Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit (12.04.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): 1 Mose 32,23-32;
Joh 20,19-20.24-29(30-31);
1 Petr 1,3-9; Jes 40,26-31; Joh 21,1-14; Kol 2,12-15 [www.stichwortp.de]

 

Quasimodogeniti / 2. Sonntag der Osterzeit

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 20, 19-29 Apg 4, 32-35 1 Joh 5, 1-6 Joh 20, 19-31

 

Manches Wort in der Bibel ist zu einem Sprichwort im Volksmund geworden. So etwa auch „Ein Herz und eine Seele“ sein – „Hach“, denkt vielleicht mancher, „wenn’s denn so einfach wäre“. Wer sich ansieht, wie der Umgang miteinander – gerade auch in der Kirche – ist, der wird wohl eher ernüchtert feststellen, dass es allzu oft „menschelt“, wo Menschen zusammen kommen. Das erinnert eher an „Ein Herz und eine Seele“ mit „Ekel Alfred“ und Co. Und da spricht die Bibel davon, dass die Urgemeinde „ein Herz und eine Seele“ war und sie „alles gemeinsam“ hatten. Das klingt vielleicht auch in manchen Ohren nach „Kommune 1“ in frühester Zeit. Aber die heile Welt sucht man vergebens.

So wird es auch in der Urgemeinde gewesen sein. Dass auch dort alles nur eitel Sonnenschein war, es keine Meinungsverschiedenheiten gab und alle immer glücklich und zufrieden waren, ist schwer vorstellbar. Darum ging es dem Autor dieses biblischen Abschnittes wohl auch nicht. Und es ging ihm wohl auch nicht um eine frühe Ideologie, um die Propagierung dessen, was später als „Kommunismus“ von sich reden machte, oder überhaupt ein politisches Programm. Vielmehr war die Gütergemeinschaft, die hier beschrieben wird, wirklich freiwillig. Sie wurde nicht verordnet oder als Parole ausgegeben. Sie soll veranschaulichen, wie ein gelingendes Leben miteinander aussehen kann: Wenn keiner immer nur auf das pocht, was ihm „zusteht“, was ihm „gehört“ oder worauf er „Anspruch hat“, dann bleibt die Kraft und Energie für andere, wichtigere Dinge. Wenn das, was die Natur, die Schöpfung, hergibt, und das, was erwirtschaftet wird, nicht zu Lasten von anderen verbraucht und ausgebeutet wird und nur dem eigenen Vorteil dient, dann reicht es für alle. Wenn alle solidarisch teilen, wirkt das, was es gibt, nachhaltig. „Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt“, heißt es in der biblischen Lesung.

Die Bibel ist nicht dazu da, wörtlich ausgelegt zu werden. Und erst recht nicht, indem man das damalige Wort 1:1 auf heutige Verhältnisse anwendet – und daraus noch eigene interpretierende Schlüsse zieht. Das wäre zu einfach – und führt ins Leere. Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“, heißt es an anderer Stelle vom Apostel Paulus (2 Kor 3,6). Es kommt also auf den tieferen Sinn dahinter an; auf das, was der biblische Verfasser ausdrücken will – und dazu gibt er Verstehenshilfen, wenn davon die Rede ist, dass jeder „soviel zugeteilt (bekam), wie er nötig hatte“. Es geht also nicht darum, möglichst viel anzuhäufen, soviel zu bekommen, wie möglich, gar als Erweis des Erfolges. Sondern es geht um das „soviel wie nötig“. Auch daraus können wir heute – ohne Verbiegen der biblischen Stelle – lernen: Maßstab ist das, was jeder (wirklich) braucht, nicht das, was er gerne hätte, oder was ihm aufgrund seiner Stellung, seiner gesellschaftlichen und politischen Potenz möglich ist. Wenn man das bei sich selbst überprüft, entdeckt man leicht, wie wenig – zumindest wieviel weniger - das eigentlich sein müsste. Wie scheinbar wenig genügt oder genügen würde für ein erfülltes (und nicht nur vollgestopftes) Leben.

