ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 5, 1-16 | Sir 35, 15b-17.20-22a | 2 Tim 4, 6-8.16-18 | Lk 18, 9-14 |
Die Texte des Sonntages werden in den folgenden Kurzbetrachtungen ausgehend von dem Satz des Predigttextes „Ich habe keinen Menschen“ und einer Schwerpunktlegung auf diese Perikope auf Gemeinschaftsaspekte als Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung gelesen. Nur durch gemeinschaftliches Handeln können die SDGs erreicht und eine gerechtere Welt geschaffen werden, in der jeder Mensch Zugang zu notwendigen Ressourcen und Unterstützung in einem sozialen Umfeld hat.
Joh 5, 1-16 (Predigttext)
Der seit 38 Jahren erkrankte Mensch am Teich Bethesda gibt auf die Frage Jesu, ob er gesund werden möchte, kein einfaches „Ja“ zur Antwort, sondern beschreibt stattdessen die Umstände, die ihn kränken und nicht heil werden lassen. Damit bringt er einen prinzipiellen Aspekt mit in die Betrachtung: Gibt es ein gesundes Leben in einer kranken Welt; ein Richtig im Falschen? „Ich habe keinen Menschen…“, Das Leben ohne unterstützende Mitmenschen - und damit die „Un-Menschlichkeit“ schlechthin - lässt ihn darniederliegen und einfach nicht auf die Beine kommen.
Diese Erläuterung und die Tatsache, dass Jesus dort nicht alle Menschen heilt, machen deutlich, dass damit nicht das So-Sein der behinderten Person als defizitär vor Gott angeklagt wird, sondern die Umstände, die die Person niederhalten und behindern. Hier wird die schwierige Frage angerissen, was „heil werden“ oder „gesund sein“ theologisch für Menschen mit Behinderung bedeutet, ohne ihrem physischen Dasein Wert abzusprechen. Die Frage Jesu zeigt, dass es in einer durch Gott veränderten Gesellschaft nicht erst Gesundheit oder Heilung bedarf, um als autonome und zurechnungsfähige Person wahrgenommen zu werden.
Für eine Teilhabe an gesundem Leben gehört eine gute Ausstattung mit Begleitung und Pflege, sowie der freie Zugang zu medizinischer Versorgung. In dieser zynischen Krankenstation, die sich zu allem Hohn auch noch Bethesda = Haus der Gnade oder Barmherzigkeit nennt, ist nichts davon gewährleistet. Nur wer stark ist, für sich selbst zu sorgen, andere wegschubst oder auf andere Weise über hinreichend Ressourcen verfügt, hat die Chance, ganz vorne mit dabei zu sein. Alle anderen nicht. Der Übertrag auf unser Gesundheitssystem ob weltweit oder nur auf den deutschen Kontext bezogen ist offensichtlich: Die*der Privatpatient*in erhält schneller den Termin für die wichtige Untersuchung bzw. Behandlung. Ohne Hilfe ist die*der Senior*in überfordert, Widerspruch gegen die abgelehnte Reha-Maßnahme einzulegen. Wegen Unterbesetzung schafft es das Pflegeteam nicht, die*der schwachen Patient*in beim Essen zu helfen,... Fehlende Menschen im System machen nicht nur einsam, sondern chancenlos und verhindern Teilhabe.
Jesus durchbricht dies in seiner Zuwendung zu dem aussichtslos erkrankten Menschen. Der Zeitpunkt des Festes verdeutlicht dabei den unbedingten Zusammenhang zwischen liturgischem und diakonischem Handeln von Kirche in der Nachfolge Jesu. Das Feiern im Tempel und das Engagement für die*den Nächsten sind für Jesus nur zusammen zu leben. Und damit ist es eine grundlegende Aufgabe von Kirche, für gerechte Teilhabe von Menschen zu sorgen.
Die Zuspitzung in der Perikope auf die Diskussion um die Heiligung des Sabbats lässt sich in dieser Linie interpretieren, dass es bisweilen nötig ist, Gesetze zu überschreiten oder die gewohnte Ordnung zu stören, um Menschen zu heilen bzw. zu retten; sei es die Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer, die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere oder die barmherzige Terminvergabe am Willen der*s Chef*in vorbei.
