mir 365 schöne, kreative und inspirierende Ideen mehr Freude und Leichtigkeit im Leben. „Kauf dir selbst Blumen“/ „Notiere elf Dinge, die du an dir magst“/ „Geh ins Planetarium“… all das kann mir helfen, das Helle und Gute in mir und mit anderen zu entdecken und tiefer zu spüren.
Ich weiß nicht, ob es an der Jahreszeit jetzt oder dem abnehmenden Licht liegt, aber im tiefsten Inneren bin ich mir im Klaren, dass mein Leben nicht immer hell und leicht ist und mein Jahr leider nicht ausschließlich aus Wundern besteht. Da gibt es das herausgerutschte Wort, mit dem ich jemanden gekränkt habe. Da gibt es Unversöhnliches, das ich auch gar nicht ändern mag, weil ich mich im Recht fühle. Da gibt es eine Erde, die stöhnt unter den Belastungen, die auch ich ihr zumute. Wir Menschen wissen vermutlich alle um einen Irrtum oder eine verfehlte Handlung, die wir uns eingestehen oder vorwerfen müssen. Vermutlich haben wir auch alle unsere eigenen Strategie, mit solchen Situationen umzugehen: sich selbst die Schwäche nachsehen, positiv denken, es beim nächsten Mal anders oder besser machen, Schwamm drüber, abhaken, Augen zu und durch. Was führt weiter? Nachhaltig weiter?
Der Buß-und Bettag mit seinen zwei gewichtigen und ungewohnten Worten „Büßen“ und „Beten“ gibt mir in meiner Zerrisenheit und in einer zerrissenen Welt eine Möglichkeit, die wichtigen Fragen nach Gut und Göse zu verdrängen. In dunkler werdenden Tagen und mit dem Gefühl, dass die Welt Leichtes und Schweres birgt, bekomme ich mit dem Predigttext heute eine Fragerichtung: Mensch, wer bist du? Wie siehst du dich? Wie verhältst du dich dir selbst und anderem Leben gegenüber? Deinen Mitmenschen, den Tieren, Pflanzen, der Erde? Und wie kannst du dich wandeln? Was hilft nachhaltig? Ich lese den ersten Teil des Predigttextes aus dem Brief an die Gemeinde in Rom, Kapitel 2:
Lesung Römer 2,1-4 (nach der Basisbibel):
Deshalb hast du auch keine Entschuldigung, du Mensch, der du dich zum Richter aufspielst. Das gilt für jeden, der so handelt. Wenn du jemand anderen verurteilst, sprichst du damit selbst das Urteil über dich. Denn du verurteilst zwar andere, handelst aber genauso. Wir wissen aber: Wer so handelt, über den spricht Gott das Urteil. Und dieses Urteil entspricht der Wahrheit. Du Mensch, du tust doch genau dasselbe wie die anderen, die du verurteilst. Rechnest du wirklich damit, dem Urteil Gottes entgehen zu können? Oder missachtest du Gottes große Güte, Nachsicht und Geduld? Erkennst du denn nicht, dass Gottes Güte dich dazu bewegen will, dein Leben zu ändern?
Gottes Güte bewegt- zur Umkehr. Nachhaltig ist die Güte! Sie bringt Bewegung in ein verstocktes Herz, auch in ein festgefahrenes Miteinander. Ich stelle mir das vor wie einen kleinen Stein, der ins Wasser fällt und seine Kreise zieht. Oder wie eine humorvolle Bemerkung in einer angespannten Lage. Da entsteht mit einem guten Wort ein Raum für ein Lächeln. Ich stelle mir diese Güte vor wie den Blick auf meinen Lieblingsmenschen, zugewandt, voll liebender Erwartung. Gottes Güte wirbt um uns und unser verstocktes Herz. Sie ermöglicht auch, von sich selber abzusehen, vom Vergleichen mit den anderen: Besser, schneller, klüger…vor Gott sind wir alle gleich in unserem So-Sein. Sind aus „krummem Holz“, wie der Philosoph Immanuel Kant es sagte. Oder mit Martin Luther „Gerechte und Sünder*innen zugleich“.
Ich lese den zweiten Teil des Predigttextes:
Du bist starrsinnig und im tiefsten Herzen nicht bereit, dich zu ändern. Und so ziehst du dir selbst mehr und mehr den Zorn Gottes zu bis zum Tag des Zorns. Das ist der Tag, an dem Gott sich als gerechter Richter offenbart. Gott wird allen das geben, was sie für ihre Taten verdienen: Es gibt Menschen, die sich nicht davon abbringen lassen, Gutes zu tun. Es geht ihnen um Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit. Ihnen wird Gott das ewige Leben schenken. Aber andere handeln aus Eigennutz. Sie folgen nicht der Wahrheit Gottes, sondern setzen auf das Unrecht. Gottes grimmiger Zorn wird sie treffen. Über jeden Menschen, der Böses tut, lässt er Not und Verzweiflung hereinbrechen. Das gilt an erster Stelle für die Juden und dann auch für die Griechen. Aber jedem, der Gutes tut, schenkt Gott Herrlichkeit, Ehre und Frieden. Das gilt ebenso an erster Stelle für die Juden und dann auch für die Griechen. Denn Gott richtet ohne Ansehen der Person.
Soll ein Zusammenleben gelingen, werden Buße und Umkehr gebraucht. Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann hat einmal in einer angespannten Situation ein Bild gebraucht, das trefflich den Effekt der Umkehr ausdrückt: wer mit dem ausgestreckten Finger auf einen anderen zeigt, sollte sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass drei Finger auf ihn selbst zurückweisen.
Das ist eine unscheinbare, aber nachhaltige Verschiebung der Perspektive. In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft erleben wir täglich, dass die einen unbedingt fordern, was die anderen strikt ablehnen: Der Klimawandel muss jetzt gestoppt werden – es gibt ihn gar nicht. Migration bereichert das Land – die Fremden bedrohen unsere Lebensweise. Die Ukraine muss in ihrem Abwehrkampf unterstützt werden – mit Waffenlieferungen wird alles nur noch schlimmer. Und so weiter. Und so weiter.
Paulus gründet seine Hoffnung auf Umkehr in Christus selbst. Jesus dachte groß vom Menschen; so groß, dass er den Seinen sogar das Gebot der Feindesliebe zumutete. Er hat vorgelebt, dass Schranken zu überwinden sind, dass Menschen umkehren können und neu anfangen. Die einen werden heil, andere teilen die Gemeinschaft um einen Tisch, den Dritten wird ihre Schuld vergeben und sie fangen neu an. All die Wunder-und Heilungsgeschichten, die Gleichnisse Jesu und nicht zuletzt sein ganz eigener Weg von der Krippe bis zum Kreuz sagen: wer Christus vertraut, wird die menschlichen Möglichkeiten nicht klein- oder schlechtreden. Und wer Christus vertraut, wird sie auch nicht rosarot malen. Der Glaube ermöglicht es, ehrlich auf sich selbst zu blicken, Und zu erkennen: ich bin nicht besser und schlechter als andere. Niemand kann das Gute für sich in Besitz nehmen.
Wir sind getauft sind auf seinen Namen. Gott traut uns zu, sein Liebesgebot anzunehmen und in dieser Welt, in der Gutes und Böses so sehr ineinander verwoben sind, dem Bösen zu widerstehen, Gutes zu wirken, Feinde zu lieben, Frieden zu schaffen. Nachhaltig, bis Christus wiederkommt. Amen.
Sabine Müller-Langsdorf, Frankfurt a. M.