Wem etwas „reicht“, der ist wirklich reich. Denn er ist im wahrsten Sinn des Wortes zu-frieden. Der findet den inneren Frieden, mit sich, mit der Welt und mit anderen in seiner Umwelt. Die biblische Stelle lässt offen, wer es ist, der von all dem, was zusammenkommt, nach den Bedürfnissen zuteilt: Sind es die Apostel, denen die Gemeinde alle Besitztümer „zu Füßen“ legt? Oder entscheidet die Gemeinschaft zusammen? Gemeinschaft braucht auch Leitung. Daher ist es gut möglich, dass die Apostel es waren, die nach den Bedürfnissen der Menschen zuteilen. Wenn dann jeder das erhält, „so viel (…) wie er nötig hatte“, und die Gerechtigkeit und nicht Selbstgerechtigkeit und Profitdenken an erster Stelle stehen, dann zeigt dies ein Gesellschaftsmodell auf, das nachhaltig ist, weil keiner zu kurz kommt und durch das Raster fällt.

 

Wie kann das gelingen? Geht das nur „im Himmel“ oder in der Urgemeinde, wie sie idealtypisch geschildert wird? Sind unsere Erfahrungen heute nicht eher andere – dass es nämlich Streit gibt und Profigier, Besitzstreben und Eitelkeit, Machtmissbrauch und Ausbeutung? Ist sowas überhaupt möglich, hier „unten“, auf der Erde? Im Text aus dem 1. Johannesbrief wird auf den ersten Blick ein Gegensatz konstruiert zwischen „der Welt“ und „dem Glauben“. Aber nur wer oberflächlich darauf sieht, wird hier einen unüberwindbaren Graben sehen. Natürlich ist es so, dass der Mensch „hier auf der Erde“ andere Bedingungen vorfindet, wie er sie sich „im Himmel“ vorstellt: Er verbraucht Ressourcen zu Lasten der nachfolgenden Generationen, er hinterlässt einen „ökologischen Fußabdruck“, er lebt im Streit mit anderen, in Konkurrenz und bisweilen Missgunst, er kann nicht „aus seiner Haut“ heraus. Aber dabei darf „die Welt“ nicht gleichgesetzt werden mit der konkreten Erde, die wir vorfinden und auf der wir leben. „Die Welt“ steht für alles, was uns abhält von dem, was im übertragenen Sinn „himmlisch“ ist. Deshalb ist es auch das Ziel, „die Welt“ zu überwinden, zu besiegen und bis dahin mit ihr im Kampf zu stehen. Unsere Sprache lässt da leicht Verwechslungen und Gleichsetzungen aufkommen, wenn von der „Welt“ die Rede ist. Der Glaube hilft dabei, das „Weltliche“ zu überwinden, ohne die Welt zu verlassen. Wir sind keine Engel. Wir bleiben Menschen, die verbunden sind mit der Erde. Und weil die konkrete Erde, auf der wir leben, Gottes gute Schöpfung ist, kann sie auch nicht durch und durch schlecht sein.

Gerade Christus hat durch seine Menschwerdung diesen Graben überwunden zwischen „der Welt“ und dem, was zusammengefasst wird mit dem Wort „Glauben“. Er ist zum Mittler geworden. Die Christen in seiner Nachfolge sind daher aufgerufen, den Glauben in der Welt (von heute) zu leben. Christen sind keine Weltflüchtlinge, sondern gerade weil sie sich auf Jesus Christus berufen, der als Gottes Sohn Mensch geworden ist und in die Welt gekommen ist, sind sie auf der Erde verwurzelt und dürfen sich nach dem Himmel ausstrecken.

Das zeigt sich im täglichen Leben konkret. In allen Um- und Abwegen des irdischen menschlichen Lebens, in allen Verwirrungen und Verirrungen bleibt der Mensch nicht allein. Gott geht die Wege mit. Er befreit von Zwängen, die uns im irdischen Leben gefangen halten. Gott zeigt uns ganz wörtlich: „the world is not enough“ – „die Welt ist nicht genug“, wie ein James-Bond-Klassiker hieß. Damit ist aber nicht gemeint, dass wir nach menschlichen Maßstäben nach „immer mehr“ streben müssten, immer gieriger. Dieses „mehr“ ist ein anderes „mehr“: Mehr Solidarität, mehr Miteinander, mehr Verantwortungsbewusstsein für die kommenden Generationen, mehr „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) – aber nach den Maßstäben Gottes. Das stärkt den Menschen auch, sich solidarisch für seine Mitmenschen einzusetzen.