Bei der zweiten Begegnung mit dem nun geheilten Menschen spricht Jesus ihn erneut als autonome und entscheidungsverantwortliche Person an und sagt: „Sündige hinfort nicht mehr!“. Da, wo er nun wieder auf eigenen Beinen steht, erinnert ihn Jesus an die Verantwortung, selbst Mit-Mensch zu sein, krankmachende „Umwelt“- oder Systemsünden zu lassen und die Welt zu verändern.
Sir 35, 15b-17.20-22a (1. Lesung)
Armut in all ihren Formen und überall zu beenden, ist das erste Ziel der SDGs. Die Dringlichkeit dieses Ziels hat seit den Zeiten von Sirach über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg weiter zugenommen.
„Armut ist mehr als der Mangel an Einkommen und Ressourcen, um eine nachhaltige Existenz zu sichern. Zu ihren Erscheinungsformen gehören Hunger und Unterernährung, begrenzter Zugang zu Bildung und anderer Grundversorgung, soziale Diskriminierung und Ausgrenzung sowie die mangelnde Beteiligung an Entscheidungsprozessen“ (siehe Vereinte Nationen, SDGs). Armut ist somit ein Grundproblem, an das sich weitere Marginalisierungen anknüpfen. Sie ist nach Sirach 35 geradezu himmelschreiend. Das Anliegen der Armen ruht nicht und bleibt als fortwährendes Flehen vor Gott bestehen. Was im Sirach-Text in der Zusammenschau von Gebet und Gottes Gericht thematisiert wird, können wir unter sozialer Gerechtigkeit fassen. Gott hört die Gebete der Unterdrückten, was die Bedeutung von Solidarität und gegenseitiger Hilfe unterstreicht. Ohne Gemeinschaft und Mitmenschen bleibt vielen der Zugang zu Gerechtigkeit und Unterstützung verwehrt.
2 Tim 4, 6-8.16-18 (2. Lesung)
Ohne Gerechtigkeit gibt es keine nachhaltige Entwicklung. Deswegen muss die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene gefördert und der gleichberechtigte Zugang aller zu einer gerechten Justiz gewährleistet werden. Paulus erwähnt, dass er bei seiner ersten Verteidigung allein war und alle ihn verlassen haben. Zwar stand Gott ihm bei, aber die Erfahrung, ohne weiteren Beistand und Unterstützung einem Gerichtsverfahren ausgeliefert zu sein, ist beängstigend. Auch Unterstützer*innen und Anwält*innen von Angeklagten brauchen einen verlässlichen Schutz, nicht selbst für ihren Einsatz Repressionen zu erhalten und deshalb aus Furcht davor ihr Engagement einstellen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Gemeinschaft und solidarischer Unterstützung auf den verschiedenen Ebenen. Ohne den Beistand anderer kann es schwierig sein, Herausforderungen zu bewältigen. Solidarität und gegenseitige Hilfe sind entscheidend, um die SDGs zu erreichen und eine gerechtere und friedlichere Welt zu schaffen. Solche Solidarität ist für Paulus möglich, weil er sich in, bei und durch alle Schwierigkeiten hindurch von Gott begleitet und getragen weiß, was ihn selbst auch angesichts des Todes in der Gemeinschaft auch mit seinen Mitmenschen hält. So betont er, dass das von ihm erwartete Heil ja das Heil aller sei.
Lk 18, 9-14 (Evangelium)
„Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst“. Dieser Satz beschreibt das von Jesus zurückgewiesene Verhalten. Selbstgenügsamkeit befördert Selbstherrlichkeit, diese wiederum Hierarisierung und Brechen von Solidarität. Das grundlegende Angewiesensein auf andere und letztlich auf Gott und seine Gnade macht Menschsein aus. Der Mensch ist ein mit anderen Verbundener; immer. Niemand lebt nur für sich allein. Alle Handlungen oder Unterlassungen wirken sich aus auf die unmittelbaren Nächsten und in einer globalen Welt auch auf die fernen Nächsten. Niemand kann für sich allein beten ohne mit dem „Vater unser“ immer zugleich mit allen Kindern Gottes in Gemeinschaft zu stehen.
Claudia Latzel-Binder, Ev. Kirche von Westfalen