Wer dabei jedoch vorschnell ein konkretes Parteiprogramm zur Hand hat und den Auftrag der Christen mit einem einzelnen Parteiprogramm gleichsetzt, der steht wieder vor der Ideologiefalle, die schon im Zusammenhang mit der Gütergemeinschaft der Urgemeinde angedeutet wurde. Christliches Leben hat einen Weltbezug. Es geht aber nicht darin allein auf, sondern weist darüber hinaus. Gleichzeitig wäre es aber abgehoben und entspräche nicht seinem Auftrag, wenn es nur das „Darüber hinaus“ im Blick hat und die konkrete Mit- und Umwelt vergisst. In dieser Spannung lebt der Mensch. Diese Spannung auszuhalten und sie zu einem Spannungsbogen für ein gelingendes Leben zu machen, ist dem Menschen in der Welt von heute aber möglich, weil Gott selbst Mensch geworden ist.

 

Das ist eine Frage des Glaubens. Und da können Zweifel aufkommen. Oft ist uns der „ungläubige Thomas“ näher als mancher von den Aposteln, die so scheinbar gegen alle Widerstände glauben konnten. Der Zweifel ist vielleicht der Anfang des Glaubens. Denn wer nicht alles einfach unkritisch übernimmt, weil es andere sagen, die scheinbar Autorität haben, der kann seinen Glauben fundieren mit Vernunft und Überzeugung. Der steht mit seinem Glauben auf festem Boden.

Gott gibt uns die Chance, unseren Glauben zu festigen. Er macht sich im wahrsten Sinn des Wortes „begreifbar“: Für Thomas ist es der Herr selbst, der anrührt und sich „be-greifbar“ macht. Aber auch heute gibt es viele Möglichkeiten für uns, unseren Glauben zu „be-greifen“: In den Wundern der Natur, im Wunder des Lebens selbst. Wer sich so – wie der auferstandene Christus – begreifbar macht, der macht sich aber auch an-greifbar. Und es gibt diese Angriffe auf den Glauben, auf Christus: Im Spott der anderen, die nicht glauben können, und vielleicht doch gerne glauben würden; in der Kritik der „Vernünftigen“, die nur das glauben wollen, was sie in ihrem menschlichen Horizont verstehen können. Aber was für ein Glaube wäre das – und was für eine Vorstellung von der Größe Gottes?

Wo wir Menschen uns selbst als alleinigen Maßstab setzen, da überhöhen wir uns und schwingen uns auf zu dem, was Gott allein zusteht. So wollen wir Herren über die Welt und unsere Mitmenschen sein. Wir beuten aus, erniedrigen und vergessen, wo wir herkommen und wo wir hingehen. Wo wir nur im Horizont des eigenen Verstehens leben, sind die Grenzen eng: Wir kümmern uns nur um das eigene Überleben – auch wenn es auf Kosten der nachfolgenden Generationen geht. Wir achten auf den eigenen Vorteil, auch wenn andere dafür bluten müssen: In unserer Ernährung, unserer Kleidung, unserem Lebensstil. Wir bleiben auch in der globalisierten Welt in unserem engen Horizont. Aber Gott ist größer, viel größer noch als die Welt.

Für Thomas hat er sich begreifbar gemacht, damit der auch glauben kann. Und Thomas musste in dieser Erkenntnis demütig bekennen, wie klein sein Horizont war: „Mein Herr und mein Gott“, mehr bringt er nicht mehr heraus, nachdem er zuvor den Mund sehr voll genommen hatte. Und was ist mit uns? Auch wir fordern Beweise. Wir fordern vollmundig nach dem Beleg für das, was uns so un-glaublich erscheint. Und meinen, wenn wir es nicht verstehen, dass es nicht sein kann. Aber sind wir auch offen für „viele anderen Zeichen“ (Joh 20, 30a), die uns angeboten werden, damit wir glauben können? Die Welt – Gottes Schöpfung - ist voll davon.

Dr. Michael Kinnen, Mainz